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Leo Trotzki 19390112 Brief an Frida Rivera

Leo Trotzki: Brief an Frida Rivera

12. Januar 1939

[Eigene Übersetzung nach dem englischen Text, verglichen mit der französischen Übersetzung, dort unter dem Titel „Rétablir l'amitié“, Die Freundschaft wiederherstellen]

Werte Frida,

Wir hier waren alle sehr glücklich und sogar stolz auf Ihren Erfolg in New York, weil wir Sie als künstlerische Botschafterin nicht nur aus San Angel, sondern auch aus Coyoacán betrachten. Selbst Bill Lander, objektiver Vertreter der amerikanischen Presse, teilte uns mit, dass Sie laut Pressemitteilungen einen echten Erfolg in den [Vereinigten] Staaten hatten. Unsere herzlichsten Glückwünsche.

Dann hörten wir, dass Sie krank seien, sogar ernsthaft. Gestern hat Van uns gesagt, dass Sie jetzt genesen sind und möglicherweise innerhalb kurzer Zeit nach Frankreich gehen werden. Wir alle hoffen, dass Sie in Frankreich den gleichen Erfolg haben werden wie in den Staaten.

Bevor Sie jedoch den Neuen Kontinent verlassen, möchte ich Ihnen einige Komplikationen mit Diego mitteilen, die für mich und Natalia sowie für den ganzen Haushalt sehr schmerzhaft sind.

Es ist sehr schwierig für mich, die wahre Quelle von Diegos Unzufriedenheit herauszufinden. Zweimal versuchte ich, eine offene Diskussion zu diesem Thema zu provozieren, aber er war in seinen Antworten sehr allgemein. Das Einzige, was ich ihm entlocken konnte, war seine Empörung über mein Zögern, die Eigenschaften in ihm zu erkennen, die für einen guten revolutionären Funktionär sprechen würden. Ich habe darauf bestanden, dass er nie eine bürokratische Position in der Organisation annehmen sollte, denn ein „Sekretär", der nie schreibt, nie Briefe beantwortet, nie pünktlich zu den Sitzungen kommt und immer das Gegenteil des gemeinsam Entschiedenen macht, ist kein guter Sekretär. Und ich frage Sie, warum sollte Diego ein „Sekretär" sein? Dass er ein authentischer Revolutionär ist, braucht keinen Beweis; aber er ist ein Revolutionär, multipliziert mit einem großen Künstler, und es ist gerade diese „Multiplikation", die ihn absolut ungeeignet für Routinearbeiten in der Partei macht. Ich bin sicher, dass er in der Zeit einer revolutionären Flut dank seiner Leidenschaft, seines Mutes und seiner Vorstellungskraft von unschätzbarem Wert sein würde. In Friedenszeiten ist er kostbar für einen revolutionären Stab, den er durch seine Initiative und Leidenschaft inspirieren kann. Aber für Routine-Organisationsarbeit ist unser Freund Diego absolut ungeeignet.

Es schien, als hätte er den Ehrgeiz, mir zu beweisen, dass er der beste Bürokrat der Welt sei und dass er nur durch Zufall ein großer Maler geworden sei. Er begann eine rein persönliche Tätigkeit in der Casa del Pueblo und der CGT und verbarg diese Tätigkeit vor mir und den anderen Genossen. Ich war sehr beunruhigt, denn ich war mir sicher, dass dieses persönliche Vorhaben nicht ohne unangenehme Ergebnisse für die Vierte Internationale und für Diego persönlich enden würde. Ich glaube, dass es gerade die Tatsache war, dass Diego ein wenig gegen mich „konspirierte", was ihn gleichzeitig gegen mich und die anderen Genossen gereizt machte. Es ist die einzige vernünftige Erklärung, die ich finden kann.

Die Experimente mit der Casa del Pueblo und der CGT waren in meinen Augen nicht katastrophal, aber sehr unglücklich. Die Führung der CGT wandte sich nicht nach links, sondern nach rechts und tat dies auf sehr zynische Weise; ich nehme an, dass es die Ursache für Diegos letzte Explosion gegen mich war.

