Clara Zetkin: Rede zu Sinowjews Referat über die Tätigkeit der Kommunistischen Internationale (27. Juni 1921) [Protokoll des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, Moskau 22. Juni bis 12. Juli 1921. Hamburg 1921, 6. Sitzung, S. 278-300] CLARA ZETKIN. Genossinnen und Genossen! Vorgestern hat Gen. Sinowjew in seinem Bericht die Leporelloliste meiner Sünden aufgerollt, und Gen. Radek ist damit gestern fortgefahren. Ich nehme an, dass ich als eine der Hauptangeklagten hier eine längere Redezeit bewilligt erhalte; denn es ist unmöglich, in den zehn Minuten auch nur andeutungsweise auf die Frage einzugehen, über die ich mich verbreiten muss. Was zunächst meine Verfehlungen anbelangt, so stelle ich fest, dass ich meine Lebtage nicht mit dem Genossen Nobs in Zürich konspiriert oder korrespondiert habe. Diese Behauptung muss auf einem Irrtum beruhen. Nun zur italienischen Frage und meiner Stellung dazu, die mit ausschlaggebend gewesen ist für meinen Austritt aus der deutschen Zentrale. Dazu habe ich folgendes auszuführen: Ich habe nach der Behandlung der Frage auch in dem Bericht des Genossen Sinowjew und in der Rede des Genossen Heckert und anderer Redner, auch des Genossen Radek, den Eindruck, dass diese Frage zu überwiegend behandelt worden ist als ein Fall Serrati, statt als eine Frage der Masse italienischer Proletarier, die zu unserem Bedauern noch nicht ideologisch klar und fest sich auf den Boden des Kommunismus gestellt haben. Es ist hier viel erzählt worden über die Zweideutigkeit, über die verräterische Haltung, über das Ausweichen Serratis vor einer bestimmten Entscheidung. Ja, Genossen und Genossinnen, ich konnte mich nicht entschließen, in der italienischen Frage ein Urteil zu fällen auf Grund von Argumentationen, die immer darin gipfelten, dass Serrati ein schlechter Kerl sei, über dessen Politik man nicht vollständig im Klaren sei, und dass diese Politik schwankend und unbestimmt sei. Genossen, wenn wir nur entscheiden würden nach der moralischen Haltung und nach der konsequent durchgeführten politischen Linie, die Freund und Opponent vollständige Klarheit gibt über die Stellungnahme eines Politikers, so würde, ich betone ausdrücklich dabei, dass mir jede Kritik fern liegt, so würde ich, Genosse Radek, „so manchen sehen, der nicht da ist“, weil seine Haltung. eine schwankende unbestimmte und eine oft wechselnde gewesen ist. Genossinnen und Genossen, für mich scheidet jede Personenfrage aus. Ich gehöre wahrhaftig nicht zu denen, von denen Genosse Sinowjew meinte, sie hätten es bedauert, dass der Präsidententisch nicht mit dem mir völlig unbekannten schönen Bart d‘Arragouas geziert ist. Nein, Genossen, ich spreche es offen aus, meinem ästhetischen Gefühl genügt das international bekannte Lockenhaupt unseres Freundes Sinowjew vollständig. (Heiterkeit.) Wollte ich nach persönlichen Sympathien urteilen, und mich entscheiden, so erkläre ich offen, dass meine Sympathie nicht Serrati gehören würde, sondern vielmehr Turati, der ein ganzer Kerl ist, wenngleich ich seine Politik abscheulich finde und gegen diese Politik den schärfsten Kampf für notwendig halte. Aber für mich war immer die Rücksicht auf die großen Massen maßgebend, die leider noch hinter Serrati stehen. Ich sage das eine: war Serrati wirklich der Mann, als der er in den Dokumenten erschienen ist, die Genosse Sinowjew vorgetragen hat, dann begreife ich nicht, dass man Serrati auf dem Zweiten Kongress im Präsidium hatte, und dass man nicht viel früher und viel entschlossener auf eine Trennung von ihm, auf eine klipp und klare Entscheidung hingewirkt hat. Genossen und Genossinnen, doch ich konnte das Zögern der Exekutive, mit starker Faust in die Entwicklung der italienischen Parteiverhältnisse einzugreifen, wohl verstehen. Die Italienische Partei war eine der ersten großen Parteien gewesen, die sich in schwerer Zeit rückhaltlos zur III. Internationale bekannt hatte. Allerdings, die Ereignisse hätten uns warnen müssen, diesen Umstand zu überschätzen. Die Septemberereignisse bewiesen, dass die italienische Partei außerstande gewesen war, die Situation zu erfassen und revolutionär auszuwerten zu einem politischen Kampf großen Stils für die Eroberung der politischen Macht oder wenigstens für einen gewaltigen Vorstoß dazu. Gen. Terracini hat hier angeführt, dass die Parteileitung zwei Tage darüber debattiert habe, ob man die Revolution beschließen solle oder nicht. Meines Dafürhaltens hätte es in dieser Situation näher gelegen, dass die Parteileitung sofort die Aufnahme des politischen Kampfes mit allen Mitteln beschlossen hätte. Da würde man dann gesehen haben, wie weit man auf dem Wege zur Revolution vorwärts gekommen wäre. Aber dass dieser Beschluss nicht gefasst wurde, kann ich nicht allein als die Schuld Serratis ansehen, der damals nicht in Italien, sondern von Moskau auf dem Heimwege nach Italien war. Und es bleibt mir gegenwärtig, dass wir die Schuld auch nicht ausschließlich auf die Serratiner legen können, weil die Maximalisten in der Parteileitung die Mehrheit hatten und man dennoch zu dem Beschluss gekommen ist, die Sache in die Hände der opportunistischen Gewerkschaften zu legen. Diese Tatsache zeigt mir zweierlei: einmal, dass die italienische Partei, auf die wir mit Stolz und Bewunderung geblickt hatten, weder ideologisch noch organisatorisch war, wofür wir sie hielten. Aber noch ein anderes: dass damals die revoltierenden Massen in Italien selbst noch nicht weiter vorgeschritten waren, wie ihre Führer, denn sonst, Genossen — ich habe immer die Auffassung vertreten und vertrete sie auch heute noch —‚ wenn die Massen tatsächlich von revolutionärer Erkenntnis und revolutionärem Willen beseelt gewesen wären, dann hätten sie in jener Situation auf die Entscheidung ihrer schwankenden gewerkschaftlichen und politischen Führer gepfiffen und wären über deren Köpfe hinweg in den politischen Kampf eingetreten. HECKERT. Das ist dieselbe Entschuldigung, die die Scheidemänner für ihren Verrat von 1914 vorbringen. (Lärm.) ZETKIN. Bitte, das ist keine Entschuldigung, sondern nur eine Feststellung der geschichtlichen Tatsachen, dass nämlich das Niveau der Führer immer im Verhältnis zu dem Niveau der Massen steht. Gewiss, die Haltung der Führer