Clara Zetkin: Die Intellektuellenfrage (7. Juli 1924, Referat auf dem V. Kongress der Kommunistischen Internationale [„Protokoll. Fünfter Kongress der Kommunistischen Internationale“, Bd. II, o. O. u. J., 5. 946-982. gekürzt in Ausgewählte Reden und Schriften, Band III, S. 9-56] CLARA ZETKIN: Genossinnen und Genossen! Leider muss ich mein Referat mit einer Bitte um Entschuldigung beginnen. Ich bin augenblicklich nicht sehr gesund und deshalb gezwungen, manches auszulassen, was ich in meinem Referat sagen müsste. Sie werden deshalb Lücken empfinden, ich hoffe aber, sie später ausfüllen zu können. Die Intellektuellenfrage blickt uns heute an aus Zehntausenden und aber Zehntausenden von hungrigen Augen. Sie schreit uns aber auch entgegen aus der Seelennot von Zehntausenden und aber Zehntausenden, die in den Nöten des Lebens, in den Nöten dieser Zeit das frühere Ideal, eine sie tragende innere Kraft verloren haben sind nicht mehr imstande sind, ihr persönliches Erleben und Leiden im Zusammenhang mit dem großen geschichtlichen Geschehen zu begreifen und aus ihm Lebensenergie zu gewinnen. Aber neben dem Elend der Intellektuellen, das sich zur Intellektuellenkrise zugespitzt hat, sehen wir eine andere Erscheinung: das verfallende Gesicht der in Todeskämpfen liegenden bürgerlichen Kultur. Die Krise der Intellektuellen ist zugleich die Krise der geistigen Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Intellektuellenkrise tritt uns heute in allen kapitalistischen Ländern entgegen, selbstverständlich in verschiedenem Umfang, mit verschiedener Wucht, ist aber dem historischen Sinn und der Entwicklungsrichtung nach überall die gleiche. Wir finden sie auch in den sozialistischen Sowjetstaaten, weil dort der Kapitalismus zwar politisch au Boden geworfen ist, aber die Umwälzung der Gesellschaft zum Kommunismus noch in den Anfängen steckt, und dies obendrein unter den größten Schwierigkeiten. Die Intellektuellenfrage enthüllt sich letzten Endes als die Krise der geistigen Arbeit und der Kultur selbst in der bürgerlichen Gesellschaft. Sie kündet uns, dass die bürgerliche Gesellschaft nicht länger Hüterin, Fortentwicklerin ihrer eigenen Kultur sein kann. Und damit hört die Intellektuellenfrage auf, nur eine Frage der Intellektuellen oder der bürgerlichen Gesellschaft zu sein. Sie wird zu einer Frage des Proletariats, denn es ist seine geschichtliche Mission, alle Kräfte der Produktion, der Kultur über die Schranken hinaus zu entwickeln, die die bürgerliche Gesellschaft ihnen setzt. Wenn das Proletariat diese Aufgabe erfüllen will, so steht es vor einer andern: Es muss sich Rechenschaft geben über das Verhältnis zwischen den Grundkräften des geschichtlichen Werdens. Davon später. Die Intellektuellenkrise und die Krise der geistigen Arbeit sind ein Symptom dafür, wie tief und unheilbar die kapitalistische Wirtschaft und der auf ihr beruhende Staat, die von ihr getragene Gesellschaft, erschüttert sind. Die Krise der geistigen Arbeit tritt nicht bloß als ein Symptom auf von dem sich nähernden Ende des Kapitalismus, sondern als ein Teil der Krise des Kapitalismus selbst. In den Sowjetstaaten ist sie der Ausdruck dessen; dass noch ein großer Abstand besteht zwischen der vom Proletariat eroberten politischen Macht und der Auswirkung dieser Macht mittels der proletarischen Diktatur in der Umwälzung der Produktion und des ideologischen Aufbaues der Gesellschaft in der Richtung zum Kommunismus. Alles in allem erweist die Krise der geistigen Arbeit und die Intellektuellenkrise, als ihre Auswirkung, dass eine sehr große Spannung besteht zwischen dem bereits weit fortgeschrittenen Prozess der Erschütterung und Auflösung der bürgerlichen Ordnung und dem Prozess der Neubildung der kommunistischen Produktion und Kultur. Die Intellektuellenkrise enthüllt, dass es nicht der soziale Gegensatz zwischen der Hand- und Kopfarbeit ist, der die wirtschaftliche Lage und die soziale Stellung der Intellektuellen bestimmt. Vielen scheint es zwar, dass gerade er für das Los der Intellektuellen entscheidend sei, die Klassenlage des Proletariats beweise das. Doch diese Annahme ist irrig. Der soziale Gegensatz zwischen Kopf- und Handarbeit, zwischen Intellektuellen und Proletariern hat seine Wurzel in dem Umstand, dass die Kopfarbeit nicht durch die Maschine ersetzt werden kann, dass der Kopfarbeiter einer längeren beruflichen Ausbildungszeit bedarf. Der geistige Arbeiter kann für die Ausbeutungsbedürfnisse des Kapitalismus nicht so rasch herangedrillt, „angelernt“ werden wie der Handarbeiter. Aber der soziale Gegensatz, der sich daraus für die Intellektuellen zum Proletariat ergibt, ist doch nur sekundärer und vorübergehender Art. Er tritt bei weitem in den Hintergrund vor dem bestimmenden Tatbestand, der in Wirklichkeit dem sozialen Gegensatz zwischen Hand- und Kopfarbeit zugrunde liegt. Es ist der Gegensatz zwischen Besitz und Mensch, zwischen, Kapital und Arbeit, sozial gefasst: der Gegensatz zwischen Reichen und Armen, zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, jener soziale Gegensatz, der seinen klassischen geschichtlichen Ausdruck gefunden hat in dem Klassengegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Das Schicksal des Geistesarbeiters wird keineswegs geprägt durch starkes Talent oder das im langsamen, mühereichen Bildungsgange angeeignete Wissen und Können, sondern letzten Endes durch den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit. Der Intellektuelle steht in der Gesellschaft der kapitalistischen Warenproduktion, er unterliegt ihren geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen. Er ist in ihr aus einem Erzeuger von Kulturwerten entweder als so genannter „freier Berufstätiger“ verwandelt worden in einen Verkäufer von „Waren“, ähnlich wie der Kleinhandwerker, oder aber er tritt als „Gehaltsempfänger“ wie der Proletarier auf den Markt, als Verkäufer seiner einzigen Ware, der Ware Arbeitskraft, um im Dienste von Kapitalisten, im Dienste ihres Staates für die bürgerliche Kultur zu frohnden. Ob der Intellektuelle Verkäufer seiner Erzeugnisse ist oder Verkäufer seiner Ware Arbeitskraft, ganz gleich ob als Kleinbürger oder als Proletarier, es herrschen über ihn die Gegensätze des kapitalistischen Marktes. Marx hat bereits im „Kommunistischen Manifest“ in glänzenden Sätzen mit aller Schärfe darauf hingewiesen, dass der Gelehrte, der Künstler heute nichts weiter ist als Händler, Warenverkäufer. Die Geistesarbeiter stehen in der Folge ihres wirtschaftlichen Verhältnisses zum Kapital nicht, wie sie sich meist einreden, in einem unüberbrückbaren sozialen Gegensatz zum Proletariat, sie sind auf der andern Seite keineswegs sozial fest und innig mit der Bourgeoisie verbunden. Das Umgekehrte trifft zu. Der Intellektuelle ist in Wirklichkeit mit dem Proletarier verbunden durch seinen Gegensatz zum Kapital; er ist unüberbrückbar getrennt von der Bourgeoisie seine Rolle als Kleinwarenverkäufer oder Verkäufer der Ware Arbeitskraft. In welcher Gestalt er auch als Verkäufer auf dem Markt erscheint, er wird der Unterliegende sein, der Großkapitalist wird über ihn triumphieren. Die Sorge um das Stück Brot macht ihn genau so unfrei wie den Proletarier der Handarbeit. Die Ausbeutung, die Knechtschaft, die er erfährt, ist nichts anderes als eine besondere Seite der Ausbeutung und Knechtschaft jeder Art Arbeit durch das Kapital. In der Folge kann die Ausbeutung und Unfreiheit der geistigen Arbeit nur vernichtet werden, wenn die Macht des Kapitals gebrochen, das Privateigentum an den Produktionsmitteln abgeschafft und durch den Gemeinbesitz daran ersetzt wird. Nur durch diese Tat der proletarischen Revolution gewinnt der Intellektuelle wie der Handarbeiter seine Freiheit. Sein höheres Interesse fordert es, dass er an der Seite des Proletariats den Kampf für die Überwindung der kapitalistischen Produktion und der bürgerlichen Klassenherrschaft führt. Im Allgemeinen ist das nicht der Fall. Im Gegenteil. Die Intellektuellen fühlen sich stark und fest verbunden mit der bürgerlichen Gesellschaft. Es erklärt sich dies aus der Entwicklung der Intellektuellen als einer besonderen sozialen Schicht, deren Typus der einseitig ausgebildete Fachmensch ist, wie er den Bedingungen der kapitalistischen Produktion mit ihrer Arbeitsteilung entspricht und der atomistischen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft mit ihrer Trennung der sozialen Funktionen. Das Aufkommen der Geistesarbeiter als sozialer Schicht ist aufs engste mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktion und der bürgerlichen Klassengesellschaft verbunden. An den Anfängen der kapitalistischen Produktion stehen die Leistungen der Wissenschaft, der Technik, der großen Seefahrer. Ohne den entdeckenden und erfindenden Gelehrten und Techniker, ohne den organisierenden, wissenschaftlich rechnenden Kaufmann, ohne den kühnen Seefahrer ist die Entwicklung der kapitalistischen Produktion undenkbar. Aber wie die Wissenschaft und Technik, wie das Organisieren und Verwalten unerlässliche Faktoren für das Aufkommen der kapitalistischen Produktion waren, so hat umgekehrt auch die kapitalistische Produktion den größten Einfluss auf die Förderung und Entwicklung der Wissenschaften ausgeübt, namentlich der Naturwissenschaften. Die Chemie kann man geradezu als eine Wissenschaft der kapitalistischen Produktion bezeichnen. Dank dieser hat sie sich aus der phantastischen Goldsucherei des Mittelalters zur umwälzenden Wissenschaft entwickelt. Ebenso verhält es sich mit der Elektrotechnik und andern technischen Disziplinen. Die Bourgeoisie konnte die Produktion nicht über die Schranken der feudalen Wissenschaft hinausheben ohne die umfangreichste und entscheidende Mitwirkung der Geistesarbeiter. Allein die Bourgeoisie bedurfte der Intellektuellen auch für ihre politischen, ihre sozialen Herrschaftszwecke. Nur mit ihrer Hilfe ist es ihr möglich geworden, auf der Grundlage der sich entwickelnden neuen Produktionsverhältnisse den ideologischen Überbau der feudalen Gesellschaft in die bürgerliche Gesellschaft umzugestalten. Die Bourgeoisie konnte als eine besitzende Klasse schon im Rahmen der feudalen Ordnung zu einer Kultur aufsteigen, die jene der alten Herrschaftsmächte übertraf und die die Intellektuellen fest mit ihr verband. Diese wurden ihre Vorkämpfer, ihre Bahnbrecher im Kampfe gegen die Gedankenwelt der feudalen Gesellschaft und ihrer privilegierten Stände: Kirche, Adel und absolutes Fürstentum. Die Intellektuellen schmiedeten und führten die geistigen Waffen zur Niederwerfung dieser verknechtenden und ausbeutenden Mächte. Ihre Wortführer griffen in ihrem Kampfe zuerst zurück auf die Bibel, auf die Wissenschaft und Kunst des Altertums; später war ihre Hauptwaffe der englische Rationalismus und vor allem die Philosophie der Enzyklopädisten. Intellektuelle standen als Bahnbrecher, als Führer an der Spitze aller Reformbewegungen und revolutionären Bewegungen, durch die die feudale Gesellschaft in die bürgerliche Ordnung umgewälzt wurde. Ebenso sind Intellektuelle Führer wichtigster sozialrevolutionärer Sekten und Bauernbewegungen gewesen. Der Kampf der Intellektuellen befreite die Wissenschaft, die Kunst, die Kultur von den Fesseln der feudalen Gesellschaft und wandelte sie um aus Dienerinnen der herrschenden Mächte jener Ordnung in Dienerinnen der Bourgeoisie, in umgestaltende Kräfte der bürgerlichen Gesellschaft. Kunst und Wissenschaft wurden „verweltlicht“. Die Tätigkeit der Intellektuellen für die Entwicklung der kapitalistischen Wirtschaft, für die Emanzipation und die Klassenherrschaft der Bourgeoisie ward um so bedeutender, je mehr die Bourgeoisie dank der kapitalistischen Produktion erstarkte, und je mehr sich ihre Herrschaftsstellung bereits im Rahmen der feudalen Gesellschaft befestigte, bis sie endlich im revolutionären Kampf zur herrschenden Klasse emporstieg. Es wuchsen damit die Aufgaben und die Wichtigkeit der Intellektuellen für die Weiterentwicklung der Wirtschaft. Es wuchsen aber auch die drängenden Kräfte nach der Umwälzung des ideologischen Überbaues, nach der Schaffung des politischen Machtapparates, dessen die Bourgeoisie bedurfte um sich als herrschende Klasse durchzusetzen und zu behaupten. Die Geistesarbeiter waren nicht nur Organisatoren und Leiter der kapitalistischen Produktionsweise, sie stellten auch der Bourgeoisie für ihren Staat und seine Organe die notwendigen Kräfte für die Gesetzgebung, für die Verwaltung: für alle Gebiete und Institutionen, in denen sich das Herrschaftsbedürfnis der Bourgeoisie über die nicht- und wenig besitzenden Klassen auswirkte, und ganz besonders über das Proletariat. Die Bourgeoisie lohnte jedoch den Intellektuellen nicht nach dem Maße ihrer geschichtlichen Bedeutung für ihre Klassenherrschaft. Sie vergaß zumal, dass die Intellektuellen es waren, die die Ideologie des bürgerlichen Liberalismus und der bürgerlichen Demokratie schufen, die solange die Arbeiter täuschte und fesselte. Die Bourgeoisie hat jederzeit die Intellektuellen lediglich nur soweit gewertet, als diese für sie unmittelbar Mehrwert erschaffen. Die Intellektuellen, die das nicht taten, die andere gesellschaftliche Funktionen ausübten, gelten letzten Endes der Bourgeoisie als „unproduktive Arbeiter“, als müßige Esser. Gerade die großen Nationalökonomen der aufstrebenden Bourgeoisie, Adam Smith und Ricardo, haben keinen Zweifel darüber gelassen, dass in den Augen der Bourgeoisie produktive Arbeit nur derjenige leistet, der lebt, um das Kapital zu vermehren, aber nicht jemand, der von den Einkünften des Kapitals lebt. Adam Smith z. B. erklärte: „Sehr angesehene Klassen der Gesellschaft leisten ebenso wenig produktive Arbeit wie die Bedienten.