Clara Zetkin 19200702 Das erste Wort der Kommunisten im Deutschen Reichstag

Clara Zetkin: Das erste Wort der Kommunisten im Deutschen Reichstag

(Rede im Reichstag, 2. Juli 1920)

[“Verhandlungen des Reichstags, 1. Wahlperiode 1920”, Bd. 344, Berlin 1921, 6. Sitzung, S. 161-168, vgl. Clara Zetkin, Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. II, Berlin 1957, S. 195-222]

Meine Damen und Herren! Das erste Wort der Kommunisten hier ist über dieses Haus, ist über Deutschlands Grenzen hinaus gerichtet. Es ist das Bekenntnis zur internationalen Solidarität der Proletarier aller Länder, mit denen wir uns verbunden wissen trotz der Blutströme des Weltkrieges, mit denen wir eins sind im revolutionären Klassenkampf zur Niederzwingung des Kapitalismus und zur Aufrichtung des Sozialismus, des Kommunismus. Es ist insbesondere ein Ausdruck dankbarer und bewundernder Brüderlichkeit für das unter den größten Schwierigkeiten gegen eine ganze Welt kämpfende und aufbauende sozialistische Räterussland. Es ist das Gelöbnis unverbrüchlicher Einheit des Kampfwillens und des Kampfzieles mit dem heldenmütigen russischen Proletariat, das unter der Führung der kühnen Bolschewiki den Arbeitern der ganzen Welt vorangegangen ist im Kampfe für die Verwirklichung des Sozialismus, richtungweisend und beispielgebend.

Die internationale Solidarität muss das oberste Gesetz des Kampfes der Arbeiterklasse aller Länder sein, der überall mehr und mehr zum beherrschenden Moment im politischen und sozialen Leben wird.

Darauf weist uns geradezu zwingend die Situation hin, in der wir uns gegenwärtig befinden. In Spa will der Ententeimperialismus durch weitere neue Verbrechen die Verbrechen des deutschen Imperialismus sühnen. Es ist ein Wahn, der aber Methode hat, nämlich die Methode des Kapitalismus, der wie die wirtschaftlich schwachen Arbeiter so auch die unterlegenen Nationen als Objekte seiner Ausbeutung, seines Profites und Machtbegehrens erbarmungslos unter die Füße stampft. In Spa soll jene Rechnung beglichen werden, deren Vorbild in den Frieden zu Brest-Litowsk und zu Bukarest vom deutschen Imperialismus mit Blut und Eisen geschrieben worden ist.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten — Widerspruch rechts.)

Die Kosten wird aber nicht der deutsche Imperialismus, werden nicht jene Klassen tragen, deren politischer Ausdruck er ist. Diesen Klassen genügt es, die reichen Gewinne des Krieges eingestrichen zu haben.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die Kosten des Krieges aber sollen die breitesten werktätigen Massen zahlen.

Nur Bettler und hoffnungsvolle Toren konnten wähnen, dass die Friedensbedingungen für das zusammengebrochene Deutschland gemildert werden würden durch Wilsons Programmpunkte und jenen Völkerbund,

(Sehr richtig! rechts.)

der die Internationale der Kapitalisten der ganzen Welt zur Ausbeutung der Werktätigen der ganzen Welt ist. Und niemand darf sich in dieser Stunde mit dem Hoffnungsspiel trösten, dass zunehmendes Verständnis für die trostlose Lage Deutschlands, dass zunehmendes Verständnis für das Verknüpftsein des Schicksals von ganz Europa, ja des Schicksals der ganzen Welt mit Deutschlands Los, dass andererseits der wachsende Gegensatz zwischen den Imperialisten der einzelnen alliierten Länder in ihrem Kampf um die Beute des Weltkriegs die Einheitsfront gegen Deutschland sprengen würde. Alle Hoffnungen der zünftigen Diplomatie und ihrer nicht zünftigen Nachtreter darauf sind zerplatzt gleich Seifenblasen, kauen dass sie einen Augenblick geschillert. Kein Zweifel, Deutschland wird isoliert an jenem grünen Tisch in Spa stehen, an dem nach dem Willen des Ententeimperialismus nicht mit Deutschland verhandelt werden soll, sondern der dem Handeln gegen Deutschland dienen soll.

Die düsteren Aussichten, die für uns mit dem Namen Spa verbunden sind, können unserer Auffassung nach nur durch ein anderes Wort verscheucht werden: Moskau. Ein Schutz- und Trutzbündnis Deutschlands mit dem sozialistischen Sowjetrussland würde die internationale Isoliertheit Deutschlands aufheben,

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

durchbrechen und würde eine internationale Machtstärkung bedeuten.

Aber ein solches Bündnis hätte eine Voraussetzung: einen Bruch mit Deutschlands seitheriger Auslandspolitik. Diese hat gestanden und steht noch heute im Zeichen der Demut und des Duckens vor dem Ententeimperialismus und der gepanzerten Faust gegen Räterussland. Diese Politik wurde unter dem Wilhelminischen Regiment begonnen, und sie ist seitdem von allen Regierungen fortgesetzt worden, auch — ich stelle das mit Bedauern fest — von der ersten Regierung der Volksbeauftragten. Denn sie hat sich zu dem Programm des Grafen Brockdorff-Rantzau bekannt; sie hat die Ausweisung der russischen Gesandtschaft aufrechterhalten; sie hat den Delegierten Sowjetrusslands die Einreise zu ihrer Beteiligung an dem ersten Rätekongress in Deutschland verwehrt. Diese Politik der gepanzerten Faust gegen Russland hat den Gipfel der Kurzsichtigkeit und der Schmach dadurch erklommen, dass auf deutschem Boden die zaristische Gegenrevolution sich Sammeln durfte, dass der Entente angeboten wurde, deutsche Krieger sollten dem Ententeimperialismus helfen im Kampfe gegen die Bolschewiki im Baltikum.

Noch jetzt haben wir die Politik der Begönnerung der russischen Gegenrevolution in Deutschland. Erst in den letzten Tagen gingen Nachrichten durch die Blätter über den Aufmarsch einer Truppenmacht in Ostpreußen zum Kampfe gegen Räterussland. Gewiss, die Nachricht ist dementiert worden, aber, meine Damen und Herren, die Auguren pflegen zu lächeln, wenn die offizielle Dementierspritze in Bewegung gesetzt wird.

(Sehr gut! und Heiterkeit bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ein Ende mit dieser Politik — und eine Politik ehrlicher Freundschaft mit Russland!

(Bravo! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ich höre den Einwand, der gegen diese Forderung erhob. en wird: Der Bolschewismus soll Deutschland überfluten. Ach, meine Damen und Herren, dass doch der Bürgermeister aus den Krähwinkler Schreckenstagen von 1848 noch immer lebt! Er ist nicht einmal an Heinrich Heines genialem Lachen gestorben. Der Bolschewismus, der Kommunismus, alles, was diejenigen fürchten, die auf dem Boden der bürgerlichen Ordnung stehen, es kann nicht als russische Importware in Deutschland eingeführt werden. Die Revolution des deutschen Proletariats ist kein Homunkulus, der in der Verschwörerretorte russischer Bolschewisten fabriziert werden könnte. Nein, die Revolution des deutschen Proletariats ist entstanden im Schoße der kapitalistischen Gesellschaft Deutschlands, und sie zieht die Kraft ihres Wachstums aus den politischen, den wirtschaftlichen und den kulturellen Zuständen, die der sich auflösende und zerfallende Kapitalismus hier in Deutschland schafft.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Das ureigenste Kind der deutschen Geschichte, allmählich zu Fleisch und Blut verkörpert in der Riesengestalt des deutschen Proletariats, wird sie über Höhen und durch Tiefen weiter schreiten, bis sie ihr Ziel erreicht hat, bis der Kapitalismus niedergeworfen und die Bahn freigelegt ist für die kommunistische Zukunftsgesellschaft, ganz gleich, ob das deutsche Reich eine russlandfreundliche oder eine russlandfeindliche Politik treiben wird.