kann manchmal entscheidend sein, aber unter anderen Umständen wird auch ein wirklich reifes, revolutionäres Proletariat in bestimmten ausschlaggebenden Situationen aus seinen Reihen Führer herauswachsen lassen, die die alten Führer ablösen. Ich sage das nicht, um irgendwie die Schuld der politischen Führer zu verkleinern, sondern aus einem ganz anderen Grunde: um nachzuweisen, wie ernst die Verpflichtung der Exekutive war, mit allen Mitteln darauf hinzuwirken, dass in Italien eine ideologisch und organisatorisch fest geschlossene einheitliche Partei entstand, die das Werk der Erziehung der noch unklaren, der nur vom revolutionären Instinkt beseelten Massen und ihre Führung, in die Hand nehmen konnte. Und unter diesem Gesichtswinkel der Entstehung einer solchen Partei habe ich stets das italienische Problem betrachtet. Ich habe es deshalb durchaus gebilligt, dass die Exekutive beschloss, die Partei müsse sich sofort und offen von den Turatinern trennen, wenn sie zur III. Internationale gehören wollte. Ich betone die letzten Worte: offen und sofort, weil meines Dafürhaltens damit ausgeschlossen sein sollte, dass durch die so genannten Unitarier turatinische, reformistische Politik weitergetrieben werden konnte, bemäntelt durch eine kommunistische Phraseologie. Die Schwierigkeit dieser Trennung war eben das Vorhandensein jener Mittelpartei. Aber in jener Mittelpartei befanden sich unzweifelhaft breite proletarische Massen, die in Vergangenheit und Gegenwart bewiesen hatten, dass sie ehrlich den Weg zum Kommunismus und zur III. Internationale suchten, und dass sie ehrlich bestrebt waren, ihn zu finden, und zwar nicht bloß mit Lippenbekenntnissen, sondern dass sie bereit waren, zu Taten überzugehen. Und ich legte dem eine große Bedeutung bei, dass diese Massen für die eine kommunistische Partei Italiens gewonnen würden. Warum das? Nicht, wie hier angedeutet worden ist, weil ich irgendwelche Neigungen für zentristische Politik hätte. Nein, aus anderen Gründen; weil ich unter jenen Massen gewerkschaftlich und genossenschaftlich organisierte Arbeiter wusste, die gerade in den Gewerkschaften und Genossenschaften Träger des Kampfes gegen jede reformistische und opportunistische Politik und Taktik sein konnten und mussten. Und noch aus einem anderen Grunde, der Ihnen beweisen wird, wie fern mir jede halbzentristische, pazifistische Anwandlung liegt. Mir war gesagt worden, ob das stimmt, weiß ich nicht, unsere italienischen Freunde werden mich korrigieren, wenn es nicht stimmt, dass in Italien die Munizipalbehörden, die Bürgermeister und Gemeinderäte die Verfügungsgewalt über die politische Polizei hätten, und bei dem Bürgerkrieg, der meines Erachtens in Italien seinen Einzug gehalten hatte, hielt ich es für eine reale Machtstärkung der Kommunisten, dass sie in Tausenden von Gemeinden die Verfügungsgewalt über die bewaffnete Macht, wenigstens über die bewaffnete Polizei besaßen, selbstverständlich nicht zu dem Zweck, damit die bewaffnete Polizei als Ehrenspalier bei Demonstrationen aufmarschierte, sondern um im Sinne des revolutionären Kampfes in die Auseinandersetzungen einzugreifen. Das waren die Erwägungen, die mich bestimmt haben, Gewicht darauf zu legen, dass nicht bloß sofort die Turatiner abgespalten würden, sondern dass man versuchen sollte, wo möglich, einen großen Teil der so genannten unitarischen Kommunisten der Partei zuzuführen, ohne Serrati, das spreche ich offen aus, wenn es möglich gewesen wäre, aber zunächst auch mit Serrati, wenn es nicht anders sein konnte, weil in der Not der politische Teufel auch mal Fliegen fressen muss. Ich war überzeugt, dass die weitere Entwicklung innerhalb einer starken kommunistischen Partei Serrati zwingen musste, Farbe zu bekennen, entweder ehrliche Politik in dieser Partei zu treiben, oder aber sich so zu demaskieren, dass auch der letzte Arbeiter sich nicht mehr über Serrati im Zweifel bleiben könnte. Deshalb habe ich die Auffassung vertreten, dass die Exekutive wohl recht handelte, wenn sie den Ausschluss der Turatiner forderte, dass es die conditio sine qua non, die Bedingung war, an der es nicht zu rütteln gab, dass aber andererseits, nachdem man einmal so lange, offenbar aus Rücksicht auf die Massen, nicht aus Sympathie für Serrati, gezögert hatte, die Spaltung vorzunehmen, dass man dann versuchen musste, einen großen Teil jener Massen mit hinüberzuziehen. Und es schien mir deshalb, dass die Vertreter der Exekutive in Livorno die Aufgabe hätten erfüllen sollen, sich mit unseren Freunden von der Linken und auch mit den Serratinern über Mittel und Wege zu verständigen, die erlaubt hätten, Tausende und Zehntausende von Arbeitern den Reihen der kommunistischen Partei zuzuführen. Meines Erachtens wäre der Antrag Graziadei, der vorlag, noch nicht dieser Weg gewesen, er hätte aber vielleicht die Grundlage bilden können, um sich über eine Formel zu einigen, die es erlaubt hätte, die wirklich kommunistischen Arbeiter der einen kommunistischen Partei zuzuführen, so dass die Spaltung nicht so glatt in gerader, glatter Linie weit nach links verlaufen wäre wie jetzt, sondern dass sie zum mindesten eine Spaltung innerhalb der Mitte bedeutet hätte. Dieser Auffassung hat die Resolution entsprochen, die ich der Zentrale vorgelegt habe, und die im großen Ganzen sich in Übereinstimmung befand mit der Resolution, die der Vertreter der Exekutive eingereicht hatte. Ich habe sie nur in dem einen Punkt abgeändert, wo ich meinte, dass man das Tor offen lassen sollte, durch das ein großer Teil der serratinischen Arbeiter den Weg in die kommunistische Partei finden könnte. Was besagte die Resolution? Die Resolution stellte sich ohne jeden Rückhalt hinter die Forderung der Exekutive, dass erstens die Turatiner ausgeschlossen werden müssten, sofort, ohne Einwände. Zweitens stellte sie tadelnd fest, dass Serrati sich zweier großer Fehler schuldig gemacht habe, zuerst, dass er in den sechs Monaten seit dem zweiten Weltkongress auch nicht einen einzigen Vorschlag gemacht habe, wie man die Spaltung anders herbeiführen könnte; dann, dass er in Livorno die Vereinigung mit den 14.000 Turatinern der Vereinigung mit der Kommunistischen Partei und ihren 68.000 Proletariern vorgezogen hatte. Die Resolution erklärte