Karl Radek: Die grundsätzlichen und taktischen Streitfragen der deutschen Opposition. [nach Vorbote, Heft 1, S. 28-42 und Heft 2, S. 6-21] I. Die Vaterlandsverteidigung. Den Ausgangspunkt aller Richtungen der «Opposition» in der deutschen Sozialdemokratie, wie sie sich seit dem Tage des Zusammenbruchs der Partei zu formieren begann, bildete die Forderung der Ablehnung der Kriegskredite. Ihr folgte der Ruf nach Friedensaktion. Diese Forderungen warfen die Frage von dem Verhältnis der Sozialdemokratie zur Vaterlandsverteidigung, die von dem Einfluss des Imperialismus auf die Lage der Arbeiterklasse auf; kurz und gut, sie erheischten eine klare Orientierung in all den Änderungen, die die imperialistische Epoche seit langem herbeigeführt hatte, die aber erst der Krieg samt all seinen Konsequenzen mit voller Klarheit aufzeigte. Die so genannte Opposition in der deutschen Sozialdemokratie, die aus sehr verschiedenen Elementen besteht, nahm diesen Fragen gegenüber weder eine einheitliche noch prinzipielle Stellung ein. Obwohl die Antwort auf diese Fragen schon in den vor dem Krieg stattgefundenen Debatten über den Imperialismus wesentlich inbegriffen war, wurde sie von den verschiedenen Gruppen der Opposition, losgelöst von den Fragen des Imperialismus, stückweise in den Kämpfen um die Kriegskredite gegeben, als ob diese parlamentarische Frage mehr wäre als ein teilweiser äußerer Ausdruck viel wichtigerer Lebensfragen der proletarischen Bewegung. Dieser Hergang der Orientierung der so genannten Opposition empfiehlt es, bevor wir die Fragen selbst stellen, zuerst den Gedankengängen ihrer Wortführer zu folgen. Beginnen wir unsere Umschau mit der Stellungnahme des früheren Revisionistenführers Eduard Bernstein, nicht als ob wir ihn für einen wirklichen «Kampfgenossen» der revolutionären Sozialdemokratie gegen den Sozialpatriotismus hielten, wie es Genosse Strobel in einem sentimentalen Anfall tut («N. Z.» vom 17. Dezember 1915), sondern weil ihn «die Opposition» zu ihrem rechten Flügel zählt. Bernstein legte seinen Standpunkt in folgenden Worten klar: «Ebenso wenig wie irgendein Sozialdemokrat die Existenz Deutschlands als selbständiges Gemeinwesen «verneint» oder auch nur beschädigt sehen will, ebenso wenig wird von irgendeinem Sozialdemokraten die Notwendigkeit bestritten, die Bürgerpflichten zur Verteidigung Deutschlands zu erfüllen, solange diese Existenz in ernstlicher Gefahr ist. Die Größe oder Dauer dieser Gefahr hängen aber keineswegs nur von äußern Feinden ab. Sie werden auch nicht ausschließlich auf den Schlachtfeldern entschieden. Sie werden in hohem Grade durch die Politik der Kabinette bestimmt, auf die wiederum Einflüsse verschiedenster Art einwirken. Und dies ist der Punkt, wo der Hauptgegenstand des heute in der Sozialdemokratie obwaltenden Meinungsstreites seinen Ausgang nimmt. Nicht die Stellung zur Verteidigung des Landes, die Stellung zur Politik des Landes ist in Frage, und sie konzentriert sich in der Frage der parlamentarischen Verantwortung für das, was in der Politik geschieht. Kann und darf die Sozialdemokratie als die Partei der entschiedensten Demokratie durch ihre Abstimmungen im Parlament die Verantwortung für eine Politik auf sich nehmen, die — um es so sachlich als möglich auszudrücken — von Grundsätzen aus geleitet wird, die nicht demokratischer Natur sind? Das ist die Kernfrage, zu der wir Stellung zu nehmen haben, und bei der es gleichfalls ‚ein hüben und drüben nur gibt‘.» («Vorwärts»‚ am 14. Juli 1915.) Handelt es sieh bei diesem Standpunkt nur um die persönliche Konfusion eines Menschen der immer Konfusionsrat war und, seitdem er vor den Konsequenzen des Revisionismus zurückschreckt, an Klarheit des Gedankens nicht gewonnen hat? Nein! Hugo Haase, der erste Vorsitzende der Partei und der charakteristischste politische Vertreter ihres Zentrums, erklärte in seiner Frankfurter Rede: «Unser Programm, dass wir das Vaterland nicht ohne Schutz lassen wollen, hat mit der Frage der Kreditbewilligung gar nichts zu tun… Man sei darüber einig gewesen, dass auch Sozialdemokraten ihre Staatsbürgerpflicht erfüllen müssten. Das habe aber nichts zu tun mit der Kernfrage, ob man deshalb auch im Parlament die Mittel zur Führung des Krieges bewilligen solle.» Diese letzte Frage verneint Haase. Die Sozialdemokratie soll die Kriegskredite ablehnen, um die Politik der Regierung anklagen, eine Verständigung mit den ausländischen sozialistischen Parteien suchen, in der Zukunft eine oppositionelle Haltung bewahren zu können. Denn die staatsbürgerliche Pflicht der Soldaten ist eine und die der politischen Partei eine andere Sache. Aber wenn die Sozialdemokratie die Verantwortung für die Landesverteidigung ablehnen soll, so bedeutet das nicht, dass sie während des Krieges wirklich freie Hände in ihrer Aktion habe. Kein Burgfriede, kein Rutschen auf dem Bauche vor dem Kapital: aber «keinen Massenstreik machen, nichts, nichts sollte unternommen werden.» Der linke Flügelmann Haases, der Abgeordnete Ledebour, erkennt die Pflicht der Vaterlandsverteidigung auch an. Ja, selbst die Ablehnung der Verantwortung für den Krieg darf die Vaterlandsverteidigung nicht gefährden. In der Reichstagsfraktion soll er nach einer Behauptung der «Chemnitzer Volksstimme» (vom 21. 9. 1915) erklärt haben: «Die Notwendigkeit der Landesverteidigung und die Bereitstellung der dafür erforderlichen Mittel im Falle ernster Gefährdung des Landes stellte er nicht in Abrede. Wenn die Russen an der Oder gestanden hätten, wollte er auch die Mittel bewilligen, die notwendig gewesen wären, um sie wieder hinauszutreiben.»A Einen ähnlichen Standpunkt nahm Karl Kautsky ein, wenn das vage Hin und Her in seinen in den ersten Kriegsmonaten veröffentlichten Artikeln: «Die Internationalität und der Krieg» sich in eine politische Formel zusammenfassen lässt. In seiner am 1. Januar 1916, also nach siebzehn Monaten des Krieges, im «Vorwärts» abgedruckten Erklärung: «Die Wahrheit über den 3. August» fasst er seinen Standpunkt folgendermaßen zusammen: «Unsere Stellung zum Kriege ist nicht im vornherein gegeben. Sie hängt von seinem Charakter ab, von den Aufgaben, die ihm gesetzt werden.» Wenn man aber glauben würde, dies könnte bedeuten, die Internationale hätte die Pflicht gehabt, beim Beginn des Krieges seinen imperialistischen Charakter zu erkennen und demnach ihre Politik einzurichten, der würde sich irren. Denn erstens ist Kautsky der Meinung, der Charakter des Krieges «könne in seinem Verlauf wechseln»‚ zweitens macht er die Stellung zum Kriege in Wirklichkeit nicht von seinem historischen Charakter abhängig, sondern von der militärischen Lage. Er erklärt in Übereinstimmung mit Jules Guesde, dass das Proletariat die Pflicht habe, die Invasionen abzuwehren. «Von diesem Standpunkt ans bin ich auch der Überzeugung, dass unsere französischen und belgischen Genossen sich in einer ganz andern Lage befinden als wir, dass deshalb ihre Haltung in diesem Kriege keine Richtschnur für uns bilden kann.» Indem sich Kautsky auf diesen Standpunkt stellt, verzichtet er auf jede historische Stellungnahme zur Vaterlandsverteidigung und erblickt sie gegeben durch die militärische Lage: Braucht das Vaterland die moralische Unterstützung der Sozialdemokratie, so muss sie ihm gewährt werden, ist die Sozialdemokratie abkömmlich, so soll sie sozialistische Grundsätze bekunden. Die Auffassungen Bernsteins, Haases, Ledebours und Kautskys stellen nur die verschiedenen Schattierungen eines und desselben Standpunktes dar. Er erkennt die Vaterlandsverteidigung nicht als äußere, dem Proletariat, wenn es zu schwach ist, um gegen seine Regierung zu rebellieren, durch die Härte der Kriegsgesetze aufgedrungene Notwendigkeit, eine Notwendigkeit, gegen die die zu Hause gebliebene Arbeiterschaft weiterzukämpfen hat, sondern für eine staatsbürgerliche Pflicht unabhängig vom Charakter des Krieges. Ist der Krieg auch ein Resultat einer Politik, die die Sozialdemokratie immer bekämpft hat, ja selbst wenn sich die Sozialdemokratie entschließt, die Verantwortung für ihn durch Kreditverweigerung oder Stimmenthaltung abzulehnen, so darf sie jedoch nichts tun, was die Kriegführung irgendwie schädigen könnte. Und im Falle, dass die Kriegslage sehr ungünstig wäre, erfordert das Interesse des Proletariats die Bannung der Gefahr der Invasionen durch Unterstützung der Kriegführung. So schrumpft der Kampf gegen den Krieg im besten Falle zu einem unschuldigen Protest im Parlament, zur Wahrung des Gesichtes, zur Politik des Pontius Pilatus zusammen. Dies ist die Politik des Parteizentrums, aus dessen Reihen sich keine einzige Stimme gegen sie erhoben hat. Sie ist eine sozialpatriotische Politik und unterscheidet sich prinzipiell von der Politik der Rechten der Partei nicht, ja sie stellt den Sozialpatrioten das Zeugnis aus, dass ihre Politik an und für sich kein Verrat am Sozialismus sei; nur dürfe sie nicht zum offenen Einstellen des Klassenkampfes und zur Unterstützung der imperialistischen Expansionspolitik führen. Die Sozialpatrioten konnten die Widersprüche des Standpunktes des Zentrums der Partei mit großer Leichtigkeit aufdecken. Indem sie auf den gemeinsamen Ausgangspunkt des Zentrums und der Rechten auf die Anerkennung der Vaterlandsverteidigung hinweisen, fragen sie: Soll die Sozialdemokratie das Vaterland erst dann aktiv unterstützen, wenn der Feind schon im Lande steht? Seit wann hat die Sozialdemokratie vergessen, dass, wenn der Krieg schon angefangen hat, der Angriff die beste Deckung sei? Soll man nicht versuchen, all die Leiden der Invasion den Volksmassen zu ersparen, indem man den Krieg ins Land des Feindes trägt? Der Weltkrieg stellt ein Ringen solcher Massen von Kräften dar, dass nicht einmal militärische Fachleute ein wirklich objektives Urteil über die Gefahr oder Sicherheit der militärischen Sachlage besitzen. Keine Partei darf dann, wenn sie die Notwendigkeit, das Vaterland zu verteidigen, anerkennt, ihr Laienurteil über die militärische Sachlage zum Ausgangspunkt der politischen Stellung nehmen, um so weniger, als das militärische Kräfteverhältnis in ununterbrochenem Fluss sich befindet. Solange der Krieg nicht entschieden ist, kann immer auch bei der günstigsten militärischen Lage ein Umschwung eintreten. Es gilt, alle Kräfte der Volksmassen in Bewegung zu setzen, den hinter den Kanonen und Maschinengewehren stehenden Arbeitern die Gewissheit einzuflößen, dass sie für eine gerechte Sache kämpfen. Selbst die bloße Ablehnung der Kriegskredite muss da entmutigend wirken, Zweifel säen, die im Kriege ausschlaggebenden moralischen Kräfte schwächen. Die Teilung: dem Imperialismus die Leiber des Proletariats, dem Sozialismus seine Seelen, ist vom Standpunkt der Vaterlandsverteidigung aus ein Verbrechen. Der Burgfriede ist von diesem Standpunkt ans absolut notwendig. In einem Flugblatt der Opposition, das eine Erwiderung der Antwort des Parteivorstandes auf das Manifest der Tausend enthielt (es ist vom 3. Juli 1915 datiert), wird erklärt: «Der Klassenkampf schwächt nicht die Abwehrkraft eines Gemeinwesens gegen auswärtige Feinde, sondern stärkt sie vielmehr in unberechenbarem Masse. Das lehrt gerade die Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft auf hundert Blättern: von den Tagen, wo die Stadt Mailand mit den Hohenstaufen rang, über die Tage, wo die französische Nation sich siegreich gegen die feudale Welt in Waffen erhob, bis zu den Tagen des deutsch-französischen Krieges von 1870. wo sich keine bürgerliche Partei in Deutschland ihre verfassungsmäßigen Rechte verkümmern ließ und selbst Bismarck einen gewaltsamen Eingriff der militärischen Gewalt in diese Rechte unwirksam machte.» Die Auffassung, die den Klassenkampf in diesem Weltkriege zu einem