Meine Damen und Herren! Ich weiß den anderen Einwand gegen die Forderung, die wir erheben. Er wird gezogen aus den Zuständen in Russland selbst. Da beißt es im Hinblick darauf: “Was kannst du, armer Teufel, bieten?” Gewiss, Russlands Wirtschaft ist zerrüttet, gewiss, die Massen Russlands werden von Entbehrungen, werden vom Hunger gegeißelt — als Erbschaft des Zarismus, des Kapitalismus, des imperialistischen Krieges, als Folge der Verbrechen der Gegenrevolutionäre im Lande und an den Fronten, die die sozialistische Republik zwingen, das Schwert der Verteidigung statt der Kelle des Aufbaus zu führen. Die russische Sowjetregierung selbst erkennt rückhaltlos die Zerrüttung der russischen Wirtschaft an. Mit einer geradezu brutalen Ehrlichkeit und Offenheit stellt sie die Fehler, die Irrungen fest, die bei dem Aufbau der neuen Gesellschaft unterlaufen.

(Hört! Hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ich möchte unseren deutschen Regierungen etwas von dieser Ehrlichkeit wünschen.

(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Aber trotz der augenblicklichen Zerrüttung der russischen Wirtschaft stehen doch zwei Gruppen von Tatsachen fest: die eine, dass Russland eines der wichtigsten Gebiete für die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse nach Deutschland werden kann, dass es reich ist an Naturschätzen, die wir als Rohmaterial für unsere Industrie brauchen; weiter, dass es ein geradezu unvergleichliches Absatzgebiet für die Erzeugnisse der deutschen Industrie, des deutschen Gewerbefleißes ist und auch ein großes Betätigungsgebiet für produktive Kräfte, Kräfte der Handarbeit und der Kopfarbeit, die bei dem gegenwärtigen Stande unserer Verhältnisse nicht alle ihrer Bedeutung und ihrer Leistungstüchtigkeit entsprechend zur Auswirkung kommen können.

Dazu eine andere Tatsache: Trotz aller Prophezeiungen — Karl Kautsky zum Beispiel, der große Theoretiker der Unabhängigen Sozialdemokratie hatte der Sowjetregierung nur eine Existenz von einigen Wochen zugesprochen —‚ trotz aller Prophezeiungen besteht Sowjetrussland heute noch. Es hat die Gegenrevolutionäre im Innern in Schach gehalten, es hat die ententeimperialistischen Truppen und ihre zaristischen Hilfsgenerale an allen Fronten zurückgeworfen. Heute führt es Schlag auf Schlag im aufgezwungenen Verteidigungskrieg gegen die polnischen Heere, die von dem Ententeimperialismus gegen die junge Republik gehetzt worden sind. Russland ist eine Macht, und der Ententeimperialismus beginnt, mit dieser Macht zu rechnen. Die italienische Regierung hat erklärt, dass sie die Verbindung mit Räterussland aufnehmen will, und in London verhandelt Lloyd George, der geriebene politische Geschäftsträger des stolzen, erfolgreichen englischen Imperialismus, mit dem Vertreter von Räterussland. Ich glaube, wir sollten aus diesen Tatsachen lernen.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Meine Damen und Herren! Wir hegen nicht die Illusion, dass ein Bündnis mit Russland eine Wünschelrute sei, die von heute auf morgen aus dem verwüsteten und dürren Boden der deutschen Wirtschaft ein Paradies hervorzaubern könnte.

(Heiterkeit rechts.)

Aber das eine ist trotz allem sicher: Ein solches Bündnis würde erheblich dazu beitragen, den wirtschaftlichen Aufbau Deutschlands zu fördern und zu beschleunigen und damit auch seine Macht nach außen zu heben und zu stärken.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Machtstärkung nach außen hin gewiss nicht in dem Sinne kleinbürgerlich-nationalbolschewistischer Phantastereien, die von künftigen Revanche- und Eroberungskriegen träumen.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Nein, Machtstärkung nach außen in dem Sinne, dass sich aus der Gesundung, aus dem Emporblühen des wirtschaftlichen, des inneren Lebens die internationale Stellung Deutschlands dermaßen verbessern würde, dass eine friedliche Aufrollung und Revidierung des zermalmenden Friedensvertrages von Versailles unter den günstigsten Bedingungen für Deutschland möglich wäre. Denn, meine Damen und Herren, diese Politik, wie ich sie kurz skizziert habe, wird dem Verteidigungskampf der deutschen Arbeiterklasse gegen die Gier des Ententeimperialismus allmählich den stärksten Bundesgenossen zur Seite stellen: das Proletariat der Ententeländer, das aus seinem chauvinistischen Taumel erwacht, das auf dem Boden seiner Heimat den Kampf aufnehmen wird zur Niederzwingung des Ententeimperialismus, das zur Wahrheit und Tat machen würde die Losung von dem Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Wir rufen deshalb das Proletariat Deutschlands auf, außerhalb des Parlaments seinen Willen nach einer solchen Politik zum Ausdruck zu bringen; gegenwärtig zum Ausdruck zu bringen, dass Deutschlands Proletariat nicht 200.000 Mann Reichswehrtruppen fordert, sondern seine eigene Bewaffnung zum Zwecke der Niederzwingung des Militarismus.

(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Zum Ausdruck zu bringen, dass die Vertreter der deutschen Regierung in Spa nicht im Namen des gesamten deutschen Proletariats sprechen; zum Ausdruck zu bringen, dass das deutsche Proletariat die Vernichtung und Überwindung des verhängnisvollen Versailler Friedens nicht erwartet als ein Werk der Einsicht und des Gerechtigkeitssinnes der Regierungen, sondern als die eigene Tat des Proletariats, als die Frucht des Kampfes des internationalen Proletariats gegen den Imperialismus aller Länder.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten — Zuruf rechts: Mit Handgranaten! — Gegenruf von den Unabhängigen Sozialdemokraten So wie Sie!)

Ja, je nachdem die Gegner der Arbeiterklasse es haben wollen! Es gilt noch heute das Wort Lassalles, dass die Revolution kommt mit allen Segnungen des Friedens oder, eherne Sandalen an den Füßen, mit wild wehendem Lockenhaar. Das hängt nicht von der Arbeiterklasse ab, sondern von denjenigen, die die arbeitenden Massen am Aufstieg zu Freiheit und Kultur hindern wollen.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten — Zuruf rechts: Von denen, die die Arbeiter verhetzen! —Erneute Zurufe von den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Das deutsche Proletariat hat auch in dieser Stunde seine internationale Solidarität mit Räterussland tatkräftig zu bekunden. Wir fordern es auf, dem schönen Beispiel der italienischen. und österreichischen organisierten Arbeiter zu folgen. Kein Waggon sollte fürderhin Deutschlands Grenze überschreiten der gefüllt ist mit Waffen, mit Munition, mit Kleidung, mit Heeresbedarf jeder Art für die polnischen Truppen, mit Werkzeugmaschinen für die Munitionsfabriken, die von den Ententekapitalisten in Polen errichtet worden sind. Ich glaube, das ist eine Forderung, die vor allem auch von den Parteien hier unterstützt werden müsste, die so außerordentlich die Schwäche Deutschlands Polen und seinem Imperialismus gegenüber betont haben.