im Anschluss daran, ohne Zweifel seien hinter Serrati proletarische Elemente vorhanden, die ehrlich zum Kommunismus wollten und denen man deshalb den Weg offen lassen sollte, sich mit der Kommunistischen Partei zu verständigen und zu einer einheitlichen Partei zusammenzuschließen. Die Exekutive wurde aufgefordert, zu prüfen, ob in dieser Richtung nichts getan werden könne. Die Resolution sprach des weiteren aus, dass es selbstverständlich in Italien nur eine rechtmäßig bestehende Kommunistische Partei gäbe, das sei die Kommunistische Partei Italiens, und diese eine Partei allein könne und müsse kraftvoll von allen Bruderparteien unterstützt werden. Genossinnen und Genossen, dass diese Resolution nicht zentristische Neigungen bekundete, das ist bestätigt worden dadurch, dass die Exekutive in einer späteren Sitzung die nämliche Resolution einstimmig angenommen hat. Wenn ich also wegen dieser Resolution zentristischer Neigungen angeklagt werde, so befinde ich mich in der besten Gesellschaft. Genossinnen und Genossen, weiter. Ich war zur Agitation auf dem Lande und wusste von nichts. Ich konnte sagen: mein Name ist Hase, ich weiß von nichts. Als ich zurückkam in die Sitzung der Zentrale, wurde mir die sehr große Überraschung mitgeteilt, dass man sich von neuem mit der italienischen Frage beschäftigen müsse. Ich fragte: warum? Es wurde geantwortet: ja, zunächst habe Levi in einer Funktionärsitzung in Berlin Äußerungen getan, die die Resolution im serratinischen Sinne auslegten, zweitens sei ein Vertreter der Exekutive aus Livorno hier angekommen und habe erklärt, dass die bisherige Stellungnahme nicht genüge und geändert werden müsse. Was die Erklärung Levis betrifft, so vertrat ich die unmaßgebliche Auffassung, so hoch ich seine Fähigkeiten auch geschätzt habe, dass doch keine einzelne Persönlichkeit durch ihre Meinung die Beschlüsse einer ganzen Körperschaft umstoßen könne. Es hätte genügt, dass die Zentrale erklärte, Levi habe nicht in unserem Auftrage gehandelt, sondern er habe gegen unsere Auffassung verstoßen, wenn er der Resolution diese oder jene Auslegung gegeben hat. Es wurde uns eine andere Resolution vorgelegt von den Gen. Thalheimer und Stöcker. Ich will noch eins feststellen, soweit meine Erinnerung reicht — mein Material ist mir leider an der deutschen Grenze von der fürsorglichen deutschen Polizei abgenommen worden —‚ ist die erste Resolution von der Zentrale einstimmig, bei einer Stimmenthaltung und Abwesenheit eines Mitgliedes angenommen worden. Nun kam die Resolution von neuem zur Beratung zusammen mit einer Resolution Thalheimer-Stöcker, die ich später charakterisieren werde. Die Resolution Thalheimer-Stöcker wurde von der Mehrheit der Zentrale abgelehnt, dagegen wurde die alte Resolution aufs neue von der großen Mehrheit angenommen, nachdem sie noch erheblich von mir verschärft worden war, so dass man annehmen konnte, eine Auslegung zugunsten Serratis (…)1 zunehmen, als auch die Vertreter der Exekutive in Italien nach Berlin gekommen war, erklärt haben sollte, die alte Resolution sei bei Verschärfung ausreichend. Genossinnen und Genossen! Man spricht hier so viel von den Geboten der Disziplin und der Unterordnung der Minderheit unter die Mehrheit. In der betreffenden Sitzung der Zentrale war ausdrücklich beschlossen worden, die verschärfte Resolution soll dem Zentralausschuss als die Resolution der Gesamtzentrale vorgelegt werden. Man hat aber kein Gewicht darauf gelegt, den einzelnen Mitgliedern zu verwehren, ihrerseits eine Resolution einzubringen, wie es eben der streng angewendete Begriff der Disziplin erfordert hätte, der jetzt zur Geltung kommen soll. Warum erklärte ich mich gegen die Resolution Thalheimer-Stöcker? Ich sagte, dass ich diesen Begriff der Disziplin teile, ich stellte nicht nur fest, dass beschlossen worden war, das soll die Resolution der Gesamtzentrale sein und keine andere! Und zwar durch Mehrheitsbeschluss! HECKERT. Das Gegenteil wurde beschlossen. ZETKIN. Genossen, es wurde beschlossen, dass dies die Resolution der Gesamtzentrale sein solle, aber nachträglich wurde erklärt, einzelne Mitglieder hätten das Recht, wenn sie wollten, individuell eine Resolution einzubringen. Übrigens wollte ich sagen, dass die Sache sehr nebensächlich ist, sie ändert am Wesen der Sache nicht. Meines Dafürhaltens ist der Begriff der Disziplin zu straff angewendet. Ich war aus folgenden Gründen gegen die Resolution Thalheimer-Stöcker. Erstens: sie motiviert den Ausschluss der Serratiner, abgesehen von den anderen Fehlern, die schon festgestellt worden waren, mit der Haltung der Italienischen Partei in der Frage der Nationalitäten, der Gewerkschafts- und der Agrarfrage. Nun waren das drei Fragen, mit denen sich der II. Internationale Kongress befasst hatte, und meiner Auffassung nach hieße es die Beschlüsse und die Autorität des Zweiten Weltkongresses angreifen, wenn man die Haltung in diesen Fragen zur Begründung des Ausschlusses heranzog. Es drängt sich die Frage auf: ja, wenn die Haltung der Italiener in dieser Frage so abweichend von der ganzen Kommunistischen Internationale war, dann hätte schon der Zweite Weltkongress die Pflicht gehabt, die Italienische Partei aus der Kommunistischen Internationale auszuschließen, und dazu kommt noch ein anderer Grund: Über die Theorie und die Praxis dieser drei Fragen gehen noch heute in fast allen Ländern, in fast allen kommunistischen Parteien die Meinungen auseinander. Ich erinnere daran, dass in der Agrarfrage und in der Gewerkschaftsfrage in der russischen Bruderpartei erst noch in der jüngsten Zeit die heftigsten Kämpfe durchgefochten wurden, und nicht bloß wegen der Theorie, sondern gerade auch wegen der Praxis. Ich sagte mir deshalb, wenn das der Maßstab sein soll für die Zugehörigkeit zur III. Internationale, dann gibt es augenblicklich kaum noch eine einzige Partei, die ihr angehören könnte. Ich hatte noch einen Grund, weshalb ich gegen die Resolution Thalheimer war. Sie erklärte, der Kampf müsse in der schärfsten Weise gegen die Gruppe Serrati aufgenommen werden. Ich hätte gar nichts einzuwenden für die schärfste Kampfesansage gegen Serrati, aber nicht gegen die Gruppe Serrati, weil das ein allgemeiner Begriff war, der meines Erachtens sich auch