Leo Trotzki: Die spanische Revolution [nach: Internationales Bulletin der Komunistischen Linksopposition, No. 4, Februar 1931] Die linke Opposition und die spanische Revolution Die wichtigsten sozialen Ereignisse unserer Tage spielen sich in Spanien ab. In dem Lärm des Streites zwischen der Monarchie und den Republikanern unterscheidet man deutlich das drohende Echo des Krachens des feudal-bourgeoisen Gebäudes. Das spanische Volk, durchlebt eine Periode, in der der Eintritt der Massen in den Kampf äußerst günstig ist. In der Tat werden heute die arbeitenden Massen der Städte und des Landes zu Streikbewegungen, militärischen Aufständen, Straßenmanifestationen getrieben. Wer wird sich an den Kopf der im Zustand sozialen Aufstandes befindlichen Volksmassen stellen? Welche soziale Klasse wird die Führerstelle dieser Massen einnehmen, um deren soziale und politische Forderungen am klarsten zu Ausdruck zu bringen und am kühnsten dafür einzutreten? Dies ist der Knotenpunkt der spanischen Revolution. Eine grandiose historische Aufgabe stellt sich für die spanische Revolution: in erster Linie muss sie die feudalen Fesseln, die die Entwicklung des spanischen Volkes hemmen, beseitigen. Diese Aufgabe lösen, heißt die Frage des Privateigentums in ihrer ganzen Breite vor den Massen aufrollen. Um normale soziale Beziehungen herzustellen und der spanischen Wirtschaft eine solide Unterlage zu verschaffen, muss man nicht nur die Monarchie umstürzen, sondern auch das Land den Bauern geben, d.h. die Junker und Latifundienbesitzer sowie die Kirche enteignen. Die spanische Bourgeoisie kann und will diese revolutionäre Aufgabe nicht auf sich nehmen. Im Gegenteil, sie wird sich als erste mit den niederträchtigsten und grausamsten Mitteln den Versuchen des Volkes,das geheiligte Recht des Privateigentums anzutasten, entgegensetzen. Dem Proletariat, und ihm allein, fällt die historische Rolle zu, die Massen zum Kampf zu führen und die Jahrhundertealten Forderungen des von der Monarchie, der Kirche und dem feudal-bourgeoisen Bunde unterjochten, spanischen Volkes im revolutionären Kampf zu verwirklichen, aber das Proletariat wird diese Rolle nicht ohne Organisation, ohne Partei erfüllen Können. Die heutige Leitung der KI – dieses Zentrums der Weltrevolution, geschaffen von Lenin und Trotzki – erweist sich als unfähig, die volle Bedeutung der spanischen Ereignisse zu begreifen und die revolutionäre Bewegung des Proletariats zu leiten. Die Internationale Linke Opposition antwortet den Ruf des spanischen Proletariats, das sich im Feuer das Kampfes den Weg zu seiner Befreiung und der aller spanischen Arbeitermassen bahnt. In seiner spanische Schrift über die Revolution gibt der Genosse Trotzki ein umfassendes Bild Spaniens; er nimmt eine gründliche Analyse aller in den Kampf eingetretenen Klassen vor und zeichnet das revolutionäre Programm des spanischen Proletariats. Er kommt zu folgendem Schluss: „zur siegreichen Lösung aller dieser Aufgaben sind drei Bedingungen notwendig: die Partei, noch einmal die Partei und immer wieder die Partei." Die spanische Opposition wird diese Losung verwirklichen können ohne oder sogar gegen die desorientierten Bürokraten der KI Die Internationale Opposition wird alle ihre Kräfte anspannen, um den spanischen Revolutionären diese Aufgabe zu erleichtern. Man muss die Aufmerksamkeit des internationalen Proletariats auf die spanischen Ereignisse lenken. Zu diesem Zweck lassen wir eine Sonderausgabe des Internationalen Bulletins in deutscher Sprache erscheinen, die der Schrift des Genossen Trotzki gewidmet ist. Diese Studie erscheint gleichzeitig in spanisch in Form einer Broschüre und in französisch in den Spalten der „Vérité" (N° 74, 75 u. 76). Eine englische und eine italienische Ausgabe sind in Vorbereitung. Die Redaktion [des Internationalen Bulletins der Komunistischen Linksopposition] Die spanische Revolution von L. D.Trotzki 1. Das alte Spanien Die kapitalistische Kette ist schon wieder in Gefahr in ihrem schwächsten Glied zu zerbrechen: die Reihe ist an Spanien. Die revolutionäre Bewegung entwickelt sich in diesem Lande mit einer solchen Stärke, dass es der Welt-Reaktion von vornherein unmöglich ist, der Wiederherstellung der Ordnung auf der spanischen Halbinsel Glauben zu schenken. Spanien gehört zweifellos zu den rückständigsten Ländern Europas. Aber seine Rückständigkeit hat einen besonderen Charakter und ist voll der großen historischen Vergangenheit des Landes. Während das zaristische Russland stets weit hinter seinen abendländischen Nachbarn zurückblieb und unter deren Druck langsam vorwärtsschritt, kannte Spanien manche Periode großer Blüte, Perioden, in der es dem übrigen Europa überlegen war und in der es über Südamerika herrschte. Die gewaltige Entwicklung des Innen- und Welthandels triumphierte immer mehr über die feudale Zerstückelung der Provinz und über den Partikularismus der nationalen Gebiete des Landes. Die Ausdehnung der Kraft und der Bedeutung der spanischen Monarchie war in diesen Jahrhunderten eng an die zentralistische Rolle des Handelskapitals und an die allmähliche Heranbildung der spanischen Nation gebunden. Die Entdeckung Amerikas, welche zuerst Spanien stärkte und bereicherte, gereichte schließlich dem Land zum Nachteil. Die großen Handelswege entfernten sich von der spanischen Halbinsel. Das reich gewordene Holland trennte sich von Spanien. Nach Holland hob England weit und für lange Zeit sein Haupt über Europa. Schon seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ging Spanien seinem Niedergang entgegen. Seit der Zerstörung der unüberwindlichen Armada (1588) nimmt dieser Niedergang sozusagen einen offiziellen Charakter an. Dieses bürgerlich-feudale Wesen Spaniens nannte Marx "das langsame und ruhmlose Hinsiechen".1 Die alten und neuen herrschenden Klassen – der adelige Grundbesitz und die katholische Geistlichkeit mit ihrer Monarchie, die bürgerlichen Klassen mit ihrem Intellektuellen – versuchen hartnäckig ihre alten Ansprüche aufrecht zu erhalten, aber leider ohne die alten Hilfsmittel. Im Jahre 1820 haben sich die südamerikanischen Kolonien endgültig losgelöst. Der Verlust von Kuba im Jahre 1898 entblößte Spanien jeglichen Kolonialbesitzes. Die Abenteuer von Marokko haben das Land nur ruiniert und die schon ziemlich tiefe Unzufriedenheit des Volkes verstärkt. Die Verspätung der ökonomischen Entwicklung Spaniens hat unvermeidlich die dem Kapitalismus innewohnende zentralistische Tendenz geschwächt. Dir Niedergang des Industrie- und Handelswesens der Städte und ihrer gegenseitigen ökonomischen Verbindungen führte unumgänglich zur Abschwächung der wechselseitigen Abhängigkeit gewisser Provinzen. Dies ist der Hauptgrund, aus welchem es dem bürgerlichen Spanien bis heute nicht möglich war, der Zentrifugal-Tendenzen seiner historischen Provinzen Herr zu werden. Die ärmlichen Hilfsquellen der nationalen Wirtschaft und das Gefühl der Beschwerde in allen Teilen des Landes bot den separatistischen Tendenzen nahrhaften Boden. Der Partikularismus tut sich in Spanien mit spezifischer Stärke kund, besonders im Vergleich zu seiner Nachbarin Frankreich, wo die Große Revolution endgültig die Herrschaft der einigen und unzertrennbaren bürgerlichen Nation über die alten feudalen Provinzen gefestigt hat. Die wirtschaftliche Stagnation gestattete die Herausbildung der neuen bürgerlichen Gesellschaft nicht und zersetzte auch zugleich die alten herrschenden Klassen. Die hochmütigen Edelleute bedeckten oft ihren Stolz mit einer durchlöcherten Mantilla. Die Kirche plünderte die Bauern aus, aber von Zeit zu Zeit musste sie die Plünderungen der Monarchie dulden. Letztere hatte, wie Marx bemerkt hat, mehr Ähnlichkeit mit dem asiatischen Despotismus als mit dem europäischen