(Zuruf rechts: Das tun wir gern!)

Meine Damen und Herren! Wir haben aus der Erklärung des Herrn Reichskanzlers nichts herausgehört, dass eine solche Politik befolgt werden soll. Wir erwarten sie auch nicht von dieser Regierung. Warum? Eine solche Auslandspolitik hat eine Voraussetzung: nämlich eine revolutionierte, eine revolutionäre Heimatpolitik. Die Auslandspolitik ist nichts als eine über die Grenzen hinaus verlängerte und fortgesetzte Heimatpolitik.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Wie steht es aber damit in Deutschland? Der Herr Reichskanzler hat erklärt, das neue Kabinett werde nicht gegen die Arbeiter regieren. Er hat gesprochen von Aussöhnung, von Harmonie der Klassen, vom Ausgleich der Interessen und anderen schönen Dingen. Aber den Worten steht eine schlichte Tatsache zur Seite: das Bitten und Betteln vor dem Ententeimperialismus, doch gnädigst 200.000 Mann Reichswehr erlauben zu wollen;

(sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

als ultima ratio zur Aufrechterhaltung der inneren Ruhe und Ordnung”, hat der Reichswehrminister Herr Dr. Geßler dem Korrespondenten der “Basler Nachrichten” und anderen Interviewern erklärt. Weißgardisten und Maschinengewehre waren die ultima ratio der verflossenen Koalitionsregierung zum Wiederaufbau und zur Wiederbefestigung der kapitalistischen Ordnung,

(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Weißgardisten und Maschinengewehre, bemäntelt mit demokratischen Phrasen.

(Erneute Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die Kontinuität in der Politik der verflossenen Regierung und der neuen soll also gewahrt werden, vielleicht aber ohne demokratische Phrasen. Der Wille, im Interesse der bürgerlichen Gesellschaft die Arbeiterklasse, die aus der Nacht und Not des Kapitalismus in das Licht der Kultur empordrängt, mit Gewalt in der alten Unfreiheit und Ausbeutung zu erhalten, dieser Wille ist so stark, dass er die gebotene Klugheit gegenüber dem Ententeimperialismus überrennen lässt. Was spielt denn eine entscheidende Rolle bei der Zähigkeit und Hartnäckigkeit, mit der man sich im Lager der Ententeimperialisten jeder Milderung, jeder Lockerung des Versailler Friedensvertrags entgegenstemmt? Es ist die Angst vor der Wiederkehr, vor dem Wiederaufleben des deutschen Militarismus.

(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Es ist das Misstrauen, ob dieser gefährliche Gesell auch wirklich überwunden und gebändigt sei. “Wehe dem, der dieses Misstrauen stärkt!” wurde an dieser Stelle ausgerufen. Sehr wohl! Dann aber auf die Anklagebank mit allen Regierungen, die wir seit dem 9. November gehabt haben!

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Nicht einmal die erste Regierung der Volksbeauftragten hat ihre Pflicht getan,

(Stürmische Heiterkeit.)

den Militarismus zu überwinden und zu knebeln. Die folgenden Regierungen sind weitergegangen. Sie haben ganz planmäßig den Militarismus groß gepäppelt und gezüchtet zur Niederwerfung des Proletariats. Der Säbel, mit dem der General Lüttwitz die junge deutsche Republik durchbohren wollte, er ist geschliffen worden von Noske im Kampfe gegen die deutschen Arbeiter.

(“Sehr wahr!” bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

In diesem Zusammenhang will ich eine Ausführung des Herrn Abgeordneten Scheidemann zurückweisen. Der Herr Abgeordnete Scheidemann hat es den Parteien der Rechten zum besonderen Vorwurf gemacht, dass sie durch Ausnutzung aller geschäftsordnungsmäßigen Mittel in der Nationalversammlung die Verabschiedung der Gesetzesvorlage verhindert haben, die Abschaffung der Militärgerichtsbarkeit betreffend. Dass die Parteien der Rechten das taten, war doch ihr gutes Recht. Wegen der Ausnutzung dieses Rechtes dürfte eine Partei nicht schelten, die selbst in ihren guten Tagen das harte Brot der Opposition gegessen hat. Doch wichtiger als das ist eine andere Tatsache. Warum hat der Herr Abgeordnete Scheidemann, der selbst so ausschlaggebend in verschiedenen Regierungen gewesen ist, weshalb haben die Regierungen, denen er angehörte, wie die folgenden Koalitionsregierungen nicht alle Macht eingesetzt, um diese dringende Reform durchzuführen?

(sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Weshalb hat die letzte Koalitionsregierung diese wichtige Reform erst im Augenblicke zur Verabschiedung gebracht, wo die Nationalversammlung gleichsam schon die Koffer gepackt hatte? Und warum waren diejenigen, die sich als Gegner des Militarismus, als Freunde der Demokratie bekennen, nicht vollzählig zur Stelle, um die Reform gegen den Ansturm von rechts zu verteidigen und zu schützen?

Die Parteien der Mitte kommen nicht an der Tatsache vorüber, dass der durchgreifende Kampf gegen den Militarismus, dass die Überwindung des Militarismus nicht zum Programm der Koalitionsregierungen gehörte. Und dahinter steht eine andere Tatsache: dass die Bourgeoisie, dass die bürgerliche Demokratie ihren Frieden mit dem Militarismus gemacht hat, um ihn als Machtmittel zur Unterwerfung der Arbeiterklasse zu brauchen.

(Ach! rechts.)

Wir Kommunisten erwarten für die Überwindung des Militarismus nichts von dem Ententeimperialismus. Wir wissen, dass dieser die einzige Kraft fesselt und lähmt, die berufen und fähig ist, den Militarismus wirklich zu überwinden. Das ist die Arbeiterklasse, die den Militarismus als das Schwert, als das stärkste Machtmittel des ausbeutenden Kapitalismus zerbrechen muss. Aber diese Vernichtung muss die Tat der breiten Massen selbst sein.

Der Militarismus ist nicht bloß äußere Machtorganisation — er ist auch Gewalt über den inneren Menschen.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Er ist Gesinnung, Geistesrichtung, ist Einstellung des Willens und des Handelns auf bestimmte Ziele mit bestimmten Mitteln. Und deshalb muss seine Überwindung das Werk der arbeitenden Massen sein. Das Proletariat kann den Militarismus nur überwinden, indem es die Bourgeoisie entwaffnet, die heute die stärkste Schützerin des Militarismus ist, die selbst militaristisch verseucht ist bis auf die Knochen. Entwaffnung des Bürgertums und Bewaffnung der Arbeiterklasse!

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten. Lebhafte Zurufe.)