Helfer der Kriegführung erniedrigt, bleibt in ihren historischen Vergleichen an der Oberfläche hängen: in Kriegen, die national sind, das heißt für alle Schichten der Gesellschaft notwendig, fortschrittlich, ist der Kampf gegen alles, was die militärischen Kräfte der Nation an der Entfaltung hemmt (Ausbeutung, Knebelung usw.), ein Element der Stärkung der Kriegführung. So war es zum Beispiel während der französischen Revolution. Je schärfer der Lebensmittelwucher usw. in Paris bekämpft wurde, desto tapferer schlugen sich die Sansculotten gegen das feudale Ausland: sie, die sie mit dem Feudalismus zu Hause abgerechnet haben, und fürchteten, der ausländische könne ihn wiederherstellen, mussten desto tapferer sich schlagen, je freier sie sich zu Hause fühlten. Aber in dem imperialistischen Weltkrieg, der die von den Massen gehasste Herrschaft des Kapitalismus im Innern stärker verankern, nach außen ausbreiten soll, würde die Ablehnung der Kredite mit der Begründung, dass es sich nicht um den Volkskrieg handelt, ja ein ihr folgender Klassenkampf, die Geister gegen die Kriegführung selbst mobilisieren. Die von diesem Grundton unserer Agitation belebte Bekämpfung der inneren Folgen des Krieges würde die Überzeugung der Massen: es ist nicht unser Krieg, jeden Tag verschärfen. Der Klassenkampf gegen den Krieg schwächt in «unberechenbarem Maße» die Kriegführung, wendet sich gegen die Vaterlandsverteidigung.B Der Standpunkt des Zentrums der Partei, dem die Sozialpatrioten mit vollem Recht vorwerfen, er wende sich in seinen Konsequenzen — Nichtanerkennung des Burgfriedens — gegen seine erste Voraussetzung: die Vaterlandsverteidigung, ist ein ebensolcher Wechselbalg vom Standpunkt der revolutionären Sozialdemokratie aus, der in Bezug auf den Krieg durch die Resolution der Stuttgarter und Basler internationalen Kongresse formuliert worden ist: «Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunützen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen» — hieß es in Stuttgart. Wenn die Haltung der Sozialdemokratie abhängig sein soll von der militärischen Lage, so hätte sie, falls die Russen an der Oder und die Franzosen in Köln stehen würden, in Deutschland nicht für die rasche Beendigung des Krieges einzutreten, sondern sie hätte für den Sieg der deutschen Heere, die Austreibung der Russen zu wirken. Ist aber dieser Standpunkt für die deutsche Sozialdemokratie richtig, so wissen wir nicht, wie sein Anhänger, der Abgeordnete Ledebour, es für möglich hält, nach Zimmerwald zu reisen, um dort französische und russische Sozialdemokraten zu überreden, sie sollen für die schleunige Beendigung des Krieges wirken, wo die deutschen Heere die industriellsten Provinzen Frankreichs und Russlands besetzt halten. Und wie soll man in einem kriegführenden Lande gemäß der internationalen Resolutionen mit voller Wucht die wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung der Arbeiterklasse ausnützen, wenn man bereit sein muss, eventuell mit geänderter militärischer Lage die Parole auszugeben: Vaterland in Gefahr! Und weiter: wenn das Proletariat bei drohender militärischer Lage seine Kraft mit voller Wucht einsetzt, die Gefahr wendet, schafft es da nicht die militärische Situation, aus der die Besitzenden und Regierenden zum Angriff übergehen? Wird es die Kraft haben, der Bourgeoisie Halt zu gebieten, sie zu zwingen, auf Annexionen zu verzichten? Das war schon unmöglich 1870/71, wo die Annexion Elsass-Lothringens so wenig durch den Charakter des Krieges bedingt war, dass nicht nur Marx, sondern Generale im Hauptquartier zum Teil ihre Gegner waren. Heute stehen die Sachen noch ganz anders, wo eine Politik der Annexionen, sei es überseeischer, sei es in Europa, das Wesen des imperialistischen Weltkrieges bildet. Man kann nicht die Verantwortung für die Verteidigung des Vaterlandes im Moment der Gefahr übernehmen und die für Annexionen im Moment des Sieges ablehnen. Wenn man das könnte, warum wirft das Zentrum der Partei den Scheidemännern vor, sie deklamierten nur gegen die Annexionen? Schließlich eine sachliche Feststellung. Am 22. Dezember 1915 haben 20 Abgeordnete die Kriegskredite abgelehnt eben mit der Begründung. dass Deutschland jetzt von keinen Invasionen mehr bedroht sei. Unter diesen 20 befinden sich 10 Abgeordnete, die schon am 3. August 1914 gegen die Annahme der Kriegskredite ankämpften, wo die militärische Lage absolut im Unklaren lag. Ist die günstige militärische Lage der Hauptgrund der Ablehnung der Kredite, dann durften die 10 am 8. August 1914 für sie nicht eintreten. Wie man auch die Sache wenden mag, der Standpunkt des ZentrumsC ist ein Messer ohne Schneide.
II. Diese an der Oberfläche liegenden Gegensätze zwischen der Anerkennung der Vaterlandsverteidigung und dem Kampfe gegen den Krieg mussten den revolutionären Sozialdemokraten schon in den ersten Kriegstagen in die Augen springen, selbst wenn sie nicht sofort die historische Erklärung des Widerspruches zwischen der Tatsache, dass die alte Internationale einerseits, die Vaterlandsverteidigung anderseits den rücksichtslosen Kampf gegen den Imperialismus anerkannte, fanden. In einem Briefe vom 26. September 1914 erklärte Karl Liebknecht, dass die Reichstagsminderheit «das Recht zur nationalen Selbstverteidigung keineswegs negiert hat»‚ für «diesen Krieg» müsse die deutsche Sozialdemokratie jedoch die Verantwortung ablehnen, denn er wurde «durch eine von uns seit je bekämpfte Politik hervorgerufen, an der die herrschenden Klassen Deutschlands in hohem Grade mitschuldig sind, weil er im allgemeinen eine Folge der von uns grundsätzlich bekämpften kapitalistisch-imperialistischen Entwicklung darstellt». Zu diesen allgemeinen Gründen, die die Haltung der ganzen Internationalen bestimmen müssen, kommt für Deutschland nach Liebknechts Meinung noch in Betracht, dass der Krieg auf deutscher Seite ein Präventivkrieg sei. (S. 18/19 der äußerst wichtigen, illegal in Deutschland herausgegebenen Dokumentensammlung: Klassenkampf gegen den Krieg. Material zum Falle Liebknecht.) Ähnlich lautete die bekannte Begründung Liebknechts zur Kreditverweigerung am 2. Dezember. Indem er dem imperialistischen Krieg den Kampf ansagte, lehnte er es ab, diese Haltung zu ändern, falls die militärische Lage zu Ungunsten Deutschlands umschlagen würde. In einer der Charlottenburger Vertrauensmännerkonferenz vorgelegten Resolution erklärte Liebknecht: «Durch feindliche Einbrüche in den einen imperialistischen Raubkrieg führenden Staat wird der Krieg nicht zu einem Krieg um die Verteidigung der staatlichen und nationalen Unversehrtheit. Solche Einbrüche sind das Risiko jedes Eroberungskrieges. Der imperialistische Krieg wird geführt von einer kapitalistischen Regierung, die von imperialistischen Mächten beherrscht wird. Es ist ein Widersinn, anzunehmen, der seinem Wesen nach imperialistische Krieg werde von ihr als ein Krieg der nationalen Verteidigung geführt.» (a.a.O., S. 48.) In der Sitzung der Reichstagsfraktion vom 9. März 1915 zog Liebknecht schließlich die Bilanz seiner Stellungnahme. Als der jetzt «auch oppositionelle» Zentrumsmann Hoch den Antrag stellte, in der Fraktionserklärung solle im Passus, der die Friedensforderung enthielt, erklärt werden, die Fraktion erkenne einstimmig die Pflicht der Vaterlandsverteidigung an, «wandte sich Liebknecht dagegen: eine solche Bemerkung im Zusammenhang mit der Fraktionspolitik, in der gegenwärtigen Situation und in Bezug auf den jetzigen imperialistischen Krieg erhalte einen politischen Sinn, den er ablehne. Henke, Herzfeld, Liebknecht stimmten gegen den Antrag Hoch, der damit gegenstandslos wurde». (a.a.O., S. 66.) Somit erklärte Liebknecht, dass er im imperialistischen Kriege die nationale Verteidigung nicht anerkenne. Die Ablehnung der Verantwortung für die Kriege war für Liebknecht kein nur parlamentarischer Akt. Schon am 26. September 1914 schrieb er in dem zitierten Briefe: «Meine Hoffnung ist, dass es noch jetzt während des Krieges gelingen möge, die dem Kriege entgegenwirkenden und ihn abschwächenden internationalen Kräfte zum Heile der gesamten Menschheit und jedes einzelnen Volkes zu entfalten.» Und im Brief an den Parteivorstand schrieb er am 10. Oktober: «Das politische Prinzip für die gegenwärtige Situation muss sein: wie die Sozialdemokratie zur Intensivierung des Krieges international gewirkt hat, so kann sie noch heute, auch während des kriegerischen Prozesses, zu seiner Schwächung, Hemmung international wirken. Das Signal dazu hat die deutsche Sozialdemokratie zu geben, wie sie das Signal zur Intensivierung des Krieges gegeben hat, jedenfalls die schwerste Schuld, eine schwerere als die übrigen Bruderparteien an dieser Intensivierung geladen hat.» Er fordert schon in den ersten Kriegsmonaten vom Parteivorstand eine Agitation in Wort und Druck gegen den Krieg, eine Demaskierung des Krieges von der Reichstagstribüne: «Jeder Sozialist hat in seinem Lande auch heute zu wirken als Klassenkämpfer, als Verkünder der internationalen Brüderlichkeit, im Vertrauen, dass jedes Wort, das er für den Sozialismus, für den Frieden spricht, jede Tat, die er für sich verrichtet, gleiche Worte und gleiche Taten in andern Ländern entzündet, bis die Flamme des Friedenswillens über Europa hell auflodert» — schreibt er an den «Labour Leader» im Dezember 1914. «Nimmt die Partei nicht heute während des Krieges den Kampf auf, so wird man auch an ihren Kampfgeist nach dem Kriege nicht glauben, weder in den Arbeitermassen, noch in den Reihen der Gegner. Jetzt gilt es, sich zu bewähren»‚ erklärt Liebknecht in einer Rede in Neukölln, im Januar, 1915 (abgedruckt in der oben genannten Sammlung, S. 71 bis 78), die er mit den Worten schließt: «Jede Friedensaktion der Sozialdemokratie — gleichviel welcher Art — wird nur soviel Macht besitzen, als sie internationales Echo erweckt, und dieses internationale Echo wird stets nur so stark sein wie die revolutionäre Kraft, von der sie getragen wird.»
III.
Während das Zentrum der deutschen Sozialdemokratie selbst in seinem «oppositionellen» Teil die Vaterlandsverteidigung für eine «uns naturgemäß und selbstverständlich obliegende Pflicht» hält, um die Sklavenworte Viktor AdlersD (Wiener Arbeiterzeitung vom 14. November 1915) zu gebrauchen, erklärt Liebknecht im Namen der revolutionären Sozialdemokraten «die Vaterlandsverteidigungs- und Völkerbefreiungsphrasen, mit denen der Imperialismus seine Mordwerkzeuge schmückt»‚ für «trügerischen Flitter» (Brief an den «Labour Leader»). Auf diesem Standpunkt stehen die revolutionären Sozialdemokraten Deutschlands. Das hat ein Teil von ihnen, die «Internationalen Sozialisten Deutschlands»‚ ausdrücklich erklärt, dafür spricht nicht nur die Zustimmung, die in ihren Kreisen die Verflechtung dieser Auffassung in der «Berner Tagwacht» fand, die Artikel der kleinen Marxisten-Monatsrevue, die vom Anfang des Krieges an den Standpunkt vertrat, «die Sorge um ein vereinzeltes Vaterland sei ein Ausfluss von ehrwürdigen Gefühlen, aber auch fehlender Einsieht in die Richtung der Entwicklung… Das Proletariat … hat am wenigsten Ursache, die jetzt immer mehr als unzureichend sich erweisenden staatlichen Formen für ewig zu halten»; das bezeugen oft die Zentrumsleute.E Die Ablehnung der Vaterlandsverteidigung in der Ära des Imperialismus. die sich aus dem von der II. Internationalen verkündeten Kampfe gegen den Imperialismus. als eine Erfüllung des Manifestes von Basel ergibt, widerspricht aber einer traditionellen Auffassung, die in derselben II. Internationalen lebte und jetzt das Hauptargument der Sozialpatrioten gegen den ihnen gemachten Vorwurf des Verrats am Sozialismus bildet. «Im Angesicht der freiheitsmörderischen und kriegerischen Vorbereitungen der Könige