Clara Zetkin: Redebeitrag zu Trotzkis Referat (24. Juni 1921) [Protokoll des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Moskau 22. Juni bis 12. Juli 1921. Hamburg 1921, 3. Sitzung, S. 117-120] CLARA ZETKIN. Genossinnen und Genossen! Es ist hier an der Rede des Genossen Trotzki und an den Thesen kritisiert worden, sie würden bis zu einem gewissen Grade unsere Diskussion über die Taktik vorwegnehmen. Ich vermag diese Kritik nicht zu teilen. Meine Auffassung ist die, dass wir dem Genossen Trotzki dafür dankbar sein können, dass er in einer sehr gründlichen, umfassenden und objektiven Weise die Grundlagen für unsere taktische Auseinandersetzung gegeben und diese Auseinandersetzung erst vorbereitet hat. Und zwar als echter Schüler von Marx, indem er hinab gestiegen ist in die Tiefen alles sozialen Geschehens, aller sozialen Kämpfe. Ich will nicht auf Einzelheiten seines Referats eingehen, sondern nur scharf hervorheben, was seine Grundzüge und auch die Grundzüge der Thesen zu sein scheinen. Ich kann mich der Empfindung nicht erwehren, dass sowohl das Referat des Genossen Trotzki wie auch die Thesen viel zu überwiegend im Lichte des Richtungsstreites über die Taktik betrachtet werden, als nach ihrer rein objektiven wissenschaftlichen Bedeutung und Tendenz. Was ist diese Tendenz? Genosse Trotzki hat innerhalb der gegenwärtigen kapitalistischen Wirtschaft alle die verschiedenartigen Tendenzen aufgezeigt und klargestellt, er hat nachgewiesen den unterschiedlichen, den wesensverschiedenen Charakter, der zwischen den früheren Krisen des Kapitalismus und der jetzigen Krise besteht. Und alle seine Darlegungen haben in der meines Dafürhaltens überzeugenden Schlussfolgerung gegipfelt, mag die Entwicklung diesen oder einen anderen Weg gehen, die kapitalistische Wirtschaft sei und bleibe verurteilt. Sie stößt an die Schranken, über die sie ihrem eigenen Wesen nach nicht hinauskommt. Sie muss zerschmettert, muss durch den Kommunismus ersetzt werden, Genosse Trotzki hat gegenüber den Versuchen der kapitalistischen Gesellschaft. trotz des gegenwärtigen Zerfalls den Kapitalismus wieder aufzubauen, die Rolle der Staatsgewalt zu diesem Zwecke mit genügender Schärfe hervorgehoben. Es ist eben eine internationale so hervorstechende Erscheinung, und niemand kann sich ihrem Eindruck entziehen, dass die Kapitalisten in größtem Umfange die Staatsgewalt gebrauchen und missbrauchen, um die kapitalistische Wirtschaft wieder aufzubauen. Ich kann der Auffassung des Genossen Thalheimer nicht ohne weiteres beipflichten, dass wahrscheinlich die Möglichkeit eines französisch-deutschen Konfliktes näher liegt als die eines englisch-amerikanischen Konfliktes. Ich sehe, dass die Möglichkeit eines solchen Konfliktes wohl vorhanden ist, aber andererseits sehe ich auch, gegenteilige Tendenzen, die am Werke sind, in dem Konflikt der französischen und deutschen Ausbeuterclique eine Verständigung auf Kosten des Proletariats herbeizuführen. Augenblicklich scheinen jene Tendenzen das Übergewicht erlangt zu haben. Meine Auffassung ist die, dass gerade eine solche Verständigung der deutschen und französischen Bourgeoisie sich nicht bloß auf Kosten des deutschen, sondern sich international auswirkt auch auf Kosten des französischen Proletariats, so dass diese noch viel größere Gefahren in sich birgt als eine rasche akute Krise. Dass gerade die Gefahr einer solchen Verständigung an das deutsche Proletariat, das französische Proletariat, das Weltproletariat die allerschwersten Anforderungen gesteigerter größerer Einsicht, aber auch gesteigerter