Sie wissen so gut wie ich, dass formale Gleichheit auf dem Papier keine wirkliche Gleichheit ist, keine wirtschaftliche und soziale Gleichheit. Das gehört ja zu dem sozialen Abc, über das ich mich hier wirklich nicht auseinanderzusetzen brauche. —

(Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Entwaffnung der Bourgeoisie, Bewaffnung der Arbeiterklasse, durchgeführt durch die revolutionären politischen Arbeiterräte des Proletariats und unter deren Kontrolle, dazu rufen wir die Arbeiter. Eine solche Bewaffnung bedeutet nicht Eroberungsgier und Bedrohung anderer Staaten, sie bedeutet ein anderes: Verteidigung der Revolution gegen ihre Feinde. Revolutionäre politische Arbeiterräte können nicht über Nacht nach einem Schema F aus dem Boden gestampft werden. Sie entstehen in der Arbeit, in dem Kampf für die Aufgaben, die sie zu lösen haben.

(Zuruf: Faulenzen! — Erregter Widerspruch bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Aufgaben, die sich nicht in der Entwaffnung der Bourgeoisie und in der Bewaffnung des Proletariats erschöpfen, sondern die Bewegungsfreiheit der revolutionären Betriebsräte schaffen müssen für die Umwälzung der Wirtschaft aus der kapitalistischen Profitwirtschaft in die sozialistische Bedarfswirtschaft.

(Zuruf: Durch die Diktatur!)

Jawohl! Gedulden Sie sich, geehrte Dame, ich werde auch noch von der Diktatur des Proletariats sprechen. Ich gehöre nicht zu denen, die nicht aussprechen, was sie denken. Aber alles zu seiner Zeit!

Die politischen Arbeiterräte haben also, ich wiederhole es, die Aufgabe, die wirtschaftliche Umwälzung der kapitalistischen Ordnung durch das Proletariat und seine Organe zu ermöglichen. Diese Umwälzung ist eine unabweisbare Notwendigkeit.

Wir alle stimmen in der Forderung überein: Aufbau der Wirtschaft, Steigerung der Produktivität der Wirtschaft! Aber die Frage ist: Wie kann man zu diesem Ziele gelangen? Indem man die Wirtschaft auf der Grundlage des kapitalistischen Privateigentums, des kapitalistischen Privatinteresses, des kapitalistischen Privatvorteils aufbaut oder aber auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums, des gesellschaftlichen Interesses und des gesellschaftlichen Vorteils. Die Frage steht: Wiederaufbau, Befestigung des Kapitalismus oder Fortschreiten zur sozialistischen, zur kommunistischen Ordnung.

Diese Frage ist heute nicht mehr eine Frage der Theorie, sie ist eine Frage der Praxis! Ich gehe weiter; Sie ist die Frage der Praxis! Sie ist die Frage dem Fragen, die in allen Teilfragen heute in die Erscheinung tritt.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Sie wird in dieser Stunde an uns gestellt durch die gewaltigen Aufgaben, die wir zu lösen haben.

Die Gesellschaft muss für die Opfer des Krieges sorgen, für die Kriegsbeschädigten, die Kriegskrüppel, die Witwen, Waisen und Eltern der Krieger.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Soziale Fürsorge muss ihnen zuteil werden, die nicht nur entsprechend den Teuerungspreisen und der Geldentwertung ausgestaltet wird, sondern auf ein kulturwürdiges Existenzminimum gerichtet ist.

(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Das gleiche gilt von den Hinterbliebenen derer, die auf dem Schlachtfelde der Arbeit gefallen sind, von ihren Hinterbliebenen, von den Veteranen der Arbeit, von allen Versorgungsberechtigten aus den früheren Kriegen, von allen denen, die Renten und Pensionen für geleistete öffentliche Dienste zu empfangen haben.

(Zuruf: Das haben wir ja längst!)

Was gewährt wird, reicht durchaus nicht aus! Was bis jetzt geschehen ist, trägt mehr den Charakter des Almosens als den einer ausreichenden sozialen Versorgung.

(lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die Gesundheit der breitesten Massen des Volkes ist in einer geradezu Gefahr drohenden Weise verschlechtert. Millionen Männer sind aus den Schützengräben mit dem Keim von Siechtum und Krankheit zurückgekommen. Die Geschlechtskrankheiten, erworben im Kriege, dem Stahlbad der Ertüchtigung der Rasse, suchen ihre Opfer bis in die kleinsten Dörfer. Millionen Frauen sind in ihrer mütterlichen Kraft, in ihrer Lebenstüchtigkeit durch Unterernährung und Überanstrengung in der Rüstungsindustrie zermürbt.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ungezählte Kinder verderben und Sterben infolge der Unterernährung.

Alle Bildungsanstalten von der Volksschule bis hinauf zur Universität leiden bitter Not, weil die Mittel fehlen. Wissenschaftler, Künstler, Techniker sind dem härtesten Mangel preisgegeben und tragen eine Not, die bitterer ist als alles materielle Entbehren: nämlich das Bewusstsein, ihre Talent, ihr Wissen und Können nicht auswirken zu können.

Dann das Wohnungselend! Es fehlen in Deutschland eine Million Wohnungen. In Wohnungshöhlen zusammengepfercht leben die, die Wohnungen bauen, sie mit aller Behaglichkeit versehen, mit aller Schönheit ausschmücken.

Ich habe auf vorliegende Aufgaben hingewiesen, um zu zeigen, dass alle einzelnen Forderungen zu der großen Forderung führen

(Zuruf: Russland!)

Sehr richtig, mein Herr, Sie wissen es ja: Beseitigung des Kapitalismus, Aufbau des Kommunismus. Die Notwendigkeit des sozialen Eingreifens gegen die hervorgehobenen Übel haben Sie alle, zum Teil sehr ausführlich, mit erschütternden Worten begründet. Aber wie steht es mit den Mitteln zur Erfüllung der sozialen Aufgaben? Der Pleitegeier kreist über den Kassen des Reichs, der Staaten und der Gemeinden. Wenn darin etwas enthalten ist, so ist es fast wertloses Papier. Ich will hier die erschreckenden Zahlen nicht wiederholen, die der Herr Reichsfinanzminister und mehrere Redner angeführt haben. Sie sind bekannt und derartig, dass der “Schwäbische Merkur” schon vor Wochen schrieb, es sei ein Gebot der Klugheit, um das Volk nicht zu erschrecken, diese Ziffern nur in homöopathischen Dosen bekannt zu geben. Die Homöopathie als Krönung der Finanzwissenschaft! Was geht aus allen Zahlen hervor? Zunächst, dass reißend, riesig der Abstand wächst zwischen den Ausgaben und Einnahmen des Reichs. Weiter, dass in beängstigender Weise die schwebende Milliardenschuld des Deutschen Reiches steigt. Endlich, dass der blühendste Betrieb im ganzen Deutschen Reiche die Reichsnotendruckerei ist. Nicht einmal wenn sie Tag und Nacht arbeitet, kann sie dem Bedarf genügen, so dass die Staatsdruckerei in Wien zu Hilfe genommen werden musste.