und der herrschenden Klassen haben wir die Notwendigkeit des internationalen Friedens zu betonen. unsern Willen, diesen Frieden aufrechtzuerhalten und an Stelle des Militarismus, an Stelle der Politik des Beutemachens und Eroberns die demokratische Verteidigungspolitik von Völkern zu setzen., welche bewaffnet, organisiert sind, um neben ihrer Unabhängigkeit nach Außen die Sicherheit und die Entwicklung ihrer Freiheit in Innern zu schützen gegen jede Störung.» Diese Worte sprach Eduard Vaillant in seiner Begrüßungsrede des ersten Kongresses der II. Internationalen in Paris aus (Protokoll, S. 7). Dieser Geist lebte dann friedlich in der II. Internationalen neben der wachsenden Einsicht der Notwendigkeit des schärfsten Kampfes gegen den Imperialismus. Ja, in den breitesten Kreisen der Internationalen bemerkte man gar nicht den Widerspruch. der zwischen dem Kampf gegen die Gefahr imperialistischer Kriege und dem Gelübde, das angegriffene Vaterland verteidigen zu wollen, bestand. Die Einheit der beiden Gedankengänge sah man in der Tatsache, dass das Vaterland verteidigt werden soll, nur wenn es angegriffen wird. Der imperialistische Weltkrieg hat den Widerspruch aufgedeckt, aber auch gelöst, indem er zeigte, dass, wie es auch um die diplomatische Vorgeschichte des Weltkrieges bestellt sein mag, er geboren ist aus den imperialistischen Tendenzen aller Großmächte, von denen jede für den Fall des Sieges imperialistische Ziele verfolgt. Dadurch wurde nicht nur bewiesen, dass kein kapitalistischer Großstaat sich jetzt im Zustande der unverschuldeten Verteidigung befinden kann, sondern dass die Verteidigung des Vaterlandes damit unmöglich wurde ohne Zertrümmerung fremder Vaterländer. Wenn die Sozialpatrioten und mit ihnen Kautsky diese schreiende Tatsache, dass das Proletariat ein Vaterland nicht verteidigen kann, ohne andere über den Haufen zu rennen, ihrer gegen die Vaterlandsverteidigungspflicht sprechenden Kraft berauben will, indem er erklärt: nun dann sollen eben alle Teile der Arbeiterklasse ihre Vaterländer verteidigen, so kann auch diese Erhebung der gegenseitigen Abschlachtung des Proletariats auf Geheiß des Kapitals zur internationalen sozialistischen Taktik aus der Zertrümmerung von Vaterländern keine Verteidigung machen. Da der imperialistische Krieg das Vaterland, d. h. nüchtern gesagt den kapitalistischen Staat, endgültig zu einer zu engen Form der kapitalistischen Entwicklung gemacht hat, so kann keine Sophisterei die Tatsache aus der Welt schaffen, dass es nicht die Verteidigung des Vaterlandes ist, für die die Arbeiter bluten. Die Geschichte demaskierte den Gedanken an das demokratische, keinen Angriff kennende, nur an Verteidigung seiner Freiheit denkende Vaterland als eine reformistische Illusion. Wer von der Pflicht der Landesverteidigung der Arbeiter trotzdem spricht, der täuscht sie über die objektiven Ziele, denen sie im Kriege dienen. Wenn also in eben dieser Epoche des Abtragens der historischen Vaterländer, der Epoche, in der der Kapitalismus unter den größten Schmerzen der Volksmassen nach neuen politischen Formen für die angewachsenen Produktivkräfte sucht, die Sozialpatrioten eine historische Theorie ausgeheckt haben, die besagt, warum just jetzt das Proletariat sich zum Vaterland bekennen muss, so können sie für sich nicht mehr den Anspruch erheben, zu irren, sie begehen einen politischen Betrug, wie es auch eine kurze Prüfung ihrer mit weißen Nähten zusammengeschneiderten Theorie zeigt. Einst, als das Proletariat machtlos im Staate war, als der Sozialismus die Ideologie von wandernden Handwerksburschen oder politischen Flüchtlingen war, konnte man sich einbilden, es gebe kein Vaterland. Der fünfzigjährige Kampf habe jedoch Erfolge gebracht, eine höhere Lebensstellung, mächtige Arbeiterorganisationen, was alles durch eine Niederlage, durch die Verschlechterung der Bedingungen der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes bedroht wäre. Wenn das Proletariat sein Vaterland verteidigt, verteidigt es nicht nur die Resultate des bisherigen Klassenkampfes, sondern die Bedingungen des zukünftigen Sieges; so erklären die Sozialpatrioten. Aber sofort schlagen sie selbst in diese «geschichtliche» Erklärung ein Loch, indem sie sieh darauf berufen, dass Marx schon in der Zeit von 1848 bis 1871 für die Einigung Deutschlands auch durch Kriege eintrat — sie rühmen seine «vaterländische Haltung» also bevor das Proletariat irgend etwas zu verteidigen hatte. Ein paar Monate nachdem das kommunistische Manifest erklärte, das Proletariat besitze kein Vaterland, forderte Marx den Krieg gegen Russland, in dem das «Vaterland» erst gebildet werden sollte. Handelt es sich bei dem «politischen Flüchtling» Marx vielleicht darum, dass er im Exil verbittert, vaterlandslos wurde, nach Köln aber zurückgekehrt, in seinem Herzen das Vaterland wieder fand? Diese Erklärung würde selbst ein «Umlerner» mit der Stirn eines Cunow nicht riskieren. Oder handelte es sich um eine revolutionäre Phrase, die Marx, ohne ihre Konsequenzen zu überdenken, aufnahm? Das Vaterland, der Staat waren für Marx immer nur die politische Organisation der Herrschaft der Bourgeoisie über die Produktionskräfte des Landes. Da die Arbeiter in der kapitalistischen Gesellschaft die Herrschaft über die Produktionskräfte nicht erreichen können, so haben sie kein Vaterland. «Man kann ihnen nicht nehmen, was sie nicht haben.» An diesem Zustand der Vaterlandslosigkeit des Proletariats hat sein fünfzigjähriger Klassenkampf mit all seinen Erfolgen nichts geändert, weil er sie nirgends zu Herren der politischen Gewalt und dadurch der Produktionsmittel gemacht hat. Aber mit der Feststellung der Vaterlandslosigkeit des Proletariats war keinesfalls die Stellungnahme des Proletariats zu den Kriegen gegeben, die dem Einzug des Kapitalismus auf dem europäischen Kontinent folgten, wie mit der Feststellung der Tatsache, dass der Arbeiter keine Produktionsmittel besitzt, noch nicht ein für allemal der Weg genannt ist, auf dem er sich in ihren Besitz setzen wird. Wie die Kampfmittel des Proletariats von der Stufe seiner Entwicklung, von der Reife der es umgebenden Verhältnisse abhängen, so hängt auch das Verhältnis des vaterlandslosen Proletariats zu den Kriegen seines Vaterlandes von der historischen Lage, von dem sozialen Inhalt der Kriege ab. In den Kriegen der Ära 1859 bis 1871 handelte es sich um die Erringung staatlicher Formen, die den Fortschritt der Produktion förderten, einen Fortschritt, ohne den der Sozialismus unmöglich war. Aus dieser niedrigen Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung ergab sich, dass das Proletariat keine Macht besaß und darum keine eigene Lösung der Gegensätze durchsetzen konnte. Es war in seinen Massen ganz im Banne der bürgerlichen Ideologie und machte alle die Kriege mit Enthusiasmus mit. Die kleinen Teile der Arbeiterklasse, die sich ihrer Klassenbesonderheit und ihrer spezifischen sozialistischen Aufgaben schon bewusst waren, konnten weder der Entwicklung in die Räder fallen noch sich mit ihr identifizieren da sie doch in den Mächten des Kapitals ihre Träger fand und mit seinen Mitteln durchgefochten wurde. Da blieb der kleinen sozialistischen Vorhut nichts übrig, als in diesem bürgerlichen Prozess ihre eigenen Interessen und Methoden, insoweit es die Epoche erlaubte, zu propagieren. Sah das Kapital die Lösung der Fragen in den Einigungskriegen unter der Leitung der Moltke und Bismarck, so proklamierte Marx immerfort die Revolution, die die Republik, die fortschrittliche Form des Kapitalismus, darstellt. Musste der Weg zu ihr durch Kriege gehen, so sollte es der revolutionäre Krieg gegen den Zarismus sein, in dem zusammen mit diesem Erbfeind der Demokratie ihr innerer Feind, der preußisch-deutsche Feudalismus, zertrümmert werden sollte. Durch diesen Standpunkt wurde einerseits vermieden, dass die kleinen sozialistischen Gruppen sieh außerhalb der politischen Entwicklung stellten, zu propagandistischen Sekten erstarrten, wie dass sie sich zum Vorspann der Bourgeoisie machten. Als die Unmöglichkeit der revolutionären Lösung der deutschen Frage durch den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges demonstriert wurde, als jeder Versuch des Kampfes gegen den Krieg unmöglich war nicht nur angesichts der Schwäche der Sozialdemokratie, sondern in erster Linie angesichts der Tatsache, dass dieser Krieg die Vorbedingungen der Entwicklung des Sozialismus schaffen sollte, enthielten sich Liebknecht und Bebel der Übernahme der Verantwortung für den Krieg; der «Volksstaat» kämpfte gegen den Chauvinismus. Und wenn auch Marx mit Recht verschiedene partikularistische Momente in diesem Kampfe Liebknechts gegen den Bismarckismus von seiner hohen historischen Warte her rügen konnte, so übte er selbst in der ersten Phase des deutsch-französischen Krieges eine energische Kritik an der deutschen Diplomatie, vergaß keinen Augenblick, weswegen sie in die Lage kam, sich zu verteidigen. Auch in dem historisch fortschrittlichen Kriege schloss Marx keinen Burgfrieden mit der Bourgeoisie und dem Junkertum. Anders als der historische Inhalt der Einigungskriege ist der des imperialistischen Krieges. Der Imperialismus ist eine Notwendigkeit für die kapitalistische Gesellschaft in der Ära der Herrschaft des Finanzkapitals. Aber der Kapitalismus selbst hat aufgehört, eine Notwendigkeit zu sein für die soziale Entwicklung Mittel- und Westeuropas, ja, er wird immer mehr zu ihrem Hindernis. Während in den Einigungskriegen für die Arbeiterklasse die Schaffung der Bedingungen ihrer Entwicklung im Spiele war, steht sie jetzt angesichts der vom Kapitalismus erreichten Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung vor der Aufgabe, die politische Gewalt zu erobern um den Sozialismus einzuführen. Nicht Verlängerung der Existenz des Kapitalismus durch seine imperialistische Ausbreitung, sondern Kampf gegen den Imperialismus, als Weg zur Verkürzung der Existenz des Imperialismus, das allein kann die Parole der revolutionären Sozialdemokratie sein. Wie lange auch noch dieser Kampf dauern kann, wie lange es dauern muss, bis die Arbeiterklasse eben in diesem Kampfe alle geistigen Eigenschaften, die zur Eroberung der politischen Macht notwendig sind, entwickelt, jedenfalls steht die Unterstützung des Krieges durch Kreditbewilligung, Burgfrieden, geistige Arbeitsgemeinschaft mit der imperialistischen Bourgeoisie, kurz, die Landesverteidigungspolitik im krassesten Gegensatz zu den Aufgaben der Arbeiterklasse in der Epoche des Imperialismus. Aber opfert die Sozialdemokratie, indem sie die Pflicht der Landesverteidigung ablehnt, nicht den fernen sozialrevolutionären Möglichkeiten die gegenwärtigen Bedingungen der Klassenkampfentwicklung! Wenn Deutschland geschlagen würde, die Bedingungen seiner wirtschaftlichen Entwicklung verschlechtert würden, würde nicht die Arbeiterbewegung Deutschlands auf Jahre lang zurückgeworfen? Zur Antwort auf diese Frage genügt der Hinweis darauf, dass, wenn die Arbeiterklasse Deutschlands an der «Verteidigung» ihres Landes teilnimmt, sie dem deutschen Imperialismus die Kräfte gibt zur Zertrümmerung fremder Vaterländer. Wenn die Zertrümmerung oder Schwächung eines Staates solche Folgen hat für die Arbeiterbewegung, so macht es vom internationalen Standpunkt aus keinen Unterschied, ob die deutsche Arbeiterbewegung zurückgeworfen, oder die englische in ihrer Radikalisierung aufgehalten, oder die französische endgültig zum Absterben, dank der Blutarmut, verurteilt wird. Will man das Dilemma mit der platten Erklärung aus der Welt schaffen, das Hemd sei dem Leibe am nächsten, nun, dann darf man nicht von Verteidigung sprechen, da man weiß, dass diese die Kräfte des Proletariats der