Aktivität und Kampfestüchtigkeit stellt. Genosse Trotzki hat meines Erachtens sehr mit Recht hervorgehoben, dass wir uns nicht verlassen dürfen auf eine automatische Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft, die unvermeidlich zum Untergang führt. Nein, der soziale Faktor, der Wille des kämpfenden Proletariats muss ausschlaggebend. beschleunigend in den Gang der geschichtlichen Entwicklung eingreifen. Aber Genosse Trotzki hat meines Erachtens auch darauf hingewiesen, dass eben auf dieser wirtschaftlichen Grundlage die revolutionäre Betätigung der kommunistischen Parteien als Führerin des Proletariats vor sich gehen muss, dass es deshalb irrig wäre, sich einerseits einzustellen auf eine rasche Zuspitzung zu einer akuten Krise, die sich gewissermaßen mit einem einzigen Wetterschlage entlädt, dass wir deshalb nicht einseitig uns verlegen dürfen und dass aus der wachsenden Versklavung und Verelendung des Proletariats schon allein ein außerordentlich ausschlaggebender Faktor gegeben würde. Würden Verelendung und Versklavung diese Rolle spielen, dann hätten wir schon den entscheidenden Kampf der proletarischen Massen während des Krieges haben müssen. Auch da hat man darauf gehofft, dass mit der steigenden Verelendung des Proletariats die Explosion gegen den weltimperialistischen Raubkrieg zum Durchbruch kommen müsse. Und sie ist nicht gekommen. Und was sehen wir in Deutschland angesichts der kolossalen Arbeitslosigkeit? Wir haben trotz allen Ringens um die Seele der Arbeitslosen, um sie zum Vortrupp des revolutionären Kampfes zu machen, bis jetzt die Erfahrung gehabt, dass sie nicht in dem erwarteten Maße in den Kampf eingetreten sind. Ich will nicht weiter über diese Frage sprechen, da sie meines Dafürhaltens zur Frage der Taktik gehört. Außerdem haben wir einen sehr großen Beweis dafür, dass wir nicht zuviel erwarten dürfen von der Steigerung, der Verelendung und Versklavung allein. Denken Sie an die entsetzliche Lage des Proletariats in Österreich. Wo bleibt da die revolutionäre Empörung und vor allen Dingen der revolutionäre Wille zur Tat der breitesten Massen, die unter diesem Elend leiden? Ich bin die letzte, die sich der Einsicht verschließt, dass die Arbeitslosen unter bestimmten Bedingungen tatsächlich eine ganz hervorragende Rolle im Kampfe spielen können, dass wir voll ihre Bedeutung werten und auch aktiv ausnützen müssen. Aber eben so notwendig ist es, Genossen, dass wir damit rechnen, dass, wie Genosse Trotzki ausführte, auch noch vorübergehende Zeiten einer Besserung der Konjunktur kommen können. Und dann gilt es für uns, nicht entmutigt zu sein, uns nicht davor zu fürchten, als stände die Befestigung des Kapitalismus bevor, sondern auch dann an unserer festen Überzeugung festzuhalten, dass es nur eine Schwindelblüte des Kapitalismus ist, und dass es in jener Periode darauf ankommt, die ganze Energie, den ganzen Willen, die ganze Kraft der kommunistischen Parteien wirksam, revolutionär zu machen. Ich habe aus der Rede des Genossen Trotzki herausgehört die schärfste Absage an irgendwelche Passivität der Kommunistischen Partei und der proletarischen Massen. Umgekehrt. Mag die Entwicklung diesen oder jenen Weg gehen, für das Proletariat, für die Kommunistische Partei gibt es unter allen Umständen nur einen Weg: den Weg geradeaus zur Eroberung der politischen Macht, zur Aufrichtung der proletarischen Diktatur, gesteigert bis zur höchsten Aktivität auf allen Gebieten, durch ein Bereitsein zum Kampf in jeder Stunde und unter allen Umständen. (Lebhafter Beifall und Applaus.) |