Der Herr Abgeordnete Helfferich hat sich hier heftig gegen die Finanzpolitik des neuen Reichsfinanzministers und der Regierung geäußert. Im letzten Grunde war seine Rede nach meiner bescheidenen Meinung ein Plädoyer des Herrn Abgeordneten Helfferich für die Politik des ehemaligen Reichsvizekanzlers und Reichsschatzministers Helfferich.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Wenn jemand durch seine Politik dazu beigetragen hat, den jetzigen Finanzjammer zu schaffen, so ist es der Herr Abgeordnete Helfferich gewesen.

(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.)

Er hat eine rücksichtslose Politik der Kriegsverlängerung und der Kriegshetze getrieben; er hat für die Kostendeckung das leichtfertigste Mittel empfohlen: Anleihe und wieder Anleihe!

(Hört! Hört! bei den Sozialdemokraten.)

Es sei auch daran erinnert, dass der Abgeordnete Helfferich seinerzeit mit der gleichen tiefen Sachkenntnis und der gleichen hinreißenden Überzeugung zuerst die Unmöglichkeit vertreten hat, den Unterseebootkrieg zu führen, dann aber die Notwendigkeit und den Erfolg des Unterseebootkrieges.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten und den Sozialdemokraten — Abgeordneter Ledebour: Mit denselben Zahlen hat er das bewiesen! — Widerspruch und Lachen rechts.)

Was die Mittel zur Behebung der Finanznot anbetrifft, so hat der Herr Abgeordnete Helfferich im Großen und Ganzen nur ein Rezept gepredigt: mehr Arbeit und weniger Bezahlung dafür. Es wäre sehr gut, wenn der Herr Abgeordnete Helfferich diese Lehre einmal denjenigen predigen würde, die heute reiche Einnahmen haben, auch ohne zu arbeiten.

(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten und den Sozialdemokraten.)

Da wäre seine Predigt angebracht.

Das Programm des Herrn Reichskanzlers sagt zur Finanznot nur: “Die Steuerreform ist noch nicht zu Ende.” Weiter hat der Herr Reichskanzler mit dem Fluch vaterländischer Sünde alle belegt, die sich der Steuersabotage in irgendeiner Weise schuldig machen. Ich bin überzeugt, der Herr Reichskanzler hat dabei nur an jene Kriegsgewinnler und Schieber gedacht, die Millionen revolutions- und steuersicher verschoben haben.

(Lebhafte Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten und Sozialdemokraten.)

Er konnte dabei nicht meinen jene Hunderttausende von Arbeitern, Angestellten, Beamten, die dagegen protestieren, dass das Reich aus den Finanznöten durch Steuervorschuss herauszukommen strebt, erhoben durch zehn Prozent des Lohnes, des Gehaltes.

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Was tönt uns aus diesen Protesten entgegen? Es ist der Schrei der Armen, der Schrei der Entbehrenden, der von Sorge Gebeugten. Es ist mehr, es ist die schärfste Verurteilung der so genannten Steuerreform.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Was wäre für die Arbeiter und Angestellten, für die kleinen Beamten dadurch gewonnen, wenn die zehn Prozent ihres Einkommens nicht durch den Arbeitgeber eingetrieben würden, sondern wenn später der Steuerexekutor den Betrag holte? Es erweist sich, dass die Entwicklung der Dinge die alte Forderung des Erfurter Programms entwertet hat, die auf der Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Steuern beruht. Die Einkommensteuer, die wir jetzt haben, führt jene Unterscheidung ad absurdum. Was bedeutet diese Steuer nach unten? Die Beschlagnahme des Lohnes, des Gehaltes, der Lebensnotwendigkeiten, geradezu einen Mundraub.

(Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Was würde die Einkommensteuer nach oben bedeuten? Die Beschlagnahme von Betriebskapital, nichts anderes. Meine Damen und Herren! Das besagt, dass Deutschland aus den Finanznöten nicht herauskommt durch Finanzkunststücke und durch geschickte Steuertechnik. Es müssen tiefer greifende Maßregeln durchgeführt werden. Vor allem muss das deutsche Volk befreit werden von der Last des Schuldzinsendienstes. Wir fordern deshalb die sofortige Annullierung aller großen Kriegsanleihen und öffentlichen Schulden.

(Zuruf rechts: Und was macht der kleine Rentner?)

Der kann seine Spargroschen behalten. Ich habe ausdrücklich von den großen Kriegsanleihen und Schulden gesprochen. Wir fordern ferner die Beschlagnahme aller großen kapitalistischen Einkommen, die ein zu bestimmendes Existenzminimum überschreiten. Wir fordern weiter die Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht für alle gesunden, arbeitsfähigen Erwachsenen.

(Ironische Rufe rechts: Sehr gut! und Lachen.)

Dadurch wird die Frage nicht gelöst, dass Sie lachen!

(Zustimmung bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Diese Maßregeln können nicht von einem kapitalistischen Staat durchgeführt werden. Denn, was würden sie in der Praxis bedeuten? Die Ankündigung, das Eingeständnis des Staatsbankrotts! Wir erheben daher unsere Losung im Zusammenhang mit der Hauptforderung: Umgestaltung der ganzen Wirtschaft, eine Umgestaltung, deren Grundlage ist die Überführung aller großen Produktions- und Verkehrsmittel aus dem Besitz der kapitalistischen Klassen in das Eigentum der Gesellschaft.

(Zuruf rechts: Dann wird die Pleite noch größer!)

Das werden Sie abwarten müssen. Größer, als die Pleite jetzt schon ist, kann sie nicht werden! —

(Heiterkeit.)

Die Notwendigkeit, zu der sozialistischen, der kommunistischen Bedarfswirtschaft überzugehen, ist durch die Finanznot gegeben. Nur durch die Revolutionierung der Wirtschaft können die Finanzen des Reiches wieder gesunden.

Auf diese Notwendigkeit weisen insbesondere augenblicklich noch zwei große gesellschaftliche Erscheinungen hin. Das Sind zunächst die steigenden und kaum noch zu bewältigender Ernährungsschwierigkeiten. Die Teuerungspreise haben einen Grad erreicht, dass die Sättigung, die Bekleidung, die Beheizung fast zu einem Vorrecht der Reichen und Sehrreichen geworden ist.

(Sehr wahr! links.)

Bittere Sorgen, höchste Entbehrungen sind das Los der Massen bis sehr hoch in die bürgerlichen Kreise hinein.

(Zustimmung rechts.)

Was haben wir hier zur Behebung der Ernährungsschwierigkeiten gehört? Der Herr Ernährungsminister hat uns heute Mittag mitgeteilt, dass die Preise für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse weiter gesteigert werden müssten, (Hört! Hört! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

um die Ernährung sicherzustellen. Sehr gut! Aber hoffentlich tritt neben die Steigerung der Lebensmittelpreise auch sofort für die breiten Massen die Steigerung ihres Einkommens, um den verteuerten Lebensbedarf bezahlen zu können.

(Zuruf rechts: Mit Papier!)

Was den Zuschuss aus Reichsmitteln betrifft, so dürfen wir nicht vergessen, dass das deutsche Volk selbst erst durch seine Steuern die zehn Milliarden aufbringen muss, die zugeschossen worden sind, beziehungsweise zugeschossen werden sollen. Es ist also ein Nehmen aus der linken Tasche und ein Geben für die rechte.

(Allseitige Zustimmung.)

