Leo Trotzki: Tagebucheintrag [Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 50-53] 20. Februar Im Laufe der Jahre 1924-1928 richtete sich der wachsende Hass Stalins und seiner Gehilfen gegen mein Sekretariat. Mein kleiner »Apparat« erschien ihnen als ein Quell alles Übels. Den Grund dieser fast abergläubischen Furcht vor der kleinen (fünf bis sechs Personen umfassenden) Gruppe meiner Mitarbeiter ist mir nur allmählich verständlich geworden. Die hohen Würdenträger, die sich Reden und Artikel von ihren Sekretären aufsetzen ließen, lebten allen Ernstes in dem Glauben, dass sie einen Gegner dadurch entwaffnen könnten, dass sie ihn seiner »Kanzlei« beraubten. – Von dem tragischen Schicksal meiner Mitarbeiter habe ich seinerzeit in der Presse berichtet: Glasmann trieb man zum Selbstmord, Butow ist in einem GPU-Gefängnis gestorben, Blumkin wurde erschossen, Sermuks und Posnanski mussten in die Verbannung gehen. Stalin konnte nicht voraussehen, dass ich auch ohne ein »Sekretariat« in der Lage sein würde, auf literarischem Gebiet systematische Arbeit zu leisten, die ihrerseits zur Schaffung eines neuen »Apparats« beitragen kann. In bestimmten Fragen zeichnen sich sogar sehr kluge Bürokraten durch die unglaublichste Borniertheit aus! Die mit literarischer Arbeit und brieflichem Meinungsaustausch ausgefüllten Jahre der erneuten Emigration haben Tausende bewusster und aktiver Gesinnungsgenossen in verschiedenen Ländern und Teilen der Welt erstehen lassen. Der Kampf für die Vierte Internationale setzt die sowjetische Bürokratie unter indirekten Beschuss. Daraus erklärt sich die neue – nach einer langen Unterbrechung einsetzende – Kampagne gegen den Trotzkismus. Jetzt würde Stalin viel darum geben, die Entscheidung über meine Verbannung ins Ausland rückgängig zu machen: wie verlockend wäre es doch, einen »Schauprozess« zu inszenieren. Doch die Vergangenheit lässt sich nicht wiederbringen. Es gilt, nach anderen Mitteln als einem Prozess zu suchen. Selbstverständlich wird Stalin solche Mittel finden (im Sinne etwa der Warnungen Kamenews und Sinowjews). Doch die Gefahr der Entlarvung ist zu groß: das Misstrauen, mit dem die Arbeiterschaft des Westens den Machenschaften Stalins begegnet, konnte seit der Kirow-Affäre nur noch weiter anwachsen. Sicherlich wird Stalin in zwei Fällen nach dem Mittel eines terroristischen Anschlags greifen (und zwar wohl am ehesten unter Einschaltung der Unterstützung weißgardistischer Organisationen, innerhalb welcher die GPU über zahlreiche Agenten verfügt, oder unter Zuhilfenahme französischer Faschisten, zu denen ja der Weg leicht zu finden ist): entweder wenn ein Krieg drohen oder wenn seine eigene Lage sich äußerst verschlechtern wird. Doch kann sich selbstverständlich ein dritter und auch ein vierter Fall ergeben… Es lässt sich schwer sagen, wie stark der Schlag wäre, den eine solche terroristische Aktion der Vierten Internationale versetzen würde, doch für die Dritte würde er in jedem Falle den Untergang bedeuten. Qui vivra – verra. Wenn nicht wir selbst, dann andere. Rakowski ist zur Teilnahme an feierlichen Versammlungen und Empfängen für ausländische Botschafter und Journalisten der bürgerlichen Presse gnädig zugelassen. Damit gibt es einen großen Revolutionär weniger und einen kleinen Beamten mehr! Zyromski will sich mit Stalin verbünden. Wie berichtet wird, plant Otto Bauer einen Besuch in Moskau. Das eine wie das andere ist durchaus erklärlich. Alle erschrockenen Opportunisten aus der Zweiten Internationale müssen sich gegenwärtig zur sowjetischen Bürokratie hingezogen fühlen. Es ist ihnen nicht gelungen, sich dem bourgeoisen Staat anzupassen, nun trachten sie danach, sich dem Arbeiterstaat anzupassen. Ihr Wesenskern ist eben Anpassung und Nachgeben gegenüber der Gewalt. Revolution werden sie nie machen. Es bedarf einer neuen Auslese, einer neuen Erziehung, einer neuen Abhärtung – kurzum, einer neuen Generation. |
Leo Trotzki > 1935 >