“ Und als solche „angesehene Klassen der Gesellschaft“, die er auf eine Stufe mit den Bedienten stellte, zählte er auf: die Landesfürsten, die Offiziere des Heeres und der Marine, den ganzen Heeresapparat, die Juristen, die Ärzte, andere Gelehrte noch, schließlich auch Opernsänger, Schauspieler, Dichter und Balletttänzerinnen. Von dem gekennzeichneten Standpunkt aus hat die Bourgeoisie auf die Geistesarbeiter herabgeblickt als auf eine minderwertige Klasse müßiger Esser. Erst als der Mehrwert, den die Bourgeoisie dem Proletariat abpresste, außerordentlich bedeutend geworden war, gestattete sie sich den Luxus, dass sie Brosamen ihres Reichtums auch den „unproduktiven“ Intellektuellen zuwarf, die nicht im Dienste der Produktion unmittelbar tätig waren. Die niedrige Wertung der Intellektuellen durch die Bourgeoisie hat ihren historischen Ausdruck darin gefunden, dass die Geistesarbeiter, die den ideologischen Überbau der bürgerlichen Gesellschaft schufen, die beherrschende Ideologie, meist hungerten und entbehrten. Sie mussten sich in den Schutz kleiner Fürsten und Fürstchen begeben; sie waren gezwungen, kärgliche, oft auch kirchliche Ämter anzunehmen, trotz ihrer Freigeisterei; sie trugen die Knechtschaft von Hauslehrern, sie mussten sich flüchten in die Salons von Aristokratinnen. Die Geschichte der Bourgeoisie und ihres Emanzipationskampfes oder richtiger ihrer Emanzipationskämpfer in England, Frankreich, Deutschland beweist das. Die Intellektuellen zogen aus dieser deutlichen Missachtung ihrer Leistungen nicht die nötigen Konsequenzen. Sie fühlten sich nicht von der Bourgeoisie geschieden, sondern als einen Teil der Bourgeoisie selbst. Sie lebten in dem Wahn, dass sie als „freie“ Berufstätige eine „freie“ Wissenschaft, eine „freie“ Kunst, eine „freie“ Kultur vertraten. Und so ist es für die meisten von ihnen geblieben. Wie erklärt sich das? Innerhalb der Intellektuellen hatte sich eine soziale Schichtung vollzogen, die weit wichtiger ist als die äußere Dreigliederung, die man gewöhnlich vornimmt: nämlich in Privatangestellte und Privatbeamte, Angestellte und Beamte im Staatsdienst, im öffentlichen Dienst, und freie Berufstätige. Die oberste Schicht der Intellektuellen war nahe heran an die Bourgeoisie gekommen oder entstammte ihr. Eine Minderzahl hatte sich durch ihre überragende Stellung im Produktionsprozess, im Staatsleben, auf verschiedenen Kulturgebieten der Gesellschaft zur Bourgeoisie emporgearbeitet oder auch „emporgestrebt“ und war in sie eingegangen, mit ihr versippt. Unterhalb dieser Privilegierten dehnte sich eine breite Schicht intellektueller Existenzen, die zwar in traditioneller kleinbürgerlicher Behäbigkeit lebte, aber auch in kleinbürgerlicher Enge, sowohl in wirtschaftlicher als auch in kultureller Beziehung. Unterhalb dieser beiden Schichten gab es eine dritte Gruppe von Geistesarbeitern, die weder Glück noch Stern hatten, die unaufhörlich an der Grenze des Lumpenproletariats hin und her wanderten und sehr häufig in diesem versanken. Denn dieses ist charakteristisch für das Los des Intellektuellen: Wenn er sich nicht in der Nachbarschaft der Bourgeoisie in leidlicher oder bevorzugter Stellung zu behaupten vermag, steigt er in den meisten Fällen nicht herab in das arbeitende Proletariat, sondern er versinkt in dem Lumpenproletariat. Immerhin hatten die Intellektuellen in der bürgerlichen Gesellschaft — gemessen an den Lebensbedingungen, an der sozialen Lage der Arbeiterklasse — eine bevorzugte Stellung. In der Folge fühlten sie sich vom Proletariat geschieden. Das Interesse der Bourgeoisie an Profit und Akkumulation, das Herrschaftsinteresse der Bourgeoisie in Staat und Gesellschaft konnte sich mit einer Vorzugsstellung der geistigen Arbeiter auf die Dauer durchaus nicht vertragen. Ihrem geschichtlichen Wesen nach musste sie danach trachten, die Vorzugsstellung der Intellektuellen zu brechen. Und sie brach sie. Sie brach sie, indem sie das Gleichgewicht zwischen dem Angebot von geistigen Arbeitern und der Nachfrage nach ihnen herstellte. Es hatte zur besseren sozialen Stellung der Intellektuellen beigetragen, dass die Entwicklung der Bildung der Kultur im allgemeinen noch lange nach der politischen Emanzipation der Bourgeoisie stark unter den Fesseln und Hemmungen litt, die sie in der feudalen Gesellschaft belastet hatten. Die Zahl der Intellektuellen, die der Bourgeoisie zur Verfügung standen für die Zwecke der Produktion und der Herrschaft, war nicht groß. Die Bourgeoisie bedurfte eines größeren Stabes von Wissenschaftlern und Technikern, die ihre Kraft an das Aufblühen der Produktion setzten; sie bedurfte einer höheren Kultur, um über alle Arten geistiger Staatssklaven zu kommandieren, die ihre Herrschaft ideologisch begründen und stützen sollten. Sie musste Geistesarbeiter im Überschuss zur Verfügung haben. Eine Periode der Gründung, des Aufblühens höherer Bildungsanstalten trat ein, auch das Volksschulwesen ward gehoben. Die Folge war eine Überproduktion an geistigen Kräften, d. h. eine relative Überproduktion. Eine Überproduktion war nur insofern vorhanden, als mehr Intellektuelle aus den Bildungsanstalten hervorgingen, als die Bourgeoisie im Interesse ihres Profits und ihrer Herrschaft brauchte. Es war nichts weniger als Überproduktion vorhanden, wenn man an das ungeheure Kulturbedürfnis der breitesten Massen dachte. Die Bourgeoisie hatte nun die erforderliche Reservearmee, um die Entlohnung der geistigen Arbeiter zu senken, um ihre Lage zu verschlechtern. Sie nützte das in vollem Maße aus. Die soziale Dreigliederung der Intellektuellen, von der ich vorhin gesprochen habe, ward schärfer ausgeprägt, die Unterschiede vertieften sich. Die Zahl der Geistesarbeiter, die an Glanz, Ruhm und Wohlleben der Bourgeoisie teilnahmen, wurde relativ kleiner und kleiner, wenngleich sie absolut wuchs. Inwieweit sich das Größenverhältnis zwischen der zweiten und dritten Gruppe verschoben hat, ist statistisch nicht festzustellen. Die Herren Reformisten, mit Bernstein an der Spitze, zogen in den Vorkriegsjahren aus der starken Zunahme der Intellektuellen in der Wirtschaft und im Staat usw. den Schluss auf die Entwicklung eines „neuen Mittelstandes“, der einen Schutzwall der Bourgeoisie gegen das Proletariat bilden werde. Nach dieser Theorie sollten zahlreiche geistige Arbeiter sozial emporsteigen. Mit allen statistischen Ziffern ist die Richtigkeit dieser Meinung nicht erwiesen worden. Nicht die Höhe oder Niedrigkeit des Gehalts oder Einkommens allein entscheidet über die soziale Lage der verschiedenen Schichten Intellektueller. Dazu kommt ein anderes: Die gewohnheitsgemäße Lebenshaltung, der Anteil an den materiellen und kulturellen Möglichkeiten, die der Intellektuelle für sein Arbeitseinkommen sich zu leisten vermag. Von diesem Standpunkt aus muss man für alle Gebiete und in den verschiedensten Ländern auf eine verschlechterte Lage der Intellektuellen schließen. Die Intellektuellenfrage entstand. Sie war für die bürgerliche Gesellschaft ein Medusenhaupt. Sie kündete, dass diese nicht mehr imstande war, den Geistesarbeitern auf Grund ihrer Berufstätigkeit eine soziale Lage zu sichern, die ihrer seitherigen „standesgemäßen“ Lebenshaltung entsprach. Die erste charakteristische Massenerscheinung trat als Beweis dafür auf, dass in der bürgerlichen Gesellschaft eine Intellektuellenfrage entstanden war. Es war der zähe, leidenschaftliche Kampf der Geistesarbeiter gegen die höhere Berufsbildung und Berufstätigkeit der Frauen. Was stand hinter den ideologischen Gemeinplätzen der Professoren, Doktoren und andern Toren, die gegen die Frauenemanzipation zu Felde zogen? In der Hauptsache nichts als die Konkurrenzfurcht. Der Kampf um Berufsbildung und Berufstätigkeit der Frauen zeigte zweierlei: Zuerst, dass die bürgerliche Gesellschaft den Intellektuellen nicht mehr ein Einkommen zu sichern vermochte, das die Aufrechterhaltung der alten „standesgemäßen“ Familienverhältnisse gestattete. Die Familie dieser Kreise konnte den Frauen nicht mehr den Lebensunterhalt gewähren, auch nicht einen ernsten, pflichtgemäßen Lebensinhalt geben. Zweitens, dass die Geistesarbeiter vor der Ansicht zurückschreckten, eine höhere Bildung und Berufstätigkeit der Frauen werde ihre eigene soziale Lage verschlechtern. Tatsachen beweisen das. Im alten Russland z. B. ist der Kampf um die höhere Berufsbildung und Berufstätigkeit der Frauen nicht ein Kampf gewesen — wie in Westeuropa — zwischen Mann und Frau, sondern ein Kampf zwischen verschiedenen Generationen, zwischen Vätern und Söhnen, zwischen der alten Ideologie der feudalen, despotischen Ordnung und jener liberalen Ideologie der emporsteigenden bürgerlichen Gesellschaft. Jetzt, wo die Intellektuellenkrise eine ungeahnte Höhe erreicht hat, ist der in den Jahren vor dem Kriege fast eingeschlafene Kampf gegen die Berufstätigkeit der Frau aufs neue mit größter Heftigkeit entbrannt nicht nur in den „besiegten“ Staaten, auch in den so genannten „Siegerländern“, so z. B. in den Vereinigten Staaten, wo der Kampf für die Gleichberechtigung der Frau seine ersten großen Siege feierte. Heute herrscht dort in bestimmten Kreisen (Lehrer usw.) eine ziemlich starke Gegenströmung gegen die Ausbreitung des Tätigkeitsfeldes der Frauen. Es wird gesagt: „Jedes Vorwärts der Frauen ist ein Rückwärts für den Mann.“ Aber noch eine andere Massenerscheinung beweist die Entwicklung einer Intellektuellenfrage in der bürgerlichen Gesellschaft. Ungefähr seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erfolgt — einer epidemischen Krankheit gleich — das Auftauchen sozialer Reformer verschiedenster Spielarten: Kathedersozialisten, Bodenreformer, Pazifisten, Ethiker, Neu-Malthusianer, Sexualreformer usw. Was ist das Kennzeichen dieser sozialreformistischen Strömungen? Der eine gemeinsame Zug ist, dass die meisten der Reformer mit einem Male die soziale Frage entdecken und unter ihr die Riesengestalt des kämpfenden Proletariats, das sich revolutionär zu bewegen beginnt. Die Stellung der Intellektuellen zwischen den Klassen, ihre Zwitterstellung zwischen den beiden großen Klassen der Gesellschaft, die sich zur Generalabrechnung zwischen Arbeit und Kapital rüsten, lässt die Reformer als Prediger der Klassenversöhnung auftreten. Sie ermahnen die Bourgeoisie und das Proletariat zum Frieden. Das ist neu und charakteristisch. Von Ausnahmen abgesehen, hofften frühere Gesellschaftsreformer meist nur auf die Einsicht und Einkehr der Besitzenden und Herrschenden. Die Reformer lehnen den Klassenkampf ab, sie lehnen erst recht die Revolution ab. Sie erwarten alles von der Vernunft, sowohl auf der Seite der ausbeutenden Bourgeoisie wie auf der Seite des ausgebeuteten und begehrlich werdenden Proletariats. Die reformerischen Strömungen, in denen sich die Intellektuellenfrage auswirkt, erhalten ihren charakteristischen Ausdruck bezeichnenderweise in Deutschland, dem Lande der „Theorie“, in dem Kathedersozialismus und seinen mannigfaltigen wissenschaftlichen und dilettantischen Abarten. In Frankreich, dem Lande der „Politik‘, wirken sie sich aus in der zunehmenden Mode, bürgerlich-radikale Parteien mit mehr oder weniger sozialen Zieraten zu schmücken. Es entstehen bürgerliche Parteien und Parteichen, die sich demokratisch-sozialistisch, radikal-sozialistisch oder irgendwie benennen, nur das Wort „sozialistisch“ muss dabei sein. Der glänzendste Vertreter dieser Strömung in Frankreich war unser Genosse Jaurès. Er hat sich von ihr ausgehend konsequent weiter bis zum Sozialismus entwickelt. Die Eierschalen der bürgerlichen Demokratie, der bürgerlichen Ideologie ist er nie ganz losgeworden. In England ist der klassische Ausdruck der reformerischen Bewegungen, die in Verbindung mit der Intellektuellenfrage sich entwickelt haben, die Fabian Society, der so genannte konstruktive Sozialismus, wie er auch innerhalb der Labour Party vertreten wird, besonders durch Intellektuelle, die ihr angehören. In allen kapitalistischen Ländern beeinflussten die intellektuellen Sozialreformer die Arbeiteraristokratie, und ihre Ideen hatten ihre radikalsten Ausläufer in dem Opportunismus und Reformismus der Arbeiterbewegung. Welches Programm auch immer die reformbegeisterten Intellektuellen entwickeln, sie sind sich einig darin, dass sie nicht die Grundlagen der bürgerlichen Ordnung antasten, dass sie nicht das Privateigentum aufheben wollen und damit auch nicht die Klassenherrschaft und die Klassengegensätze, für deren Milderung sie schwärmen. Aber die Herren bedurften einer Grundlage, um die Durchführung ihrer Reformen möglich zu machen. Es führt eine gerade Entwicklungslinie von den Sozialreformern zum Imperialismus. Über den Imperialismus hat Cecil Rhodes, der bekannte englische Imperialist, einen charakteristischen Ausspruch getan: „Den Imperialismus oder die Revolution!