imperialistischen Eroberung zur Verfügung stellt. Dann soll man eben offen erklären: die Zukunft des Sozialismus erfordert die Unterstützung der kapitalistischen Raubpolitik durch die Sozialdemokratie. Das kann nicht stimmen, weil es ein Unsinn ist zu behaupten, die Zukunft des Sozialismus erfordere das Aufgeben des Kampfes um den Sozialismus. Das Aufgeben des Klassenkampfes, die volle Unterwerfung unter den Imperialismus sind doch die Folgen der sozialpatriotischen Politik. Und dies nicht nur während des Krieges, sondern auch nach ihm, denn der Krieg wird neue Kriegsgefahren mit sich bringen. Wer einmal das «Vaterland verteidigt hat»‚ als der Krieg ausbrach, kann nicht umhin, es für den nächsten auszurüsten, was das völlige Aufgeben des grundsätzlichen Kampfes gegen den Krieg ergibt. Die konsequenten Sozialimperialisten fordern auch das Aufgeben der bisherigen Haltung der Sozialdemokratie. Wenn die Prüfung der Konsequenzen der Annahme, die Sozialdemokratie müsse den Imperialismus des Sozialismus wegen unterstützen, die Unmöglichkeit dieses Standpunktes zeigt, so sind auch die der Arbeiterklasse drohenden Gefahren, die angeblich zu solchen Konsequenzen treiben, ausgedacht, nicht faktisch. Der Kapitalismus hat in den Ländern Mittel- und Westeuropas schon eine solche Stufe erreicht, dass die Änderung der staatlichen Grenzen, wie sie der Weltkrieg bringen kann, nicht imstande ist, dauernd die kapitalistische Entwicklung zu unterbinden und somit die Bedingungen des Sozialismus zu vernichten. Es ist keinesfalls zu leugnen, dass die Grenzänderungen wirtschaftliche Krisen hervorrufen werden, wie sie durch die Anpassung ganzer Wirtschaftszweige an neue Marktverhältnisse erzeugt werden müssen, dass sie nationale Unterdrückung mit sich bringen werden. Eben deshalb kämpfen wir gegen die Annexionspolitik, wollen wir dem Kapitalismus nicht erlauben, die Karte der Welt nach den Bedürfnissen seiner nationalen Gruppen zu zerschneiden. Aber keine dieser für die Arbeiterklasse bitteren Folgen des Krieges kann von ihr, als einer internationalen Klasse, durch die Mittel des Krieges genommen werden, denn alles, wovor die deutsche Arbeiterklasse durch den deutschen Sieg bewahrt wird, würde auf die französische, russische, polnische, belgische, serbische mit voller Last fallen und umgekehrt. Noch mehr: wie bitter die Folgen der Niederlage für die Arbeiterklasse des besiegten Landes wären, tausendmal schwerer würden auf sie die Folgen eines mit ihrer moralischen Unterstützung herbeigeführten Sieges sein. Gekettet durch diese moralische Unterstützung an die siegreiche Bourgeoisie, verfeindet mit den Klassenbrüdern des besiegten Landes, würde sie auf Gnade und Ungnade dem Kapitalismus ausgeliefert sein. Kompromittiert durch die Folgen dieses Zustandes, zersetzt, würde sie wehrlos zusehen müssen, wie der Sieger, statt ihr Brocken von seiner Beute zuzuwerfen, ihr die ungeheuren Kosten des Sieges aufbürden würde. So zeigt die klare Ablehnung der Vaterlandsverteidigung durch die Sozialdemokratie nicht nur die einzige Politik, die es dem Proletariat ermöglicht, die Verantwortung für diesen imperialistischen Weltkrieg von sich abzuwälzen, die ihm freie Hände gibt zum internationalen Kampfe um die Verkürzung des Krieges, sondern sie allein kann ihm in der Zukunft ermöglichen, falls die kapitalistische Gesellschaft heil aus diesem Kriege ausgehen sollte, den Kampf gegen sie, gegen die Folgen des Krieges mit verstärkter Wucht aufzunehmen. IV. Aus der Zeit der nationalen Kriege, in der die Vorbedingungen geschaffen worden sind für den Klassenkampf des Proletariats um den Sozialismus, ist in der Ideologie des Proletariats die Losung der Vaterlandsverteidigung geblieben. Die imperialistische Gefahr weckte in den Vorderreihen des Proletariats das Bewusstsein, dass es sich dem imperialistischen Weltkrieg mit aller Gewalt widersetzen muss. Aber zwischen dem Gedanken und der Tat standen der opportunistische Mechanismus der Partei und der Gewerkschaften, die mangelnde Selbständigkeit der Arbeiter. Ohne Versuch des Widerstandes ließ sich das Proletariat in den imperialistischen Krieg hineinjagen. Die Sozialdemokratie hisste die Fahne der Vaterlandsverteidigung. Aber es zeigte sich, dass diese Flagge falsch ist, dass dieser Krieg nichts der Vaterlandsverteidigung zu tun hat, ja, dass eine solche in der Ära des Imperialismus für keine der GroßmächteF in Betracht kommt: nur aus der Tendenz zur Expansion entstehen in ihr die Kriege. Die Notwendigkeit der Begrabung der Idee der Vaterlandsverteidigung erwies sich mit voller Klarheit für jeden, der wirklich gegen den Krieg kämpfen wollte. Aber einstweilen ist nur ein Teil der Genossen, die sich gegen den Sozialpatriotismus erklären, bereit, der Losung der Vaterlandsverteidigung offen den Krieg zu erklären, und in die Massen die Losung zu werfen: Ja, wir sind vaterlandslose Gesellen, nicht das kapitalistische Vaterland wollen wir verteidigen, sondern den Sozialismus erobern. Wenn es bei einem Teil der kriegsfeindlichen Genossen, die vor dieser klaren Stellungnahme zurückschrecken, darum handelt, dass sie die Frage noch nicht genügend überdacht haben, so handelt es sich bei der Mehrheit der Führer des so genannten Zentrums der Partei um etwas ganz anderes. Aus der klaren Ablehnung der Vaterlandsverteidigung ergibt sich eine entschiedene revolutionäre Taktik, ein Bruch mit dem Sozialpatriotismus. Weder das eine noch das andere wollen die Zentrums-Marxisten. Das ergibt sich am besten aus der Tatsache, dass sie anderthalb Jahre lang bedurften, bis sie die erste Pflicht der Sozialdemokraten, die Verantwortung für den Krieg abzulehnen, erfüllten. Es wird sich noch klarer erweisen bei der Behandlung der Konsequenzen der Ablehnung der Vaterlandsverteidigung, bei der Behandlung des Kampfes gegen den Krieg, zu der wir in der nächsten Nummer übergehen werden. Aber auch ohne Zusammenhang mit der Bewertung der Gruppierungen in der deutschen Opposition muss als Resultat der Untersuchung der Vaterlandsverteidigungsfrage erklärt werden: Nur wer die Vaterlandsverteidigung ablehnt, kann konsequent den Verrat des Sozialismus durch die Sozialpatrioten bekämpfen, für die internationale Wiederaufnahme des Klassenkampfes, das heißt für den Wiederaufbau der Internationalen, eintreten.
II. Der Kampf gegen den Imperialismus. 1. Die Ablehnung der so genannten Vaterlandsverteidigung durch die revolutionäre Sozialdemokratie als Vorbedingung jeder konsequenten sozialdemokratischen Politik, jetzt im Kriege wie nach ihm, ergab sich für uns nicht aus der bloßen Tatsache, dass es sich um das Vaterland der Kapitalisten handelt, sondern aus der Analyse der Bedeutung des kapitalistisch entwickelten Staates an der Ära des Imperialismus und des Imperialismus überhaupt. Weil der entwickelte kapitalistische Staat wie der Kapitalismus selbst schon zum Hemmnis der historischen Entwicklung geworden ist, weil schon die wirtschaftlichen Vorbedingungen des Sozialismus vorhanden sind, kann die Arbeiterklasse sich für die Erhaltung und Ausbreitung des «Vaterlandes» nicht einsetzen, ohne ihrer historischen Aufgabe untreu und zur Strafe dafür weit zurückgeworfen zu werden.G In dieser Begründung der Ablehnung der Vaterlandsverteidigung liegt schon ihre Bedeutung erklärt, das heißt die ganze Politik, die das Proletariat in der Ära des Imperialismus treiben muss. Indem wir aus der Charakteristik dieser Epoche die Unzulässigkeit der Einsetzung der proletarischen Kraft für die Interessen der kapitalistischen Entwicklung beweisen, sind damit die Ziele und Mittel seiner eigenen Politik gegeben. Der Kampf gegen den Weltkrieg ist Kampf gegen den Imperialismus. Da dieser die Politik des Kapitalismus ist, der reif für den Sozialismus wurde, ist der Kampf gegen den imperialistischen Weltkrieg «ein Auftakt» zum Kampfe um den Sozialismus, wie sich die Resolution der Zimmerwalder Linken ausdrückt. Sozialismus gegen Imperialismus, revolutionärer Massenkampf um den Sozialismus, das ist die positive Losung, die sich aus der negativen, der Ablehnung der Vaterlandsverteidigung ergibt. Diese Losung ist keine von oben, deduktiv oktroyierte, sie ist eine historisch gewonnene. Der Beweis dafür besteht in der Darstellung der Tendenzen und Aussichten der imperialistischen Epoche, die alle Programme der Reform des Imperialismus zur völligen Ohnmacht verurteilen und sie objektiv zum Mittel der Irreführung des Proletariats stempeln. 2. In der dem Weltkriege vorausgehenden Zeit haben die bürgerlichen Pazifisten und ihnen folgend die Vertreter des Parteizentrums, wie Kautsky, auf die Tendenzen in der weltwirtschaftlichen Entwicklung hingewiesen, die zur Überwindung der Konkurrenz unter den Großmächten führen. Sie haben die Hoffnung ausgesprochen, dass es dem, Proletariat gelingen kann, zusammen mit den friedlichen Elementen des Kapitalismus die imperialistischen zu überwinden und dem Kapitalismus die Politik der friedlichen Expansion aufzudrängen. Er werde zwar nicht aufhören, die unentwickelten Völker auszubeuten, aber die Kriege zwischen den europäischen Mächten werden aufhören. Dieselbe Auffassung vertrat auch Georg Ledebour in der Polemik gegen den Verfasser dieser Worte nach dem Kopenhagener Kongress. Demgemäß stellten sie als Programm der Weltpolitik des Proletariats die Forderung der internationalen Übereinkunft über die Beschränkung der Rüstungen und über die Entscheidung alter weltpolitischen Konflikte durch internationale obligatorische Schiedsgerichte. Dieses Programm sollte das Proletariat wie gesagt zusammen mit den friedlichen Elementen des Bürgertums verwirklichen. Inzwischen brach der Weltkrieg aus. Resolut erklärte Kautsky, er sei ausgebrochen in einem Moment. «in dem kein einziger imperialistischer Streitpunkt existierte»‚ er sei nur insofern ein imperialistischer Weltkrieg, als der Imperialismus das Wettrüsten gebar. «Dieses Wettrüsten musste zur Kriegsursache werden, wenn ihm kein Einhalt getan wurde, auch wenn es gelang, alle imperialistischen Streitfragen durch friedliche Verständigung aus der Welt zu schaffen. Die Frage der Schuld an dem Krieg verwandelt sich so in eine Frage nach dem Datum und dem Charakter der einzelnen Mobilisierungsanordnungen. Diesmal wurde nicht die Mobilisierung wegen des Krieges, sondern der Krieg wegen der Mobilisierung erklärt. (K. Kautsky, Nationalstaat, imperialistischer Staat und Staatenbund. Nürnberg 1915. S. 64/65). Der Kern dieser geistreichen historischen Auffassung bildet die ganz gewiss richtige Erkenntnis, dass, falls es keine Heere gegeben hätte, wir auch nicht im Weltkriege ständen. Und da sie glatt zur Wiederaufwärmung der Losung Abrüstung, Schiedsgerichte! führt, so hat sie den Vorzug, dass man nicht nur nicht umzulernen, sondern überhaupt nicht zuzulernen braucht. Würde es sich hier um eine Marotte Kautskys handeln, man könnte ihn getrost auf den gewohnten, liebgewordenen Gedankenpfaden überlassen. Aber seine Auffassung ist die Ledebours, Haases wie des ganzen Parteizentrums in Deutschland, das an dem Programm der Reform des Imperialismus festhält als an der Fahne des Propheten. Und um dieses Zeichen des Sieges gruppieren sich alle opportunistischen Elemente der Internationalen, die für den, Sozialimperialismus offen nicht eintreten wollen oder dank ihrer Vergangenheit nicht können. Es ist das Programm der ILP, eines Teiles der «Austromarxisten»‚ des französischen Parteizentrums. Zweifelsohne wird es nach dem Kriege zum Schlachtruf aller zentrümlichen Elemente der Internationalen werden, es wird unterstützt werden durch die vom Kriege dezimierten kleinbürgerlichen Elemente. Deswegen muss es untersucht werden. Das Programm des Sozialpazifismus wie des bürgerlichen Pazifismus überhaupt ist