Was hat das Programm des Herrn Reichskanzlers zur Frage erklärt? Vermehrung der Einfuhr und eine allmähliche Lockerung, ein allmählicher Abbau der Zwangswirtschaft mit Lebensmitteln. Was besagt das alles in allem? Es soll fortgewurstelt werden. Gute Zeiten für die Schieber!

(Sehr wahr! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Gewiss, die Arbeiterklasse hat unseres Dafürhaltens keinen Anlass, der Zwangswirtschaft Tränen nachzuweinen.

(Sehr richtig! rechts.)

Die Zwangswirtschaft ist zum großen Teil auf dem Papier geblieben,

(Zustimmung links.)

und wo sie durchgeführt wurde, haben die staatliche Bürokratie und die Bürokratie der Kommunalverbände ihre vollständige Unfähigkeit erwiesen, sowohl den Interessen der Produzenten wie denen der Konsumenten gerecht zu werden.

(Zuruf rechts: Die Arbeiterräte haben‘s besser gemacht! — Zurufe und Unruhe bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die Arbeiterräte haben gar nicht die Zeit gehabt, das Bessermachen beweisen zu können. Sie haben ihnen gar nicht die Zeit dazu gelassen. Sie haben die Arbeiterräte so schnell abgewürgt, dass sie nicht zum Wirken kommen konnten —

(Zuruf rechts: “Die sozialistische Regierung hat das getan! — Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Wo war denn eine sozialistische Regierung, die die Arbeiterräte abgewürgt hat? — Zuruf rechts: Da sitzen sie ja! — Zuruf bei den Unabhängigen Sozialdemokraten: Das sind doch keine Sozialisten!)

Meine Damen und Herren! Wir Kommunisten vertreten die Auffassung, dass die Ernährungsschwierigkeiten in anderer Weise behoben werden müssen. Nämlich durch eine Regelung der Ablieferung, der Verteilung, der Preisfestsetzung auf Grund des Zusammenwirkens der landwirtschaftlichen Produzenten auf der einen Seite, der gewerblichen Produzenten und der Konsumenten auf der anderen. Produzenten und Konsumenten, vertreten durch die revolutionären Betriebsräte der Arbeiter und Angestellten; vertreten durch die Gutsräte der landwirtschaftlichen Arbeiter und Angestellten, durch die Räte der Kleinbauern, die bäuerlichen Genossenschaften, durch die Konsumentenorganisationen der verschiedensten Art. Nur diese Vereinigung von Hammer und Sichel wird bewirken, dass die gewerblichen Erzeugnisse, deren die Kleinbauern, die landwirtschaftlichen Produzenten für Lebenshaltung und Wirtschaftsbetrieb nicht zu entraten vermögen, zu Preisen geliefert werden, die die Produktionskosten der landwirtschaftlichen Erzeugnisse nicht ins Ungemessene steigern.

(Sehr wahr! rechts.)

Auf der anderen Seite wird bewirkt, dass die landwirtschaftlichen Erzeugnisse von der industriellen, von der städtischen Bevölkerung gezahlt werden können.

Aber wir Kommunisten verlangen noch ein anderes — und darin stimmen wir mit vielen von Ihnen überein —: eine Steigerung der Produktivität der deutschen Landwirtschaft.

(Bravo! rechts.)

Allerdings, die grundlegende Maßnahme, die wir fordern, werden Sie zurückweisen. Es ist die Expropriation der großen landwirtschaftlichen Expropriateure.

(Zuruf rechts: Dann hat die Großstadt gar nichts!)

Es ist die Überführung des Großgrundbesitzes in den Besitz der Gesellschaft und seine Verwaltung, Leitung und Bewirtschaftung durch Räte —

(Zuruf rechts: Fachleute!)

gewiss unter Hinzuziehung von Fachleuten — Bewirtschaftung und Verwaltung durch die Gutsräte der landwirtschaftlichen Arbeiter, der landwirtschaftlichen Angestellten unter Hinzuziehung, unter Leitung von Sachverständigen. Selbstverständlich eine Bewirtschaftung im Großbetrieb dort, wo dieser entsprechend den vorhandenen materiellen Bedingungen seine Überlegenheit, seine größere Produktivität erweist.

Wir verlangen aber auch die höchste Steigerung der Produktivität der Kleinwirtschaft, der Bauernwirtschaft. Wir fordern sie dadurch, dass das bäuerliche Genossenschaftswesen in der tatkräftigsten Weise gefördert wird.

(Sehr richtig! rechts.)

Dadurch, dass den Kleinbauern alle Mittel und Methoden des rationellsten Wirtschaftens zugänglich gemacht, dass ihnen alle Mittel und Wege der besonderen berufstechnischen Ausbildung wie auch der allgemein menschlichen Bildung erschlossen werden. Die Durchführung dieser Forderungen soll das Werk der Bauernräte sein.

Meine Damen und Herren! Wie die Ernährungsschwierigkeiten so führt auch nach unserer Überzeugung eine andere Zeiterscheinung zum Umsturze des Kapitalismus, zu der Forderung, ihn durch den Kommunismus zu ersetzen. Das ist die Arbeitslosigkeit, das ist die Wirtschaftskrise dieser Zeit.

Die Arbeitslosigkeit von heute unterscheidet sich wesentlich von jener Arbeitslosigkeit, die zu den normalen Existenzbedingungen der kapitalistischen Wirtschaft gehört. Die kapitalistische Wirtschaft kann bekanntlich nicht funktionieren ohne das Vorhandensein der Reservearmee der Arbeitslosen.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die heutige Wirtschaftskrise unterscheidet sich auch von jenen Krisen, die mit einer gewissen Gesetzmäßigkeit im Ablauf der kapitalistischen Wirtschaft auftreten. Sie kündet uns den Zerfall, die Zerrüttung, das Ende der kapitalistischen Wirtschaft.

(Seht richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Was war ihr Vorläufer? Eine scheinbare Blüte als Folge der Entwertung der Mark. Die Markentwertung verwandelte ganz Deutschland in eine Stätte der Produktion für den Export und für den Luxus, in einen Ramschbasar des Ausverkaufs an das Ausland. Wenn es möglich gewesen wäre, Sonne, Mond und Sterne vom Himmel herunterzuholen, und an das Ausland zu verschachern, es hätten sich Kapitalisten gefunden, die es getan hätten.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Meine Damen und Herren! Während die deutschen Arbeiter nicht genug für den Export erzeugen konnten, fehlte es in Deutschland den breiten werktätigen Massen an dem Notwendigsten, die Teuerungspreise stiegen und stiegen. Die Gesundung der Wirtschaft, so hieß es, kann nur durch die Erhöhung des Markwertes herbeigeführt werden. Der Markwert ist gestiegen. Und die Folge? Der Export ist abgeschnitten, die Aufträge aus dem Ausland bleiben aus, werden zurückgezogen, die Betriebe werden geschlossen, der Betrieb wird ganz eingestellt, er wird womöglich abgebrochen, und nicht mehr Waren, sondern Produktionsmittel werden in das Ausland ausgeführt. Wir stehen einer regelrechten Sabotage der Wirtschaft durch das Unternehmertum gegenüber, das nicht profitabel genug findet, zu produzieren.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Eingestandenermaßen werden die Betriebe geschlossen, weil es für die Kapitalisten heißt: Nur vom Profit raucht der Schornstein.