Absolutismus. Wie ist dieser Gedanke zu verstehen? Der Vergleich zwischen Zarismus und asiatischem Despotismus, der mehr als einmal gemacht worden ist, scheint vom geographischen sowohl als vom historischen Standpunkt aus, ganz natürlich. Aber in Bezug auf Spanien behält dieser Vergleich ebenfalls seine ganze Kraft. Der Unterschied besteht darin, dass der Zarismus sich auf der äußerst langsamen Entwicklungsbasis des Adels und der primitiven. Städte-Zentren herausbilde. Was die spanische Monarchie anbelangt, so hat sie sich unter den Bedingungen des Niedergangs des Landes und der Verwesung der herrschenden Klassen herangebildet, während der europäische Absolutismus seine Entwicklung dem Kampf der auf dem Wege der Festigung befindlichen Städte gegen die alten privilegierten Stände verdankte, schöpfte die spanische Monarchie, sowie der russische Zarismus, ihre relative Kraft aus der Ohnmacht der alten Stände und Städte. Darin eben besteht ihre offensichtliche Ähnlichkeit mit dem asiatischen Despotismus. Das Vorherrschen zentrifugaler über zentripetale Tendenzen, sowohl in wirtschaftlicher wie in politischer Beziehung, entzog dem spanischen Parlamentarismus den Boden. Der Druck der Regierung auf die Wählerschaft hatte entscheidenden Charakter: während des ganzen vorigen Jahrhunderts ergaben die Wahlen stets eine Mehrheit für die Regierung. Da die Cortes von, den aufeinanderfolgenden Ministerien abhängig waren, so gerieten natürlich auch die Ministerien in die Abhängigkeit der Monarchie. Madrid schritt zu den Wahlen und die Macht fiel in die Hände des Königs. Die Monarchie war den herrschenden, uneinigen und dezentralisierten Klassen, die unfähig waren, in ihrem eigenen Namen das Land zu regieren, doppelt unentbehrlich. Und diese Monarchie, die die Schwäche des gesamten Staates widerspiegelte, war – zwischen zwei Aufständen – stark genug, um dem Land ihren Willen aufzuzwingen. Eigentlich kann das spanische Staatssystem folgendermaßen bezeichnet werden: entarteter Absolutismus begrenzt durch periodische Pronunziamentos. Die Person Alphons' des XIII. drückt dieses System sehr gut aus: sowohl vom Standpunkt der Entartung, als auch vom Standpunkt der absolutistischen Tendenzen sowie vom Standpunkt der Angst vor dem Pronunziamento. Das Lavieren des Königs, seine Verrätereien, seine Hinterlist und seine Siege über die jeweiligen gegnerischen Kombinationen, verbergen sich keineswegs im Charakter selbst Alphons' des XIII., sondern im Charakter des gesamten Regierungs-Systems: Unter neuen Bedingungen wiederholt Alphons XIII. nur die ruhmlose Geschichte seines Urgroßvaters Ferdinand VII. Neben der Monarchie stellt die Geistlichkeit eine andere zentralisierte und der Monarchie verbündete Kraft dar. Der Katholizismus ist immer noch bis auf unsere Tage die Staatsreligion; die Geistlichkeit spielt im Leben des Landes eine große Rolle, da sie die dauerhafteste Achse der Reaktion ist. Der Staat vergeudet jährlich mehrere zehn Millionen Pesetas für die Kirche. Die äußerst zahlreichen kirchlichen Orden besitzen ungeheure Güter und sehr großen Einfluss.Die Zahl der Mönche und Nonnen beläuft sich auf 70.000; diese Zahl ist ebenso groß wie die der Volksschüler und zweieinhalb mal größer als die Zahl der Studenten. Unter diesen Umständen ist es nicht erstaunlich, dass 45% der Bevölkerung weder lesen noch schreiben kann. Natürlich ist die Hauptmasse der Analphabeten auf dem Lande konzentriert. Wenn der Bauernschaft des Zeitalters Karls V. (Carlos I) die Macht des spanischen Kaiserreichs wenig zugute kam, so trug sie dennoch hernach die ganze Last des Niedergangs des Kaiserreichs. Jahrhundertelang führte sie ein elendes Dasein, das in mehreren Provinzen ein Aushungerungsdasein war. Die Bauernschaft bildet heute noch 70% der Bevölkerung und trägt auf ihren Schultern die ganze Last des Staatsgebäudes. Mangel an Erde, Mangel an Wasser, hoher Pachtzins, primitive Ackerbaugeräte, elementare Arbeitsmethoden zur Bebauung der Erde, hohe Steuern, Kirchensteuern, hohe Preise für Industrieprodukte, ländliche Überbevölkerung, eine große Anzahl Strolche, Bettler, Mönche, das ist das Bild des spanischen Dorfes. Durch ihre Lage war die Bauernschaft von je her an zahlreichen Aufständen beteiligt. Aber diese blutigen Ausbrüche hatten lokale und nicht nationale Ausbreitung und sehr verschiedenartige, meist reaktionäre Färbung. Gleich wie die spanischen Revolutionen kleine Revolutionen waren, so nahmen die Bauernaufstände die Form von kleinen Kriegen an. Spanien ist das klassische Land der „Guerillas". 2. Die spanische Armee und die Politik Seit den Kriegen gegen Napoleon ist in Spanien eine neue Kraft emporgewachsen: die politisierenden Offiziere, die neue Generation der herrschenden Klassen, die den Zusammenbruch des großen Kaiserreichs erbte und beträchtlich deklassiert ist. Im Lande des Partikularismus und des Sektierertums hat die Armee zwangsläufig als Zentralisationskraft ungeheure Bedeutung. Sie ist nicht nur die Stütze der Monarchie geworden, sondern auch der leitende Pol der Unzufriedenheit aller Fraktionen der herrschenden Klassen sowie ihrer eigenen Unzufriedenheit; gleich der Bürokratie setzt sich das Offizierskorps aus den in Spanien äußerst zahlreichen Elementen, welche vom Staat vor allem Existenzmittel fordern, zusammen. Da aber das Begehren der verschiedenen Gruppen der „gebildeten“ Gesellschaft die Gesamtheit der parlamentarischen und anderen Staatsfunktionen bei weitem überragen, so schafft die Unzufriedenheit der Nichtzugelassenen einen Nährboden für die republikanische Partei, welche übrigens ebenso unbeständig ist wie die anderen spanischen Gruppierungen. Da aber hinter dieser Unbeständigkeit sich oft ein wahrhafter und scharfer Unwille verbirgt, so bilden sich in der republikanischen Bewegung von Zeit zu Zeit entschlossene und mutige, revolutionäre Gruppen, für die die Republik eine mystische Losung des Heils darstellt. Die Gesamtheit der spanischen Armee zählt fast 170.000 Mann, darunter 13.000 Offiziere; hierzu sind noch 15.000 Kriegsmatrosen zu zählen. Da die Offiziere das Werkzeug der herrschenden Klassen des Landes sind, ziehen sie die Masse der Armee mit in ihre Verschwörungen. Dies schafft die Grundlage für eine unabhängige Bewegung der Soldaten. Schon in der Vergangenheit griffen die Unteroffiziere ohne und gegen die Offiziere in die Politik ein. Im Jahre 1836 wurden die Unteroffiziere von Madrid aufständisch und zwangen die Königin eine Verfassung zu proklamieren. Im Jahre 1866 riefen die mit den aristokratischen Regeln der Armee unzufriedenen Artillerie-Unteroffiziere eine Meuterei hervor. Jedoch blieb früher die leitende Rolle stets in den Händen der Offiziere. Die Soldaten folgten ihren unzufriedenen Vorgesetzten, obwohl die Unzufriedenheit der politisch ohnmächtigen Soldaten andere und viel tiefere innere Beweggründe hatte. Die in der Armee herrschenden Gegensätze entsprechen gewöhnlich den verschiedenen Waffenarten. Je größer die Qualität des Heeres, d.h. je mehr Verstand dasselbe seitens der Soldaten und Offiziere erfordert, desto größer ist die Neigung derselben sich die revolutionären Ideen anzueignen. Während die Kavallerie gewöhnlich auf die Seite der Monarchie neigt, ergibt die Artillerie einen großen Prozentsatz Republikaner Es ist nicht erstaunlich, dass die Luftschifffahrt, diese neue Waffe, sich der Revolution angeschlossen und das diesem Beruf eigene Abenteurertum in sie hineingebracht hat. Das letzte Wort bleibt der Infanterie. Die Geschichte Spaniens ist die Geschichte ununterbrochener revolutionärer Zuckungen. Pronunziamentos und Staatsstreiche folgten ohne Unterlass aufeinander. Im Laufe des 19. und im ersten Drittel des 20.Jahrhunderts wechselte das politische Regime unaufhörlich und