eine reaktionäre Utopie. Utopie, weil es in der Luft hängt, von keinen Entwicklungstendenzen gestützt wird, reaktionär, weil es dem Proletariat das Ziel der Reform setzt, wo die historische Situation objektiv die Aufgabe der Revolution stellt. Die Sozialpazifisten berufen sich umgekehrt auf die wirtschaftlichen Annäherungstendenzen des Weltkapitalismus. Die ganze Welt wird immer mehr zu einem wirtschaftlichen Organismus; kein noch so großes Wirtschaftsgebiet ist imstande, allein seine Bedürfnisse an Rohstoffen und Lebensmitteln wie seinen Bedarf an Warenmärkten zu stillen. Deswegen bedeute der Sieg über den Gegner, indem er einen Konsumenten schwächt, ebenso wie die eigene Niederlage einen Ruin. Dies ist zweifelsohne richtig. Das Ideal eines selbstgenügenden, geschlossenen Gebietes ist eine imperialistische Utopie. Selbst wenn es dem Imperialismus eines Landes gelingen würde, seine Grenzen so auszuweiten, dass er alle seine Bedürfnisse an Rohstoffen und Lebensmitteln erzeugen könnte, würden die Produktivkräfte des Kapitalismus der gegebenen imperialistischen Wirtschaft bald über die Grenzen der Aufnahmefähigkeit seines Territoriums wachsen. Und wo er nicht kaufen würde, könnte er auch nicht exportieren. Aber diese Grenze ist noch nirgends erreicht, jeder imperialistische Staat sucht sich in der Rehstoff- und Lebensmittelerzeugung möglichst unabhängig zu machen; nicht als ob dadurch die verarbeitende Industrie geschweige denn die Volksmassen in die Lage gesetzt würden, ihre Bedürfnisse billiger zu decken, sondern weil die Beherrschung möglichst großer Quellen von Rohstoffen und Lebensmitteln dem Finanzkapital eines Landes die Extraprofite zuschanzt, die sonst das Finanzkapital eines andern Landes einheimst; dazu kann es vermittels des Apparats des Imperialismus (Militarismus und Marinismus, koloniale Verwaltung) sich auch sonst auf Kosten der eigenen Bevölkerung bereichern. Die Sorge, dass je unabhängiger man sich vom Weltmarkte macht, desto schwieriger man auch seinen Warenexport auf ihm unterbringt, ist cura posterior. Man tröstet sich damit, dass dank der industriellen Entwicklung die Konkurrenz auf dem Warenmarkt überhaupt immer größer wird, dass also der Besitz geschlossener Absatzmärkte (sie sind mehr oder minder geschlossen, selbst wenn die Kolonien zollpolitisch mit dem Mutterlande nicht verbunden sind, weil der Besitz der Verwaltung und alle andern Beziehungen des Mutterlandes zur Kolonie ihm unter sonst gleichen Bedingungen einen Vorsprung geben) einen gesicherten Warenabsatz gewährt, der zusammen mit den Rüstungslieferungen erlaubt, dank der Erweiterung der Produktionsstufe auf dem Weltmarkt billiger zu verkaufen. Was den Hinweis auf die Schwächung der Konsumkraft des besiegten Gegners anbetrifft, so wissen die «kühlen» Imperialisten, dass man ihn auch beim glänzendsten Siege wirtschaftlich nicht weiß bluten lassen darf: sie trösten sich, dass er den Aderlass, der dem Sieger zugute kommen wird, dank der Elastizität der kapitalistischen Wirtschaftsweise überwinden wird. Kurz und gut: Die Weltwirtschaft hat die nationale Absonderung überwunden, aber sie hat die nationalen kapitalistischen Wirtschaftskörper nicht abgeschafft. Jeder von ihnen sondert sich durch Schutzzölle ab, denn sie sind ein Mittel der rücksichtslosen Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung durch die «nationalen Trusts und Kartelle, ein Mittel der Fernhaltung oder Erschwerung der fremden Konkurrenz, ein Mittel der Erniedrigung der Preise der Waren für den Weltmarkt, während sie zu Hause erhöht werden. Das Kapital jeder Großmacht sucht aus der Weltwirtschaft durch die kolonialen Eroberungen, imperialistischen Zusammenschließungen ein möglichst großes Territorium auszuschneiden, um sich seine Ausbeutung möglichst zu reservieren. Die Mittel dieser imperialistischen Politik sind dazu eine Quelle von Extraprofiten. Die weltwirtschaftliche Entwicklung schafft Zusammenhänge zwischen den kapitalistischen Staaten, aber gleichzeitig stärkt sie die kapitalistischen Absonderungstendenzen. Sind die Pazifisten aber nicht im Rechte, wenn sie den Sieg der verbindenden, annähernden Tendenzen der weltwirtschaftlichen Entwicklung trotzdem voraussehen. Entsteht nicht eine immer wachsende Zahl internationaler Kartelle und Trusts, verbindet sich das Finanzkapital aller kapitalistischen Länder nicht, um gleichsam die unentwickelten. Länder auszupowern? Vor dem Krieg lag doch ein Abkommen des englischen und deutschen Finanzkapitals über die Ausbeutung der Türkei fast fertig vor, in China zeigten die Anleiheverhandlungen das internationale Kapital bei gemeinsamer Arbeit! Werden die Folgen des Krieges, die wirtschaftliche Schwächung Europas das Finanzkapital, dessen Leiter schließlich kühle Geschäftsleute sind, zu einer gemeinsamen Arbeit nicht nötigen, die zur Lösung der imperialistischen Gegensätze führen wird; wird es da schließlich nicht zu jener Übertragung der Kartellpolitik für die äußere Politik kommen, einer Phase des Ultraimperialismus. die Kautsky zwar nicht entzückt, von der er aber das Aufhören des Wettrüstens erwartet («Neue Zeit» vom 11. September 1914, S. 920/921), die aber ein Seitz («Kampf» vom 1. März 1915, S. 102) oder ein Renner («Kampf»‚ 1. Juni 1915, S. 231) direkt zum Programm der Internationalen erheben? Eine Prüfung der Tatsachen zeigt, dass es sich hier um Phantasiegebäude handelt. Die internationale Vertrustung und Verkartellierung der Industrie und des Finanzkapitals hat wahrscheinlich schon einen höheren Grad erreicht, als man auf Grund der verfügbaren Quellen annimmt. Um ihren Einfluss auf die Haltung der Bourgeoisie als einer nationalen Gruppe festzustellen, ist es aber keinesfalls notwendig, zahlenmäßig das Verhältnis zwischen dem Kapital, das in rein «nationalen» und solchen, das in internationalen Unternehmungen investiert ist, exakt zu kennen, was, wie gesagt, angesichts der Spärlichkeit der Nachrichten auch sehr schwer wäre. Es genügt festzustellen, dass das in internationalen Unternehmungen untergebrachte Kapital die Aufgabe hat, die Schranken, die der Schutzzoll den nationaler kapitalistischen Gruppen stellt, zu übersteigen oder auf kapitalistisch nicht entwickelten Märkten den Anteil an der gemeinsamen Beute des internationalen Kapitals der nationalen Gruppe zu sichern: das nationale, durch Schutzzoll geschützte, in nationalen Kartellen organisierte Kapital ist der Ausgangspunkt, seine Stärkung das Ziel der internationalen Kapitalsunternehmungen. Konkret gesagt: Wenn die Zollschranken eines Landes dem Kapital eines andern schutzzöllnerischen Landes die Konkurrenz auf dem Warenmarkte des erstem erschweren, wird Kapital exportiert, das entweder selbständig oder — was noch öfter geschieht — durch Teilnahme an den fremden Unternehmungen auf dem fremden Gebiete sich als Produzent festsetzt. Der Profit, der auf diese Weise gemacht wird, wird, insoweit er nicht im Auslande zur Vergrößerung der Unternehmungen gebraucht wird, ins «Vaterland» ausgeführt. Oder wenn sich auf dem Weltmarkte nationale kapitalistische Gruppen Konkurrenz bereiten, die sie alle schädigt, treffen sie internationale Abmachungen, die den Zweck haben, der Preisermäßigung entgegenzuarbeiten. Im ersten wie im zweiten Falle bleibt das Interesse des nationalen Kapitals ausschlaggebend, es beherrscht die Bewegung der internationalisierten Partikel. Hat eine nationale Gruppe bessere Aussicht, dank neuen Erfindungen usw. auf eigene Faust vorzugehen, dann werden die internationalen Abmachungen aufgehoben, es beginnt von neuem der selbständige Kampf um den Weltmarkt. Die internationalen Abmachungen, Unternehmungen auf dem kapitalistischen Weltmarkt bedeuten keine Schaffung von dauernden internationalen Interessensolidaritäten, sondern von Waffenstillständen, denen neuer Kampf folgt, wenn es die Interessen der nationalen kapitalistischen Gruppen erfordern. Viel krasser tritt dieser Zustand bei den internationalen Unternehmungen auf dem Boden der kapitalistisch unentwickelten Länder in Erscheinung. Der Kampf um die Ausbeutung der Türkei, Chinas usw. wird nicht durch die Kanonen der billigen Waren geführt, solidem in erster Linie durch die Macht der imperialistischen Großstaaten. Das ergibt sich schon daraus, dass die Kaufkraft der Bauernmassen in diesen Ländern noch sehr niedrig ist und sich sehr langsam entwickelt, da die Bauern noch tief in der Naturalwirtschaft stecken. Der Hauptkonsument ist der Staat, und die Waren, die er in erster Linie begehrt, sind Transport- und Rüstungsmittel. Um sich gegen die imperialistischen Mächte verteidigen zu können, sucht er ein modernes Heer auszurüsten, er baut Eisenbahnen und Wege, um die Truppen frei von einem Ende des Landes ins andere werfen zu können, was auch notwendig ist zwecks der entsprechenden Druckausübung auf die Bevölkerung, die von dem ganzen Modernisierungsprozess vorerst nur eine größere Steuerlast zu fühlen bekommt. Die Bestellungen des so in Umbildung begriffenen Staates werden nicht bei den Kapitalisten derjenigen Großmacht gemacht, die am billigsten liefert, sondern von der man erwartet, dass sie ein Interesse hat, das Land vor den Klauen der andern zu verteidigen, es sei denn, dass man sich schon auf Gnade und Ungnade eben dem stärksten ergeben hat, dem zukünftigen Räuber: in diesem Falle bevorzugt man seine Kapitalisten, wobei man ebenso keine Möglichkeit hat, nach der Billigkeit der Waren zu fragen. In beiden Fällen bildet die Staatsmacht (militärische, marinistische wie finanzielle) den Grund des Übergewichts einer kapitalistischen Gruppe. Natürlich liegen größtenteils die Dinge nicht so einfach, dass ein bedrohter unentwickelter Staat sich klar und entschieden auf die Seite einer der imperialistischen Großmächte stellen könnte. Gewöhnlich sucht er ihre Gegensätze auszunützen, unter ihnen zu lavieren. Oder selbst wenn seine Politik sich schon für einen entschieden hat, kann er nicht umhin, bis die Stunde der Entscheidung über sein Geschick geschlagen hat, sie eben durch Gewährung von Konzessionen auch an die andern, gegnerischen Gruppen hinauszuschieben, bis er genügend erstarkt ist. Dann bildet den Schlüssel zur Einteilung der Anleiheteilnahme, der Konzessionen usw. wieder das Verhältnis der Macht der imperialistischen Staaten untereinander. Eine Anleihe wie eine Konzession wird unter sie verteilt, je nach dem Schaden, die eine von ihr ausgeschlossene Macht anrichten kann. Ändert sich das Machtverhältnis — sei es durch militärische Rüstungen oder Änderungen auf dem Geldmarkte usw. — so ändert sich auch die Verteilung der einstweiligen Beute. In diesem Lichte gesehen, ist die Internationalisierung der Anleihen, der Konzessionen kein Mittel der Solidarisierung der Großmächteinteressen., sondern eine aus ihrem Machtverhältnis sich ergebende momentane Einteilung der Ausbeutungsanteile, die sich auch im Frieden je nach der Machtverschiebung ändert, bis sie überhaupt aufgehoben wird, wenn einer der Teilnehmer zu der Meinung kommt, er könne auf eigene Faust am besten auf seine Rechnung kommen. Nur indem er diesen Charakter der «Internationalisierung» der imperialistischen Interessen vollkommen missversteht, kann Kautsky zu der Pickwickeridee kommen, der Weltkrieg sei ausgebrochen nur dank der Mobilisationen, obwohl die imperialistischen Gegensätze durch das kleinasiatische Abkommen geschlichtet waren. Das Abkommen war 1914 auf Grund des gegebenen Kräfteverhältnisses geschlossen worden: Es bedeutete: Einstweilen rüsten wir, können wir uns die Beute gegenseitig nicht strittig machen, so wollen wir ihren jetzt konsumierbaren Teil untereinander nach dem Maßstab unserer Macht teilen. Der Mord des österreichischen Thronfolgers gab Deutschland-Österreich eine günstige