(Zuruf rechts . Liebe Frau, wenn Sie ein Geschäft haben, so müssen Sie doch etwas verdienen! — Lachen bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ich will mich darüber hier mit Ihnen nicht auseinandersetzen. Ich werde Ihnen gelegentlich gern einmal ein Privatissimum über Elementarbegriffe der Nationalökonomie halten.

(Heiterkeit links.)

Zehntausende von Arbeitern fliegen brotlos aufs Pflaster, Hunderttausende und aber Hunderttausende haben verkürzte Arbeitszeit. Elementarste Pflicht ist es, für diese Arbeitslosen zu sorgen, und zwar nicht nach Maßgabe der Armenunterstützung, sondern entsprechend einer kulturwürdigen Existenzmöglichkeit, ohne Unterschied, ob es sich um Männer oder um Frauen handelt.

(Sehr richtig! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Die Mittel dazu muss das gesamte Unternehmertum stellen, das die Gewinne der Kriegszeit und der künstlichen Hochkonjunktur eingestrichen hat.

Aber wichtiger noch als die Versorgung der Arbeitslosen ist ihre Wiedereingliederung in den Produktionsprozess.

(Sehr richtig! rechts.)

Die Arbeitslosen müssen aus Verzehrern wieder in Mehrer des gesellschaftlichen Reichtums verwandelt werden.

(Zustimmung.)

Deshalb sagen wir: Ein Ende mit der Sabotage der Wirtschaft durch das kapitalistische Unternehmertum!

Der erste Schritt dazu ist die Kontrolle der gesamten Wirtschaft durch die revolutionären Betriebsräte der Arbeiter und Angestellten, die Kontrolle als erster Schritt zur Vergesellschaftung der Wirtschaft, dem später folgt die Übernahme der Verwaltung, der Leitung, des Besitzes durch das Proletariat, vertreten durch seine revolutionären Räte.

Umwälzung der Wirtschaft, das ist die große Aufgabe, die das Proletariat zu lösen hat, um der blutigen Not zu steuern. Zunächst Wiederaufrichtung der Wirtschaft unter der Kontrolle der Arbeiterräte. Wie das zu geschehen hat, werden wir Kommunisten im Einzelnen darlegen, wenn die hier zur Materie vorliegenden Anträge zur Beratung kommen.

Wie aber soll nach dem Programm der Regierung der Wiederaufbau der Wirtschaft gefördert werden? Durch Sozialpolitik, durch die Arbeit der Sozialisierungskommission, der Betriebsräte der Arbeiter, der Bezirksarbeiterräte und vor allem durch den Reichswirtschaftsrat. Sozialpolitik, die im Zeichen steht der Wiederaufzwingung der Akkordarbeit, die im Zeichen steht des Strebens, den Achtstundentag zu beseitigen. Arbeit der Sozialisierungskommission, deren Aufgabe es sein soll, wissenschaftliche und technische Bedenken gegen die Sozialisierung auszudrücken, und deren wichtigste Anregungen und Forderungen in den Archiven vergilben. Das Wirken gesetzlich gebundener Betriebsräte, denen die Rolle zugedacht ist, Hüter und Mehrer des kapitalistischen Profits zu sein. Und ein oberer Reichswirtschaftsrat, der nach dem Prinzip der Parität der Arbeitsgemeinschaft zusammengesetzt ist, die nichts anderes bedeutet als Schwächung, Bindung der revolutionären Kraft des Proletariats.

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Ein Reichswirtschaftsrat, in dem die “großen Hauptleute der Industrie” und die “königlichen Kaufleute” nicht als die sachkundigen, erfahrenen Berater der Wirtschaft wirken sollen, sondern als Inhaber, als Besitzer und Nutznießer der wirtschaftlichen Macht, das aber zu dem Zwecke, Macht und Ausbeutung der herrschenden Klassen zu erhalten.

Als Krönung des Ganzen, meine Damen und Herren, die von dem Reichsarbeitsminister selig, dem Herrn Abgeordneten Schlicke, nachgelassene Schlichtungsordnung, die das Koalitionsrecht der Arbeiter fesselt. Das ist eine Heimatpolitik, eine Wirtschaftspolitik, die würdig ist des Stahlhelmes, der sie schützen soll. Es ist Politik der besitzenden Minderheit zur Wiederaufrichtung und Befestigung des Kapitalismus. Es ist die Politik, die Hindernisse entgegentürmt der proletarischen Revolution, der Entwicklung zur kommunistischen Wirtschaft und Gesellschaft.

Die Arbeiterklasse muss dieser Politik ihre eigene, revolutionäre Politik entgegensetzen: Sie muss eine Wirtschaftspolitik treiben, deren Organe die revolutionären Betriebsräte sind, die, zusammengefasst nach Industrien und Bezirken, Hand in Hand arbeitend mit den Gewerkschaften, den Kampf gegen den ausbeutenden Kapitalismus in der Wirtschaft auf der ganzen Front aufnehmen und ihn Schritt für Schritt zurückwerfen. Als Ergänzung die Arbeit, der Kampf der politischen Arbeiterräte. Der wirtschaftliche Kampf der Arbeiterklasse zur Durchführung des Sozialismus, des Kommunismus, schlägt um in den politischen Klassenkampf. Die revolutionären politischen Arbeiterräte müssen die Betätigung der wirtschaftlichen Betriebsräte sicherstellen und beschützen. Zusammenwirken der wirtschaftlichen und politischen Arbeiterräte zu dem Ziel Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat und Aufrichtung seiner Diktatur durch die Räteordnung. Dazu rufen wir die Massen. Ungeschreckt durch den großen Bann, mir dein der Herr Reichskanzler die Einführung der Klassenherrschaft belegt hat. Ich glaubte zu träumen, als ich die Verwahrung des Herrn Reichskanzlers gegen die Einführung einer Klassenherrschaft hörte. Wir leben in einer Gesellschaft der Klassenherrschaft, und um was der Kampf geht, das ist die Überwindung dieser Klassenherrschaft, das sind die ersten Schritte zur Einführung der klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Wir haben jetzt die Klassenherrschaft der Bourgeoisie, die seit der Revolution durch die Demokratie maskiert ist, aber durch den Mund von Minen- und Flammenwerfern mit den befreiungssehnsüchtigen Arbeitermassen redet. Macht kann nur durch Macht gebrochen werden. Gegen die Klassenherrschaft der Bourgeoisie die Klassenherrschaft des Proletariats! Gegen die Diktatur gesteigert zur gewalttätigen, blutigen Diktatur des Militarismus zur Diktatur des Proletariats durch die Räteordnung

Der Wahlkampf, meine Damen und Herren, hat die Verschärfung und Steigerung des Kampfes zwischen den um Macht und Herrschaft ringenden Klassen beleuchtet und beschleunigt. In diesem Wahlkampf wurde die Politik der Koalitionsregierung und der Koalitionsparteien verurteilt und gerichtet. Jene Politik, die darauf abzweckte, den Kapitalismus zu befestigen und unter dem Mantel der Demokratie die Bourgeoisie, Klassenbeherrschung und Klassenausbeutung der breiten Massen zu verewigen. Nach links sind die Arbeiter in Scharen abgerückt, um über die formal-bürgerliche Demokratie hinweg zur proletarischen Demokratie der Räteordnung zu gelangen. Nach rechts haben sich die Kleinbürger, die Kleinbauern, erschreckt durch den “Popanz des Bolschewismus”, in die Arme ihrer größten Feindin, der Großbourgeoisie, treiben lassen. Der Stimmzettel hat verwirklicht, was die Gewehre der Döberitzer vergeblich versucht hatten. Nämlich die Abdankung der Demokratie vor dem Militarismus, die Vereinigung von Demokratie und Militarismus. Scheinbar sind die Kappisten unterlegen, in Wirklichkeit haben sie triumphiert. Wir haben jetzt eine Kapp-Ersatzregierung. Sie unterscheidet sich von anderem Ersatz der Kriegs- und Revolutionszeit durch eins. Sie ist nicht bloß Etikette, sie hat einen vollgewichtigen Inhalt. Die an die Wand gedrückte kleinbürgerliche Demokratie des Zentrums und der Deutschen Demokraten darf die Musik machen zu dem Text, den die Schwerindustriellen, Finanzkapitalisten und Junker diktieren. Dieser Regierung hat die Partei der Mehrheitssozialisten “wohlwollende Neutralität” zugesichert!