im Innern eines jeden Regimes fand ein kaleidoskopähnlicher Wechsel der Ministerien statt. Da die spanische Monarchie in keiner der besitzenden Klassen eine genügend feste Stütze fand – obwohl sie alle deren benötigten – wurde sie oft von ihrem eigenen Heer abhängig. Aber die Zerstückelung der spanischen Provinzen drückte dem Charakter der militärischen Verschwörungen ihrem Stempel auf. Die kleinliche Eifersucht der Juntas war nur der äußere Ausdruck der Tatsache, dass die spanischen Revolutionen keine leitende Klasse besaßen. Eben dies ist der Grund, aus welchem die Monarchie stets siegreich aus jeder neuen Revolution hervorging. Jedoch kurze Zeit nach der Wiederherstellung der Ordnung tat sich die chronische Krise von Neuem durch die Bezeugung eines ernsthaften Unwillens kund. Keines diese verschiedenen Regimes, die sich gegenseitig umwarfen, hat den Boden genügend tief gegraben. Ein jedes rieb sich rasch auf im Kampf gegen die durch die Ärmlichkeit des nationalen Einkommens hervorgerufenen Schwierigkeiten; dieses Einkommen ist nicht genügend, um dem Begehren und den übermäßigen Forderungen der leitenden Klassen nachzukommen. Wir haben im Besonderen gesehen, mit welcher Schmach dieser Tage die letzte Militärdiktatur endete. Der schreckliche Primo de Rivera ist gefallen, ohne dass ein neues Pronunziamento nötig war: er ist ganz einfach zusammengeschrumpft wie ein Autoreif, der auf einen Nagel stößt. Alle vorhergehenden Staatsstreiche waren Minderheitsbewegungen, die sich gegen eine andere Minderheit richteten: die leitenden und fast leitenden Klassen rissen sich ungeduldig gegenseitig den Staatskuchen weg. Wenn man unter permanenter Revolution das anhaltende Anwachsen der sozialen Aufstände versteht, die die Macht in die Hände der entschlossensten Klasse legen, welche dann die Macht im Sinne der Aufhebung aller Klassen und demnach auch im Sinne der Unmöglichkeit neuer Revolutionen ausübt, – so muss doch festgestellt werden, dass trotz ihrer „Permanenz" die spanischen Aufstände nichts mit der permanenten Revolution gemein haben: es sind eher chronische Zuckungen, durch die sich die fest verankerte Krankheit einer zurückgeworfenen Nation kund tut. Freilich hat sich der linke Flügel der Bourgeoisie besonders in Gestalt der intellektuellen Jugend schon lange zur Aufgabe gestellt, die spanische Nation in eine Republik zu verwandeln. Die spanischen Studenten, die wie die Offiziere und aus denselben Gründen sich hauptsächlich aus der unzufriedenen Jugend zusammensetzen, sind daran gewohnt, im Lande eine Rolle zu spielen, die im Vergleich zu ihrer Anzahl unverhältnismäßig groß ist. Die Herrschaft der katholischen Reaktion hat die Opposition der Universitäten hervorgerufen und ihr einen antiklerikalen Charakter verliehen. Nun sind es aber nicht die Studenten, die das Regime bilden. Die leitenden Häupter der spanischen Republikaner zeichnen sich durch ein äußerst konservatives Sozialprogramm aus: ihr Ideal ist das heutige reaktionäre Frankreich, sie glauben, mit der Republik werde der Reichtum kommen, aber sie sind keineswegs geneigt und sind nicht einmal fähig, den Weg der französischen Jakobiner einzuschlagen: ihre Angst vor den Massen ist stärker als ihr Hass gegen die Monarchie Die Risse und Poren der bürgerlichen Gesellschaft sind in Spanien von deklassierten Elementen der leitenden Schichten, von unzähligen Nichtstuern und Nutznießern angefüllt, – während unten in den Rissen des Fundaments, auf dem das Gebäude steht, derselbe Platz von einer Masse Lumpenproletariats, deklassierter Elemente der Arbeiterschichten ausgefüllt ist. Lazzaroni mit Krawatten sowohl als Lazzaroni in Lumpen bilden den Schwemmsand der Gesellschaft. Sie sind für die Revolution umso gefährlicher, als dieselbe keine wirkliche Triebstütze und keine politische Leitung findet. Die sechsjährige Diktatur Primo de Riveras hat alle Formen der Unzufriedenheit und des Unwillens geebnet und zusammengepresst. Aber die Diktatur trug in ihrem Schoß das unheilbare Gebrechen der spanischen Monarchie: stark allen einzelnen Klassen gegenüber, blieb sie doch in Bezug auf die historischen Bedürfnisse des Landes ohnmächtig. Dies war der Grund, aus welchem die Diktatur an den unterseeischen Felsen der finanziellen und anderen Schwierigkeiten scheiterte, bevor noch die erste revolutionäre Welle sie erreichen konnte. Der Sturz Primo de Riveras hat alle Unzufriedenheiten und alle Hoffnungen zu neuem Leben erweckt. So ist der General Berenguer zum Pförtner der Revolution geworden. 3. Das spanische Proletariat und die neue Revolution In dieser neuen Revolution finden wir wieder beim ersten Blick dieselben Elemente wie in der Reihe der vorangegangenen Revolutionen: die verräterische Monarchie, die zerstückelten Fraktionen der Konservativen und Liberalen, die den König hassen und vor ihm auf dem Bauche kriechen, die rechten Republikaner, die immer zum Verrat,und die linken Republikaner, die immer zu einem Abenteuer bereit sind! Offiziersverschwörer,von denen die einen die Republik und die anderen ihre Beförderung begehren; unzufriedene Studenten, die von ihren Vätern sorgenvoll beobachtet werden; schließlich die streikenden Arbeiter, die in den verschiedenen .Organisationen zerstreut sind, und die Bauern, die die Hand zur Heugabel und sogar zum Gewehr ausstrecken. Es wäre jedoch ein großer Irrtum, zu glauben, die aktuelle Krise entwickle sich auf gleiche Art wie alle vorangegangenen Krisen. Die letzten Jahrzehnte und besonders die Kriegsjahre haben die Wirtschaft des Landes und die soziale Struktur der Nation stark verändert. Selbstverständlich bleibt auch heute noch Spanien im Schlepptau Europas. Jedoch hat sich im Lande eine nationale Industrie entwickelt, sowohl Gruben- als Leichtindustrie, Während des Krieges haben die Kohlenindustrie, die Textilindustrie, die Errichtung hydroelektrischer Stationen usw. eine starke Entwicklung erfahren. Industrielle Zentren und Gebiete sind im Lande aufgetaucht. Dies schafft ein neues Kräfteverhältnis und eröffnet neue Perspektiven. Der Erfolg der Industrialisierung hat die inneren Widersprüche keineswegs vermindert. Im Gegenteil, die Tatsache, dass Spanien, als neutrales Land, unter dem Goldregen des Krieges seiner Industrie einen neuen Aufschwung geben konnte, ist nach dem Kriege, als die große Nachfrage des Auslandes verschwand, die Quelle neuer Schwierigkeiten geworden. Der Auslandsmarkt ist nicht nur verschwunden – die Beteiligung Spaniens am Welthandel ist jetzt noch geringer als vor dem Krieg (1,1% gegen 1,2%) – sondern die Diktatur war gezwungen, mit Hilfe der erheblichsten Zollsperre Europas, den Innenmarkt gegen den Zustrom ausländischer Waren zu verteidigen. Die zu hohen Zölle haben eine Preiserhöhung hervorgerufen, welche die schon ziemlich geringe Kaufkraft des Volkes vermindert haben. Aus diesen Gründen ist die Industrie seit dem Kriege in einem Versumpfungszustand, der sich einerseits durch chronische Arbeitslosigkeit und andererseits durch Ausbrüche von Klassenkämpfen bekundet. Die spanische Bourgeoisie kann heute noch weniger als im 19. Jahrhundert Anspruch darauf erheben, eine historische Rolle zu spielen, ähnlich derjenigen, die früher die englische oder französische Bourgeoisie innehatten. Die große Industriebourgeoisie Spaniens ist zu spät in die Abhängigkeit des ausländischen Kapitals geraten, das wie ein Vampir am Volkskörper festklebt, und ist nicht einmal fähig, für kurze Zeit die „Führerin" der „Nation" gegen die alten Volksklassen zu werden. Die Großherren der spanischen Industrie stehen dem Volke feindlich gegenüber und bilden eine der reaktionärsten Gruppen in dem Block der Bankbesitzer, der Industriellen, der Latifundienbesitzer, der Monarchie, sowie ihrer Generäle und Beamten, die sich