“ In der Tat, so standen die Dinge. Die bürgerlichen Reformer, die ihre sozialen Reformen zur Bannung der Revolution durchführen wollten, jedoch ja nicht auf Kosten des heiligen Profits, der Herrschaftsstellung der Bourgeoisie, mussten eine andere wirtschaftliche Basis für die Reformen suchen. Sie fanden sie außerhalb ihres Heimatlandes, in der Ausbeutung der kolonialen und halbkolonialen Völker, deren skrupellose, unmenschliche Ausplünderung und Knechtschaft übernormale Profite einbrachte, aus denen die Kapitalisten die Brosamen von gewerkschaftlichen Zugeständnissen und sozialen Reformen zahlten, die sie den „Volksgenossen“ im Mutterlande machten. Aber noch ein anderes Motiv war maßgebend dafür, dass die Sozialreformer zu Vorkämpfern des Imperialismus wurden. Das war die Sorge für die eigene Existenz. Innerhalb des Vaterlandes fanden viele Geistesarbeiter keine lohnende Beschäftigung, keine „standesgemäße“ Existenz mehr. Die Kolonien boten ihnen den Ausblick auf glänzende, angesehene Karriere, auf gesichertes, hohes Einkommen, auf Abenteuer und Ruhm. Kein Wunder, wie die Dinge lagen, dass der Imperialismus seine leidenschaftlichen Vorfechter gerade unter den Intellektuellen fand. Vom Nachtwächter bis zum Minister, vom Dorfschulmeister bis zum Universitätsprofessor, vom unbekannten Reporter an einer Tageszeitung bis zum gelehrten Forscher, entdeckten alle den Imperialismus und stiegen als seine Vorkämpfer „zum Volke herab“. Wie Intellektuelle früher die Schöpfer der bürgerlichen, die Schöpfer der nationalen Ideologie gewesen waren, so stellte nun ihre jüngere Generation die Schöpfer der Ideologie des Imperialismus, Klopffechter dilettantischer Rassentheorien, die alle Widersprüche und Gräuel der Kolonialpolitik rechtfertigten; Intellektuelle wurden die fanatischsten Agitatoren und Organisatoren des Imperialismus, die grausamsten praktischen Vertreter der Ausbeutung und Knechtschaft der Völker in den kapitalistischen Kolonien und Halbkolonien. Intellektuelle bewiesen, dass sie bei Ausraubung und Versklavung der kolonialen Völker zu vereinigen wussten die ganze scheußliche Brutalität der Conquistadores aus der Zeit der urwüchsigen Akkumulation des Kapitals mit dem vollen Raffinement der modernen Kultur- und Herrenmenschen. Die Intellektuellen tragen mit den Schwer- und Finanzkapitalisten zusammen in allen Ländern das Höchstmaß der Verantwortung für das Wettrüsten, für den Ausbruch und für die Dauer des Weltkrieges. Wenn es neben den Großbourgeois, neben den reformistischen Sozialverrätern Leute gibt, die von oben bis unten mit dem Blut des vierjährigen Mordens bedeckt sind, so sind es die Intellektuellen, die das „größere Vaterland“ predigten. Sie haben als Träger des imperialistischen Gedankens jene Massenbetörung, jene Massenbeschwindlung herbeigeführt, die das Wettrüsten aller so genannten Kulturnationen ermöglicht hat. Sie haben jene verhängnisvolle Massenpsychose geschaffen, unter deren Einfluss der Krieg jahrelang durchgehalten werden konnte. Es ist eine geschichtliche Nemesis, dass es kaum eine soziale Schicht gibt, die schwerer von den Folgen des Weltkrieges getroffen worden ist als gerade die Schicht der Intellektuellen. Denn keine der verschiedenen Mächte, für deren Triumph sie beteten und fluchten, blieb als Sieger des Weltkrieges zurück. Einziger Sieger war die Großbourgeoisie aller Länder, die Besiegten waren in Wahrheit und Tat sowohl in den siegreichen wie in den besiegten Staaten die Proletarier und die Kleinbürger, damit auch die Geistesarbeiter. Für ihre wirtschaftliche Lage verschlang sich nun die Expropriation des Klein- und Mittelbürgertums durch die Großbourgeoisie mit der Pauperisierung des Proletariats durch diese. Unter dem Zusammenwirken dieser Faktoren hat sich das Los der Intellektuellen erheblich verschlechtert. Ihre Lage ist zu einer Notlage im brutalsten Sinne des Wortes geworden. Ihre äußeren Kennzeichen sind: die Unsicherheit, das Schwanken, die Unregelmäßigkeit der Beschäftigung und des Einkommens; lange Zeiten völliger Erwerbslosigkeit; das Sinken des Verdienstes, wenn nicht in allen Ländern und für alle Berufe absolut, so wenigstens überall im Verhältnis zu den Kosten der Lebenshaltung; die Notwendigkeit, von einem Beruf zu einem andern überzugehen, häufig den Beruf aufzugeben, für den sich der Intellektuelle sehr lange vorbereitet hat, der Zwang zu Arbeit und zum Erwerb neben dem Hauptberuf, zur Arbeit in der Fabrik, im Handel, bis zum Bau-, im Schankgewerbe, kurz auf den verschiedensten Gebieten, nur nicht auf dem Gebiete geistiger Arbeit, die Unmöglichkeit, die Kinder „standesgemäß“ zu erziehen, ja auch nur genügend zu ernähren, das Hinabgleiten ins Proletariat. Genossen und Genossinnen! Ich muss hier davon absehen, das alles durch Ziffern und Tatsachen zu belegen. Dagegen muss ich hervorheben, dass die brennende, blutige Notlage der Intellektuellen eine internationale Erscheinung ist. Gewiss, sie hat ihre größte Zuspitzung in Deutschland erfahren, weil sich hier die Auswirkungen des Krieges auf alle an ihm beteiligten Nationen noch verschärfen durch die Folgen der Niederlage. Aber nichts ist falscher, als den schreienden Notstand der Intellektuellen einzig und allein als das Geschick der besiegten Staaten hinzustellen. Dieser Auffassung widersprechen Tatsachen. Zuerst die eine. Gerade in Deutschland setzte die Intellektuellennot bereits vor dem Kriege ein, in der Zeit höchster Blüte der kapitalistischen Wirtschaft und der stärksten politischen Machtentfaltung. Schon vor dem Kriege war es eine bekannte Tatsache, dass junge Ingenieure, Techniker, Chemiker mit ihrem Einkommen unter dem Verdienst hoch qualifizierter Arbeiter zurückblieben. Schon vor dem Kriege gab es einen großen Überschuss an Intellektuellen und Halbintellektuellen, die keine Beschäftigung fanden oder wenigstens keine regelmäßige Beschäftigung, und die hungern mussten. Aber noch eine andere Tatsache spricht gegen die nationalistische Auslegung, mit der die Faschisten und Reformisten das schwarze Elend der Geistesarbeiter zur Aufstachelung der chauvinistischen Leidenschaften auszunützen versuchen. In dem Siegerstaat Frankreich zeigen sich die gleichen Erscheinungen. Auch da sind die Einkommen der Intellektuellen erheblich gesunken, sehr, sehr häufig bis unter den Verdienst der qualifizierten Proletarier. Man weist in Deutschland als auf eine besondere Schandtat des kolonisierenden Ententekapitals hin, dass der Typus des „Werkstudenten“ entstanden ist, d. h. der Typus des Studenten, der neben seinem Studium Handarbeit verrichten muss, um leben zu können. Die Zahl der Werkstudenten betrug im Wintersemester 1922/23 an neun Hochschulen 53 Prozent, nach andern Angaben soll sie sogar 60 Prozent ausgemacht haben. Aber wie steht es in Frankreich, das die Schätze der Reparationen erhält, und wo in einigen Produktionszweigen ein verhältnismäßiger Aufschwung eingesetzt hat? Auch in Frankreich gibt es in großer und steigender Zahl „Werkstudenten“, die neben ihrem Studium dem Broterwerb nachgehen als Straßenkehrer, als Kellner, als Stalldiener im Schlachtviehhof, ja auch als Konkurrenten der Arbeiterinnen beim Wäsche nähen, in der Damenkonfektion usw. usw. Aber mehr noch. Die Intellektuellenkrise tritt auch in dem größten und reichsten aller Siegerländer auf, in den Vereinigten Staaten. Allerdings in gemilderter Form und unter andern Bedingungen wie in Europa. Die Intellektuellenkrise zeigte sich in den Vereinigten Staaten zuerst in der Zeit der großen Wirtschaftskrise nach dem Kriege und ging dann beim großen Aufschwung zurück, aber es fehlt nicht an Anzeichen, dass sie nicht völlig erloschen war, und dass sie mit der aufziehenden neuen Krise abermals sich zu verschärfen beginnt. Dabei dürfen wir die besonderen Bedingungen nicht vergessen, die in den Vereinigten Staaten für die Intellektuellenkrise von Einfluss sind. Ingenieure, Techniker usw. haben meist eine Beteiligung am Unternehmungsgewinn, können also bei Erwerbslosigkeit etwas zusetzen. Die Ausbildung für die so genannten höheren Berufe erfolgt ganz anders als in den Staaten der alten kapitalistischen Kultur. Die Bildungsanstalten sind nicht Staatsmonopol und nicht so kastenmäßig abgesperrt, der Zutritt zu ihnen ist leichter als bei uns, der Unterricht anders organisiert, so dass ein Nebeneinander von Kopf- und Handarbeit möglich ist, ebenso die zeitweilige Unterbrechung eines Studiums durch eine andere Beschäftigung. Kurz, die „höhere“ Bildung ist weniger einseitig ausgerichtet. In den Betrieben herrscht keine strenge Scheidung zwischen Hand- und Kopfarbeit. Umgekehrt: Die Intellektuellen sind meist auch geschickt, eine Handarbeit zu verrichten. Deshalb ist in den Vereinigten Staaten der Übergang der Geistesarbeit zur Handarbeit und umgekehrt von der Handarbeit zur Geistesarbeit verhältnismäßig leicht. Schließlich kommt in Betracht die Einstellung der Amerikaner zu dem Begriff Arbeit überhaupt. Für sie bedeutet Arbeit irgendetwas Gewinnbringendes, was, das ist nebensächlich. Deshalb hat es in Amerika — im Gegensatz zu der kastenmäßigen Einstellung in Europa — absolut keinen sozial herabsetzenden Beigeschmack, wenn der Intellektuelle zeitweilig zur Handarbeit übergeht, vorausgesetzt, dass er verdient, dass er zu existieren vermag. In Mittel- und Südamerika äußert sich die verschlechterte Lage der Intellektuellen in der zunehmenden Abwehr der Konkurrenz seitens einwandernder europäischer, wissenschaftlich und technisch gebildeter Berufstätiger. Die Zulassungsbedingungen für diese wurden erschwert. Die Intellektuellenkrise dürfen wir also mit Fug und Recht als eine Erscheinung bezeichnen, die allen kapitalistischen Ländern eigen ist. Am schwächsten scheint sie in England zu sein, obgleich auch dort die Zahl der „neuen Armen“ sich erheblich vermehrt hat. In England kommt auch betreffs der Intellektuellenfrage die stützende Macht zur Geltung, die die kapitalistische Wirtschaft durch die Ausbeutung der Kolonien erhält. Die Extraprofite der englischen Bourgeoisie in den Kolonialländern sind bis zu einem gewissen Grade als Zinsen usw. auch dem Mittelbürgertum zugute gekommen und haben manchen Intellektuellen über die Zeit der schwersten Krise hinweggeholfen. Trotzdem ist auch in England eine steigende Krise unter den Geistesarbeitern vorhanden, es fehlt nicht an lange Zeit Erwerbslosen und unregelmäßig Beschäftigten — namentlich in der Sphäre der Produktion, des Handels — und die Spannung zwischen Verdienst und Kosten der Lebenshaltung macht sich hart fühlbar. Leider sind die Umstände für meine Ausführungen heute so ungünstig, dass ich davon absehen muss, die Intellektuellenfrage in den Kolonialländern auch nur zu streifen. Ich hoffe, das später nachholen zu können. Genossen und Genossinnen! Die Intellektuellenkrise zeitigte eine besondere Folge: die Politisierung der Intellektuellen. Wir erleben gegenwärtig in allen kapitalistischen Ländern eine starke Politisierung des Kleinbürgertums und damit der Intellektuellen, eine Politisierung, wie wir sie bis jetzt noch nicht gekannt haben. Die Intellektuellen treten aus dem Gebiete der Sozialreform und betreten den Boden des politischen Kampfes. Sie erwarten eine Umgestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht mehr von der Vernunft, von der Einsicht der Bourgeoisie, sondern von dem Druck des politischen Kampfes, von der Eroberung der Staatsmacht und unter Umständen von der Aufrichtung der Diktatur. Der stärkste Ausdruck der Politisierung der Intellektuellen ist der Faschismus. Große Intellektuellenmassen sind nicht nur in allen Ländern die Träger des Faschismus, sondern Intellektuelle sind auch zumeist die Schöpfer