(Sehr gut! bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Alle Reden der Herren Mehrheitssozialisten, die wir hörten, waren der Regierung gegenüber auf die Heineschen Verse gestimmt:

Blamier‘ mich nicht, mein schönes Kind,

Und grüß‘ mich nicht unter den Linden;

Wenn wir nachher zu Hause sind,

Wird sich schon alles finden.”

(Sehr gut! und Heiterkeit bei den Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Diese Stellungnahme war begleitet von einem knatternden Kleingewehrfeuer gegen die Parteien auf der Rechten, aber von einer Aufbietung aller Großkampfmittel gegen die Unabhängige Sozialdemokratie. Allerdings, meine Damen und Herren, ich habe trotz des heftigen Getöses etwas anderes herausgehört. Nämlich Herrn Münchhausens berühmte eingefrorene und wieder aufgetaute Töne aus dem Wahlkampf-Posthorn.

(Sehr gut! und Heiterkeit beiden Unabhängigen Sozialdemokraten.)

Der Herr Reichskanzler a. D. —

(Zuruf rechts: Welcher denn?)

der letzte,

(Heiterkeit.)

es gibt so viele, dass man ihnen eine Nummer anhängen sollte — also, der Herr Reichskanzler a.D. hat hier eine Auseinandersetzung zwischen uns Kommunisten und der Unabhängigen Sozialdemokratie provozieren wollen. Ich gehöre nicht zu denen, die den Kampf der Schulen und Katheder fürchten. Aber wann, wo und unter welchen Umständen wir uns mit der Fraktion der Unabhängigen Sozialdemokratie auseinandersetzen, darüber bestimmen wir selbst und lassen uns dazu nicht von Mehrheitssozialdemokraten antreiben.

(Zuruf rechts: Wenn Sie zu Hause sind! — Heiterkeit.)

Der Wahlkampf endete mit einer Regierungskrise, die fast drei Wochen lang die Politiker und die Wahrsager aus parlamentarischem Kaffeesatz in Atem hielt. Alle großen Parteien streckten gierend ihre Hand nach der Regierungsmacht aus; aber keine einzige hatte den Mut, allein die Verantwortung für die Regierungspolitik zu übernehmen. Alle wollten durch Parteien von rechts oder links gedeckt sein. Der Herr Abgeordnete Hergt hat daraus geschlossen, dass der Parlamentarismus als System für Deutschland ungeeignet sei. Er vergisst dabei, dass diese Krise ihr Seitenstück hatte und hat in Regierungskrisen in so ziemlich allen Ländern der Welt. Diese Krisen künden etwas anderes, als der Herr Abgeordnete Hergt in ihnen sieht. Sie künden uns den Verfall des Parlamentarismus überhaupt. Sie zeigen an, dass der Parlamentarismus seine geschichtliche Stunde gelebt hat und nun seinem Ende entgegengeht. Aus dem Klassenkampf zwischen dem Bürgertum und den Gewalten der feudalen Gesellschaft geboren, Organ des Kampfes für die Gleichberechtigung des Bürgertums, Herrschaftsinstrument der Bourgeoisie über das Proletariat, ist seine Existenz an bestimmte geschichtliche Bestimmungen gebunden. Der Boden schwindet ihm unter den Füßen in dem Maße, wie der Klassenkampf des Proletariats eine neue Welt emporhebt.

Was Mittel, was Organ der Herrschaft der Besitzenden über die breiten, ausgebeuteten Massen ist, das kann zwar unter bestimmten Bedingungen nutzbar gemacht werden dem proletarischen Befreiungskampfe, es kann aber auf politischem Gebiet nicht das alleinige Kampfmittel des proletarischen Befreiungsringens sein, es kann nicht werden Organ der Klassenherrschaft des Proletariats. Neben den Parlamentarismus tritt die Räteordnung, die sich allmählich im Kampfe entwickeln und die sich siegreich durchsetzen wird. Die Regierungskrise war in ihrem Um und Auf; in ihrer Abwicklung und ihrem Ende eine grausame Verhöhnung des Parlamentarismus. Und wenn die aus der Krise hervorgegangene Regierung ihr Programm zur Niederringung des Proletariats durchführen will, so kann sie der außerparlamentarischen Kampfmittel nicht entraten. Aber ebenso muss das Proletariat zu außerparlamentarischen Kampfmitteln greifen, um sich seiner Feinde zu erwehren und die Revolution zum Siege zu tragen.

(Zurufe rechts.)

So enthüllt sich die Regierungskrise als ein Symptom der gewaltigen sozialen Krise, die die ganze Welt erschüttert und die nur liquidiert werden kann durch die Revolution. Durch die Revolution, in deren Verlauf das Proletariat durch seine Feinde gezwungen wird, den Boden des Parlamentarismus, der bürgerlichen Gesetzlichkeit zu verlassen und sich auf den festen Granit seiner Macht in den Betrieben und in der Straße zu stellen.

Noch sind die Gegensätze nicht so weit verschärft, dass die Gegner von rechts und links sich in diesem Kampfe aufeinander stürzen. Man hat sich links nicht um das Banner des Kommunismus gesammelt, sondern um die Unabhängige Sozialdemokratie; rechts nicht um die Deutschnationalen, sondern um die etwas milder getönte Deutsche Volkspartei. Aber die fortschreitende Zerrüttung der Wirtschaft, die Zuspitzung der Klassengegensätze wird die Gegner aufeinander werfen, die sich jetzt schon ins Weiße der Augen blicken. Die Gegenrevolution hat für den Bürgerkrieg gerüstet, sie will den Bürgerkrieg.

(Zuruf rechts: Nein, Sie wollen ihn!)

Das Proletariat darf sich dadurch weder schrecken noch provozieren lassen. Es darf das Schiff seiner Revolution nicht aufsitzen lassen auf den Sandbänken der bürgerlichen Demokratie, des Parlamentarismus, der Klassenharmonie, der Arbeitsgemeinschaft. Es darf sein Schiff aber auch nicht zerschellen lassen an den Riffen und Klippen der Revolutionsromantik und des Putschismus. Es steuert sein Schiff geradeaus. Wir hören das Brausen des nahenden Sturmes. Er muss ein Proletariat finden, das dasteht gerüstet, zielsicher, wegklar, geschlossen opferwillig. Bereit sein ist alles.

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