in inneren Kämpfen gegenseitig verschlingen. Es genügt daran zu erinnern, dass der wichtigste Stützpunkt Primo de Riveras von den Großindustriellen Kataloniens gebildet war. Aber die industrielle Entwicklung hat das proletarische Heer aufgestellt und gestärkt. Auf 23 Millionen Einwohner – ohne die Emigration wären es weit mehr – kommen ungefähr ein und ein halb Millionen Arbeiter, die in der Industrie, im Handel und im Transportwesen beschäftigt sind. Dazu kommt noch ungefähr dieselbe Zahl Landarbeiter. Das soziale Leben Spaniens war dazu verurteilt, sich in ewigem Kreise um sich selber zu drehen, solange keine der vorhandenen Klassen fähig war, die Lösung der revolutionären Probleme in die Hände zu nehmen. Das Erscheinen des spanischen Proletariats auf der historischen Bühne ändert die Lage von Grund auf und eröffnet neue Perspektiven. Um sich davon zu überzeugen, muss man vor allem verstehen, dass die Befestigung der ökonomischen Herrschaft der Bourgeoisie und das Anwachsen der politischen Bedeutung des Proletariats, das Kleinbürgertum vollständig der Möglichkeit beraubt,eine leitende Stelle im politischen Leben des Landes einzunehmen. Die Frage, ob die heutigen revolutionären Erschütterungen sich in eine wirkliche Revolution verwandeln können, die fähig wäre, die Grundlagen der nationalen Existenz selber neu aufzurichten, ist schließlich auf folgende Frage zurückzuführen: ist das spanische Proletariat imstande, die Leitung des nationalen Lebens in die Hände zu nehmen? Es gibt in der spanischen Nation niemand anders, der auf diese Rolle Anspruch erhebt. Inzwischen hat die historische Erfahrung Russlands uns mit genügender Klarheit das spezifische Gewicht des durch die Großindustrie geeinigten Proletariats in einem rückständigen Agrarland, umgeben von einem Netz halb-feudaler Verhältnisse vor Augen geführt. Freilich haben die spanischen Arbeiter bereits an revolutionären Kämpfen des 19. Jahrhunderts teilgenommen, aber es waren immer Kämpfe der Bourgeoisie, sie kämpften stets in zweiter Linie, im Gefolge und als Hilfskraft. Die unabhängige,revolutionäre Rolle der Arbeiter befestigt sich im Laufe des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts. Der Aufstand von Barcelona von 1909 hat gezeigt, welche Kraft das junge Proletariat Kataloniens in sich birgt. Zahlreiche Streiks, die sich in wahrhafte Aufstände verwandelten, fanden in den übrigen Teilen des Landes statt. Im Jahre 1912 streikten die Eisenbahnarbeiter. Die Industriegebiete haben sich in Kampfgebiete des mutigen Proletariats verwandelt. Die spanischen Arbeiter erwiesen sich frei von jeglicher Routine, fähig, den Ereignissen gegenüber zu reagieren, ihre Kräfte zu mobilisieren und im Offensivkampf mit Verwegenheit vorzugehen. Die ersten Nachkriegsjahre oder vielmehr die ersten Jahre der russischen Revolution (1917-1920) waren für das spanische Proletariat Jahre harter Kämpfe. Im Jahre 1917 entrollte sich ein revolutionärer Generalstreik. Die Niederlage desselben, sowie die Niederlage der darauffolgenden Bewegungen bereiteten der Diktatur Primo de Riveras den Boden. Als der Zusammenbruch derselben die Frage des Schicksals der spanischen Bevölkerung von neuem in ihrer ganzen Größe aufwarf, als die ängstlichen Schliche der alten Cliquen und die ohnmächtigen Versuche der radikalen Kleinbürger mit voller Deutlichkeit bewiesen, dass von dieser Seite aus kein Heil zu erwarten war, riefen die Arbeiter durch eine Reihe mutiger Streikbewegungen dem Volke zu: hier sind wir. Dia europäischen.bürgerliche Journalisten des „linken" Flügels und nach ihnen die Sozialdemokraten philosophieren gerne, indem sie Anspruch auf wissenschaftliche Kenntnis erheben, über folgendes Thema: wird Spanien ganz einfach mit einer fast fünfundfünfzigjährigen Verspätung die große französische Revolution wiederholen? Mit diesen Leuten über; die Revolution diskutieren ist dasselbe, als wenn man mit einem Blinden über Farben diskutieren wollte. Trotz all seiner Verspätung ist Spanien viel vorgeschrittener als das Frankreich des 18. Jahrhunderts. Große Industrieunternehmen, 16.000 Kilometer Eisenbahn, 50.000 Kilometer Telegraph – dies bedeutet für die Revolution einen viel wichtigeren Faktor als historische Erinnerungen. Die bekannte englische Wochenschrift „The Economist" versucht einen Schritt vorwärts zu machen und schreibt bezüglich der spanischen Ereignisse : „Hier macht sich eher der Einfluss der Pariser Jahre 1848 und 1871 als der von Moskau 1917 geltend." Nun bedeutet aber das Paris von 1871 einen Schritt von 1848 in der Richtung nach 1917. Die Entgegenstellung dieser Daten ist demnach inhaltslos. Unvergleichlich ernsthafter und tiefer war der Schluss, den L. Tarquin voriges Jahr in seinem in der „Lutte de Classes"2 erschienenen Artikel zog: „Das Proletariat (Spaniens) gestützt auf die Bauernmassen ist die einzige Kraft, die fähig wäre, die Macht in die Hand zu nehmen." Diese Perspektive ist folgendermaßen entworfen: "Die Revolution soll mit der Diktatur des Proletariats abschließen, die die bürgerliche Revolution bewerkstelligen und dem sozialistischen Wiederaufbau kühn den Weg eröffnen würde." Nur auf diese Weise kann heute die Frage gestellt werden. 4. Das Programm der Revolution Die Ausrufung der Republik ist jetzt die offizielle Kampflosung. Jedoch wird die Entwicklung der Revolution nicht nur die konservativen und liberalen Fraktionen der leitenden Klassen, sondern auch die republikanischen Fraktionen unter das Banner der Monarchie treiben. Während der revolutionären Ereignisse von 1854 schrieb Canovas del Castillo: „Wir wollen den Thron aufrechterhalten, aber nicht die Kamarilla, welche ihn entehrt." Heute entwickeln Romanones und andere Herren diesen großen Gedanken. Als ob die Monarchie überhaupt, und besonders in Spanien, ohne Kamarilla möglich wäre... Eine solche Lage, in welcher die besitzenden Klassen gezwungen sind, die, Monarchie zu opfern, um sich selbst zu retten (Beispiel: Deutschland) – ist nicht ausgeschlossen. Aber höchst wahrscheinlich wird die Monarchie von Madrid, wenn auch mit einem blauen Auge, sich bis zur Diktatur des Proletariats aufrecht erhalten. Die Republik ist selbstverständlich auch die Losung des Proletariats. Aber für das Proletariat handelt es sich nicht einfach darum, den König durch einen Präsidenten zu ersetzen, sondern die ganze Gesellschaft von dem feudalen Unrat von Grund auf zu säubern. Hierbei tritt die Agrarfrage in den Vordergrund. Die auf dem spanischen Land herrschenden Beziehungen bieten ein Bild halb-feudaler Ausbeutung. Das Elend der Bauern, besonders in Andalusien und Kastilien, das Joch der Junker, der öffentlichen Macht und der Kaziks3 haben schon mehr als einmal die Landarbeiter und armen Bauern veranlasst, ihren Unwillen öffentlich zu bekunden. Bedeutet dies, dass in Spanien, selbst mit Hilfe der Revolution, die Möglichkeit besteht, die bürgerlichen Beziehungen von den feudalen zu befreien? Nein, dies bedeutet nur, dass unter den in Spanien gegebenen Verhältnissen der Kapitalismus die Bauernschaft nicht anders als auf halb-feudale Weise ausbeuten kann. Die revolutionäre Waffe gegen die Überbleibsel des spanischen Mittelalters richten, heißt die Waffe gegen die eigentliche Wurzel der bürgerlichen Herrschaft richten. Um die Bauernschaft dem Lokalismus und dem reaktionären Einfluss zu entreißen, benötigt das Proletariat eines klaren revolutionär-demokratischen Programms. Der Mangel an Erde und Wasser, das Joch des Pachtzinses werfen klar und offen die Frage der Konfiszierung des privaten Grundeigentums zugunsten der armen Bauernschaft auf. Die Steuerlasten, die unerträglichen Staatsschulden, die bürokratischen Stehlereien und die afrikanischen Abenteuer erwecken die Frage nach einer billigen Regierung, die