gegen Proletarier wendete, die zu der Kommunistischen Partei kommen wollten. Diese Kampfansage schien mir in jener Zeit politisch besonders unklug, und zwar aus einem Grunde. Sie wissen ja, es ist mir zum Vorwurf gemacht worden, ich habe mit Serrati diplomatisiert. Ich erkläre, dass Serrati, als er nach Berlin kam, auch in Stuttgart gewesen ist, unzweifelhaft wegen der sehr banalen Tatsache, dass eben Berlin und Stuttgart noch immer leichter zu erreichen sind als Moskau. Aber wie sah es mit meinem Diplomatisieren aus? Ich lege Wert darauf, das hier festzustellen. Es wurde mir mitgeteilt, Serrati sei in Berlin gewesen, er habe mit Mitgliedern der deutschen Zentrale Rücksprache genommen, und diese Zentrale habe beschlossen, an die Exekutive in Moskau einen Antrag oder ein Ersuchen zu stellen, sie möge prüfen, ob nicht eine besondere Kommission einzusetzen und nach Italien zu schicken sei, die in Verbindung mit der Kommunistischen Partei und dem Proletariat die Formel für den sofortigen Ausschluss der Turatiner und für die Spaltung finden könne. Angesichts dieser Tatsache sagte ich mir: ich darf nicht päpstlicher sein, als der Papst, wenn die Zentrale das getan hat. … (Radek: Der Papst war Levi.) Das konnte ich nicht wissen. Man sagte mir, ich solle in Verhandlungen mit Serrati vorsichtig sein. Sofort nach der Unterredung solle ich das Ergebnis niederschreiben und per Eilbrief an die Zentrale schicken, damit es der Genosse Kurt Geyer mit nach Moskau nehmen könne. Ich habe mich strikte an diesen Ratschlag gehalten. Als Serrati kam, war ich nicht etwa diplomatisch, sondern ich erteilte ihm eine gehörige Kopfwaschung wegen seines Briefes an Lenin und wegen seines Briefes an Longuet nach der Spaltung in Tours. Ich erklärte, dass dies ein Fehler sei, und er gab dies zu, und entschuldigte seine Haltung mit der Notlage eines Mannes, der von allen Seiten angegriffen wurde, von links und von rechts und von der Mitte, und der deshalb bei der Verteidigung ungeschickt sein könne. Das war für mich sehr wenig maßgebend, sondern ich dachte die Situation im Interesse einer Spaltung und Klärung innerhalb der Italienischen Partei zu nützen. Ich sagte Serrati: wenn es Ihnen ernst ist, sich mit der Kommunistischen Partei, sich mit der Internationale zu verständigen, dann genügt es meines Erachtens nicht, dass Sie durch die Vermittelung der deutschen Zentrale Ihren Antrag stellen lassen. Ich finde es ehrlicher und politisch klüger, wenn Sie eines tun: Sie müssen die Parteileitung der Italienischen Sozialistischen Partei bestimmen, ihrerseits einen gleichen Antrag direkt der Exekutive in Moskau zuzustellen. Nach langem Hin- und Herreden gab Serrati das zu, und ich sagte mir: du musst ihn noch weiter vorwärts treiben. Ich erklärte ihm: In ihrer Lage genügt das nicht, Sie müssen Ihre Parteileitung bestimmen, sofort eine Abschrift dieses Ersuchens an die Leitung der Kommunistischen Partei Italiens zu senden und Sie müssen dazu schreiben: Werte Genossen, wir legen Euch die Abschrift eines Ersuchens an die Exekutive der III. Internationale bei und bitten Euch, unseren Schritt zur Kenntnis zu nehmen und Euch womöglich damit zu solidarisieren. Genossen und Genossinnen, Serrati hat auch das zugesagt und was ich davon erwartete, das ist zwischen Serrati und mir nicht besprochen worden. Was war der Zweck meines Vorgehens? Ich wollte Serrati in die Zwangslage bringen, entweder sein Versprechen, das er mir gab, ehrlich zu halten — ich hielt das im Interesse einer Verständigung und einer Klärung in Italien für nötig — oder er würde es nicht halten, dann hatten wir eine Waffe gegen ihn in der Hand und konnten nachweisen, dass sein ganzes Bekenntnis zur III. Internationale und seine Treue zu ihr eben nur ein Lippenbekenntnis war, und dass der Wille fehlte, es durchzuführen. Deshalb fand ich es in der gegebenen Situation unklug, dieser Fassung Thalheimer-Stoecker zuzustimmen. Warum? Denn sie lieferte dadurch für Serrati einen billigen Vorwand, seine Zusage nicht zu halten und nichts zu tun, um zu einer Verständigung mit der Kommunistischen Partei Italiens und mit der Internationale zu kommen. Natürlich habe ich mich bei unseren italienischen Freunden erkundigt: Serrati hat nichts in der Richtung des Versprechens getan. (hört! Hört!) Er konnte sich eben darauf berufen, dass der Deutsche Zentralausschuss die Resolution angenommen hatte, die ihm den Kampf ansagte. Ich muss sagen, wenn ich in Serratis Lage gewesen wäre, mich hätte auch diese Kampfandrohung nicht in meiner Meinung erschüttert, dass ich den Weg zur III. Internationale und in die Kommunistische Partei Italiens suchen muss. Ich hätte trotz dieser Resolution nun erst recht den ehrlichen Willen zum Anschluss an die III. Internationale bekundet. (Beifall.) Genossen und Genossinnen, im Zusammenhang mit dieser Entschließung des Zentralausschusses, war maßgebend dafür, dass ich aus der Zentrale der Deutschen Kommunistischen Partei ausgetreten bin, das Eingreifen des Vertreters der Internationale in Italien, des Genossen Rakosi, in unsere Debatte. Ich habe meinerseits nicht die geringste Kritik gegen das Verhalten des Genossen Kabaktschieff, höchstens das eine, dass er meiner Ansicht nach nicht aktiv genug gewesen ist, um eine andere Spaltung herbeizuführen, ein Vorwurf, den ich auch an Paul Levi gerichtet habe, der, da von der einen Seite die Initiative nicht ergriffen worden ist meines Erachtens Initiative hätte ergreifen müssen. Also, wie gesagt, wenn ich jetzt von dem Vertreter der Exekutive in Italien spreche so habe ich nur den Genossen Rakosi im Auge. Wer die Stellungnahme seiner ersten Rede aufmerksam gelesen hat und die Rede, die er vor dem Zentralausschuss hielt, wird finden, dass er nicht eine einzige neue Tatsache gegeben, sondern nur die bekannten Argumente mit anderen Worten ausgeführt hat. Er griff in der Sitzung des Zentralausschusses in die Debatte ein und vertrat wortwörtlich die Auffassung, mit der Spaltung in Italien musste ein Exempel statuiert werden. Auch die französische Partei muss von unerwünschten Elementen gereinigt werden. Er hat auf Lafont, auf Cachin hingewiesen und gesagt, sie muss vielleicht noch zehnmal gespalten werden. Er vertrat die Auffassung — nicht eine Massenpartei