Er schrieb einen völlig unglaublichen Brief an Breton. Die sachliche Grundlage seines Ausbruchs gegen mich ist absolut falsch, ein reines Produkt von Diegos Phantasie (ich werde Van bitten, Ihnen eine Kopie seiner Widerlegung von Diegos „Beschwerden" zu schicken). Diego sagt jetzt, dass es nicht wichtig sei. Natürlich ist es an sich nicht wichtig, aber es ist ein unfehlbares Symptom seiner echten Stimmung. Er sagte Van, dass, selbst wenn die kleineren Fakten nicht korrekt seien, die größere Tatsache wahr bleibe, nämlich dass ich Diego los werden wolle. Als „Beweis" sagt Diego, dass ich mich geweigert habe, eine Verlesung seines Artikels über Kunst zu hören. Liebe Frida, es ist absolut unglaublich, dass man es für notwendig hält, sich gegen solche Anschuldigungen zu wehren.

Unerwartet brachte Diego seinen Artikel über Kunst zu einem Treffen von Freunden in meinem Haus und schlug vor, ihn sofort vorzulesen, damit wir unsere Meinung dazu abgeben konnten. Ich bemerkte, dass ich Spanisch nur dann verstehe, wenn ich das Manuskript vor mir haben könnte, und dass, wenn ich es nur hörte, mindestens die Hälfte verloren war. Das ist völlig richtig. Um eine Meinung zu einer so wichtigen Angelegenheit zu äußern, müsste ich den Artikel mit einem Bleistift in der Hand studieren. Dann könnte ich Kritik, Änderungen oder Ergänzungen vorschlagen, ohne eine allgemeine Diskussion über Himmel und Hölle auszulösen. Es war diese Art von Zusammenarbeit, die wir hatten, als Diego für Las Novedades schrieb. Auf meinen Vorschlag hin wurde sogar beschlossen, dass Kopien jedes Artikels an alle interessierten Freunde geschickt werden sollten, aber Diego vergisst die gemeinsamen Entscheidungen sofort und sucht dann nach den fantastischsten Erklärungen für die einfachsten Dinge.

Die Idee, dass ich Diego loswerden wolle, ist so unglaublich, so absurd, erlauben Sie mir zu sagen, so verrückt, dass ich nur hilflos mit den Schultern zucken kann. Während dieser Monate verbrachten wir viele Stunden mit Natalia, um darüber zu diskutieren, was wir tun könnten, um die Atmosphäre zu klären und die alte, freundliche Beziehung wiederherzustellen. Einmal haben wir Diego zusammen mit Natalia besucht und eine sehr, sehr gute Stunde mit ihm verbracht. Dann besuchte ich ihn allein (trotz seines Widerstands) und löste eine Diskussion aus. Nach jedem Besuch hatte ich den Eindruck, dass die Sache definitiv geklärt sei, aber am nächsten Tag begann sie wieder und schien schlimmer denn je zu sein.

Vor ein paar Tagen trat Diego aus der Vierten Internationale aus. Ich hoffe, dass der Austritt nicht akzeptiert wird. Ich meinerseits werde alles in meiner Macht Stehende tun, um zumindest die politische Angelegenheit zu regeln, auch wenn es mir nicht gelingt, die persönliche Frage zu lösen. Ich glaube jedoch, dass Ihre Hilfe in dieser Krise von wesentlicher Bedeutung ist. Diegos Bruch mit uns würde nicht nur einen schweren Schlag für die Vierte Internationale bedeuten, sondern – ich fürchte mich, das zu sagen – den moralischen Tod von Diego selbst bedeuten. Abgesehen von der Vierten Internationale und ihren Sympathisanten bezweifle ich, dass es ihm gelingen würde, ein Milieu des Verstehens und der Sympathie zu finden, nicht nur als Künstler, sondern auch als Revolutionär und als Mensch.

Nun, liebe Frida, kennen Sie die Lage hier. Ich kann nicht glauben, dass es hoffnungslos ist. Auf jeden Fall wäre ich der Letzte, der die Bemühungen um die Wiederherstellung der politischen und persönlichen Freundschaft aufgibt, und ich hoffe aufrichtig, dass Sie mit mir in dieser Richtung zusammenarbeiten werden.

Natalia und ich wünschen Ihnen das Beste an Gesundheit und künstlerischem Erfolg und wir umarmen Sie als unsere gute und wahre Freundin.

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