weder durch die Latifundienbesitzer, die Bankbesitzer oder die Industrieherren, noch durch den liberalen Adel, sondern nur durch die Arbeiter selbst gesichert werden kann. Die von der Geistlichkeit und den Kirchengütern ausgeübte Herrschaft rückt eine demokratische Aufgabe in den Vordergrund: Trennung von Kirche und Staat und Entwaffnung der Kirche, indem ihre Reichtümer dem Volk zurückerstattet werden. Selbst die abergläubischsten Schichten der Bauernschaft werden diese entscheidenden Maßnahmen unterstützen, sobald sie überzeugt sein werden, dass die Summen der Staatskasse, die bisher der Kirche zugegangen waren, sowie auch die Kirchengüter selbst nach der Säkularisierung keineswegs in die Taschen der liberalen Freidenker wandern werden, sondern zur Wiederaufrichtung der erschöpften bäuerlichen Wirtschaft dienen werden. Die separatistischen Tendenzen stellen der Revolution die demokratische Aufgabe der nationalen Selbstbestimmung. Diese Tendenzen haben sich in der Periode der Diktatur verschärft und veräußert. Aber der „Separatismus" der katalanischen Bourgeoisie ist nur ein Spiel mit der Regierung von Madrid, nur ein gegen das katalanische und spanische Volk gerichtetes Werkzeug, während der Separatismus der Arbeiter und der Bauern die äußere Hülle ihres sozialen Unwillens ist. Diese beiden Arten von Separatismus müssen streng von einander unterschieden werden. Nun muss aber die proletarische Vorhut, um die national unterdrückten Arbeiter und Bauern von ihrer Bourgeoisie zu trennen, in der Frage der nationalen Selbstbestimmung die kühnste und aufrichtigste Stellung einnehmen. Die Arbeiter werden bis zuletzt das Recht der Katalanen und Basken, ihr unabhängiges nationales Leben zu organisieren, verteidigen, wenn die Mehrheit dieser Völker sich für eine vollständige Trennung aussprechen würde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die vorgeschrittenen Arbeiter die Katalanen und Basken der Unabhängigkeit entgegentreiben werden. Im Gegenteil, die wirtschaftliche Einheitlichkeit des Landes, mit weitgehender Autonomie der nationalen Gebiete, würde in Bezug auf Kultur und Wirtschaft den Arbeitern und Bauern große Vorzüge bieten. Ein neuer Versuch seitens der Monarchie, die Entwicklung der Revolution durch eine neue Militärdiktatur zu unterbinden, ist keineswegs ausgeschlossen. Aber ausgeschlossen ist ein ernstliches und dauerhaftes Gelingen eines solchen Versuchs. Die Lehre Primo de Riveras ist noch zu frisch in der Erinnerung. Man müsste die Ketten der neuen Diktatur an des noch nicht verheilten Wunden der alten Diktatur befestigen. Nach den Telegrammen zu urteilen, ist der König gewillt, den Versuch zu wagen; er sucht fieberhaft nach einem angemessenen Kandidaten, aber er findet keinen Freiwilligen. Eines ist klar: der Zusammenbruch einer neuen Militär-Diktatur würde der Monarchie und ihrem würdigen Vertreter teuer zu stehen kommen; was die Revolution betrifft, so würde sie darin eine neue und mächtige Sto0kraft finden. Die Arbeiter können den herrschenden Klassen zurufen: "Faites vos jeux, Messieurs!"4 Kann man hoffen, dass die spanische Revolution die Periode des Parlamentarismus überspringen wird? Theoretisch ist dies nicht ausgeschlossen. Man kann annehmen, dass die revolutionäre Bewegung in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum eine solche Kraft erreichen wird, dass sie den herrschenden Klassen für den Parlamentarismus weder Zeit noch Raum übrig lassen wird. Jedoch ist eine solche Perspektive wenig wahrscheinlich.Trotz seiner vorzüglichen Kampfkraft besitzt das spanische Proletariat weder eine von ihm anerkannte revolutionäre Partei noch die Erfahrung der Sowjet-Organisation. Dabei sind noch die wenig zahlreichen kommunistischen Reihen untereinander nicht einig. Es gibt kein von allen angenommenes, klares Aktions-Programm. Inzwischen steht die Frage der Cortes schon auf der Tagesordnung. Es ist anzunehmen, dass unter diesen Umständen die Revolution gezwungen sein wird, eine Periode des Parlamentarismus durchzumachen. Dadurch ist die Taktik der Boykottierung der fiktiven Cortes Berenguers keineswegs ausgeschlossen, wie auch die russischen Arbeiter mit Erfolg die Duma Bulygins im Jahre 1905 boykottiert und ihrem Zusammenbruch erreicht haben. Die Frage der Taktik bezüglich des Boykotts muss auf der Grundlage des Kräfteverhältnisses an einer gegebenen Etappe der Revolution gelöst werden. Aber selbst wenn die vorgeschrittenen Arbeiter die Cortes Berenguers boykottieren, sollten sie ihnen die Parole der revolutionären, konstituierenden Cortes entgegensetzen. Wir müssen unerbittlich den trügerischen Charakter der Parole der konstituierenden Cortes im Munde der „linken" Bourgeoisie enthüllen, welche in Wirklichkeit nur vermittelnde Cortes durch die Gnade des Königs und Berenguers ersehnt, um mit den alten führenden und bevorzugten Cliquen Verhandlungen abzumachen. Eine wirkliche konstituierende Versammlung kann nur durch eine revolutionäre Regierung, nach einem siegreichen Aufstand der Arbeiter, Soldaten und Bauern einberufen werden. Wir können und müssen den Vermittlungs-Cortes die revolutionären Cortes entgegensetzen; aber es wäre unseres Erachtens falsch, in der gegenwärtigen Etappe auf die Parole der revolutionären Cortes zu verzichten. Es wäre erbärmlichster und trockenster Doktrinarismus, die Losung der Diktatur des Proletariats den Aufgaben und Losungen der revolutionären Demokratie entgegenzustellen (Republik, Agrarrevolution, Trennung von Kirche und Staat, Konfiszierung der Kirchengüter, nationale Unabhängigkeit revolutionäre konstituierende Versammlung). Vor der Eroberung der Macht müssen die Volksmassen sich um eine führende revolutionäre Partei sammeln. Der Kampf um die demokratische Vertretung sowie die Teilnahme an den Cortes in dieser oder jener Etappe der Revolution kann die Lösung dieser Aufgabe unvergleichlich erleichtern. Die Parole der Bewaffnung der Arbeiter und Bauern (Schaffung der Arbeiter-und-Bauernmiliz) wird unumgänglich im Verlauf des Kampfes eine immer größere Bedeutung annehmen. Aber in der gegenwärtigen Etappe muss auch diese Parole eng an die Fragen der Verteidigung der Arbeiter-und Bauernorganisationen, des Agraraufstandes, der freien Wahlen und der Beschützung des Volkes vor den reaktionären Pronunziamentos angeschlossen werden Das radikale Programm der sozialen Gesetzgebung, besonders die Arbeitslosenunterstützung, Abwälzung der Steuerlasten auf die besitzenden Klassen, allgemeine kostenlose Schulbildung – alle diese und ''ähnliche Maßnahmen, die den Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft noch nicht überschreiten, müssen auf das Banner der proletarischen Partei geschrieben werden. Zugleich müssen schon jetzt Übergangslosungen in den Vordergrund gestellt werden. Nationalisierung der Grubenreichtümer, Nationalisierung der Banken, Arbeiterkontrolle der Industrie, schließlich gesetzmäßige Regelung der Wirtschaft durch den Staat. Alle diese Forderungen sind mit dem Übergang des bürgerlichen Regimes zum proletarischen Regime verbunden, sie bereiten diesen Übergang vor, um sich nach der Nationalisiert«» der Banken und der Industrie in das Maßnahmensystem der organisierten Wirtschaft aufzulösen, welche die sozialistische Gesellschaft vorbereitet. Nur ein Pedant kann in der Vereinigung demokratischer Losungen, Überganglosungen und rein sozialistischer Losungen einen Widerspruch erblicken. Ein solches kombiniertes Programm, welches den widerspruchsvollen Aufbau der historischen Gesellschaft widerspiegelt, entspringt unvermeidlich der Mannigfaltigkeit der Aufgaben, die die Vergangenheit als Erbgut hinterlassen hat. Alle Widersprüche und alle Aufgaben auf einen Generalnenner: die Diktatur des Proletariats zurückzuführen – das ist eine unerlässliche aber gänzlich ungenügende Bewerkstelligung. Selbst wenn man einen Schritt nach vorwärts tut, in der Annahme die proletarische Vorhut habe bereits die Überzeugung gewonnen, dass nur die proletarische .Diktatur Spanien vom Verfall retten könne, so bleibt doch die vorhergehende Aufgabe – der Zusammenschluss heterogener Schichten der Arbeiterklasse und der noch heterogneren Arbeitermassen des Landes um die proletarische Vorhut – in ihrer ganzen Größe bestehen. Die bloße Losung der proletarischen Diktatur den historischen Aufgaben, welche gegenwärtig die Massen auf den Weg des Aufstands treiben, entgegenstellen, hieße, die marxistische Auffassung der sozialen Revolution durch die Bakuninsche Auffassung ersetzen. Es wäre das beste Mittel, die Revolution der Niederlage zu weihen. Es erübrigt sich zu sagen, dass die demokratischen Losungen keineswegs die Annäherung des Proletariats an die republikanische Bourgeoisie zum Ziel haben, im Gegenteil, sie bereiten den Boden zum siegreichen Kampf gegen die linksstehende Bourgeoisie vor und ermöglichen es, Schritt für Schritt deren antidemokratischen Charakter zu enthüllen. Je kühner, entschiedener und unerbittlicher der Kampf der proletarischen Vorhut für die demokratischen Losungen sein wird, desto schneller wird sie die Massen erobern, der republikanischen Bourgeoisie und den Sozialreformisten den Boden entziehen und desto sicherer werden ihre besten Elemente sich auf unsere Seite stellen, desto schneller wird in dem Bewusstsein der Massen sich die demokratische Republik mit der Arbeiter-Republik identifizieren. Damit eine klar gedachte theoretische Formel zur lebendig-historischen Tat wird, muss dieselbe mittels der Erfahrungen und Bedürfnisse der Massen in ihr Bewusstsein hineingebracht werden. Zu diesem Zweck darf man sich nicht in den Einzelheiten verlieren, die Aufmerksamkeit der Massen nicht zerstreuen, sondern muss das revolutionäre Programm auf wenige klare und einfache Losungen beschränken, welche je nach der Dynamik des Kampfes zu ersetzen sind. Darin besteht die revolutionäre Politik. 5. Kommunismus, Anarcho-Syndikalismus, Sozialdemokratie Wie gewöhnlich hat die Leitung der Komintern damit angefangen, die spanischen Ereignisse nicht zu bemerken, Manuilsky, der „Führer" der Länder lateinischer Sprache, hat vor nicht langer Zeit erklärt, die spanischen Ereignisse seien keiner Beachtung würdig. ist es möglich? Diese Leute erklärten im Jahre 1928, Frankreich stünde am Vorabend eines proletarischen Aufstandes. Nachdem sie so lange die Beerdigungen mit Verlobungsfestmusik belustigt hatten, konnten sich nicht anders als die Verlobung mit einem Trauermarsch empfangen. Mit einer anderen Handlungsweise hätten sie sich selbst verraten. Als jedoch feststand, dass die im Kalender der „Dritten Periode" nicht vorgesehenen spanischen Ereignisse sich weiter entwickelten, blieben die Leiter der Komintern ganz einfach stumm. Das ist gewiss vorsichtiger. Aber die Ereignisse vom Dezember haben dieses Schweigen unmöglich gemacht. Und wieder in vollem Einklang mit der Tradition hat der Leiter der Länder lateinischer Sprache eine Wendung von 180 Grad um sich selber beschrieben; es handelt sich um den Artikel der "Prawda" vom 17. Oktober. In diesem Artikel ist die Diktatur Berenguers sowie die Diktatur Primo de Riveras mit dem Namen „faschistische Diktatur" bezeichnet. Mussolini, Matteoti, Primo de Rivera, MacDonald, Tschiang Kai-schek, Berenguer, Dan – sie alle sind nur verschiedene Arten des Faschismus. Da die Bezeichnung existiert, wozu lange nachdenken? Im Ganzer bleibt nur noch übrig, dieser ganzen Reihe aus „faschistischen Regimes“ den Negus von Abessinien hinzuzufügen. Von der spanischen Proletariat schreibt die „Prawda", dass es sich nicht nur „mehr und mehr das Programm und die Parolen der kommunistischen Partei Spaniens aneignet", sondern auch dass es schon „das Bewusstsein de. Hegemonie hat, die ihm in der Revolution zukommt". Zu gleicher Zeit sprechen die offiziellen Telegramme von Paris von spanischen Bauernsowjets. Es ist beachtenswert, dass unter der Stalinschen Führung das Sowjetsystem vor allem von den Bauern assimiliert und angewandt wird (China!). Da das Proletariat bereits das Bewusstsein seiner Hegemonie in der Revolution besitzt und da die Bauern bereits begonnen haben Sowjets zu organisieren, all dies unter der offiziellen Leitung der kommunistischen Partei, so ist der Sieg der spanischen Revolution so gut wie gesichert – wenigstens bis zu dem Zeitpunkt, an den Stalin und Manuilski die „ausführenden Kräfte" von Madrid beschuldigen werden, die Generallinie falsch angewandt zu haben, welche sich uns in den Spalten der „Prawda“ als eine Generallinie der Unwissenheit und des Leichtsinns offenbart. Durch ihre eigene Politik bis ins Mark verfault, sind diese „Führer“ nicht mehr fähig, das Geringe zu lernen. In Wirklichkeit sind die subjektiven Faktoren – Partei, Massenorganisation, ausgegebene Parolen – trotz der mächtigen Ausbreitung des Kampfes im Verhältnis zu den Aufgaben der Bewegung in beträchtlicher Verspätung – und diese Verspätung ist gegenwärtig eine äußerst ernste Gefahr. Die entfesselte Woge der Streiks, die mit einem Opfer, mit einer Niederlage oder ergebnislos enden, ist eine unvermeidliche Etappe der Revolution, es ist die Epoche des Erwachens der Massen, ihrer Mobilisierung und ihres Eintritts in den Kampf. Nicht die Eilte der Arbeiter, sondern die ganze Arbeitermasse nimmt an der Bewegung teil. Nicht nur die Arbeiter der Betriebe, sondern auch die Handwerker, die Chauffeure. die Bäcker, die Bauarbeiter, die Arbeiter der Bewässerungsanlagen und schließlich die Handarbeiter treten in den Streik. Die Veteranen recken ihre Glieder die Rekruten lernen. Durch diese Streiks fängt die Klasse in, sich als solche zu betrachten. Was jedoch m der gegenwärtigen Etappe die Stärke dar Bewegung ausmacht – ihre Spontaneität –, kann nachträglich zu ihrer Schwäche werden. Die Annahme, dass die Bewegung weiter ihrem eigenen Schicksal überlassen bleiben könne, ohne klares Programm, ohne Führung, wäre gleichbedeutend mit der Annahme einer hoffnungslosen Perspektive. Es handelt sich um nichts weniger als um die Eroberung der Macht. Selbst die stürmischsten Streiks lösen diese Aufgabe nicht, besonders wenn sie zerstreut auftauchen. Wenn das Proletariat nicht im Verlauf einiger Monate im Prozess des Kampfes bemerkt, dass seine Aufgaben und Methoden ihm selber klar .geworden sind und dass seine Reihen sich enger zusammenschließen und sich festigen, dann wird unvermeidlich die Zerrüttung in seinem eigenen Reihen beginnen. Breite Schichten, die durch die gegenwärtige Bewegung zum ersten Male aufgerüttelt werden, würden wieder in Passivität verfallen. In dem Maße, in dem die proletarische Vorhut den Boden unter den Füßen verlöre, würde sie eine Geistesverfassung bezeugen, die der Tätigkeit der Partisanen und des Abenteurertums in Allgemeinen einen günstigen Boden bieten würde. Weder die Bauernschaft noch die armen Schichten der Städte würden in diesem Falle ihre unbestrittene Führung finden. Die erweckten Hoffnungen würden sich rasch in Enttäuschung und Erbitterung verwandeln. Man sähe in Spanien gewissermaßen die Wiederholung der Situation Italiens nach dem Herbst 1920. Die Diktatur Primo de Riveras war keine faschistische, aber es war eine typische spanische Diktatur einer Militärclique, die sich auf einen bestimmten Teil der besitzenden Klassen stützte. Unter den obenerwähnten Umständen – Passivität und schwankende Haltung der revolutionären Partei, Spontaneität der Massenbewegung – könnte Spanien der Boden des echten Faschismus werden. Die Großbourgeoisie würde sich der ratlosen, enttäuschten und hoffnungslosen kleinbürgerlichen