sei für die Kommunistische Internationale wertvoll, sondern eine kleine, reine Partei. Er erklärte ausdrücklich, die Kommunistische Partei kann und darf keine Rekruten umschließen, sie darf nur lauter gut ausgebildete Mitglieder haben, die in jeder Situation führend sein könnten. Diese Auffassung stieß sofort auf Widerspruch, und der Genosse behauptete später, er habe die Äußerung nicht getan. Genossen und Genossinnen, der Genosse hatte früher im Privatgespräch die gleiche Äußerung zu mir getan und noch durch die Ausführung ergänzt: auch Ihre Partei in Deutschland, Genossin Zetkin, ist schon viel zu groß geworden, sie muss wieder klein gemacht werden, worauf ich ihm ins Gesicht lachte und erklärte: Entschuldigen Sie, über diese Behauptung kann ich nur lachen. Unserer Auffassung nach ist die Partei noch viel zu klein für ihre Aufgaben, und wir müssen alle Kraft daran setzen, dass sie größer wird, allerdings nicht nur der Quantität, sondern auch der Qualität nach. Nicht nur um die Quantität handelt es sich bei uns, sondern auch um Qualität in der Quantität. Das ist die Aufgabe der kommunistischen Partei, solche Qualität in der Quantität der in der kommunistischen Partei organisierten Proletarier zu schaffen. Genossen und Genossinnen, auf Grund der Ausführungen des Vertreters der Exekutive in Italien kam ich zu der Auffassung, dass die alte Frage wieder zur Debatte gestellt werden soll: Massenpartei oder kleine, rein propagandistische Sekte. Ich bekenne meinen Fehler, dass ich naiv genug war, anzunehmen, ein Vertreter der Internationale, der Exekutive könne nicht auf seine eigene Verantwortlichkeit hin derartige Ausführungen machen, wie sie damals in der Sitzung gemacht worden sind. Zwischenruf: Die Erklärung zuletzt! ZETKIN. Die Erklärung zuletzt stand im Widerspruch zu den vorherigen Ausführungen. Es ist im Zentralausschuss erklärt worden, der betreffende Genosse habe seine Auffassung aufrechterhalten. Ich sage, ich war naiv genug, anzunehmen, dass der Vertreter in der damaligen Situation in Italien im Auftrage und nach der Weisung der Exekutive gehandelt hätte. Mir war es nicht in den Sinn gekommen, dass ein Vertreter der Exekutive in einer so schwierigen, so verantwortungsvollen Situation, wie in Livorno und dann bei uns im Zentralausschuss, auf eigene Faust mit solchen Ausführungen kommen und sie noch unterstreichen könnte. Ich bekenne den Fehler und es freut mich, dass die Exekutive diese Auffassung strikt abgeschüttelt hat. Aber ich muss hier noch eins ausführen. Auf Grund der Stellungnahme des Vertreters der Exekutive hatte ich die Meinung, dass mit der Entscheidung in der italienischen Frage ein Problem von grundlegender Bedeutung für alle Sektionen der Kommunistischen Internationale aufgerollt worden war. Das mag eine irrige Auffassung sein; Genossen und Genossinnen, ich gehöre nicht zu jenen erhabenen theoretischen Geistern, die das Recht zu ihrer Theorie davon ableiten, dass sie miserable politische Praktiker sind. Ich habe nach dem geurteilt, wie sich die Situation damals darstellte. Ich sagte mir, in so einer schwierigen Situation kann ich die Verantwortung nicht mit übernehmen. Ich bekenne es offen, es war noch ein anderer Grund, der mich bestimmte, den ich aber nicht in die Debatte werfen wollte, um keine persönliche Zuspitzung und Erbitterung hervorzurufen. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass ein großer Teil der Mitglieder der Zentrale ihre Meinung in der Frage geändert hatte. Ich mache den betreffenden Genossen keinen Vorwurf daraus. Ich bin bereit, 24 Mal am Tage meine Auffassung zu ändern und zu sagen, ich war 23 Mal ein Esel. ich kannte nicht die Tatsachen. Aber, was ich nicht verstehen konnte, war, dass man einen Beschluss umstieß, ohne dass neues Tatsachenmaterial vorgelegen hatte, nur weil eine neue Argumentation darüber gegeben wurde. Zwischenruf: Und die Haltung Levis! ZETKIN. Bitte, diese Haltung war für die Mehrheit der Zentrale gar nicht maßgebend. Ich muss das eine bekennen, ich würde der Zentrale nicht ein solches Zeugnis der Schwäche, ein solches Armutszeugnis ausstellen lassen, dass die Haltung Levis für ihre Haltung maßgebend gewesen wäre. Zwischenruf: Und wir anderen…? ZETKIN. Das ist Ihre Sache, in welchem Maße Ihnen das Vorgehen Levis maßgebend war. Ich habe mich nie davon bestimmen lassen, ob Levi oder ob Müller und Schulze eine Auffassung vertreten hatten, sondern nur davon, ob sie mir sachlich richtig oder falsch schien. Genossen und Genossinnen, ich sagte mir, in einer Situation, die uns bei Strafe des politischen, moralischen Ruins der Partei und schwerer Gefährdung des Proletariats in die Lage bringen kann, die höchste Aktivität zu entfalten, vielleicht morgen schon zu großen Vorstößen vorzugehen, in dieser Situation kann ich vor meinem Gewissen die Verantwortung nicht übernehmen, mit Genossen zusammen zu arbeiten, die, so hoch ich sie sonst schätzte, doch ihre Meinung meinen altmodischen Begriffen nach gar zu rasch änderten. Genossen und Genossinnen, ich will noch das eine sagen. Niemand kann mir nachsagen, dass ich es je gefürchtet hätte, in der Minorität zu stehen. Ich bin fast immer Minorität gewesen, ich darf daran erinnern, dass ich den Kampf um die Ausnutzung des Parlamentes lange Zeit ganz allein geführt habe, dass nicht einmal die Mitglieder der Zentrale an meine Seite getreten sind, die von der Notwendigkeit der Teilnahme am Parlament überzeugt waren, aber sagten, die Stimmung ist nun mal so, wir können nicht gegen die Massenstimmung ankämpfen. Ich rufe alle zu. Zeugen auf, ob sie mir in meiner 40-jährigen Parteitätigkeit nachsagen können, dass ich ein Amt niedergelegt habe, weil ich anderer Meinung war, ob ich je meine Auftraggeber betrogen habe und in dem Schmollwinkel getreten bin. Und deshalb sagte ich mir, wenn ich angesichts der Situation von dem Posten zurücktrete, so ist das gewissermaßen ein Warnungssignal, das ich für sehr notwendig hielt. Man hat nun mein Ausscheiden aus der Zentrale als Disziplinbruch gerügt. Ich will nicht über Worte streiten, ich will aber dazu sagen, zunächst wäre ich trotz allem nicht aus der Zentrale ausgeschieden, wenn ich die Auffassung gehabt hätte, die Partei ist so wenig gefestigt, dass mein Ausscheiden