seiner Ideologie. Diese ist eine Fortsetzung der imperialistischen Ideologie, verquickt und aufgeputzt mit nationalen und sozialen Zutaten. Die sozial tragende Kraft erhält der Faschismus durch die wachsende Verelendung der breitesten Massen der Kleinbürger und Intellektuellen. Sein Programm ist bunt schillernd und vielgestaltig, jedoch die Verwirklichung wird keinen der wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze lösen, die in ihm lebendig sind, denn auch er lässt die Wurzel der sozialen Widersprüche und Hebel weiter bestehen, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und damit die ausbeutende Herrschaft des Kapitalismus. Die Bourgeoisie kann jetzt das Klein- und Mittelbürgertum nicht mehr wirtschaftlich ausbeuten, kaum weiter expropriieren, als sie es schon getan hat. In Gestalt des Faschismus beutet sie diese Schichten nun politisch aus. Sie gesellt den Faschismus als illegales Machtmittel ihren legalen Machtmitteln hinzu und findet sich auch unter Umständen damit ab, dass der Faschismus seine Diktatur aufrichtet und sich selbst als legale Macht im Staate konstituiert — vorausgesetzt nur, dass die Bourgeoisie davon einen Schutz gegen das Proletariat erhoffen kann. Dieser Umstand allein schon zeigt — siehe Italien —‚ dass es keinen grundsätzlichen Unterschied gibt zwischen Faschismus und Kapitalismus. Die Intellektuellen waren die ersten ideologischen Vorkämpfer der bürgerlichen Gesellschaft, und sie schützten sie auch mit der Waffe in der Hand. Die Intellektuellen sind als Faschisten heute die letzte kämpfende Schutztruppe der Bourgeoisie, abgesehen von den Reformisten, die sich ja auch zum Teil bereits zum Faschismus entwickeln. Neben dem Faschismus hat die Politisierung der Intellektuellen noch eine andere Erscheinung gezeitigt, auch eine Massenerscheinung. Das ist der bürgerlich-demokratische Pazifismus. Dieser ist ebenso ein Ausläufer der sozialen Reformbewegung der Intellektuellen wie der Faschismus. Er stützt sich jedoch nicht auf die tragende Kraft einer ansehnlichen verelendenden Bevölkerungsschicht, sondern er wird in der Hauptsache getragen von Einzelnen und kleinen Teilen aus verschiedenen Schichten der Bevölkerung, bestimmte Kreise der Bourgeoisie inbegriffen; so von Außenseitern der großen Trusts, von den kleineren Fertigwarenfabrikanten und Industriellen, von kleineren Handelskapitalisten usw.; dann von abgehalfterten Diplomaten, deren Blick über den Kasernenhofhorizont der Generale hinausreichte, von Schriftstellern, höheren Beamten, von denen das gleiche gilt; ferner von Kreisen des Katholizismus, in denen die übernationalen Interessen dieser Ideologie zu Wort kamen, und von dem Rest jenes liberal und pazifistisch schillernden Flügels der älteren Intellektuellengeneration, den die Verbrechen des Krieges und die Unfähigkeit des Militarismus, politische Probleme zu bewältigen, über die bankrotten eigenen Illusionen trösten und ermutigen, auf internationalen Konferenzen und Harmoniekränzchen mit Erbfreunden und Erbfeinden Verbrüderungsküsse zu tauschen. Der Pazifismus ist gut bürgerlich. Er fährt fort, an die Macht der Predigt und der Vernunft zur Durchsetzung seiner Ziele zu glauben, und er lehnt die Gewalt ab, den Kampf, zumal den revolutionären Klassenkampf des Proletariats und den Kampf um die Diktatur. Seine Ideologie wird in ihrer Halbheit tagtäglich ad absurdum geführt. Ein Beispiel dafür. Die Pazifisten schwören bekanntlich auf den Völkerbund. Was aber ist der Völkerbund anders als eine Karikatur, eine Kreuzung von Pazifismus und Imperialismus, erzeugt von der pazifistischen Phrase und der imperialistischen Praxis? Und wenn wir das festhalten und auch den Grund dafür, das bürgerliche Wesen, so ist es klar, dass die pazifistisch-demokratische Welle, von deren Anschwellen manche Bürgerliche und mit ihnen die Reformisten so viel hoffen, in sich selbst, an ihrer Inkonsequenz zusammenbrechen muss. Sie wird das gleiche Ende finden wie der Pazifismus selbst. Die pazifistische und demokratische Phrase wird sich unterwerfen dem imperialistischen Diktat der Großbourgeoisie, des Finanzkapitals. Die Krise der Intellektuellen ist Symptom eines Standes der Dinge von größter geschichtlicher Bedeutung. Hinter ihr steht die Krise der geistigen Arbeit selbst in der bürgerlichen Gesellschaft. Eines ihrer markantesten äußeren Kennzeichen ist die Vernachlässigung, die Verelendung, ja Verwüstung der wissenschaftlichen Forschungsanstalten. In allen Ländern — von den Vereinigten Staaten abgesehen — ertönt der Hilfeschrei der Gelehrten: der Not der zerrütteten und verfallenden Forschungsinstitute zu steuern. Mit den verfügbaren Mitteln können ihre Unterhaltskosten nicht gedeckt werden, von weiterer Ausgestaltung und Hebung kann erst recht nicht die Rede sein. Ebenso verfallen die wissenschaftlichen Museen, die Bibliotheken, die Sammlungen und — was charakteristisch ist — auch der wissenschaftliche Verlagsbuchhandel geht zurück. Auch das alles ist eine internationale Erscheinung. die wissenschaftlichen Museen, die Bibliotheken, die Sammlungen und zwar in erster Linie der Forschungsinstitute, die den so genannten Geisteswissenschaften dienen — tritt ein anderes Moment hervor: Überbürdung und damit die vorzeitige Schwächung und Aufreibung der Forschenden, die steigende Unmöglichkeit, sich frei ohne Nebenbeschäftigung, ohne Sorgen ihren Studien zu widmen. Der Nachwuchs an Forschern geht zahlenmäßig zurück, und es erfolgt eine schlechtere Auslese, lediglich nach dem Besitz und nicht nach der Begabung und Tüchtigkeit. Der Werk-Privatdozent ist entstanden, der Professor, der Amt und Würde erheiratet hat, ist eine allbekannte Erscheinung. Auch in dieser Beziehung wird vielfach behauptet, dass die beklagte Entwicklung nur in Deutschland auftrete und eine Begleiterscheinung der Niederlage sei. Aber dem widerspricht es, dass der gleiche Notschrei über die Vernachlässigung und Verlotterung der Forschungsinstitute, namentlich der für Geisteswissenschaften, selbst aus Frankreich tönt und auch aus England. Unter dem Rückgang der Forschung leiden selbstverständlich die Universitäten, die Polytechniken, die Hochschulen jeder Art, leidet die Ausbildung der heranwachsenden Intellektuellengeneration. Was beobachtet und verzeichnet wird, sind Anzeichen für den sich vollziehenden Verfall der bürgerlichen Kultur, Anzeichen, die wie Fackeln in der Nacht die Auswirkungen des Privateigentums an den Produktionsmitteln und der darauf beruhenden Klassenherrschaft der Bourgeoisie beleuchten. Die kapitalistische Produktion war auf bestimmter gesellschaftlicher Stufe eine notwendige historische Entwicklungsform der menschlichen und dinglichen Produktivkräfte. Jetzt dagegen ist die Fortdauer der kapitalistischen Produktionsverhältnisse aus einer Förderung der Entwicklung von Technik, Wissenschaft, Kunst, der gesamten bürgerlichen Kultur, zu einer Fessel und schwersten Schädigung geworden. Das zeigt sich sogar auf dem Gebiete, für dessen Weiterentwicklung das kapitalistische Profitinteresse noch eine gewisse fördernde Rolle spielt: auf dem Gebiete der Technik. Die Hemmung der Höherentwicklung durch den Kapitalismus konnte hier schon in der Vorkriegszeit beobachtet werden, besonders im Zusammenhang mit dem Konkurrenzkampf der Riesenunternehmen und der Trusts untereinander. Es ist eine bekannte Tatsache in allen kapitalistischen Ländern Europas wie in den Vereinigten Staaten, dass die großen Trusts oft Patente und Erfindungen aufkaufen, nicht um sie zu verwenden, sondern um ihre Verwendung durch die Konkurrenz zu verhindern. Sie selbst finden es aus dem oder jenem Grund nicht Profit bringend, die Patente und Erfindungen zu nützen. Ihr Verhalten wirft helles Licht auf den unüberbrückbaren Gegensatz in der bürgerlichen Ordnung zwischen den gesellschaftlichen Interessen und den kapitalistischen Profitinteressen. Die Gesellschaft hat das größte Interesse daran, dass die Arbeitsbedingungen verbessert, erleichtert, dass die Ergiebigkeit der Produktion gesteigert werden. Sobald jedoch das kapitalistische Profitinteresse mächtiger Einzelner dagegen spricht, kann sich der Anreiz für die Entwicklung Mühe sparender, bereichernder technischer Neuerungen nicht durchsetzen. Wer kennt die Zahl genialer Entdecker und Erfinder, die verderben und sterben, ohne dass die Frucht ihres Sinnens und Schaffens das Kulturerbe der Gesellschaft bereicherte, ja auch nur bekannt wurde? Erkenntnisse, Feststellungen von großer Tragweite für Gesundheits- und Lebensschutz der Arbeitenden, für die allgemeine Hygiene werden nicht beachtet, wenn ihre Umsetzung in die Praxis sich nicht hoch verzinst und vielleicht gar Geld kostet. Menschenleben sind unter dem Kapitalismus billig! Die Wissenschaft, besonders die Naturwissenschaft, ist in Wirklichkeit zu einer Magd der Technik geworden. Der Pariser Professor Janet hat ein sehr zutreffendes, schönes Wort für die Entwicklung geprägt. In einem Brief, den er veröffentlichte, um gegen die Vernachlässigung der Wissenschaft zu protestieren, sagt er: „‚Die Fabrik erhebt sich über dem Parthenon und droht es zu erdrücken.“ Eine weitere Folge der Herrschaft des Kapitals und seiner Profitinteressen für die Wissenschaft: Die Wissenschaft spaltet sich in kleine Einzelgebiete, und weniger und weniger werden große Gebiete zusammengefasst, bearbeitet und beherrscht. Bezeichnend ist das Wort des berühmten Chemikers Berthollet, der erklärte: „Mit mir stirbt der letzte Chemiker.“ Ich weiß als Laie nicht, ob ein Nachfolger dieses Wort Lügen gestraft hat. Sicherlich! Die Ergebnisse der Einzelforschungen sind ungeheuer, sind riesig, aber auf allen Gebieten fehlt es an ihrer Zusammenfassung und Vereinheitlichung. Ein weiterer Zug verdient Erwähnung. Wissenschaften und Technik sind mit der höchsten Energie besonders auf drei Gebiete gerichtet, wo es nicht um Produktionsmittel des Lebens geht, sondern um Produktionsmittel des Todes. Es sind die Herstellung von Giftgasbomben für den Krieg, die Kriegsluftschifffahrt und der Bau von Tauchbooten, Torpedos und Torpedozerstörern. Ein außerordentlich viel sagendes Merkmal dafür, wie es mit dem so oft betonten „Selbstzweck der Wissenschaft“ in der bürgerlichen Gesellschaft steht! Doch mehr zu diesem Thema. Die Geisteswissenschaften werden erheblich hinter die Naturwissenschaften zurückgestellt. In Frankreich, dem klassischen Land der so genannten Geisteswissenschaften, der „schönen“ Wissenschaften, der Pflege der antiken Kultur, geht ein entsprechender Wandel vor sich. Dank seinem Sieg ist es auf dem Weg, sich aus einem Rentner- und Bankierstaat in einen Industriestaat zu verwandeln. Seitdem der Imperialismus zur Herrschaft gelangt ist und die Schwerindustrie einen Aufschwung nimmt, zeigt sich eine auffällig große Bevorzugung der Naturwissenschaften im Zusammenhang mit der angewandten Technik. Die Leuchten der französischen Wissenschaft, wie Aulard, Suchaire und andere, stellen mit Bedauern fest, dass die Pflege der abstrakten Wissenschaften außerordentlich zurückgeht. In Frankreich vollzieht sich in dieser Beziehung die gleiche Entwicklung wie nach dem Kriege 1870 in Deutschland. Die stiefmütterliche Behandlung der Geisteswissenschaften könnte einigermaßen in Erstaunen setzen. Bedarf doch die bürgerliche Gesellschaft der geistigen Wissenschaftler, als einer Art wissenschaftlicher Schutztruppe ihrer Ordnung und ihres Staates. Aber die Bourgeoisie fühlt sich in ihrer Klassenherrschaft bereits dermaßen erschüttert, dass sie zur Zeit weit mehr Vertrauen setzt in Gummiknüppel und Maschinengewehre als in die professoralen Leistungen. Heute ist die bürgerliche Kultur trotz staunenswerter Fortschritte im Einzelnen außerstande, die Ergebnisse von Natur- und Geisteswissenschaften in organischer Synthese zu einer Weltanschauung zu verknüpfen, die mit dem Leben verbindet und sich als soziale Energie entwickelt. Wenn die Wirtschaft über die engen Schranken der Einzelforschung hinausblickt, so starrt sie entsetzt ins Leere und findet keine andere Rettung, als sich entweder an einen müde resignierenden oder kalt lächelnden Relativismus zu klammern, oder aber auf den Flugsand des Mystizismus zu treten. Solange die Bourgeoisie eine aufsteigende, eine revolutionäre Klasse war, suchte sie den Sinn ihres geschichtlichen Daseins in einer zusammenfassenden Weltanschauung, in einer großen Philosophie. Heutzutage ist die bürgerliche Wissenschaft nicht mehr zu einer Weiterentwicklung der Philosophie fähig. Was sie bringt, ist kalte, öde Nachbeterei der Systeme der klassischen Philosophie, ist das Stück- und Flickwerk eklektischer Philosophie ohne Schwung und Größe, ist oberflächliche Salonphilosophie, Modephilosophie von feuilletonistischem Charakter für den