Gelegenheit, eine Verschiebung in dem Machtverhältnis zu versuchen. Würde Russland dem diplomatischen Druck Deutschlands im Jahre 1914 ebenso wie im Jahre 1909 gewichen sein, so würde es im Reiche des Zaren, abgesehen von der immer mehr sich verschärfenden revolutionären Krise, zu einem scharfen Kampf zwischen der Regierung und dem junkerlich-kapitalistischen Imperialistenlager gekommen sein. Die Bedeutung Russlands in der Tripelentente würde sehr geschwächt, diese müsste in den folgenden Jahren Deutschland gegenüber viel vorsichtiger auftreten; die Gefahr eines Weltkrieges, mit der die deutsche Regierung für das Jahr 1916/17 gerechnet hat, würde verschoben, die Tripelentente wäre genötigt, dem deutschen Finanzkapital größere Zugeständnisse zu machen. Russland, das seit 1909 militärisch und wirtschaftlich erstarkt war, konnte nicht zurückweichen, wenn es der Zarismus nicht erleben wollte, dass sich seine imperialistischen Cliquen gegen ihn als ein unbrauchbares Instrument des Imperialismus wenden. Es mobilisierte, vielleicht in der Hoffnung, dass diesmal der deutsche Imperialismus zurückweicht; aber der deutsche Imperialismus trat in den Kampf um die Türkei ein. Der Weltkrieg war da. Der Sprung von den Abkommen über die Türkei zum Weltkrieg um sie ist der beste Beweis nicht gegen den imperialistischen Charakter des Weltkrieges, wie Kautsky in seiner Unschuld annimmt, sondern für den imperialistischen Charakter der so genannten internationalen, angeblich zum Frieden führenden Abmachungen. Die weltwirtschaftliche Entwicklung hat beim Bestehen nationalstaatlicher kapitalistischer Gruppen ihre Tendenz zur Ausbeutung eines möglichst großen weltwirtschaftlichen Territoriums geschaffen, woraus der Kampf unter den Weltmächten entstand, der jetzt in der Form des Weltkrieges ausgefochten wird. Ändert der Weltkrieg irgendwas an den Tendenzen, die ihn geboren haben, schwächt er sie zugunsten der internationalisierenden? Es wird oft auf zwei Momente hingewiesen, die das beweisen sollen, nämlich 1. die ungeheuren Kriegskosten. 2. die amerikanische Gefahr. Was die ungeheuren Kriegskosten anbetrifft, so sind sie nur für die Arbeiterklasse, das Kleinbürgertum und einen Teil der kleinen Kapitalisten eine Last. Kommt es nicht zu einem internationalen Staatsbankrott infolge der Auflehnung der Volksmassen gegen die Steuerlast, so hat das Finanzkapital wahrlich nicht die geringste Ursache, in den Staatsschulden eine «Strafe» für seine imperialistische Politik zu sehen, da ihm doch eben durch sie die Regierungen und Völker vollkommen ausgeliefert werden. Die Konkurrenz aber der jüngeren imperialistischen Mächte wie die Vereinigten Staaten Nordamerikas würde, wenn erfolgreich, nur bedeuten, dass sich das Zentrum der kapitalistischen Entwicklung nach dein neuen Kontinent überträgt, sie würde die imperialistischen Gegensätze nur verschärfen. Sollte diese Verschärfung des Gegensatzes zu den Vereinigten Staaten zu einer Annäherung, Konsolidierung der europäischen Großmächte führen — wir werden noch über die Gegentendenzen sprechen —‚ so würde dadurch keine «Internationalisierung» entstehen, sondern der weltpolitische Gegensatz auf höherer Stufe reproduziert werden: hie das alte kapitalistische Europa, dort die jungen Vereinigten Staaten, zwischen ihnen das kapitalistische Russland und Japan. Die Proletarier, die jetzt für ihre abgesonderten kleineren Vaterländer das Blut verspritzen, würden — wenn sie dessen früher nicht satt werden — es für die so neu gebildeten Gruppierungen tun: die einzige Änderung wäre das Verschwinden der Teilung zwischen West- und Zentraleuropa, die Aufrichtung ihrer gemeinsamen Front gegen die Vereinigten Staaten usw. Aber diese gemeinsame Front würde nicht einmal die .Rüstungen unter den west- und zentraleuropäischen Mächten aufheben, denn jede von ihnen hätte innerhalb des eigenen Lagers soviel Einfluss, das heißt Beuteanspruch, wie groß ihre Macht gegen den allgemeinen Gegner wäre. Wie das Entstehen der Tripelentente oder des Dreibundes kein Mittel war, die Rüstungen innerhalb dieser Gruppierungen zu mindern, sondern umgekehrt zu ihnen anspornte, so würde das auch der Fall sein bei der Verschärfung des Verhältnisses der west- und zentraleuropäischen Mächte auf einer und Amerikas auf der andern Seite. Aber diese Gruppierung ist in absehbarer Zeit nicht wahrscheinlich. Abgesehen davon, dass die Vereinigten Staaten Nordamerikas trotz allem Eifer eine sehr lange Zeit brauchen, in die Höhe der militärischen Macht Europas zu erreichen, so werden technischen Änderungen, die der Krieg in Europa angesichts der verminderten Zahl der qualifizierten Arbeiter hervorrufen wird (weitere Rationalisierung des Produktionsprozesses, höhere Organisation des Kapitals), dem europäischen Kapital erlauben zu versuchen, mit neuen Kräften den durch Amerika gewonnenen Vorsprung nachzuholen. Wie es auch darum bestellt sein mag, es kommen so viele Faktoren in Betracht, dass sich aus ihnen die Linie der Entwicklung nur sehr allgemein hervorhebt —‚ der Weltkrieg bedeutet keine Eindämmung der imperialistischen Gegensätze und Tendenzen, sondern umgekehrt ihre Verschärfung. Die Vereinigten Staaten Nordamerikas und Japan werden als imperialistische Konkurrenten mit gesteigerter Kraft auftreten. Die Einwirkungen des Weltkrieges, der die orientalischen und afrikanischen Völker in den Kampf der alten kapitalistischen Staaten hineinzog, werden sich nach Jahren — im Orient setzt sich alles aus begreiflichen Gründen sehr langsam durch — in Form des gestiegenen Selbstbewusstseins der Volksmassen, ihrer Bewegungen zeigen. Zusammen bedeutet das die Steigerung der Gegensätze unter den Weltmächten und zu den aufwachenden Völkern des Ostens. Gegen all die Gefahren werden die imperialistischen Mächte rüsten durch Verstärkung der Bündnisse, Erweiterung und Vertiefung ihrer Basis. Schon entsteht das Bestreben nach einer wirtschaftlichen Annäherung Deutschland-Österreichs und ihrer Orientvasallen nach einem Vorschieben ihrer Vorwerke nach Osten und Westen (direkte oder indirekte Beherrschung Belgiens und Polens), nach der Stärkung der Bande des British Empire, nach einem Ausbau der Tripelentente usw. Mag der Friede gewisse Neugruppierungen herbeiführen, an der Tatsache der Verschärfung der Gegensätze kann er nichts ändern. Sollte der Ausgang des Krieges zu einer Aufteilung der Türkei führen — es ist unwahrscheinlich, dass es dazu kommt, falls Deutschland nicht gründlich geschlagen wird, was ebenso unwahrscheinlich ist —; sollte es zur Neuaufteilung Afrikas kommen, dann kommt der Kampf um den Stillen Ozean und seine Randländer an die Reihe. Die Behauptung Kautskys, dass «jede imperialistische Politik dort (in China) immer mehr für jede europäische Macht unmöglich wird» («Nationalstaat» usw., S. 67) entbehrt ebenso jeder Begründung wie seine Behauptung, dass Indien, wenn es von der englischen Herrschaft befreit wäre, keine fremde Herrschaft mehr ertragen würde (a.a.O. S.49). Zu diesen Ländern als Objekten der weiteren imperialistischen Politik kommt — wenn jetzt der belgische und portugiesische Kolonialbesitz liquidiert wird — der Kolonialbesitz Hollands an die Reihe. So sieht die Idylle aus, die den Völkern bevorsteht, falls der Weltkrieg in seinem Gefolge keine Ära der Revolutionen haben wurde, die dem Kapitalismus ein Ende bereiten. Die imperialistische Epoche enthält keine Tendenzen, die zur Reformierung der kapitalistischen Weltpolitik, zu ihrer Verwandlung in eine friedliche Expansion führen könnten. Wer dem Proletariat das Ziel der Reform dieser Politik setzen will, der lässt es für eine Utopie kämpfen. Darum erübrigt es sich, ausführlicher über die Demokratisierung der Diplomatie, die internationalen Schiedsgerichte, die Rüstungseinschränkungen und wie sonst die Nummern des pazifistischen Programms lauten, als über Mittel der Eindämmung, Reformierung des Imperialismus zu sprechen. Die Demokratisierung der Diplomatie ist ebenso möglich wie die Ethisierung der Prostitution: dunkle Raubgeschäfte vertragen kein Tageslicht. Und die Dunkelheit, in der die Diplomatie einzelne ihrer Schachzüge hält, bildet keine Hindernisse zur Bekämpfung der imperialistischen Politik. Nicht nur ihre Hauptobjekte, Kräfteverhältnisse, sondern selbst ihre Teilkämpfe bleiben nicht geheim. So enthalten die bekannten belgischen diplomatischen Berichte, die die deutschen Sozialpatrioten als Wunderquelle der Belehrung über die Ränke der Tripelentente-Politik betrachten, keine einzige Tatsache von Wichtigkeit, die vor dem Kriege denen unbekannt geblieben wäre, die die große Weltpresse verfolgten. Die «Geheimdiplomatie» besteht nur darin, dass die Regierungen nicht offen sagen können, was jede von ihnen von der andern weiß, um durch den Zynismus ihrer Geschäfte die Arbeitermassen aller Länder nicht gegen sich auf die Beine zu bringen. Es sind konventionelle Geheimnisse, Lügen, an denen sie alle so lange festhalten werden, bis ihnen die Macht aus der Hand genommen wird. Die Schiedsgerichte bedeuten, wenn nicht allgemein obligatorisch, worauf keine Macht eingehen wird, solange Sonderinteressen der kapitalistischen Nationen existieren, nur einen Apparat zur Erledigung von Konflikten, die die Diplomatie in ihrem Bestreben, Zusammenstöße wegen weniger wichtiger Angelegenheiten zu vermeiden, auch ohne sie aus der Welt schaffen kann. Was aber die allgemeinen Rüstungsbeschränkungen anbetrifft, so haben wird von den Verfechtern dieser Idee keinen irgendwie ernst zu nehmenden Modus gehört, nach dem sie kontingentiert werden sollten. Wenn Kautsky als Abrüstung die Reduzierung der Armee- und Flottenbudgets propagiert, so nimmt er ihr die alte Bedeutung des Mittels gegen den Imperialismus und gestaltet sie in ein Mittel seiner Verbilligung: «das würde nicht einmal den Wettlauf ihrer Rüstungen zum Stillstand bringen, sondern ihm nur eine andere Form geben. Im Wettrüsten würde nicht mehr der größte Geldbeutel, sondern der hellere Kopf entscheiden, der organisatorisch und technisch mit den beschränkten Mittel mehr zu leisten vermag als die andern. Damit würde dem Wettrüsten sein schlimmster Stachel genommen, die wachsende finanzielle Last, die alle Völker erbittert» (a.a.O., S. 68). Wir sehen hier gänzlich davon ab, dass die Höhe der Militärbudgets, trotz aller Sparsamkeitsapostel, keine willkürliche ist, die sich ohne weiteres auf die Hälfte drücken lässt. Indem Kautsky auf den billigen Imperialismus gekommen ist, weil er die Völker weniger erbittern würde, können wir diesen klugen Plan den zukünftigen Staatssekretären dar Finanzen wohl empfehlen. Sie werden sich doch genug mit der Quadratur des Zirkels, genannt Verbilligung der Menschenschlächterei, zu befassen haben und werden ihn wohl gebrauchen können, weil doch auch ihnen die Milderung der Erbitterung des Volkes sehr am Herzen liegen muss. Sich mit dieser kleinbürgerlichen Kateridee als einer Losung der Sozialdemokratie hier herumzuschlagen, hielten wir als eine Beleidigung unserer Leser. Aber indem der Hauptprophet einer Reformierung des Imperialismus auf seine Verbilligung kam, hat er auch die ganze Ideenlosigkeit des Sozialpazifismus gezeigt. Ebenso wenn Karl Renner allen Ernstes den internationalen Verzicht auf Verwendung von Mannschaften unter 20 und über 35 Jahren im Kriege propagiert. Diese Scharfsinnigen werden kindisch, weil sie einer Utopie, der Reformierung einer bluttriefenden Politik, die eine Welt in Brand setzt, nachlaufen, wo historisch nur die Alternative besteht: entweder Erlegung des wilden Tieres oder die Niederlage der Menschheit, ihr Weißbluten. Wo es kein Drittes gibt, bedeutet der Versuch, es rauszuspintisieren, ein geistiges Abenteuer, das in ein geistloses Abenteurertum ausartet. 