aus der Zentrale, das ohne jede Rücksprache mit Levi oder sonst jemand erfolgt ist, eine Schädigung für die Partei bedeutet hätte. Ich sagte mir ein anderes: ein Parteiamt ist kein süßer Schokoladenbonbon, das man für politisches Wohlverhalten verabreicht. Nein, Genossen, es ist die Anvertrauung eines Kampfpostens aus der Überzeugung heraus, dass die richtige Person auf dem richtigen Posten gestellt wird, und ich sagte mir, unter diesen Umständen bin ich eben nicht mehr die richtige Person auf dem richtigen Posten. Und aus einem Element der Stärkung der Zentrale und der Partei werde ich nur zu einem Element der Störung, und ich schädige dadurch die Partei. Genossen und Genossinnen, aus diesem Grunde habe ich so gehandelt. Und ich glaube, ich darf dabei auf das wohlwollende Verständnis des Vorsitzenden der Exekutive rechnen. Er weiß aus eigener Erfahrung, dass Genossen trotz der größten Treue gegen die Partei und gegen die Disziplin unter bestimmten politischen Umständen in Situationen kommen, wo vor ihrem Gewissen die Frage auftaucht: was ist Pflicht der Partei, was ist Pflicht dem Proletariat, was ist Pflicht der Revolution gegenüber? Den Posten behalten oder ausscheiden und still weiter arbeiten. Ich erinnere an die Vorgänge in der bolschewistischen Partei vom 10. Oktober und 4. November 1917. Im Oktober 1917 sahen sich die Genossen Kamenew und Sinowjew veranlasst, aus dem damaligen Zentralkomitee auszuscheiden. RADEK. Sie haben dafür auch Prügel gekriegt. (Heiterkeit.) ZETKIN. Genossen, ich habe sie auch bekommen. (Erneute Heiterkeit.) Sie hielten sich vor ihrem Gewissen verpflichtet, aus dem Zentralkomitee auszuscheiden. Sie haben redlich ihre Prügel dafür bekommen, und sie sind in die Öffentlichkeit getreten und haben erklärt: wir waren schuldig. Genossinnen und Genossen, ich habe mich noch nie gescheut, in Fällen, in denen ich geirrt habe, vor die Öffentlichkeit zu treten und das einzugestehen. Ich werde, sobald ich eingesehen habe, dass ich geirrt habe, dasselbe tun. Ich kann nur eines versichern: in der damaligen Situation hielt ich es im Interesse der Partei und des Proletariats für notwendig, so zu handeln, wie ich gehandelt habe. Und ich sage das weitere: wenn ich aus meiner Überzeugung heraus die Dinge abermals so ansehen müsste, wie ich sie damals ansah, so muss ich sagen, ich würde dasselbe tun, weil mir die Treue zum Proletariat immer über die Parteidisziplin geht. Aber, Genossinnen und Genossen, ich werde die erste sein, die, wenn sie einsieht, dass sie geirrt hat, nicht nur sagen wird: es ist meine Schuld mea culpa, sondern: es ist meine allerhöchste Schuld — mea maxima culpa. Aber wie gesagt, ich muss erst überzeugt sein. Das ist meine Stellungnahme zu dem Disziplinbruch. Ich habe mich noch niemals gedemütigt gefühlt, wenn ich infolge eines wirklichen oder vermeintlichen Fehlers eine Rüge erhalten habe. Dagegen würde ich mich nicht nur gedemütigt, sondern unwürdig fühlen, vor Ihnen zu stehen, wenn ich je etwas gegen meine Überzeugung getan hätte. Ich habe die Rüge ohne jeden Protest aufgenommen, und werde auch die Entscheidung des Kongresses mit aller Ruhe abwarten. Nun noch ein paar Worte zur italienischen Frage. Meines Dafürhaltens hat die Politik, die Serrati und seine Partei seit dem Kongress von Livorno getrieben haben, unzweideutig gezeigt, dass sie eine Politik des Reformismus, des Opportunismus ist. (Zustimmung.) Das erkenne ich vollkommen an. Schon allein die Stellungnahme der Partei zu der Frage der Weißgardisten, des Kampfes gegen den Faschismus, zeigt das offenbar. Ist das wirklich eine kommunistische Partei — ja, ich gehe noch weiter —‚ ist das überhaupt eine politische Partei, die den Bürgerkrieg, der durch den Faschismus verkörpert wird, mit Moralpredigten bekämpfen will, wenn man erklärt, der Faschismus muss mit den Mitteln der christlichen Ethik überwunden werden? (Heiterkeit.) Nein, ich erkläre, meine Meinung im Kampfe des Proletariats ist immer die gewesen: auf einen Schelmen anderthalben. Gewalt muss durch Gewalt gebrochen werden. Und der Faschismus in Italien kann nicht durch die sanften Flötentöne des „Avanti“ überwunden werden, sondern nur durch den bewaffneten Kampf der proletarischen Massen. (Lebhafter Beifall.) Auch die ganze Stellungnahme zu den Problemen der Politik scheint mir unzweideutig den opportunistischen Charakter der Serratiner zu beweisen. Manche Genossen sagen, da haben Sie die Bestätigung dafür, wie richtig die Spaltung in Livorno gewesen ist. Genossinnen und Genossen, man kann auch anderer Meinung sein. Man kann sagen, dass durch die Abspaltung des linken Flügels die Unitarier fast gewaltsam in die Arme der Turatiner getrieben worden sind. RADEK. Wie Hilferding in die Arme Scheidemanns. (Heiterkeit.) ZETKIN. Ja, Genossen, jedes Ding hat zwei Seiten. Ich begrüße die Entwicklung, soweit es sich um die Demaskierung unsicherer, schwankender Führer handelt. Ich bedauere sie, soweit dadurch noch Hunderttausende von Proletariern in ihrem Banne gehalten werden. Und ich frage mich, ob diese Hunderttausende von Proletariern nicht eher aus dem verhängnisvollen Banne zu reißen sind, wenn wir sie so rasch als möglich in den Bannkreis der italienischen Kommunistischen Partei führen könnten. Ich will aber die Gelehrten sich zanken und streiten lassen, ob die Entwicklung der italienischen Partei ein Beweis für die Richtigkeit der Spaltung in Livorno war oder ob sie schädlich gewirkt hat. Ich hielt mich an die Tatsache des opportunistischen Charakters dieser Politik, und die zwingt meines Dafürhaltens die Kommunistische Internationale zu einer Stellungnahme. Meines Erachtens genügt es nicht mehr, dass der Kongress bloß ausspricht, die 21 Bedingungen müssen strikte durchgeführt werden; die Trennung von den Turatinern ohne jede Beschönigung ist eine Notwendigkeit für jeden, der der Kommunistischen Internationale angehören will. Nein, der Kongress muss auch unzweideutig die schärfste Absage beschließen gegen jede Politik, die irgendwie opportunistisch gerichtet ist, um die Massen zu täuschen. Genossinnen und Genossen, meiner Ansicht nach kann man nicht eher in der Sache beschließen, bis wir die Vertreter beider Richtungen gehört haben. Aber soweit Dokumente vorliegen, steht meine