Massen bemächtigen, um der Entrüstung derselben eine geben das Proletariat gewandt Richtung zu geben. Selbstverständlich sind wir noch weit davon entfernt. Aber es darf keine Zeit verloren werden. Selbst wenn man einen Augenblick annähme, dass die von dem linken Flügel der Bourgeoisie geleitete revolutionäre Bewegung – die der Offiziere, Studenten, Republikaner – zum Siege führen könnte, so würde die Fruchtlosigkeit dieser Sieges sich schließlich als gleichbedeutend mit einer Niederlage erweisen. Die spanischen Republikaner bleiben vollständig, wie schon gesagt, auf der Grundlage der heutigen Verhältnisse des Besitzes. Man kann von ihnen weder die Enteignung des großer Landeigentums, noch die Abschaffung der bevorzugten Lage der katholischen Kirche, noch die radikale Säuberung der Augiasställe der Militär-und Zivilbürokratie erwarten. Die monarchistische Kamarilla wäre ganz einfach durch die republikanische Kamarilla ersetzt worden und wir hätten eine neue Auflage der flüchtigen und fruchtlosen Republik von 1873-74. Die Tatsache, dass die sozialistischen Führer sich am Gängelbande der Republikaner fort schleppen, ist ganz in der gewöhnlichen Ordnung. Gestern klebte die Sozialdemokratie mit der rechten Schulter an der Diktatur Primo de Riveras. Heute klebt sie mit ihrer linken Schulter an den Republikanern, Die höchste Aufgabe der Sozialisten, die keine eigene Politik haben noch haben können, besteht darin, an einer festen bürgerlichen Regierung teilzunehmen. Unter dieser Voraussetzung würden sie es nicht verschmähen, in Ermangelung eines Bessern selbst mit der Monarchie zusammenzuarbeiten. Aber der rechte Flügel der Anarcho-Syndikalisten ist keineswegs gegen diese Richtung gesichert: die Ereignisse vom Dezember sind in diesem Sinne eine gute Lehre und eine ernste Warnung. Die nationale Arbeiter-Konföderation konzentriert zweifellos in ihre: Schoß die kampfbereitesten Elemente des Proletariats. Die Auswahl hat sich hier während einer Reihe von Jahren bewerkstelligt. Die Festigung dieser Konföderation und ihre Umwandlung in eine wirkliche Massenorganisation ist die Pflicht eines jeden vorgeschrittenen Arbeiters und vor allem aller Kommunisten. Man kann dazu ebenfalls durch die Arbeit im Innern der reformistischen Gewerkschaften beitragen, indem man unermüdlich den Verrat ihrer Führer bloßlegt und die Arbeiter auffordert, sich in einer einzigen gewerkschaftlichen Föderation zusammenzuschließen. die revolutionären Verhältnisse werden sehr zu dieser Arbeit beitragen. Aber zugleich können wir uns in Bezug auf das Schicksal des Anarcho-Syndikalismus, was dessen Lehre und revolutionäre Methoden betrifft, keinen Illusionen hingeben. Der Anarcho-Syndikalismus entwaffnet das Proletariat durch die Abwesenheit eines revolutionären Programms und das Unverständnis für die Rolle der Partei. Die Anarchisten „verneinen" die Politik bis zu dem Moment, wo sie von ihr beim Kragen gefasst werden; dann räumen sie der Politik der feindlichen Klasse den Platz ein. Dies eben hat solch im Dezember zugetragen. Hätte die sozialistische Partei während der Revolution die vorherrschende Stellung unter dem Proletariat erobert, so wäre sie nur das Eine zu tun fähig: die durch die Revolution eroberte Macht in die löchrigen Hände des republikanischen Flügels zu übertragen, welcher sie dann automatisch in die Hände ihres gegenwärtigen Inhabers gleiten lassen würde. Das große Gebären würde mit einer Fehlgeburt enden, Was die Anarcho-Syndikalisten anbelangt, so könnten sie sich nur unter der Bedingung, dass sie auf ihre anarchistischen Vorurteile verzichteten, an die Spitze stellen. Unsere Aufgabe besteht darin, ihnen in diesem Sinne zu helfen. Es ist in der Tat anzunehmen, dass ein Teil der syndikalistischen Führer zu den Sozialisten gehen oder durch die Revolution beiseite geworfen wird; die wirklichen Revolutionäre werden mit uns sein; die Massen sowohl wie die Mehrheit der sozialistischen Arbeiter werden sich den Kommunisten anschließen. Der Vorteil der revolutionären Situation besteht eben darin, dass die Massen rasch lernen. Die Entwicklung der Massen ruft notwendigerweise Differenzierungen und Spaltungen hervor, nicht nur in sozialistischen sondern auch in syndikalistischen Kreisen. Praktische Verträge mit den revolutionären Syndikalisten sind im Verlauf der Revolution unvermeidlich. Diese Verträge werden wir mit aller Ehrlichkeit durchführen. Aber es wäre wirklich verderblich in diese Verträge zweideutige, zurückhaltende und falsche Töne zu bringen. Selbst in den Tagen und Stunden, in denen die kommunistischen Arbeiter Schulter an Schulter mit den syndikalistischen Arbeitern zu kämpfen haben, dürfen die prinzipiellen Schranken nicht niedergeworfen werden, die Uneinigkeiten nicht verschwiegen, die Kritik gegenüber der falschen prinzipiellen Stellung des Verbündeten nicht abgeschwächt werden. Nur unter dieser Bedingung wird die fortschreitende Entwicklung der Revolution gesichert sein. 6. Die revolutionäre Junta und die Partei Der 15. Dezember, an dem die Arbeiter sich nicht nur in den großen Städten sondern gleichzeitig auch in den abgelegenen Dörfern erhoben haben, beweist, in welchem Maße das Proletariat selbst zur einheitlichen Aktion neigt. Es benutzte das Signal der Republikaner, weil es keine eigene Trompete besitzt. Die Niederlage dieser Bewegung hat offensichtlich nicht den leisesten Schatten einer Ohnmachtserscheinung hervorgerufen.Die Masse macht sich ihre eigenen Aktionen wie eine Erfahrung, wie eine Schule, wie eine Vorbereitung zu eigen. Dies ist ein äußerst charakteristischer Zug des revolutionären Aufschwungs. Um den Zugang zur breiten Landstraße zu finden, benötigt das Proletariat schon jetzt einer Organisation, welche über allen politischen, nationalen, provinzialen und beruflichen Uneinigkeiten, die in den Reihen des Proletariats vorhanden sind, steht; es benötigt einer Organisation,die dem Schwung des heutigen revolutionären Kampfes angemessen ist. Eine solche Organisation, die auf demokratischer Wege von den Arbeitern der Betriebe, der Fabriken, der Gruben, der Handelsunternehmen, der Eisenbahnen und des Schiffstransportwesens, von der; Proletariern der Staat und des Landes gewählt wird, kann nur der Sowjet sein. Die Epigonen haben der Arbeiterbewegung der ganzen Welt einen ungeheuren Schaden zugefügt, indes sie in das Bewusstsein das Vorurteil einpflanzten, die Sowjets könnten nur für die Bedürfnisse eines bewaffneten Aufstandes und nur am Vorabend dieses Aufstands geschaffen werden. In Wirklichkeit bilden sich Sowjets da, wo die revolutionäre Bewegung der Arbeitermassen, obwohl dieselbe noch weit von dem bewaffneten Aufstand entfernt ist, die Notwendigkeit einer breiten und unbestrittenen Organisation empfindet, welche fähig ist die ökonomischen und politischen Kämpfe, welche gleichzeitig verschiedene Betriebe und verschiedene Berufe umfassen, zu leiten. Nur unter dieser Bedingung, das heißt, wenn es den Sowjets gelingen wird, sich während der vorbereitenden Periode der Revolution in der Arbeiterklasse fest zu wurzeln, werden sie imstande sein, im Moment des unmittelbaren Kampfes um die Eroberung der Macht die Führerrolle zu behaupten; wahr ist, dass das Wort „Sowjet" nach dem dreizehnjährigen Bestehen des Sowjetregimes einen Sinn angenommen hat, der sich von der, den es im Jahre 1905 oder im Anfang von 1917 hatte, als die Sowjets sich nicht als Machtorgane sondern nur als Kampforganisationen der Arbeiterklasse bildeten, beträchtlich unterscheidet. Das Wort Junta, das mit der ganzen revolutionären Geschichte Spaniens eng verbunden ist, drückt diesen Gedanken aufs Beste aus. In Spanien muss die Schaffung von Arbeiterjuntas auf der Tagesordnung stehen. In der gegenwärtigen Lage des Proletariats setzt die