Snob. Die Bourgeoisie hat keine einheitliche zusammenfassende Weltanschauung mehr, durch die sie sich, geschweige denn dem Proletariat, ihre Existenzberechtigung als herrschende Klasse, als Führerin zu höherer Kultur, nachweisen könnte. Die Bourgeoisie kann nicht mehr glauben, sie darf aber auch nicht mehr wissen. Dieses Wissen wäre so niederschmetternd, dass sie nicht mehr in einer Philosophie den Anblick ihres eigenen Antlitzes zu ertragen vermöchte. An Stelle der früheren Philosophie tritt für die Bourgeoisie immer mehr ein Religionsersatz in Gestalt karikierter Ideologien untergegangener oder nicht mehr lebensfähiger Kulturen. Besonders stark wirken sich der Verfall der bürgerlichen Kultur und ihre Begleiterscheinungen unter den Intellektuellen aus. Ohne kraftvollen Ansporn zum Denken, Hoffen, Handeln flüchten sie in das Dunkel der Vergangenheit, der Mystik, des Buddhismus usw., in den Dämmerzustand jener Grenzgebiete zwischen Bewussten‘ und Unbewusstem, zwischen Empfindung und Erkenntnis, Traum und Wachen, ‘Wissenschaft und Taschenspielerei, wie Theosophie, Spiritismus usw., in die Abseitigkeit von der bürgerlichen Kultur in Bauernkolonien, Inselsiedelungen von mehr oder minder sektenhaftem Charakter. Die gleiche Entwicklung beherrscht die Kunst. Sie ist nicht mehr der künstlerisch gestaltete Ausdruck eines großen Gemeinsamkeitsempfindens und Gemeinsamkeitserlebens und damit wirksames Mittel der Volkserziehung. Die Kunst ist zu einem Geschäft, zu einem kapitalistischen Unternehmen geworden, das gut Zinsen muss; was der Maler, der Zeichner schafft, es soll sich nach der Nachfrage beim Kunsthändler richten. Der Dichter, der Schriftsteller hat Rücksicht zu nehmen auf den Markt, auf die Kundschaft seines Verlegers. Und so auf allen Gebieten künstlerischen Schaffens. Afterkunst entsteht als einträgliches kapitalistisches Unternehmen. Die bürgerliche Gesellschaft zeitigt die Produzenten solcher Afterkunst. Sie reizt Unbegabte, indem sie ihnen die Vorzugsstellung Weniger vorspiegelt, und das Profitinteresse lässt vergeblich künstlerische Bildungsanstalten entstehen, die nicht nur dem Talent, sondern auch der Talentlosigkeit offen stehen. Sie drückt durch den Hunger Begabte zu Dienern der Geschmacklosigkeit und Unkultur herab. Die bürgerliche Gesellschaft schafft aber auch die Abnehmer der Afterkunst in Gestalt abgestumpfter, genießen wollender Parvenüs oben und der Unbildung breiter Massen unten. Sie bringt den kapitalistischen Ausbeuter hervor, der sowohl die Künstler, oder was sich so nennt, gründlich plündert, wie auch die Konsumenten. Die einträglichste aller Afterkünste ist in allen kapitalistischen Ländern die gezeichnete, gemalte, gemeißelte, gesprochene, gesungene Pornographie. Der kapitalistische Unternehmer beutet den Künstler genau so skrupellos aus wie der Fabrikherr den Proletarier, dem nach Kunst Begehrenden verkauft er ebenso lächelnd und skrupellos gefälschte Kunstwerte, wie der Fabrikant von Lebensmitteln kraftlosen, ja schädlichen „Ersatz“ verschachert. Wie wenig die Kunst mit dem Leben verbunden und Gemeinschaftsempfinden ist, dafür ein Beispiel. Der Krieg war ein ungeheuerliches Erlebnis, für die meisten das ungeheuerlichste Erlebnis. Und dieses ungeheuerliche Erlebnis hat auf keinem Gebiete der Kunst, in keinem Lande ein Kunstwerk von monumentaler Größe entstehen lassen. Gewiss! „Le Feu“ von Barbusse ist erschütternd, „La Nuit“ von Martinet ebenfalls. Allein beide sind nicht Kunstwerke, in denen der ganze furchtbare geschichtliche Sinn und Widersinn des imperialistischen Völkermordens lebt und atmet. Es gibt nur ein einziges Dokument von wirklich weltgeschichtlicher Größe, das aber nicht auf dem Gebiete der Kunst und der Wissenschaft, sondern auf dem Gebiete der Politik. Es ist die proletarische russische Revolution. Sie ist das Werk stärksten Gemeinsamempfindens von Millionen, getragen von dem Willen dieser Millionen nach Freiheit und Kultur, erfüllt von ihrem Glauben an die kommunistische Idee und deshalb aus dieser traurigen Gegenwart hinüber weisend in eine lichte Zukunft. Wie die Bourgeoisie keine leitende, zukunftsfrohe Ideologie mehr hat, so kann auch die Kunst der bürgerlichen Gesellschaft keinen Inhalt haben, der quellende Lebenskraft ausdrückt und hervorleitet. Die Künstler suchen den mangelnden großen Inhalt zu ersetzen, indem sie nach neuen Formen, neuen Stilen fieberhaft suchen. Aber Formen, die die Kunst mit den breitesten Massen, mit dem werktätigen Volk in seiner Gesamtheit verbinden, solche Formen lassen sich nicht ertüfteln. Neue, überzeugend wirkende Kunstformen werden aus neuen Ideen geboren. Die Auflösung aller Formen der bürgerlichen Kunst ist die Folge des Suchens sind Tastens nach neuen Formen und Stilen. Sie spiegelt die Auflösung der bürgerlichen Ideologie und Kultur wider. Form und Stil wechseln wie die Moden der Saison, nichts befriedigt, das Kunstwerk bleibt aus. Es fehlt der Inhalt, der zum Kunsterlebnis macht. Die Künstler empfinden, dass die breitesten Massen dem Kunsterlebnis der abgelaufenen Periode ablehnend gegenüberstehen. Sie streben danach, die Kunst wieder mit dem Leben organisch zu verbinden. Im Futurismus, Expressionismus usw. greifen sie zu diesem Ziel zurück auf Formen der Vergangenheit. Sie vergessen dabei, dass die Formen, die sie dort entnehmen, Symbole waren, Ausdrucksmittel einer alten magischen Ideologie, die Gemeinschaften miteinander verbanden und von allen verstanden wurden. In diesem individualistischen Zeitalter bleiben dagegen solche Formen unverstanden und scheiden zwangsläufig die Kunst noch mehr von den Kunstgenießenden. Sie werden empfunden als Spielereien, als individualistische Launen oder auch als Nichtkönnen. Besonders charakteristisch für den heutigen Stand der bürgerlichen Kultur ist der Verfall auf einem Gebiete, das die Ergebnisse von Wissenschaft, Technik und Kunst, kurz, der gesamten Kultur verbinden und an dem lebendigen Menschen wirksam machen sollte. Es ist das Gebiet der Erziehung. Die Pädagogik als Wissenschaft hat die größten Fortschritte gemacht. Sie stützt sich auf grundlegende Erkenntnisse der Geistes- und Naturwissenschaften, sie ist sich klar darüber, wie stark sie durch die Kunst gefördert werden kann, Menschen zu bilden. Die bürgerliche Ordnung verhält sich feindlich zur Verwirklichung entscheidender pädagogischer Fortschritte. Die Erziehung steht in ihr im Zeichen des Klassengegensatzes zwischen Proletariat und Bourgeoisie. Ihr Ziel ist nicht, Menschen zu bilden, sondern Angehörige verschiedener Klassen zu drillen. Volksbildung ist gleichbedeutend mit Armeleutebildung. Die Schule ist Dressuranstalt, nicht Erziehungsmittel. Der Schulbetrieb, die Bildung und Besoldung der Lehrer, die Lehr- und Lernmittel; alles trägt den Stempel des Klassengegensatzes. Und das rächt sich über die Gegenwart hinaus auf das härteste in der Zukunft. Die Erziehung ist nicht Naturentfaltung, sondern Naturvergewaltigung. Die größten geistigen Schätze in der Jugend bleiben ungehoben, unberechenbarer kultureller Reichtum wird vernichtet. Die Gebrechen und Verbrechen auf dem Gebiete der Erziehung setzen sich fort, verlängern sich in der so genannten Volksbildung, mag sie vorn bürgerlichen Staat organisiert und unterhalten werden oder das Werk „Wohlmeinender“ sein, die da wähnen, mit Brocken bürgerlicher Bildung den Abgrund des Klassengegensatzes auszufüllen und die Arbeiter von dem großen Schlachtfelde des revolutionären Klassenkampfes hinüberzulocken in ein bescheidenes Gärtlein bürgerlicher Pastoren- und Oberlehrerkultur. Die absteigende Entwicklungslinie der Volksbildung endet im Sumpfe der kapitalistischen Pressekorruption. Sie ist eines der abstoßendsten Merkmale der Zersetzung der bürgerlichen Kultur. Genossen und Genossinnen! Die bürgerliche Gesellschaft hat ihre Existenzberechtigung verloren. Das ist der historische Sinn der unvollständig umrissenen Zustände. Indem die kapitalistische Ordnung die leibliche Existenz von Zehntausenden geistiger Arbeiter verneint, verneint sie auch ihre Aufgabe als Förderin des kulturellen Lebens, als Trägerin und Schützerin des sozialen Fortschritts. Mit diesem Stand der Dinge fällt die große Lebenslüge der bürgerlichen Gesellschaft wie auch der Intellektuellen, nämlich die Behauptung, dass Wissenschaft und Kunst, dass die gesamte Kultur „Selbstzweck“ sei, d. h. sozialer Zweck. Die bürgerliche Gesellschaft braucht diese Lebenslüge, um sich hinwegzutäuschen über ihre eigene hässliche Wirklichkeit, jene Wirklichkeit, die vom Profitinteresse als treibende Kraft geschaffen wird. Aber auch die Intellektuellen bedürfen dieser Lüge, um sich hinwegzuträumen über die schreienden Widersprüche in ihrer Existenz, nicht etwa bloß über den Gegensatz zwischen ihrem Wollen, Wissen und Können und der Jämmerlichkeit, der Gebundenheit ihrer Lage; nein, nicht minder über den ungeheuren Widerspruch zwischen ihrem Ideal von Bildung und Berufstätigkeit — und dem Zweck, dem Ergebnis ihres Schaffens, gemessen an den sozialen Möglichkeiten und Notwendigkeiten. Man sollte meinen, dass die Geistesarbeiter aus dieser Tatsache die Erkenntnis und die Kraft ziehen müssten, in der leidenschaftlichsten Weise die bürgerliche Gesellschaft zu bekämpfen, damit mit der Erlösung der geistigen Arbeit, jeder Art Arbeit aus den Ketten des Kapitalismus auch ihre persönliche Befreiung von leiblicher und seelischer Qual erfolgen könne. Wir sehen das Gegenteil davon. Die Intellektuellen sträuben sich gegen die Erkenntnis, die der Anfang zu ihrer Emanzipation ist. Sie weisen sie schroff ab und verschließen sich gegen die richtige Wertung der revolutionären Aufgabe des Proletariats, als dessen Bundesgenossen sie kämpfen müssen. Ihre Einstellung zum Proletariat ist zwiespältig wie ihre soziale Stellung. Die oberste Gruppe der Intellektuellen schaut in der Pose von Herrenmenschen auf die leidenden, ausgebeuteten Proletarier als auf Herdentiere herab. Sie hasst den meuternden Proletarier als einen Feind, einen „Barbaren“, dessen „rohe Faust“ Wissenschaft und Kunst zu vernichten droht. Die breite Schicht der Geistesarbeiter, die noch in mittel- oder kleinbürgerlichen Verhältnissen lebte und nun hinabgeschleudert worden ist in die Tiefe einer proletarischen Existenz, beginnt den Zusammenhang zwischen ihrer Knechtschaft und der Macht des Besitzenden zu ahnen, die Erkenntnisse der Unvereinbarkeit ihrer Interessen mit denen der ausbeutenden und herrschenden Großbourgeoisie dämmert ihnen auf. Aber nur widerwillig und zögernd ringen sie sich zu dieser Erkenntnis durch. Viel zu viele von ihnen träumen noch den Wahn fort, dass sie eine besondere, bevorzugte Kaste seien, die nichts mit dem Proletariat gemein habe. Innerlich noch uneins, zerrissen, werden mehr und mehr Intellektuelle der Mittelschicht ins Lager der Revolution getrieben. Sicherlich werden sie mehr als einmal aus den Reihen der Kämpfenden wieder flüchten, dennoch dürfen wir sie als Bundesgenossen nicht verschmähen und zurückstoßen. Auch das Verhältnis des Proletariats zu den Intellektuellen ist nicht einheitlich. Der Proletarier hasst den Intellektuellen als Kommandierenden, Antreiber und Aufpasser in dem Betrieb, er hasst ihn als Gendarmen, Schergen und Richter im Staat. Er bewundert ihn auf der andern Seite wegen seiner geistigen Überlegenheit, meines Wissens, seiner Redegewandtheit, seiner „feinen“ Manieren. Gleichzeitig verachtet vielfach der Proletarier den Intellektuellen als einen Mann, der dank seinem Wissen und Können den Kapitalisten erfolgreich bekämpfen könnte, aber aus Feigheit und Dünkel auf den Kampf verzichtet. Die Kommunistische Internationale steht den leidenden Intellektuellen gegenüber als „der große Volkstribun“, der die Interessen aller ausgebeuteten, unterdrückten Schichten gegen die Großbourgeoisie mit aller Kraft und Treue vertritt. Sie erkennt des Weiteren die Bedeutung, die die Intellektuellen als Bundesgenossen des Proletariats im Kampfe um die Macht haben können, eine Bedeutung, die wir freilich nicht überschätzen dürfen. Die Psychologie, die Klassenstellung der Intellektuellen sagen uns, dass diese in ihrer Gesamtheit nicht Vorkämpfer, nicht Elitetruppen der Revolution sein werden, wie sie es für das Bürgertum gewesen sind. Sie werden nie die revolutionäre Vorhut der werktätigen Massen bilden. Aber trotzdem dürfen wir ihre Bundesgenossenschaft nicht unterschätzen. Sie können uns von Nutzen sein nicht nur wegen ihrer Zahl, vielmehr wegen ihres großen Einflusses auf andere breite, nichtproletarische Schichten, vor allem auf die bäuerliche Bevölkerung, das städtische Kleinbürgertum usw. Sie können für revolutionäre Kämpfe von Bedeutung sein auf Grund der Funktionen, die sie in der Produktion und im Staate