Meinung fest, so wie ich sie hier geäußert habe. Einige Worte noch, wenn Sie mir gestatten, zu dem Fall Levi, damit ich nicht in den Verdacht komme, dass ich dieser Frage aus dem Wege gehe. Ich wiederhole, dass wir die Stellungnahme der Exekutive nicht bemängeln, im Gegenteil, dass wir durchaus billigen, dass sie auf der Scheidung, der reinlichen Scheidung von den Turatinern bestanden hat. Es wäre nur zu erwägen gewesen, ob es nicht möglich gewesen wäre, die Spaltung früher herbeizuführen, besser vorzubereiten und vor allen Dingen zu versuchen, die Serratiner unter sich zu spalten, und die besten Arbeiterelemente der Kommunistischen Partei zuzuführen. Ich tadele ferner an der Exekutive offen und rücksichtslos, dass sie in der Wahl ihrer Vertreter im Ausland nicht vorsichtig genug gewesen ist. Das gilt nicht nur für den einen Vertreter in Italien, den ich gehört habe, über den anderen mache ich mir kein Urteil, weil ich ihn nicht gehört habe, das gilt auch für den Vertreter der Exekutive in Deutschland, eine Frage, über die wir bei der Erörterung der Märzaktion zu sprechen haben werden. Ich erkläre daher, dass die Exekutive durch die Ausführungen, die Genosse Sinowjew im allgemeinen zu dem Charakter, zu den .Aufgaben der kommunistischen Parteien und der III. Internationale gestellt hat, das verhängnisvolle Wirken jener unverantwortlichen Vertreter bereits vollständig desavouiert hat. Deshalb lag kein Grund vor, einen scharfen Kampf gegen die Exekutive zu eröffnen. RADEK. Levi tat es und Ihr habt ihn nicht abgeschüttelt. ZETKIN. Darauf werden wir noch zu sprechen kommen. Warten Sie doch erst ab. Zum Fall Levi. Meines Erachtens ist der Fall Levi in erster Linie nicht bloß ein disziplinarischer Fall (Zwischenruf: Sehr richtig), er ist in erster Linie und hauptsächlich ein politischer Fall. Er kann nur richtig beurteilt, nur richtig eingeschätzt werden, im Zusammenhang mit der ganzen politischen Situation, und deshalb bin ich der Meinung, dass er wirklich nur behandelt werden kann im Zusammenhang mit unseren Auseinandersetzungen über die Taktik der Kommunistischen Partei und insbesondere im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen über die Märzaktion. Will man den Fall Levi als einen disziplinarischen Fall hier erledigen, so widersetze ich mich dem nicht, aber unter einer Bedingung, dass man auch die Märzaktion sofort im Rahmen dieser Auseinandersetzung bespricht, denn sonst fehlt der ganze geschichtliche Hintergrund. Sonst fehlt die ganze Atmosphäre, aus der heraus der disziplinarische Fall begreiflich wird. Ich will noch eins sagen: Genosse Radek hat gestern hier die Frage auch sehr persönlich gestellt gegen Paul Levi, indem er sehr wirkungsvoll in den Saal hineinrief: „Wo hat je Paul Levi in revolutionären Schützengräben gelegen?“ Genosse Radek, wenn Sie das wörtlich nehmen, dann frage ich: haben auch die theoretisch begründeten und die organisierenden Urheber der Märzaktion, haben sie alle im buchstäblichen Sinne des Wortes in revolutionären Schützengräben gelegen? (Lärm und Zurufe: Jawohl!) Dann kommt noch ein anderes. Genosse Radek weiß so gut wie ich, dass der Gen. Paul Levi wahrhaftig nicht zu denen gehört, die feige den Kampf fliehen. In den gefährlichen Januar- und Märztagen 1919 ist er nicht vom Kampfplatze gewichen, obgleich nach den Vorgängen in Lichtenberg ein Preis von 20.000 Mark auf seinen Kopf gesetzt war. Mit dem Genossen Thalheimer zusammen hat er das gefahrreiche Leben des illegalen Kampfes geführt, heute hier und morgen da. Das sind meines Erachtens nach auch Taten des revolutionären Schützengrabens. Ich will das hier nur anführen, ohne irgendwie weiter darauf einzugehen. Ich sage nur das Eine, wir können nur in Verbindung mit der Märzaktion zu einem richtigen Urteil kommen über die Stellungnahme und das Verhalten Paul Levis. Ich habe mich stets nur solidarisch erklärt mit der großen, grundsätzlichen politischen Linie seiner Einstellung zur Märzaktion. Ich habe das in vielen von Zehntausenden Arbeitern besuchten Versammlungen gesagt. Ich habe immer erklärt, dass ich nicht jedes Wort der Broschüre billige, dass ich bei weitem nicht jedes Urteil der Broschüre teile. Und wenn Sie mich auf mein Gewissen fragen, so kann ich sagen, ich hätte die Broschüre gar nicht geschrieben, und wenn ich sie geschrieben hätte, wäre sie wesentlich anders ausgefallen. Aber, dass eine Kritik scharf einsetzte, war damals eine Lebensnotwendigkeit der Partei. Und warum? Weil von Seiten der Zentrale gesagt wurde, die nämliche Politik wird weiter fortgesetzt. Das war das Entscheidende. Genossen und Genossinnen, ich will nicht weiter zu der Frage hier sprechen, solange nicht entschieden ist, ob in Verbindung mit dem Bericht der Exekutive auch die Märzaktion erörtert wird: weil erst die Klärung der Märzaktion die sachliche Grundlage für die Beurteilung des Falles Levi bilden wird. Ich sage nur das Eine auf die Frage, die Genosse Radek gestellt hat: nach meinem Dafürhalten ist nicht die Exekutive irgendwie zu beschuldigen, dass durch ihren Beschluss putschistische Unternehmungen angezettelt worden sind. Aber eins bleibt Tatsache, die wir bei der Auseinandersetzung über die Märzaktion beweisen werden, dass Vertreter der Exekutive allerdings einen großen Teil Verantwortlichkeit daran tragen, dass die Märzaktion in dieser Weise geführt wurde, wie es geschehen ist, dass Vertreter der Exekutive einen großen Teil der Verantwortung an den falschen Losungen, der falschen politischen Einstellung der Partei tragen oder richtiger: der Zentrale. Und niemand weiß das besser, als Gen. Radek selbst. RADEK. Warum, ich war nicht in Deutschland? ZETKIN. Sie haben vor einigen Tagen vor Zeugen erklärt, dass Sie unmittelbar, nachdem Sie informiert wurden, dem Vertreter der Exekutive mitgeteilt hatten, dass seine Losung — ich will das von Ihnen gebrauchte unparlamentarische Wort hier nicht gebrauchen, sondern nur ein milderes Wort — töricht war. Meine Auffassung ist die, dass, wenn irgendwer Grund hätte, sich über das Vorgehen Paul Levis zu beschweren, wir, von der Opposition, es wären, wir, die Kritiker nicht an der Märzaktion als Kampf, sondern der falschen Einstellung, der schlechten Durchführung durch die Zentralleitung. Denn an