3. Die Unmöglichkeit der Lösung der vom Imperialismus aufgerollten Fragen in den Rahmen des Kapitalismus stellt die Menschheit vor eine Alternative: Zerstörung der Produktivkräfte, Rückfall in die Barbarei, oder Aufbäumung dieser Produktivkräfte gegen die Eigentumsformen, die sie mit Vernichtung bedrohen. Den ersten Teil dieser Alternative hatte die Menschheit Gelegenheit, in grauenerregender Weise in diesem Weltkrieg kennen zu lernen. Und während der ganzen imperialistischen Epoche wird dieser Teil der Alternative sie bedrohen. Welche Aussichten bestehen für den zweiten Teil, für die Rebellion der Produktivkräfte. Die wichtigste Produktivkraft des Kapitalismus ist die Arbeiterklasse, die nach hundertjähriger Entwicklung ganz anders gestaltet ist, als zur Zeit, wo sie den «Great Enoch»‚ den großen Hammer gegen die Maschinen schwang, das wilde Lied singend: «Stop him who dare! Stop him who can». In dem langen Prozess der kapitalistischen Entwicklung wurde nicht nur die Arbeit immer mehr vergesellschaftlicht, nicht nur die Organisation der Produktion immer mehr aus dem Werke einzelner zum gesellschaftlichen Werke, wurde nicht nur die Ausgiebigkeit der Arbeit unerhört gesteigert, sondern auch die Arbeitermassen gewannen in ihren fortgeschrittensten Teilen einen Einblick in den gesellschaftlichen Aufbau, der sie zu den bewussten Trägern der sozialen Revolution machte. Nicht nur diese letzte Behauptung wird in den Jahren des Weltkrieges, des schändlichen Zusammenbruchs der Internationale, als die Revolution mit verschobenem Termin ausgelacht, sondern es wird bezweifelt, oh die wirtschaftlichen Verhältnisse der kapitalistisch-entwickelten Länder schon für den Sozialismus reif sind. Aber solange gegen die Tatsache der Beherrschung der Hauptindustrien durch das Finanzkapital nichts ins Feld gebracht werden kann, als der Einwand Cunows, als überschätzten wir die schon erreichte Höhe der Entwicklung und fassten die fernere Entwicklung zu sehr als einfache Verlängerung weniger als Formationsänderung der bisherigen Wirtschaftsweise (Parteizusammenbruch, S. 10), so lange halten wir an der Behauptung fest, die vor dem Kriege Gemeingut. der marxistischen Theoretiker war‚I dass die objektiven Voraussetzungen des Sozialismus schon vorhanden sind. Die Einwände Cunows hätten nur dann einen Sinn, wenn er angeben würde, von welchem Momente an der Übergang zum Sozialismus möglich sei, welche Formationsänderungen in der jetzigen Wirtschaftsweise notwendig sind, damit sie für die sozialistische Sense reif sind. Das kann Cunow natürlich nicht tun, weil auf einer gewissen schon erreichten Stufe der wirtschaftlichen Entwicklung sie ebenso in 10, wie in 20 oder 30 Jahren umwandelnde Kräfte gebären kann: das hängt dann nicht mehr von den wirtschaftlichen Bedingungen allein, sondern von den durch die Gesamtheit der Bedingungen (politische, moralische, usw.) geschaffenen Willensbeziehungen der Klassen ab. Der Sozialismus ist wirtschaftlich möglich, weil in den wichtigsten Wirtschaftszweigen eine Höhe der Konzentration eingetreten ist, die ihre Leitung im Interesse der Allgemeinheit möglich macht. Er wird politisch möglich sein, wenn die Arbeiterklasse den revolutionären Massenkampf um die Gewalt im Staate beginnt und nach einer Periode von Siegen und Niederlagen sich am Staatsruder behauptet. Die historische Bedeutung der imperialistischen Epoche, die ein Produkt dieses ungeheuren wirtschaftlichen Konzentrationsprozesses ist, ist eben dass sie die psychologischen Vorbedingungen für den Kampf des Proletariats um die staatliche Gewalt schafft. Schon vor dem Kriege war die Verschärfung der Klassenkämpfe in ganz Europa und Nordamerika ein Resultat des Wachstums des Imperialismus: sie wurden verursacht durch die Teuerung, Verschlechterung der Aussichten der Gewerkschaften den Unternehmerorganisationen gegenüber, die wachsende Steuerlast, die durch die wachsenden Rüstungen geboren wurde, politische Reaktion usw. Kurz durch die direkten Ausflüsse des Imperialismus oder durch Folgen derselben Ursachen, die den Imperialismus gebären. Alle diese Erscheinungen führten zur Verschärfung des Klassenkampfes, zu revolutionären Massenbewegungen in verschiedenen Ländern, zur Entstehung des Bewusstseins, bei einer kleinen Minderheit des Proletariats, um was es sich bei all den Kämpfen handelt. Aber diese Erschütterungen haben sich als zu klein erwiesen, nicht nur um die breitesten Arbeitermassen, sondern selbst um die sozialistischen Massen zum Kampfe zu führen, der dem Kapitalismus ein Ende bereiten konnte. Mit dieser Möglichkeit war schon vor dem Krieg zu rechnen, und niemand übernahm die Garantie, dass der Widerstand des Proletariats den drohenden Weltkrieg bändigen wird. (So meine Broschüre: Der deutsche Imperialismus und die Arbeiterklasse. Bremen 1912. S. 81.) Was vor dem Kriege nicht vorausgesehen wurde, so die Tatsache, dass die Arbeiterbürokratie und Arbeiteraristokratie, die zusammen eine stattliche und einflussreiche Schicht der Arbeiterklasse bilden, direkt auf die Seite des Imperialismus übergehen werden, womit beim Kriegsausbruch irgendwelcher Kampf des Proletariats unmöglich gemacht wurde: zu sehr hat es seine Initiative an diese Schicht abgetreten. Aber schon die in allen Ländern anwachsende Protestbewegung immer breiterer Arbeitermassen gegen die sozialimperialistische Politik zeigt, dass die Niederlage des Sozialismus kurzlebig ist. Der Weltkrieg wird den breitesten Volksmassen zeigen, was die imperialistische Politik sie kostet, wenn sie ihr kein Ende bereiten. Die Folgen des Weltkrieges, die Verschlechterung der Lage der Arbeiterschaft als Produzenten dank der Stärkung der Organisation der Unternehmer und Schwächung der Arbeiterorganisationen, als Konsumenten dank der gesteigerten Teuerung, der Erhöhung der Schutzzölle, Steuern, alle diese und Tausende anderer Folgen des Weltkrieges werden zusammen mit der Gefahr neuer Kriege in bisher unbekannter Weise aufrüttelnd auf die Arbeitermassen wirken. Wenn weder die Zeit des Beginns dieser Kämpfe, noch ihr Tempo berechenbar ist, so müssen sie selbst dagegen als unabwendbare Folge des Krieges gehalten werden. Mit diesen großen Massenkämpfen rechnen nicht nur wir, revolutionäre Sozialdemokraten, sondern es tun es auch weitsichtigere Vertreter des Kapitals, wie es die Reden der Lords Courtney und Loreburn im englischen Lordhaus zeigten. Da, wie unsere vorherigen Ausführungen gezeigt haben, in den Rahmen des Kapitalismus die vom Imperialismus aufgerollten Fragen nicht gelöst, die Gefahren, mit denen er die Menschheit bedroht, nicht abgewendet werden können, werden die Massenkämpfe des Proletariats, die noch während des Weltkrieges oder nach ihm entbrennen, in den Kampf um die politische Gewalt zwecks sozialistischer Organisation der Produktion ausmünden. Historisch genommen werden die kommenden Massenkämpfe den Prolog zur sozialistischen Revolution bilden, die an dem Tage beginnt, wo aus den Teilkämpfen der Kampf um die politische Gewalt herauswächst. 4. Der Kampf um den Sozialismus wird aus dem Kampf gegen alle Nöte und Gefahren der imperialistischen Epoche herauswachsen. Die Losung des Sozialismus wird alle die sich gegenseitig beeinflussenden. ineinander fließenden Kämpfe im Gefühlsleben und der Einsicht der Massen zu einem Prozess verbinden. Unsere hauptpropagandistische Aufgabe wird demnach darin bestehen, den Massen zum Bewusstsein zu bringen, dass der Sozialismus und die einzige volle Lösung der durch die Geschichte auf die Tagesordnung gestellten Fragen schon möglich ist. Politisch werden wir diese «Sozialisierung» der Massenkämpfe nicht dadurch herbeiführen können, dass wir sie zurückstellen, bis «eine allgemeine. Abrechnung möglich sein wird»‚ denn ein solches Beginnen wäre ebenso unsinnig wie fruchtlos. Wir werden sie «sozialisieren» können, indem wir sie je nach den in der objektiven Situation liegenden Möglichkeiten zuspitzen, bis zur äußersten Möglichkeit verschärfen, mit andern zu vereinigen suchen, mit einem Worte: radikalisieren und verallgemeinern. Wie wir den revolutionären Teilkämpfen nicht aus dem Wege gehen können, sondern umgekehrt in ihnen den Kampf um den Sozialismus sehen, so müssen wir für diesen Kampf ein Aktionsprogramm besitzen, das im Gegensatz zum Programm der Reform des Kapitalismus, als welches das Minimalprogramm der II. Internationalen fungierte, ein Programm der Revolution, der Überwindung des Kapitalismus ist: es muss alle die Forderungen enthalten, den Lebensinteressen des Proletariats entsprechen, für die es in den Kampf treten wird, und die es, sobald es aus diesem Kampfe siegreich herauskommt, die Gewalt erringt, realisieren wird.J Aus tausend Lebensnöten der Arbeiterklasse anwachsend, wird der Kampf um die Abschaffung jeder von ihnen unter Sonderlosungen geführt, die alle zusammen den Kampf um den Sozialismus bedeuten. Er ist ein Kampf gegen die Annexionen, das heißt willkürliche Unterwerfung von Volksmassen unter die Herrschaft fremder Kapitalisten, die die ökonomische Ausbeutung um die nationale verstärkt. Wir führen ihn, indem wir jeden Akt der nationalen Unterdrückung geißeln, gegen das Zerschneiden von Nationen, gegen ihre gewalttätige Pressung in fremde Staaten protestieren, nicht aus Liebe zu der jetzigen Karte der Welt, die ein Ausfluss alter Schandtaten, alter Willküren ist, sondern weil keine mit Feuer und Schwert durchgeführte Neuordnung imstande ist, den Völkern ein erträgliches Leben zu sichern. Wir führen ihn, weil die Unterdrückung eines Teils des internationalen Proletariats die Lage aller andern verschlechtert, für alle neue Ketten bereitet; wir führen ihn im Namen des Sozialismus der allen Völkern erlauben wird, in brüderlicher Weise, ohne Druck über die gemeinsamen Angelegenheiten zu bestimmen; wir führen ihn unter der Losung: die Grenzen weg, Vereinigung der sozialistischen Völker der Welt, weil die ganze zivilisierte Menschheit unter sozialistischem Regime ein auf gegenseitiger Hilfe aufgebautes Ganzes sein wird.1 Es ist ein Kampf gegen die Unterdrückung der unentwickelten Völker, denen das Kapital die Kultur der Sklavenpeitsche, des Bajonetts, der Syphilis und Bibel bringt, und denen erst der Sozialismus uneingeschränkte kulturelle Hilfe bringen wird. Um für das vergossene Blut der Eingeborenen, unserer zukünftigen Mitkämpfer, keine Verantwortlichkeit zu tragen, rufen wir heute dem internationalen Kapital zu: Hände weg von den Kolonien; wir werden jeden Kampf der kolonialen Völker ausnutzen, um durch Attacken auf der Kapitalismus in Europa unsern Sieg und ihren freien Aufstieg zur Kultur zu beschleunigen.K Keine Kriegsentschädigungen, lautet unser Ruf, denn wir wissen, dass kein Volk für dieses Verbrechen des Weltkrieges verantwortlich ist, und weil jede zur Kriegsentschädigung verurteilte Bourgeoisie sie auf ihre Arbeiter abwälzen will. Wir wollen das Elend keines Proletariats vergrößern. Nicht auf die Schultern eines Teils unserer internationalen Familie gilt es die Lasten des Krieges abzuwälzen, sondern sie gemeinsam abzuschütteln. Vom Weltkrieg weißgeblutet, von den Hyänen des Schlachtfeldes ausgepowert, sieht das Proletariat die immer wachsende Last der Steuern. Weil es für das Kapital Millionen Leichen auf dem Schlachtfelde überließ, soll es Hunderte von Milliarden der Kriegsschulden in jahrzehntelanger Robot abarbeiten. Das Proletariat soll jahrzehntelang tagtäglich länger arbeiten, weniger essen, seine Kinder unterernähren, sich jeden Kulturgenuss absagen, damit die Kapitalisten, die es durch ihre Anleihen ermöglichten, Europa in ein Schlachtfeld zu verwandeln, in Saus und Braus ohne Arbeit leben können. Nimmer und nimmermehr. Diesem System keinen Groschen! Nicht nur keinen Groschen Steuern, die