erfüllen. Größere Massen von Intellektuellen einbezogen als unsere Bundesgenossen in den Kampf um die Macht — und gegenrevolutionäre Organisationen, wie die Technische Nothilfe usw., sind unmöglich. Größere Massen von Intellektuellen, erfüllt mit der Erkenntnis, dass im Kampf zur Niederzwingung der Bourgeoisie, dass mit der Eroberung der politischen Macht, der Aufrichtung der proletarischen Diktatur auch ihre Stunde schlägt — und alle staatlichen Machtapparate gegen das Proletariat sind in ihrem Funktionieren behindert. Die Intellektuellen können für die Zersetzung des kapitalistischen Staates von außerordentlicher Bedeutung werden. Genossen und Genossinnen, als Kommunisten müssen wir über die Gegenwart hinausblicken, Wir müssen in dem Bundesgenossen von heute für die Eroberung der Macht schon würdigen und heranzuziehen suchen den Bundesgenossen, den wir nach der Eroberung der Macht in dem Intellektuellen haben können. Nach der Eroberung der Macht ist es für die Fortführung und Weiterentwicklung der Produktion von höchster Bedeutung, dass wissenschaftlich und technisch durchgebildete Kräfte in genügender Zahl vorhanden sind. Das hat uns die russische Revolution gelehrt. Aber es kommt dabei noch ein Anderes, Wichtigeres in Betracht. Die Wirtschaft soll nach der Machteroberung nicht bloß weitergeführt, sie soll in der Richtung zum Kommunismus umgewälzt werden. Diese Umwälzung wird um so schwieriger sein, je größere Reste des Kapitalismus noch unter der proletarischen Diktatur fortbestehen. Die Wirtschaft kann nur in der Richtung zum Kommunismus umgewandelt werden, wenn jene, die umwälzen, von dem kommunistischen Geist erfüllt sind. Die fortgeführte Wirtschaft erhält ein anderes Ziel und einen andern Inhalt, wenn sie nicht mehr auf den kapitalistischen Profit eingestellt, sondern zur kommunistischen Bedarfswirtschaft wird. In diesem Augenblick zeigt sich, wie bedeutsam, entscheidend die kommunistischen Ideen sind. Denn nur auf der Grundlage der kommunistischen Weltanschauung kann auch die richtige Einstellung für die Umwälzung der Wirtschaft erfolgen. Trotz der Konzessionen, die vielleicht dem noch bestehenden Kapitalismus gemacht werden müssen, kommt doch alles darauf an, die Richtung auf das große Ziel des Kommunismus festzuhalten. Die Wichtigkeit, die für das revolutionäre Proletariat in der Übergangszeit der helfende, mit aufbauende, mit umwälzende Intellektuelle haben kann, wird groß sein für solche Länder, die unter einem relativen Mangel an Naturreichtum leiden, wie z. B. in Deutschland, oder auch für Agrar- und Bauernstaaten, die von umliegenden kapitalistischen Ländern blockiert und isoliert werden. Aber, Genossen und Genossinnen, die uns beschäftigende Frage hat weiterreichende Bedeutung. Der Kommunismus will nicht nur eine neue Produktion schaffen, er will auf der Grundlage der neuen Produktion einen neuen ideologischen Überbau aufrichten. Indem er die Verhältnisse zwischen den Menschen in der Produktion revolutioniert, muss er diese Verhältnisse auch im gesamten sozialen Überbau grundlegend verändern. Das bedeutet, dass alle Empfindungen, Beziehungen von Mensch zu Mensch umgewälzt, dass in dem ganzen ideologischen Überbau der Geist des Kommunismus zum Ausdruck kommen soll. Und diese Aufgabe wirft jene Frage auf, von der ich eingangs sprach: die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Grundkräften des geschichtlichen Werdens, von den Wechselbeziehungen zwischen ideologischem Überbau und den Produktionsverhältnissen. Der ideologische Überbau kann nur im Sinne des Kommunismus, kann nur als kommunistischer Überbau errichtet werden, wenn er von einer klaren, zielbewussten, neuen Weltanschauung gestaltet wird. Es ist eine durchaus unmarxistische Auffassung, wenn man annimmt, auf der Grundlage einer Produktion, die vom Kapitalismus zum Kommunismus umgewälzt wird, werde automatisch von selbst eine neue Weltanschauung erwachsen und ein ihr entsprechender kommunistischer, ideologischer Überbau entstehen. Es besteht eine Wechselwirkung. Die Entwicklung zum Kommunismus im ideologischen Überbau der Gesellschaft und der gesamten neuen kommunistischen Kultur vollzieht sich nicht in einem automatischen Nacheinander von Produktion und Ideologie, sondern vielmehr in einem lebendigen Nebeneinander, in stetiger, lebendiger Wechselwirkung zwischen Produktion und Ideenwelt. Das im Zeichen des Marxismus kämpfende Proletariat hat sich diese Erkenntnis bereits zur Richtschnur seines Handelns gemacht auf dem Boden der Staatsgewalt und des Rechts, soweit auf diesem Boden die Produktion ihren Ausdruck und ihren Stützpunkt findet. Für die Staatsgewalt und das Recht ist der reifste Ausdruck der Theorie und Praxis, den wir bis jetzt haben, in Weiterentwicklung von Marx-Engelssehen Gedankengängen: Lenins Staatstheorie und die Sowjetordnung. Aber obgleich der historische Materialismus von Marx und Engels uns die Grundlage gegeben hat, den Kampf für die neue Weltanschauung auch auf die andern Gebiete zu übertragen, ist das bis jetzt noch nicht geschehen. Und doch ist es eine Notwendigkeit. Gewiss, niemand von uns wird bestreiten, dass die Auflösung der bürgerlichen Ideologie der Ausdruck ist der sich vollziehenden Auflösung der kapitalistischen Produktion. Niemand von uns wird auch bestreiten, dass die neue Ideenwelt nur auf dem Boden einer revolutionierten Produktion erwächst. Aber die Auflösung und Ablösung der bürgerlichen Ideologie durch die kommunistische Weltanschauung kann nur auf dem Niveau der bürgerlichen Ideologie selbst geschehen. Und die neue, revolutionäre Weltanschauung als tragende, wirkende und gestaltende Kraft im ideologischen Überbau kann sich auch nur entwickeln, nur zur herrschenden werden, die bürgerliche Ideologie ablösen ml steten Kampf mit ihr. Deshalb die große Bedeutung, die wir der Entwicklung und Auswirkung der revolutionären Ideologie nach der Machteroberung beilegen müssen. Die III. Internationale hat hier eine Aufgabe zu lösen, die die II. Internationale auf das schmählichste vernachlässigt hat. Die II. Internationale hat auf eine Auseinandersetzung großen Stils mit der bürgerlichen Ideologie verzichtet. Sie hat große Gebiete des Kulturlebens als neutral erklärt. Sie hat vor allen Dingen verzichtet auf eine Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie auf religiösem Gebiete, sie hat die Religion als Privatsache erklärt. Und was waren die Auswirkungen, dass sie dem Kampf um die volle Weltanschauung aus dem Wege ging? Die II. Internationale verließ sich fatalistisch darauf, dass mit der Niederzwingung der kapitalistischen Produktion, dass mit der Aufrichtung einer kommunistischen Produktion auch automatisch, fatalistisch entstehen werde ein kommunistischer ideologischer Überbau und eine reife kommunistische Ideologie. Sie erwartete, dass eine neue Kultur und Ideologie eines Tages dem Proletariat als reife Frucht von selbst in den Schoß fallen werde. Sie verzichtete darauf, das geschichtliche Werden zu beschleunigen durch die Entwicklung der Ideologie; sie verzichtete darauf, die Menschen zu reifen, die die Frucht pflücken sollten. Das hat sich verhängnisvoll ausgewirkt. Indem die bürgerliche Ideologie offen und in tausend kleinen Schlupfwinkeln versteckt in den eigenen Reihen der II. Internationale herrschend geblieben ist, hat sie dem größten Teil der sozialdemokratischen Parteigänger die innere, die ideologische Kraft und Erkenntnis genommen, die revolutionärer Wille, revolutionäre Tatkraft werden konnte, ja werden musste. Sie hat sich weiter der werbenden Kraft auf solche Schichten der Intellektuellen beraubt, die durch ihre beruflichen oder geistigen Interessen in schärfsten Widerspruch zu der bürgerlichen Ideologie geraten sind. Sie hat verhindert, dass der Sozialismus als Weltanschauung, als Gesellschaftsanschauung eine gestaltende Macht in dem Leben der Einzelnen und dem Leben großer Massen geworden ist, also soziale Energie, die die „Welt verändert“. Der Zusammenbruch der II. Internationale hei Kriegsausbruch war die offene Kapitulation der sozialistischen Ideologie vor der bürgerlichen Ideologie. Die Geschichte des Reformismus seither ist nur eine Bestätigung, dass die II. Internationale vollständig darauf verzichtet hat, die bürgerliche Ideologie zu überwinden und abzulösen durch die Ideologie des revolutionären Proletariats. Genossen und Genossinnen! Hier muss die zielbewusste, klare Bestätigung der Kommunistischen Internationale einsetzen. Sie darf der Krise des geistigen Lebens, der bürgerlichen Kultur nicht ruhig zusehen, die Hände in den Schoß gelegt. Sie muss dieser Krise statt eines negativen einen positiven Inhalt geben. An die Stelle des anarchischen, blind um sich greifenden Auflösungs- und Verwesungsprozesses der bürgerlichen Kultur muss treten der bewusste energische Kampf für die Ideologie des revolutionären Proletariats. Diese vor uns stehende Aufgabe wirft helles Licht auf die Bedeutung der Intellektuellen als Bundesgenossen. Bei der Überwindung und Ablösung der bürgerlichen Ideologie durch die kommunistische Ideenwelt werden die Intellektuellen sehr wertvolle Dienste leisten können. Diese Erkenntnis veranlasst uns, um sie zu werben, als Bundesgenossen zum Kampf für die proletarische Revolution. Wollen wir das tun, so gilt es den schärfsten, unerbittlichen Kampf aufzunehmen gegen ihre bürgerliche Ideologie. Erste und wichtigste Bedingung, Grundlage unserer Propaganda unter den Geistesarbeitern muss sein, dass wir ihnen den grundsätzlichen Kommunismus übermitteln, den Kommunismus als einheitliche Weltanschauung, ohne die geringsten Zugeständnisse an irgendwelche bürgerlichen Ideologien. Wir müssen ihnen den Kommunismus zeigen, sowohl als revolutionäre Kampfesideologie des Proletariats in seiner Rauheit, Schärfe und unerbittlichen Zielfestigkeit, wie auch als schöpferische Aufbauideologie. Wir müssen ihnen klarmachen, dass der Kommunismus Zerstörer sein muss, um schöpferischer Erbauer werden zu können. Wir müssen ihnen zum Bewusstsein bringen, dass nur der Kommunismus und er allein die Interessen der Intellektuellen und der geistigen Kultur vertritt, indem er das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufhebt und die Klassenherrschaft der Bourgeoisie bricht. Wir müssen aber auch Verständnis bekunden für die Nöte der Intellektuellen und als treue Vertreter ihrer Forderungen uns bewähren, die in der Richtung der geschichtlichen Entwicklung liegen. Wir dürfen dabei keine Zweifel darüber lassen, dass der Interessengegensatz zwischen der Großbourgeoisie und den Geistesarbeitern nicht einmal gründliche Reformen erlaubt, die das schwärzeste Gegenwartselend lindern würden, geschweige denn, dass unter dem Kapitalismus die Krise der geistigen Arbeit zu lösen wäre. Mit aller Bestimmtheit haben wir Kommunisten jedoch jede‘ kastenmäßige zünftlerische Politik zugunsten der Intellektuellen abzulehnen (Ausschluss der Frauen usw.). Eine solche Politik würde im schärfsten Widerspruch zum Geiste des Kommunismus stehen, dessen Ziel die Aufhebung, Vernichtung aller Kasten und Klassen ist. Wir müssen bei unserer Werbetätigkeit unter den Intellektuellen alle sozialen Gegensätze ausnützen, die zwischen ihnen bestehen, müssen anknüpfen an ihre nationale Einstellung, müssen diese Einstellung vertiefen und klären durch den Nachweis, dass heute das revolutionäre Proletariat die einzige Klasse ist, die, in fester Solidarität über die ganze Welt verbunden, wirklich nationale Politik treiben kann. Wir müssen den Intellektuellen die Zusammenhänge darlegen, kraft deren die nationale Frage nur gelöst werden kann als Teil des internationalen revolutionären Klassenkampfes, nur dadurch, dass das Proletariat sich als Nation konstituiert, indem es die Macht erobert und seine Diktatur aufrichtet. Die Einstellung der kommunistischen Parteien zu den Intellektuellen als Schicht ist auf der Grundlage dieser Auffassung gegeben. Die Kommunisten müssen ihre Werbearbeit unter den geistigen Arbeitern darauf beschränken, Mitkämpfer für die großen politischen Aktionen zu gewinnen, unter Umständen auch Bundesgenossen für einen Aktionsblock. Mit aller Entschiedenheit ist eine Überschwemmung der kommunistischen Parteien mit Intellektuellen zurückzuweisen Sie ist übrigens auch kaum zu befürchten. Ein starkes Einströmen von Intellektuellen in die kommunistischen Parteien würde deren Charakter vollständig fälschen, Tendenzen zur Verbürgerlichung, zum Opportunismus begünstigen und stärken. Soll das etwa heißen, dass die Parteien sich kastenmäßig gegen die Intellektuellen absperren? Keineswegs! In die kommunistischen Parteien sollen jedoch nur solche Intellektuelle Aufnahme finden, die sich wirklich bewährt haben. Wir müssen von ihnen überzeugt