Stelle der Erörterung der Politik der Zentrale ist die breite Auseinandersetzung über den Fall Levi getreten. Meiner Meinung nach sollte die Zentrale dem Gen. Levi dafür ein Dankesdenkmal errichten. (Heiterkeit.) Denn er ist der Prügeljunge geworden, an dem sich die enttäuschten Proletarier über die falsche Einstellung und verfehlte Leitung und Durchführung der Aktion ausgetobt haben. HECKERT. Ein billiges Argument. ZETKIN. Wir werden schon auch andere Argumente haben, wenn wir über die Märzaktion sprechen, und ich möchte nicht auf die Frage eingehen, solange nicht entschieden ist, ob hier über die Frage der Märzaktion gesprochen werden soll, oder bei der Frage der Taktik. (Vorsitzender: Taktik.) Ich will hier nur noch das Eine sagen — Genosse Markovic hat mit Recht gesagt: Wenn Paul Levi wegen der Kritik der Märzaktion und der Fehler, die er unstreitig dabei begangen hat, hart bestraft wird, welche Strafe verdienen dann die, die die Fehler selbst begangen haben? Der Putschismus, den wir angeklagt haben, der hat nicht bestanden in der Aktion der kämpfenden Massen, nein, Genossen, der Putschismus bestand, darin hat der Gen. Gorter recht, er bestand in den Köpfen der Zentrale, die die Massen in dieser Weise in den Kampf führten, er bestand darin, dass die Konterorder der Order folgte und dann schließlich die Unordnung, das Chaos, die Direktionslosigkeit eingetreten ist. Ich habe nichts dagegen, dass der Kongress schon jetzt über den Fall Levi entscheidet. Aber nur, wie ich schon sagte, nach der Auseinandersetzung des ganzen sachlichen Untergrundes, denn Gen. Levi hat aus der tiefsten Überzeugung gehandelt, der Partei einen Dienst zu erweisen. Genosse Paul Levi kann für seinen Disziplinbruch die gleichen Gründe geltend machen, die seinerzeit für das Verhalten russischer Genossen gemacht worden sind, die die Disziplin gebrochen haben. Er hat gehandelt aus ehrlicher Überzeugung heraus, die Partei retten zu können, den Proletariern zu dienen. RADEK. Der Staatsanwaltschaft. ZETKIN. Das sind sehr flache Argumente, Gen. Radek, denn das Material für den Staatsanwalt stammt wahrlich nicht aus der Broschüre Levis, sondern vielmehr aus den Aufrufen und Artikeln der „Roten Fahne“. (Lärm.) Es hat im Prozess Brandler eine sehr nebensächliche Rolle gespielt. Ich meine, es ist nicht besonders klug, auf jenen Prozess zu verweisen, weil da gerade die ganze oder teilweise Unsicherheit der leitenden Persönlichkeiten hell in das Licht gerückt worden ist. (Zwischenruf: Sehr richtig.) RADEK: Was ist mit der Offensive? ZETKIN. Über die Frage der Offensive oder Defensive werde ich erst sprechen, Gen. Radek, wenn wir die ganze Frage behandeln. Wenn Sie aus dem Zusammenhange gerissene Sätze benutzen, Gen. Radek, so handeln Sie nach dem recht alten Rezept, das Sie nicht erfunden, sondern nur nachgeahmt haben: Gib mir von jemand 20 Zeilen und ich bringe ihn an den Galgen. Ich werde schon erklären, wie ich die Frage Defensive oder Offensive auffasse. (Heckert macht einen Zwischenruf.) Genosse Heckert, das werde ich ohne oder mit Ihrem Segen tun. Bis jetzt sind Sie noch nicht mein politischer Beichtvater. Genossen und Genossinnen, wir haben bei dem Falle Levi zu beachten den sachlichen und politischen Zusammenhang, ferner die Motive, aus der heraus die Broschüre geschrieben wurde, und ferner auch die Wirkung, die sie ausgelöst hat. Genosse Radek suchte das abzuschwächen, indem er sagte, die Broschüre habe dem Staatsanwalt Material geliefert. Die „Rote Fahne“ hat das in weit größerem Umfange getan. Sie hat auch reichlich den Aberglauben genährt, dass die Aktion von auswärts angestiftet war, denn sie brachte Aufrufe und Artikel, die in ihrer ganz undeutschen Ausdrucksweise es den Gegnern erlaubte, zu erklären: not made in Germany. Aber Genossen, weit, weit schmerzlicher ist es, dass die Broschüre des Gen. Levi vielen Arbeitern wehe getan und viele Arbeiter davon zurückgehalten hat, sich sachlich, kritisch mit der Situation und der Haltung der Zentrale auseinanderzusetzen. Ich begreife vollständig die Empörung, die Entrüstung (Zwischenrufe: Hört! Hört!), die als Echo aus den Kreisen der Arbeiter herausgekommen ist. Aber ich sage auch: ich bedaure den geschulten Kommunisten, der auf die Ausnutzung der Broschüre durch die Gegner nicht zu antworten imstande ist. Denn wenn wir das als Maßstab annehmen wollen, was die Gegner aus schriftlichen oder mündlichen Äußerungen von uns Kommunisten machen, dann dürften wir nie eine Zeile schreiben, nie den Mund auftun. denn die Gegner werden alles verdrehen und aus allen Blüten Honig saugen. Es ist meine ehrliche Überzeugung, dass ohne die Kritik Levis die Auseinandersetzung mit der Theorie und mit der Praxis der Märzaktion nicht so rasch, nicht so heftig erfolgt wäre, als es der Fall gewesen ist, und dass die Komm[unistische] Partei, dass das Proletariat der Gefahr ausgesetzt worden wäre, abermals in neue verfehlte Unternehmungen hineingeschickt zu werden. Genossinnen und Genossen, weshalb ich eine so scharfe Stellung zu diesem ganzen Komplex der Frage genommen habe, ist: ich halte und hielt die gesteigertste, die energischste Aktion des deutschen Proletariats unter den gegebenen Umständen für absolut notwendig; und nicht, dass Arbeiter gekämpft haben, nicht, dass eine falsche Losung gegeben wurde, eine falsche Führung vorhanden war, ist, was mich bekümmert, sondern die Hauptsorge ist ein anderer Umstand: dass die Komm[unistische] Partei in einer Zeit, die nach Tat schreit, jetzt unfähig, zu schwach zur notwendigen Aktion ist. (Widerspruch.) Und wenn ich von dein Kongress fordere, dass er eine eingehende, gewissenhafte Prüfung sowohl der Theorie, wie der Taktik während der Märzaktion vornimmt, so fordere ich dazu auf aus der Überzeugung, dass unsere Auseinandersetzung sein muss; ein Rüsten zu neuen, zu scharfen Kämpfen, ohne Rücksicht, ob Niederlage oder Sieg, denn auch Niederlagen können fruchtbar sein, wenn es Niederlagen der proletarischen Massen gegen einen überlegeneren Feind sind, wenn es Niederlagen sind, bei denen das Proletariat stolz sagen kann: alles verloren, nur die Ehre nicht, revolutionär gekämpft zu haben, revolutionär vorgestürmt zu sein. (Lebhafter Beifall und Applaus.) 1 Druckfehler im Protokoll |