die Massen direkt belasten. Wir lehnen die Staatsmonopole ab, die eine Staatssklaverei der Arbeiter, eine Schöpfung aller Konsumenten bedeuten. Wir lehnen die direkten Steuern ab, die angeblich die Bourgeoisie zahlt, in Wirklichkeit aus unserm Blut und Schweiß auspressen, wird. Bereit, für die Ziele der Entwicklung der Kräfte der Menschheit jede Last auf uns zu nehmen, lehnen wir jede Steuer ab, die zur Fortführung der imperialistischen Politik dienen soll. Wir lehnen die Zahlung der Kriegsschulden ab, wir fordern ihre Annullierung. Nur den kleinen Besitzern, den kleinen Handwerkern, Händlern, Arbeitern, die, durch die kapitalistische Presse irregeführt, sich zur Unterstützung des Imperialismus hergaben, sind wir bereit, ihre Notpfennige aus allgemeinen Mitteln zurückzuerstatten, falls sie zusammen mit uns gegen die Ausbeutung der Volksmassen durch die großen Staatsschulden ankämpfen. Aber nicht nur durch neue Steuern droht das Kapital die Lage des Proletariats nach dem Kriege zu verschlechtern, es unerträglich zu machen. Durch Ausbreitung der schlecht entlohnten Frauenarbeit, durch Anstellung der Krüppel, durch Anwendung der verschiedenen wissenschaftlichen Mittel der Auspressung der Kraft des Proletariats wird das Kapital versuchen, die Verluste an Produktivkraft, die es im Weltkriege erlitten hat, wettzumachen. Die Schwächung der Gewerkschaften durch die selbstmörderische Politik des Burgfriedens wird ihm dazu helfen. Demgegenüber muss jetzt schon während des Krieges und noch stärker beim Friedensschluss wenn die «Vaterlandsverteidiger» zurückkehren, der Ruf nach dem Achtstundentag, voller Koalitionsfreiheit, genügendem Arbeiterschutz, Arbeitslosenunterstützung erschallen. Gegen all diese Forderungen wird das Kapital alle seine Machtmittel gegen das Proletariat in Bewegung bringen. Es wird versuchen, sich auf das stehende Heer gegen die demobilisierten Volksmassen zu stützen. Fort mit dem stehenden Heere, rufen wir deswegen. Mag auch das Volksheer sich zu kapitalistischen Zwecken gebrauchen lassen. Aber wenn die Volksmassen durch die bittere Schule des Weltkrieges und seiner Folgen durchgegangen sind, so werden sie, von dem Druck der Kaserne, der Militärgerichte, des langen Drills befreit, nicht der «Verteidigung des Vaterlandes» dienen wollen, die Lug und Trug ist, sondern der Befreiung ihrer Klasse selbst, aller Leidenden und Entrechteten dienen wollen. Das Kapital wird in den Republiken sich unter die Bollwerke der Bourgeoisie, die Vorrechte der Präsidenten, die Senate, die zweiten Kammern, in den Monarchien daneben unter die Rechte der Könige und Kaiser verschanzen. Nieder die Vorrechte der Bourgeoisie und des Junkertums, nieder das Haus der Lords, der Senat; nieder die Herrenhäuser, nieder die Monarchien der Hohenzollern, Romanows, Habsburger und Savoyer; es lebe die demokratische Republik! muss unser Ruf gellend allen denen in die Ohren schallen, die diesen Weltkrieg entfesselt haben und neue zu entfesseln bereit sind. Das ist das Aktionsprogramm der Internationalen in der Ära des Imperialismus. Im Kriege wie im Frieden. Nicht die Entwerfung «neuer gerechter» Karten Europas, die die Diplomaten des Imperialismus zu verwirklichen hatten, nicht Destillieren von Grundsätzen und besten Losungen; die man dem Imperialismus entgegenstellen soll, um die Masse, die noch die Notwendigkeit des Sozialismus nicht versteht, in den Kampf herein zu ziehen, sondern Formulierung der wichtigsten Bedürfnisse des Proletariats in der Epoche des Imperialismus, mutige Agitation für revolutionäre Massenkämpfe, und das alles beleuchtet von der Sonne des Sozialismus, die purpurn über die Schlachtfelder aufgehen wird, das ist unser Friedensprogramm: es ist das Schwert. Es gilt, schon heute alle Kräfte zu verwenden, damit sie auf das Kapital niedersausen. Sollte das trotz aller Bemühungen nicht gelingen, so wird es sich später zeigen, dass die Arbeit nicht umsonst war. Nur die, die unter dem Beil des Kriegszustandes ihre Fahne entfalteten, werden von der Arbeiterklasse ernst genommen werden. A Wir glauben das Recht zu haben, uns auf die «Chemnitzer Volksstimme» zu berufen, denn angesichts der Wichtigkeit der Frage wäre Ledebour verpflichtet, sie zu dementieren, falls sie seinen Standpunkt falsch interpretiert hätte. Aber abgesehen davon, dass von Seiten Ledebours keine Richtigstellung erfolgte, besitzen wir Aufzeichnungen eines zuverlässigen Korrespondenten über eine Berliner Rede Ledebours. die sich vollkommen mit der Darstellung des Chemnitzer Blattes decken. B Sollte der Verfasser des zitierten Flugblattes dem Parteizentrum nicht angehören, so ändert das nichts an der Tatsache, dass er einen typischen Zentrumsstandpunkt in dieser Frage vertritt. C Indem wir diesen Standpunkt als den des Zentrums charakterisieren, wollen wir nicht behaupten, dass alle Genossen, die ihn vertreten, zum Zentrum gehören. So wenn sich unsere Freunde, Genossen Laufenberg und Wolfheim, in ihrer sonst vortrefflichen Broschüre: Demokratie und Organisation (S. 44/45) gegen den Burgfrieden, aber zur Verteidigung des Staatsterritoriums, solange es bedroht ist, bekennen, so zeigen nicht nur ihre Aussichten über den weiteren Charakter der Arbeiterbewegung, sondern noch viel mehr ihr mutiger, vom ersten Tag des Krieges geführter Kampf gegen die Irrungen und Wirrungen der Partei, dass es sich nur um eine Verirrung, eine Inkonsequenz radikaler Sozialdemokraten handelt. Hoffentlich haben sie es schon inzwischen selbst anerkannt oder werden es in der Zukunft anerkennen. D Ja, Sklavenworte! Und je höher man Viktor Adler als Menschen schätzt, je mehr man zwischen ihm und einem Scheidemann zu unterscheiden weiß, desto klarer muss man es hervorheben. Wenn ein Adler nach anderthalb Jahren des Weltkrieges die Unterwerfung des Proletariats unter das Kapital als «selbstverständliche, naturgemäße Pflicht» der Sozialdemokratie legitimiert, so gibt es keine Worte, die scharf genug dokumentieren können, dass es selbst mit den persönlich achtbarsten Vertretern der sozialpatriotischen Richtung keine Aussöhnung gibt. E Siehe Erklärung Haases im «Vorwärts» vom 16. Januar 1916. F Wir sprechen hier immer von Großmächten, ohne jedoch der Meinung zu sein, dass sich die imperialistischen Motive bei der Behandlung der Kleinen Staaten ausschalten. Abgesehen von Belgien, dessen Arbeiter auch Kongo verteidigen, von Holland, bei dessen Angst um die Unabhängigkeit das Zittern um die selbständige Ausbeutung Niederländisch Indiens eine große Rolle spielt, kommen die Interessen des Kapitalexports, die Hoffnungen auf die Teilnahme am Imperialismus der einen oder andern Großmächtegruppe auch bei den andern kleinen Staaten stark in Betracht. Auch würde sie bei der Verteidigung ihrer Unabhängigkeit auf der Seite der imperialistischen Staaten ihre Geschicke mit dem Imperialismus verbinden, die Verteidigung ihrer Unabhängigkeit würde ein Faktor des Kampfes für die Abhängigkeit anderer. Aber diese Frage erfordert eine besondere Behandlung. G Wer diesen historischen Standpunkt mit der rein rationalistischen Bekämpfung der "leur Patrie", durch Hervé identifiziert, wie es Ed. David (Intern. Korr. vom 17. März 1916) tut, dem sei folgendes zu Gemüte geführt: Für Hervé war die Stellung zum Krieg schon damit gegeben, dass das «Vaterland» kapitalistisch ist, der Marxismus hielt die Kriege, die zum Beispiel zur Bildung des kapitalistischen Staates führten, die so genannten nationalen Kriege, für einen historischen Fortschritt. Unser rein ablehnender Standpunkt den Kriegen der imperialistischen Epoche gegenüber wird dadurch bestimmt, dass nunmehr in den Ländern des entwickelten Kapitalismus dieser schon zum Hemmnis der historischen Entwicklung wurde. Wie die marxistische Auffassung der Vaterlandsverteidigung mit derjenigen Hervés nur so viel gemeinsam hat, dass Hervé den Worten Marxens: Die Proletarier haben kein Vaterland! einst zugestimmt hatte, so hat auch die marxistische Auffassung des Kampfes gegen den Krieg nichts gemeinsames mit der Hervés, der einfach die Sabotage der Nationalverteidigung dekretieren wollte, während wir in Bedingungen der imperialistischen Entwicklung die Elemente suchen, die den revolutionären Massenkampf gegen den Kapitalismus überhaupt gebären. Wir werden gelegentlich an der Hand der Schriften Hervés noch eingehender beweisen, wie entgegengesetzt methodologisch und faktisch unser Standpunkt dem seinen ist. Für denkende Sozialdemokraten müsste das Gesagte genügen. I Siehe Kautsky: «Sozialismus und Kolonialpolitik»‚ 1907, S. 37. Derselbe: «Weg zur Macht», 1909, S. 90. Rudolf Hilferding: «Finanzkapital»‚ 1910, S. 446 bis 476 J Wenn der Genosse Trotzki im Pariser «Nasche Slowo» unsern holländischen Gesinnungsgenossen, den Tribunisten, eine rein propagandistische Position eines aufgeklärten Sektierertums vorwirft, so glauben wir, dass es sich dabei nur um unaufgeklärtes Sektierertum handelt. Weder die holländischen noch irgendwelche andere Linksradikalen haben auf ein Aktionsprogramm verzichtet. Ein «Extremismus»‚ der sich mit der reinen Propaganda des Sozialismus begnügt, ist ein Produkt der Phantasie des Genossen Trotzki. 1 Genosse Trotzki stellt dieser Losung die der Vereinigten Staaten Europas ohne Monarchien und stehende Heere gegenüber. Mag er noch so sehr beteuern, dies sei eigentlich die staatliche Formel des Sozialismus, so ist darauf zu sagen: Wenn es sich hier um die Utopie des schon demokratischen, aber noch «nicht sozialistischen Europas» handelt, also um ein im Kapitalismus verwirklichbares Ziel, so trifft, darauf alles das zu, was wir über die pazifistische Argumentation gesagt haben: Die Demokratie (Abschaffung der Monarchien und stehenden Heere) schafft die Gegensätzlichkeit der kapitalistischen Interessen nicht ab. Sucht Trotzki wirklich eine staatliche Formel für den Sozialismus, so ist seine Lösung aus drei Gründen fehlerhaft: 1. Der Staat war bisher immer eine Organisation der Klassenherrschaft; der Sozialismus wird die Organisation der Völker, nicht der Staaten sein. 2. Wenn Trotzki diesen «doktrinären» — als ob man bei Formulierung der Losungen die «Doktrin» entbehren könnte — Einwand ablehnt, so fragen wir, weswegen er denn nicht ausdrücklich sagt, dass es sich um den Sozialismus handelt. Versteckt sich hinter diesem Verschweigen nicht eine Konzession an den hausbackenen Realismus, der die Massen eher zu bekommen glaubt, wenn man ihnen die fernen Perspektiven nicht zeigt. Zum Schluss der Haupteinwand: Der Imperialismus stellt alle Fragen im Weltmaßstabe. Wenn Trotzki behauptet, dass in diesem Weltkriege eben Europa kämpft, so vergisst er dabei nicht nur Australien, Kanada, Südafrika und die Türkei als Mitkampfer, sondern dass die imperialistische Organisation der Welt den Gegenstand des Kampfes darstellt, dass morgen der Kampf um die Gestade des Stillen Ozeans entbrennen wird, in dem das russische, japanische und amerikanische Proletariat zu sprechen haben werden. Wer die Lösung selbst der Sozialistischen Vereinigten Staaten (!) Europas aufstellen wollte, der würde morgen von der Geschichte überholt werden. [Trotzki hat die Parole weder auf den Kapitalismus noch den Sozialismus bezogen, sondern auf die revolutionäre Übergangsperiode dazwischen, die “Diktatur des Proletariats”, damit gehen Radeks Einwände ins Leere. — d. Hg,] K Eine ausführliche Begründung dieser Losungen findet der Leser in dieser Nummer in den Thesen, die die Redaktion der «Gazeta Robotnitza»‚ der ich anzugehören die Ehre habe, über die Frage des Selbstbestimmungsrechtes der Öffentlichkeit unterbreitet. [Zur Kritik an diesen Thesen s. Lenin, Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung — d. Hg.] |
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