sein, dass sie in ihrem Geiste bereits die Schranken niedergerissen haben, die sie heute noch vom Proletariat trennen. Das hat zur Voraussetzung, dass sie das Proletariat nicht nur in seiner Märtyrerlage sehen und mit ihm fühlen, sondern auch mit geschichtlichem Blick als Helden, als revolutionären Kämpfer, als Bezwinger der alten Welt und Erbauer der neuen Welt. Ist das der Fall, so können wir sicher sein, dass die Intellektuellen alle Kämpfe des Proletariats teilen und mit unerschütterlicher Treue auch alle seine unvermeidlichen Niederlagen tragen werden. Für die Intellektuellen, die zu den kommunistischen Parteien kommen, keine Politik des Weihrauchs, blinder, kritikloser Bewunderung, aber auch nicht die Politik der schwieligen Faust. Was von unserm Verhalten vor der Machtergreifung gilt, das gilt erst recht für die Zeit nach der Machteroberung. Während des Kampfes um die Macht wird das Proletariat wieder und wieder erfahren, welch schwankende, unsichere Bundesgenossen die Intellektuellen im Allgemeinen sind. Oft genug werden sie zurück ins gegenrevolutionäre Lager überlaufen, bis der Sieg des Proletariats entschieden und entscheidend ist. Nach der Eroberung der Macht werden sich viele „Realkommunisten“ und „Idealdemokraten“ unter ihnen finden, die sich auf den bekannten „Boden der Tatsachen“ stellen. Wie lange die Treue dieser Gesellen aushält, ist eine andere Frage. Wir müssen damit rechnen und dürfen nicht enttäuscht sein, wenn bei jedem Augenblick auf den möglichen Sturz der proletarischen Klassenherrschaft Intellektuelle aus dem Lager der Revolution desertieren. Die harte Übergangszeit wird die Mehrzahl der Intellektuellen kaum als Helden der Idee zeigen, vielmehr als „Realpolitiker‘ kleinlichster, lächerlicher Art. Aber, Genossen, wir dürfen über dem allen nicht vergessen, was das revolutionäre Proletariat einzelnen Intellektuellen verdankt, und dass sich im Ablauf der Revolution ein Stamm von Intellektuellen herausbilden wird, der erkenntnisklar und überzeugungstreu zum Kommunismus steht. Diese Intellektuellen werden dem Proletariat wertvolle Dienste leisten. Nicht nur, dass sie mit ihm kämpfen und aufbauen, ohne Rücksicht auf Gefahren und Opfer. Ihre Haltung, ihr Tun wird beispielgebend und richtungweisend für größere Scharen von Intellektuellen wirken. Das aber kann geschehen — wie auch schon in der Zeit vor der Machteroberung — ohne dass die Geistesarbeiter in großer Zahl Mitglieder der kommunistischen Parteien sind. Intellektuelle, die dem Proletariat, die dem geschichtlichen Werden dienen wollen, können sich in Organisationen Sympathisierender zusammenschließen, um sich sozial zu betätigen (IAH, IRH, Freunde des neuen Russland, Informationsstelle für russische Wissenschaft und Kunst, Verband proletarischer Schriftsteller usw.). Wir haben wenige geschichtliche Beispiele dafür, wie sich die Beziehungen zwischen dem revolutionären Proletariat und den Geistesarbeitern nach der Machteroberung gestalten. In der Münchener Räterepublik haben sich anfangs viele Intellektuelle, Verwirrung stiftend, lärmend hervorgetan. Nach der blutigen Niederschmetterung sind jedoch die meisten von ihnen davongelaufen oder sogar zum Feinde übergegangen. Wir wollen darüber nicht vergessen, dass es auch führende Intellektuelle gab, die die größten Opfer brachten, die heute noch im Kerker schmachten, im Exil leben oder im Kampfe fielen. Für die Münchener Räterepublik kämpften und starben der traumselige Sozialrevolutionär Landauer, der zielklare Kommunist Leviné, beides Intellektuelle. Die ungarische Räterepublik hat während ihres 131-tägigen Bestandes die ganze Verlotterung und Unzuverlässigkeit der Intellektuellen als Bundesgenossen erfahren. Sie fand eine sehr schwere Intellektuellenkrise vor. Hauptursache war, dass durch das Ententediktat Ungarn auf seine ‚natürlichen, nationalen Grenzen“ zurück geschnitten worden war, dass große Teile der Monarchie abgetrennt wurden. In dem Ungarn der Habsburgischen Dynastie hatte die Gentry (Landadel) den Staat als ein Ausbeutungsobjekt für seine mehr oder weniger „studierten“ Söhne betrachtet. Die Zahl der beamteten adligen Intellektuellen war ungeheuer groß. Diese Herren wollten nun von einem weit kleineren Staatswesen ebenso „standesgemäß“ erhalten werden wie früher. Dazu kamen Gegensätze zwischen den adligen und den bürgerlichen Intellektuellen, die mit dem Aufkommen des Kapitalismus in Ungarn sich herausgebildet hatten. Sie litten schwer unter der sich täglich verschärfenden Wirtschaftskrise jener Zeit. Die ungarischen Intellektuellen beschworen zuerst mit allen zehn Fingern, dass sie mit der größten Energie für die Wiedereinsetzung der Habsburger kämpfen würden. Sie liefen nach der bürgerlichen Revolution schnellstens zur Republik Karolyi über und schließlich nach der Aufrichtung der Räterepublik auch zu dieser. Ganz besonders war der nationale Gedanke ausschlaggebend dafür, dass die Intellektuellen sich ihr anschlossen. Sie hofften von ihr die Wiederherstellung des früheren Ungarn. Es ist sehr charakteristisch, dass bei jedem Anzeichen für den Bestand der Räterepublik sich die Zahl der zu ihr stoßenden Intellektuellen vergrößerte, sogar aus den Kreisen der Offiziere. Nach dem Zusammenbruch der Räterepublik betätigten sich alle Spielarten der Intellektuellen als ihre niederträchtigsten, grausamsten Ankläger, Richter und Schergen, die schlimmsten und rücksichtslosesten Hetzer gegen das revolutionäre Proletariat. Aus ihren Reihen sind die „Erwachenden Ungarn“ hervorgegangen. Aber Intellektuelle haben auch als Führer der ungarischen Räterepublik den ausgebeuteten und geknechteten Arbeiter- und Bauernmassen das Banner voran getragen. Sie haben für die Räterepublik gekämpft, gehungert, geblutet. Sie sind für sie gestorben, scheußlich gemordet und gemeuchelt worden. Andere sitzen noch heute im Kerker oder im Exil. Intellektuelle Führer der ungarischen Sowjetrepublik sind beste, treueste Vorkämpfer der proletarischen Weltrevolution und der KI. Weit bedeutsamer und lehrreicher für das Verhalten der Intellektuellen zum Proletariat ist natürlich die Zeit der proletarischen Diktatur im Bund der sozialistischen Räterepubliken geworden. In Sowjetrussland wurde durch die Diktatur der erste entscheidende Hieb in den gordischen Knoten der Intellektuellenfrage getan. Die Sowjetordnung wurde geschaffen, das Gemeinschaftseigentum an den Produktionsmitteln erklärt. Damit wurde wie für alle Arbeitenden so auch für die Intellektuellen die politische Herrschaft des Besitzes, des Kapitals gebrochen und im Prinzip ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit und Freiheit von ihm festgelegt. Gefallen sind die Ketten, die die Geistesarbeiter und die geistige Arbeit selbst in der bürgerlichen Ordnung fesselten. Jedoch am Anfang des grundlegenden Wandels steht geschichtlich gegeben die harte und schwere Übergangsperiode mit ihren Mühen, Entsagungen und Opfern für alle. Sie bedeutet Mühen, Entsagungen, Opfer auch für die Intellektuellen. Überwiegend macht sich deren bürgerliche Ideologie geltend. Ihre Einstellung zur Sowjetordnung, zum Kommunismus wird nicht beherrscht durch das klare Bewusstsein der großen, idealen Errungenschaft, dir, die proletarische Diktatur ihnen gebracht hat, sondern durch das Bedauern über die verlorene Vorzugsstellung, die allerdings für recht viele mehr Traum als Wirklichkeit war. Ein Teil der Intellektuellen hatte im alten Russland infolge der allbekannten sozialen und kulturellen Bedingungen tatsächlich eine gewisse Vorzugsstellung. Sie ging Hand in Hand mit der Knebelung des öffentlichen, des geistigen Lebens durch den Zarismus. Zensur, Gefängnis, Sibirien usw. waren Begriffe, die aufs engste mit der geistigen Arbeit auf allen Gebieten verbunden werden mussten. Die meisten Intellektuellen waren in der Folge oppositionell. Ihre Herkunft trug zum Teil dazu bei. Viele von ihnen rekrutierten sich aus dem Kleinbürgertum, dem armen Adel, der niedrigen Geistlichkeit. Die Intellektuellen stellten die Führer im Kampfe gegen den Zarismus, sie waren die Führer und Vorkämpfer des Imperialismus, dessen die emporstrebende Bourgeoisie bedurfte. Aus den Reihen der Intellektuellen gingen aber auch die Führer der kleinbürgerlichen Demokratie hervor. Manche Intellektuellen trachteten darüber hinaus, sie wollten nicht nur die bürgerliche Revolution, ihr Ziel war die soziale Revolution. Die Sozialrevolutionäre, die Menschewiki usw. waren Vorkämpfer der sozialen Revolution bis zu der Zeit, wo das Proletariat, unterstützt von den armen Bauern, Ernst mit der sozialen Revolution machte, und diese Wirklichkeit wurde. Zusammen mit dem größten Teil der bürgerlichen Intellektuellen liefen auch sie ins Lager der Konterrevolution über. Die Geistesarbeiter sabotierten zuerst die Sowjetordnung auf allen Gebieten, wo ihre Arbeit von Bedeutung war. Aus ihren Kreisen wurden in die Presse des Auslandes die giftigsten, schmutzigsten antibolschewistischen Lügen und Verleumdungen über die proletarische Diktatur geleitet. Auf dem Boden der Revolution und in den kapitalistischen Staaten hetzten und konspirierten sie als Spione und Agenten der Gegenrevolution. Daraus ergab sich für die Sowjetmacht die Notwendigkeit, das Schwert der Diktatur auf die einzelnen Schuldigen niedersausen und sich durch Schlagworte von der Freiheit der Kunst und Wissenschaft usw. nicht blenden und bestimmen zu lassen, eine politische Narrenfreiheit zu gewähren, die eine Verbrecherfreiheit geworden wäre. Sie musste in revolutionärer Notwehr handeln, fest, rücksichtslos handeln. Es versteht sich, dass die feindliche Haltung der Intellektuellen in den ersten Zeiten nach der Machteroberung die Einstellung des Proletariats zu ihnen stark beeinflusst hat. In den Arbeiter- und Bauernmassen war noch der alte Hass gegen die „Männer mit den weißen Händen“ lebendig, der die Intellektuellen ohne weiteres mit den Gutsbesitzern und den Bourgeois identifizierte. Dazu kam neue Nahrung durch ihre schwankende oder feindliche Haltung in der ersten Zeit der Revolution. Schließlich ein anderes Moment: das Misstrauen, dass sich die Intellektuellen dank ihrer geistigen Überlegenheit zu einer neuen herrschenden Kaste entwickeln könnten. Diese Befürchtung wurde dadurch vergrößert, dass sich in Russland das Intellektuellenproblem verschlingt mit dem Problem des Bürokratismus, und dass neben beiden die Tatsache des Analphabetentums steht. So ist es erklärlich, dass im Verhalten des Proletariats zu den geistigen Arbeitern Tendenzen zur Abirrung von der richtigen kommunistischen Linie zutage getreten sind. Diese Tendenzen lauten darauf hinaus, die Intellektuellen als eine besondere Kaste — man ist versucht zu sagen, als eine minderwertige und gefährliche Kaste — sowohl von den Bildungsmöglichkeiten wie auch von dem politischen Leben abzusondern. Es ist vorgekommen, dass Kindern von Intellektuellen der Zutritt zu Bildungsanstalten verwehrt, dass Intellektuellen die Ausübung ihrer Berufstätigkeit verweigert wurde, dass Intellektuelle aus der Partei ausgeschlossen wurden: das alles aus keinem andern Grunde, als dass es sich um Intellektuelle handelte. Gewiss, das sind einzelne Fälle gewesen. Allein sie sind doch charakteristische Anzeichen dafür, woher der Wind kommt und wohin er geht. Sie stehen auch im Gegensatz zu der bewussten Intellektuellenpolitik, die die Sowjetmacht im Allgemeinen treibt. Diese geht nicht hinaus auf kastenmäßige Absperrung der Intellektuellen, sondern auf deren Eingliederung, ihrer Begabung und Berufsbildung entsprechend, in die Reihen der Schaffenden am Aufbau der neuen Gesellschaft. Sie wirkt der Gefahr der Entwicklung der Intellektuellen zu einer neuen Herrschaftsklasse entgegen durch die Hebung des Kulturniveaus der breitesten Massen im Allgemeinen wie auch im Besonderen durch die weitesten Bildungsmöglichkeiten für Entwicklung und Berufstätigkeit einer proletarischen „Intelligenz“. Sicherlich! Eine solche, mit der nötigen reifen Allgemein- und Berufsbildung, kann nicht über Nacht mit dem Nürnberger Trichter geschaffen werden. Die Befürchtung muss berücksichtigt werden, dass ein allzu starkes Zusammendrängen des Studiums der jungen Proletarier in eine kurze Zeitspanne — zumal unter den gegebenen Existenzbedingungen und bei eifriger Parteiarbeit — wertvollste geistige Kräfte durch Überanstrengung vorzeitig aufreiben und verwüsten kann. Die Bildungspolitik der Sowjetregierung sucht diesen Gefahren und anderen dieser Art entgegenzuwirken. Sie ist sich klar bewusst, dass eine kastenmäßige Absperrung zwischen Proletariat und Intellektuellen unkommunistisch ist. Der Kommunismus zielt nicht darauf ab, neue Kasten zu schaffen, sondern alle Kasten und Klassen zu überwinden. Ein