Schaffung der Sowjets die Teilnahme der Kommunisten, der Anarcho-Syndikalisten, der Sozial-Demokraten und der parteilosen Führer der Streikkämpfe voraus. In welchem Maße kann man auf die Teilnahme der Anarcho-Syndikalisten und der Sozial-Demokraten in den Sowjets rechnen? Von außen ist dies schwer vorauszusehen. Der Schwung der Ben»ging wird zweifellos zahlreiche Syndikalisten 'und vielleicht auch einen Teil der Sozialisten zwingen, weiter zu gehen, als sie es wollen, wenn es den Kommunisten gelingt, das Problem der Arbeiterjuntas mit der unumgänglich notwendigen Energie aufzustellen. Unter dem Druck der Massen können und müssen die praktischen Fragen der Errichtung der Sowjets, des Vertretungsmodus, des Zeitpunkts und der Mittel der Wahlen etc. zum Gegenstand eines Vertrages nicht nur aller kommunistischen Fraktionen untereinander, sondern auch mit den Syndikalisten und den Sozialisten werden, welche damit einverstanden sind, an der Schaffung der Juntas mitzuarbeiten. Die Kommunisten melden sich selbstverständlich in allen Etappen des Kampfes mit entfaltetem Banner. Trotz der neuen Stalinschen Theorie über die Bauernsowjets ist es wenig wahrscheinlich, dass die Bauern-Juntas als wählbare Organisationen in beträchtlicher Zahl vor der Machteroberung des Proletariats werden auftauchen können. Während der Vorbereitungsperiode wird man auf dem Lande eine andere nicht auf auf Wählbarkeit sondern auf persönlicher Auswahl gegründete Organisationsform sich entwickeln sehen: Bauernverbände, Ausschüsse armer Bauern, kommunistische Kerne, Gewerkschaften der Landarbeiter usw. Jedoch kann die Propaganda für die Parole der Bauernjuntas auf der Grundlage des revolutionären Agrarprogramms bereits auf die Tagesordnung gesetzt werden. Äußerst wichtig ist es, die Frage der Soldatenjuntas richtig zu stellen. Dem Charakter einer Militärorganisation gemäß können die Soldatensowjets erst in der letzten Periode der revolutionären Krise auftauchen, wenn die Staatsmacht die Kontrolle über die Armee verliert. Wahrend der Vorbereitungsperiode handelt es sich nur um eine Organisation geschlossenen Charakters, revolutionäre Soldatengruppen, Parteizellen, in vielen Fällen an persönliche Verbindungen zwischen Arbeitern und Soldaten. Der republikanische Aufstand vom Dezember 1930 wird unbestreitbar in der Geschichte die Grenze zwischen zwei Perioden des revolutionären Kampfes darstellen. Freilich hat der linke Flügel der Republikaner eine Verbindung mit den Führern der Arbeiterorganisationen hergestellt, um die Aktionseinheit zu erzielen, die entwaffneten Arbeiter sollten neben den republikanischen Kapellmeistern die Rolle des Chors spielen. Dieses Ziel ist in genügendem Maße verwirklicht worden, um ein für allemal zu beweisen, dass eine Offiziersverschwörung mit dem revolutionären Streik unvereinbar ist. Gegen die militärische Verschwörung, welche eine Waffe einer anderen gegenüberstellte, fand die Regierung im Innern der Armee selbst genügend Kraft. Was den Streik anbelangt, der kein unabhängiges Ziel und keine eigene Führung besaß, so war er sogleich nach der Unterdrückung des militärischen Aufstandes dem Misserfolg geweiht. Die revolutionäre Rolle der Armee, nicht als Experimentierwerkzeug der Offiziere, sondern als bewaffneter Teil des Volks, wird letzten Endes durch die Rolle der Arbeiter und Bauern im Verlauf des Kampfes bestimmt. Um einen Erfolg darzustellen, muss der revolutionäre Streik zu einer Begegnung der Arbeiter mit der Armee führen. Wie wichtig auch immer die militärischen Elemente einer solchen Begegnung sein mögen, so ist doch die Politik darin ausschlaggebend, die Soldatenmassen zu besiegen ist nur dann möglich, wenn die sozialen Aufgaben des Aufstandes klar hervorgehoben werden. Aber eben die sozialen Aufgaben sind es, die die Offiziere erschrecken. Es ist ganz natürlich, dass die proletarischen Revolutionäre schon jetzt ihre Aufmerksamkeit auf die Soldaten konzentrieren, indem sie in den Regimentern Zellen von mutigen und ihrer Sache bewussten Revolutionären schaffen. Die kommunistische Arbeit in der Armee, die politisch der Arbeit unter den Arbeitern und Bauern untergeordnet ist, kann sich nur auf der Grundlage eines klaren Programms entwickeln. Im entscheidenden Moment müssen die Arbeiter durch ihre Anzahl und durch die Stärke ihrer Offensive einen großen Teil der Armee auf die Seite des Volks ziehen oder sie wenigstens neutralisieren. Diese breite revolutionäre Fragestellung schließt die militärische „Verschwörung" der vorgeschrittenen Soldaten und der mit der proletarischen Revolution sympathisierenden Offiziere in der Periode, die der; Generalstreik und dem Aufstand unmittelbar vorangeht, nicht aus. Aber eine derartige „Verschwörung" hat mit dem Pronunziamento nichts gemein: ihre Aufgabe hat einen Assistenzcharakter und besteht darin, den Sieg des proletarischen Aufstandes zu sichern. Zur siegreichen Lösung all dieser Aufgaben sind drei Voraussetzungen erforderlich: eine Partei, noch eine Partei und immer wieder eine Partei. Wie sich die gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen gegenwärtigen Organisationen und Gruppen bewerkstelligen werden und welches in Zukunft ihr Schicksal sein wird, dies ist von außen schwer festzustellen. Die Erfahrung wird es zeigen. Die großen Ereignisse stellen die Ideen, die Organisationen und die Menschen unfehlbar auf die Probe. Erweist sich die Leitung der Komintern als unfähig, den spanischen Arbeitern etwas anderes als eine falsche Politik, ein bürokratisches Kommando und die Spaltung vorzuschlagen, dann wird die wirkliche kommunistische Partei Spaniens sich außerhalb der Kaders der Kommunistischen Internationale heranbilden und stählen, Auf jeden Fall muss die Partei geschaffen werden. Sie muss geeinigt und zentralisiert sein. Die Arbeiterklasse darf auf keinen Fall ihre politische Organisation auf föderalistischer Grundlage aufbauen. Die kommunistische Partei ist nicht das Abbild des zukünftigen Regimes des spanischen Staates, sondern ein stählerner Hebel zum Sturze des bestehenden Regimes. Sie kann nicht anders als auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus organisiert werden. Die proletarische Junta wird zur breiten Arena werden, auf welcher jede Partei und jede Gruppe vor den Augen der breiter. Masse der Prüfung und dem Examen unterzogen wird. Die Parole der Einheitsfront der Arbeiter wird von den Kommunisten den Koalitionsverhandlungen mit der Bourgeoisie seitens der Sozialisten und eines Teiles der Syndikalisten entgegengesetzt werden. Nur die revolutionäre Einheitsfront wird dem Proletariat das unentbehrliche Vertrauen der unterdrückten Massen des Landes und der Städte verschaffen, Die Verwirklichung der Einheitsfront ist nur unter dem Banner des Kommunismus möglich, die Junta benötigt einer führenden Partei. Ohne feste Führung würde sie eine leere Organisationsform bleiben und unfehlbar in die Abhängigkeit der Bourgeoisie geraten Die spanischen Kommunisten sind somit mit grandiosen, historischen Aufgaben betraut. Die vorgeschrittenen Arbeiter werden mit leidenschaftlicher Aufmerksamkeit die Entwicklung des großen revolutionären Dramas verfolgen, welches früh oder spät nicht nur ihre Sympathie, sondern auch ihren Beistand erfordern wird. Seien wir bereit! 24. Januar 1931 Prinkipo
1In den Marx-Engels-Werken übersetzt als Symptome einer „unrühmlichen und langwierigen Fäulnis “ 2 L. Tarquín war ein Pseudonym für Andrés Nin, dem damaligen Führer der spanischen Linken Opposition. „La Lutte de classes“ war die theoretische Monatszeitschrift der französischen Linken Opposition. 3 die nicht offiziellen Herren gewisser Gebiete des Landes. 4 Machen Sie Ihren Einsatz, meine Herren! |
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