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Leo Trotzki 19390904 Deutsch-Sowjetische Union (Anfang)

Leo Trotzki: Deutsch-Sowjetische Union

[eigene Übersetzung nach dem russischen Text, verglichen mit der englischen und französischen Übersetzung]

Von verschiedenen Seiten fragte man mich, warum ich mich nicht rechtzeitig aus Anlass des Deutsch-Sowjetischen Paktes und seiner Folgen geäußert hätte. Dies wurde durch zufällige persönliche Umstände verhindert (Krankheit und Abreise von Mexiko-Stadt in ein Dorf). Die Ereignisse selbst, dachte ich, seien so klar, dass sie keinen Kommentar erforderten. Es erwies sich nicht so: in verschiedenen Ländern gibt es immer noch Menschen – es stimmt, es gibt immer weniger von ihnen – die sich erdreisten, den Verrat des Kremls als einen Akt politischen Heldenmuts1 darzustellen. Nach den Worten dieser Herren sieht es so aus, dass Stalin und Hitler gemeinsame Ziele hätten, die sie gemeinsam mit Methoden der Geheimdiplomatie im Interesse von … Frieden und Demokratie verfolgen. Sieht dieses Argument nicht wie eine ekelhafte Clownerei aus?

Seit 1933 musste ich in der Presse2 mehr als einmal zeigen und beweisen, dass Stalin ein Abkommen mit Hitler anstrebte. Insbesondere habe ich Belege zugunsten dieser Prognose in meiner Aussage vor der Untersuchungskommission von John Dewey in Coyoacán im April 1937 gebracht (The Case of Leon Trotsky, S. 385)3. Die Zyniker im Dienste des Kremls versuchen nun, die Sache so darzulegen, dass ihr Programm bestätigt worden sei: „Union der Demokratien" und „kollektive Sicherheit", während sich meine Prognose als falsch herausstelle: Ich prognostizierte sozusagen den Abschluss eines offensiven Militärbündnisses, während Stalin und Hitler nur einen pazifistischen, humanen4 Nichtangriffspakt schlossen (Hitler ist bekanntlich ein strikter Vegetarier). Ist es nicht klar, warum Hitler den Angriff auf Polen unmittelbar nach den Umarmungen von Ribbentrop und Molotow eröffnet hat? Einige der am wenigsten klugen Anwälte des Kremls erinnerten sich plötzlich (sie wussten es vorher nicht) daran, dass Polen ein „halb-faschistischer Staat" war. Es erweist sich, dass Hitler unter dem wohltuenden Einfluss Stalins den Krieg eröffnet gegen … den „Halbfaschismus".

Oder vielleicht hat Hitler einfach nur Stalins keusches5 Vertrauen betrogen? Wenn dies der Fall wäre, dann hätte Stalin den Betrug leicht aufdecken können. In der Tat hat der Oberste Sowjet den Vertrag genau in dem Moment ratifiziert, als deutsche Truppen die polnische Grenze überschritten. Stalin wusste genau, was er tat.

Für den Angriff auf Polen und den Krieg gegen England und Frankreich brauchte Hitler eine wohlwollende „Neutralität" der UdSSR … plus sowjetische Rohstoffe. Das politische und Handelsabkommen versorgte Hitler mit dem einen und dem anderen.

Auf der Sitzung des Obersten Sowjets prahlte Molotow mit der Vorteilhaftigkeit des Handelsabkommens mit Deutschland. Befremdlich ist daran nichts. Deutschland braucht unbedingt Rohstoffe. Wenn man Krieg führt, rechnet man nicht mit den Kosten. Wucherer, Spekulanten, Marodeure profitieren immer vom Krieg. Der Kreml versorgte den italienischen Marsch nach Abessinien mit Öl. Der Kreml kassierte von Spanien für die schlechten Waffen, die er ihm lieferte, doppelte Bezahlung. Jetzt erwartet der Kreml, von Hitler eine gute Bezahlung für sowjetische Rohstoffe zu erhalten. Die Lakaien der Komintern schämen sich auch hier nicht, das Handeln des Kremls in Schutz zu nehmen. Bei jedem ehrlichen Arbeiter ballen sich bei dieser Politik die Fäuste.

1in der englischen und französischen Übersetzung: „Tugend“

2in der englischen und französischen Übersetzung: „Weltpresse“

3in der englischen Übersetzung: „(Case of Leon Trotsky, Harper’s and Bros., New York)“, in der französischen Übersetzung fehlt die eingeklammerte Quellenangabe ganz.

4in der englischen und französischen Übersetzung: „humanitären“

5in der englischen und französischen Übersetzung: „kindliches“

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