modernisiertes Ghetto für die Intellektuellen wäre auch politisch unklug. Es würde bedeuten, dass außerhalb unserer Reihen Missvergnügte, Sabotierende, heimliche Feinde geschaffen werden. Die Eingliederung der Intellektuellen in die kommunistische Aufbauarbeit wirft wichtige Probleme auf, so z. B. die Frage der gesellschaftlichen Bewertung und Entlohnung der Geistes- und der Handarbeit. Nach der kommunistischen Formel hat jede Arbeit Anspruch auf gleiche gesellschaftliche Entlohnung, wenn sie sozialnotwendig und nützlich ist. Der Ausgleich zwischen dem Einkommen der Intellektuellen und der Proletarier sollte danach durch die starke und rasche Steigerung der Entlohnung für die Handarbeit herbeigeführt werden. Die Übergangswirtschaft ist jedoch eine Wirtschaft des Sparenmüssens. Deshalb sind sowohl für die Entlohnung der Hand- wie der Kopfarbeit sehr enge Grenzen gezogen. Die Intellektuellen empfinden das sehr peinlich. Es kommt oft genug vor, dass der geistige Arbeiter — der nicht der „NEP“ verfallen will — mit seinem Verdienst leicht hinter dem des qualifizierten Handarbeiters zurückbleibt. Meiner Ansicht nach muss die Politik der Sowjetstaaten darauf gerichtet sein, den Geistes- wie den Handarbeitern Existenzbedingungen zu sichern, die das Minimum der Leistungsfähigkeit an der Aufbauarbeit ermöglichen. Dabei darf die Lage der Intellektuellen nicht derartig zu einer „NEP-Lage“ werden, dass das Gerechtigkeits- und Gleichheitsempfinden des Proletariats verletzt wird. Intellektuelle wie Proletarier müssen zu der Einsicht erzogen werden, dass die Entlohnung ihrer Leistungen unter dem Zwang der vorliegenden Umstände keineswegs der Ausdruck ist ihrer gesellschaftlichen Wertung. Geringe Entlohnung kann Hand in Hand gehen mit höchster sozialer Schätzung. Proletarier und Intellektuelle werden angesichts der geschichtlichen Situation mit ihrer Größe und ihrer Härte auf manches Kulturnotwendige, ja auch auf manches Primitivnotwendige verzichten müssen. Die Erkenntnis wird ihnen das erleichtern, dass die kraftvolle und schnelle Schaffung kulturellen und materiellen Reichtums ihr eigenes Werk sein muss. Rüstige, opferreiche Arbeit am Aufbau der Produktion und der Kultur entscheidet ihr Geschick, verbürgt den Nachfahren ein Wohnen in Licht und Wärme und verleiht die Kraft, um der Zukunft willen die Gegenwart froh und stolz zu tragen. Das Problem des Wertverhältnisses zwischen allgemeiner Volksbildung, Berufsbildung, Kunst und Wissenschaft rollt sich auf. Meines Dafürhaltens ist in dieser Beziehung die Politik der sozialistischen Räterepubliken durchaus richtig eingestellt. Sie legt das Schwergewicht entschieden auf die Hebung der allgemeinen Volkskultur. Die Bildung und Kultur der breitesten schaffenden Massen ist die starke, gesunde, tragende Wurzel der Berufsbildung. Sie ist auch die Gewähr, dass für Berufsbildung, für wissenschaftliches und künstlerisches Studium eine „Auslese“ der Tüchtigen erfolgt, ohne Rücksicht auf Herkommen und andere Umstände. Sie bewirkt, dass zwischen Kopf- und Handarbeitern nicht mehr trennend stehen wird der Gegensatz zwischen „Gebildeten“ und „Ungebildeten“, und dass der Berufswechsel erleichtert wird. Sie schafft die Grundlage für das reiche Aufblühen von Wissenschaft und Kunst. Sie ist von höchster Bedeutung dafür, dass die breitesten Massen zunächst Wissenschaft und Kunst Empfangende und Genießende werden, und dass diese Empfangenden und Genießenden auch sich zu Wissenschaft und Kunst Schaffenden entwickeln. Von ganz besonderer Tragweite für den ganzen Fragenkomplex der Volksbildung, des Aufbaues der neuen, höheren Kultur ist die Erziehung durch gemeinschaftliche Arbeit für gemeinschaftliche Arbeit. Sie wird in hohem Maße dazu beitragen, dass der Gegensatz zwischen Kopf- und Hahndarbeitern verschwindet. Sie wird verwurzeln die Erkenntnis, dass die Kopf- und Handarbeiter in unzerreißbarer Solidarität aufeinander angewiesen sind. Sie wird ermöglichen, dass die Handarbeiter zur Kopfarbeit und die Kopfarbeiter zur Handarbeit übergehen können. Sie wird Hand- und Kopfarbeiter verbinden in Solidarität mit dem großen Gesellschaftsganzen. Leider wird die allgemeine Durchführung der Erziehung durch Gemeinschaftsarbeit für die Gemeinschaftsarbeit als die vollkommenste Methode zur Entwicklung allseitig harmonisch erblühender und wirkender Menschen durch mancherlei gehindert. Wohl ist sie im Prinzip anerkannt, jedoch es fehlt noch an Lehr- und Hilfsmitteln, namentlich aber an Erziehern und Lehrern, die das Prinzip konsequent durchzuführen verstehen, von Schwierigkeiten anderer Art nicht zu reden. Gerade dieser Umstand beleuchtet, wie Recht Marx hatte, als er in seiner Polemik gegen Stirner sagte, dass man für die Verwirklichung des Kommunismus mit Jahrzehnten rechnen müsse. Es käme nicht nur darauf an, neue soziale Verhältnisse zu schaffen, sondern auch die neuen Menschen zu schaffen, die die neuen sozialen Verhältnisse zu gestalten hätten. Lenin hat wieder und wieder auf diesen Zusammenhang der Dinge hingewiesen. Für ihn war die Verwirklichung des Kommunismus gleichbedeutend mit der Selbstbetätigung der organisierten Massen. Und Selbstbetätigung organisierter Massen bedeutet einen Entwicklungsprozess, ein Werden und Wachsen, bedeutet eine fortlaufende, planmäßige Erziehung und auch Selbsterziehung, Selbstzucht der Massen. Eine solche Selbstbetätigung der Massen mit dem Ziel der Durchführung des Kommunismus kann nur möglich sein bei vollem, planmäßigem, solidarischem Zusammenwirken von Geistes- und von Kopfarbeit. Und dieses Zusammenwirken hat zur Voraussetzung neue Methoden, die nicht fix und fertig vorhanden sind, sondern sich erst allmählich aus der Praxis herausbilden wie die neuen Beziehungen und Lebensformen. Daher die Notwendigkeit größter Aufmerksamkeit für alles Sprossen und Keimen neuer sozialer Lebensäußerungen und Formen neuer sozialer Methoden, der Arbeit, der Erziehung, der Ordnung menschlicher Beziehungen usw. Daher auch die Notwendigkeit starker konsequenter Kontrolle darüber, dass die durch die proletarische Revolution entfesselten Kräfte sich im Sinne des Kommunismus entwickeln. Diese Kontrolle dachte sich Lenin ausgeübt durch Handarbeiter und Intellektuelle, Leute der Theorie und Praxis, die mit Sachkenntnis und theoretischer Schulung, voller Hingebung an die Sache das soziale Werden verfolgen und sich eingehend mit den aufzurollenden Fragenkomplexen beschäftigen. Der erste Versuch zur Schaffung eines solchen Organs sollte die Zentrale Kontrollkommission sein. Die Arbeiter- und Bauerninspektion sollte in dem gleichen Sinne wirken. Wir dürfen erwarten, dass beim sozialen Aufbau sich das Zusammenarbeiten von Intellektuellen und Proletariern als Kommunisten in der Sowjetunion wahrscheinlich rascher vollziehen wird als nach der proletarischen Revolution in andern Ländern, dass hier die Intellektuellenkrise auch relativ rasch überwunden wird. Schon jetzt sehen wir: Große Kreise der Intellektuellen stehen fest und treu zur Sowjetordnung und sind entschlossen, mit ihrer Regierung zusammenzuwirken. Ein besonderer Umstand wird in dieser Richtung wirken. Die eingefleischt bürgerliche Ideologie ist im alten Russland nie so fest verwurzelt gewesen, hat nie einen so mächtig bindenden Einfluss ausgeübt, wie dies in den Ländern des europäischen Westens und auch in den Vereinigten Staaten der Fall ist. Die Opposition der Intellektuellen hatte deshalb einen starken sozialen Einschlag. Ausdruck dessen ist die russische Literatur, die gerade diesem starken sozialen Einschlag mit ihren besonderen Platz, ihren Ehrenplatz in der Weltliteratur verdankt. Was unterscheidet die realistische, naturalistische Gesellschaftskritik der russischen Literatur von der Literatur anderer Länder? Es ist das soziale Moment, das in ihr sinnfällig hervortritt, jenes soziale Empfinden, Denken, Wollen, das den Werken der russischen Intellektuellen unter dem Zarismus große revolutionäre Kraft sind Bedeutung verlieh, aufpeitschend, revolutionierend wirkte. Der höchste künstlerische Ausdruck des sozialen revolutionären Elements in der russischen Literatur der Vorkriegszeit sind trotz aller reaktionären Beimengungen Tolstois Werke. Es ist nicht ausgeschlossen, dass, je länger, um so stärker, die soziale Tradition der Geistesarbeiter lebendig wird, so dass mit ihrer Hilfe der Aufbau fortschreitet und die Krise des geistigen Lebens überwunden wird. Sollen wir vielleicht angesichts des viel verschlungenen Fragenknäuels die Notwendigkeit und entscheidende Rolle einer besonderen proletarischen Wissenschaft „Kunst und Kultur“ predigen? Es ist leider unmöglich, die Frage heute hier eingehend zu beantworten. Mit Lenin und Trotzki verneine ich sie entschieden. Kunst und Kultur sind nicht Homunkuli, die sich in der Retorte von Ästhetisierenden nach klug ersonnenen Formeln fabrizieren lassen. Die Sowjetregierung beweist, was unter einer revolutionären Regierung, was unter der Diktatur des Proletariats trotz der großen wirtschaftlichen Dürftigkeit gegen die Krise des geistigen Lebens, der Kultur geschehen kann. Wenn man das Budget für Bildungszwecke in der UdSSR, gemessen an den vorhandenen Mitteln, vergleicht mit dem entsprechenden Budget aller kapitalistischen Staaten, so gibt es keinen einzigen Staat, der sich auch nur annähernd der gleichen Sorge für Kulturzwecke rühmen dürfte wie die sozialistischen Räterepubliken. Darin zeigt sich, dass unter der proletarischen Diktatur Wissenschaft, Kunst Kultur zum gesellschaftlichen Zweck, zum „Selbstzweck“ geworden sind, dass ihr Zweck nicht mehr ist, der kapitalistischen Profitpresserei zu dienen. Deshalb Entwürfe, Aufwendungen großen Stils für Forschungsreisen, wissenschaftliche Experimente, Förderung der verschiedensten Wissenschaften usw., für die Ausgestaltung des Gesundheitswesens, für Fortschritte des Rechtswesens, für das Aufblühen der Künste, kurz für Kulturzwecke jeder Art, die von Bedeutung dafür sind, dass ein neuer, höherer, ideologischer Überbau der Gesellschaft entsteht. Genossen und Genossinnen, wir wissen es, der Bund der sozialistischen Sowjetrepubliken zahlt teures Lehrgeld dafür, dass er beispielgebend dem revolutionären Proletariat der ganzen Welt vorangeht. Getrieben von verzehrender Sehnsucht nach einer höheren Gesellschaftsordnung, geführt von der Kommunistischen Partei, tragen die schaffenden Massen eine Riesenlast, eine Riesenlast von Verantwortlichkeit, Sorgen, Mühen, Entbehrungen und Opfern. Die große, revolutionäre kommunistische Idee gibt ihnen die Kraft dazu. Sie wandelt Sehnsucht in Wissen, Vertrauen, Wollen und erzeugt eine Riesensumme sozialer Energie, die sich als Verteidigungs- und Aufbauarbeit der Sowjetstaaten auswirkt. Hier auf dem Boden der Räterepubliken hat begonnen, was die bürgerliche Gesellschaft mit ihrer Kultur nicht zu erreichen vermocht hat, die organische Zusammenfassung von Arbeit, Wissenschaft, Kunst zu einem einheitlichen gesellschaftlichen Lebensprozess, das Werk, die Befriedigung, das Glück aller und damit gleichzeitig das Werk, die Befriedigung, das Glück jedes einzelnen, der sich eins mit allen fühlt. Die in raschem Fluss vorwärts treibende Entwicklung wird verwirklichen, was Richard ‚Wagner als Ziel der geschichtlichen Entwicklung bezeichnet hat. Er sagte: „Das Ziel der Geschichte ist der starke Mensch, ist der schöne Mensch; die Revolution gebe ihm die Stärke, die Kunst, die Schönheit.“ Es wird jener Mensch der Zukunft heranwachsen, der weder die Spuren einer Intellektuellenkaste an sich trägt, noch die Spuren der proletarischen Klasse, dem nichts anderes das Gepräge gibt, als leiblich und geistig harmonisch voll entwickeltes Menschentum. Beschleunigen wir das Nahen dieser Entwicklungsstufe dadurch, dass wir zur Tat machen, was bei Richard Wagner einen Augenblick Erkenntnis war: dass die Stärke der Revolution vor der Schönheit der Kunst geht und ihre Wegbereiterin ist. Von diesem Standpunkt aus müssen wir auch die Krise der Intellektuellen und der geistigen Arbeit betrachten. Die schmerzlichsten, furchtbarsten Lebensnöte zwingen die Intellektuellen zum Bündnis mit dem revolutionären Proletariat. Sie rufen ihnen zu: „Ihr müsst!“ Zögernd, widerwillig wiederholen Intellektuelle: „Wir müssen!“ Wir als Kommunisten haben uns durch unsere Einsieht in den Gang des geschichtlichen Werdens im Geiste bereits die Freiheit im Voraus genommen, die erst die kommunistische Gesellschaft für alle zur Wahrheit und Tat machen wird: zu wollen, was wir müssen. Deswegen werden wir auf die Mahnung der Zeit nicht zaghaft, unlustig antworten: „Wir müssen!“ Nein, tatfroh, kampfentschlossen antworten wir: „Wir wollen!“ (Langanhaltender stürmischer Beifall.) |
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