Leo Trotzki‎ > ‎1935‎ > ‎

Leo Trotzki 19350218 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 47-50]

18. Februar

Als Sinowjew und Kamenew im Jahre 1926, nach mehr als drei Jahren eines gemeinsam mit Stalin gegen mich geschmiedeten Komplotts, auf die Seite der Opposition getreten waren, erhielt ich von ihnen wiederholt nützliche Warnungen: – Sie glauben doch nicht, dass Stalin zur Zeit Gedanken darüber wälzt, welche Argumente er ihnen entgegenhalten kann? – Das war, was Kamenew sinngemäß anlässlich der Kritik sagte, der ich die Politik Stalins, Bucharins und Molotows in China, in England usw. unterzogen hatte. – Sie irren sich. Er stellt Erwägungen darüber an, wie er Sie vernichten könnte.

- ?

- Moralisch, wenn möglich aber auch physisch. Verleumdung, Inszenierung einer militärischen Verschwörung, dann, nachdem der Boden vorbereitet ist, Vortäuschung eines terroristischen Anschlags. Stalin führt seinen Krieg auf einer anderen Ebene als Sie. Ihre Waffen sind ihm gegenüber unwirksam.

Bei einer anderen Gelegenheit sagte mir derselbe Kamenew:

- Ich kenne ihn (Stalin) nur zu gut aus den alten Zeiten unserer gemeinsamen Arbeit, der gemeinsamen Verbannung, der gemeinsamen Tätigkeit in der Troika. Sogleich nach unserem Bruch mit Stalin haben ich und Sinowjew eine Art Testament aufgesetzt, in dem wir für den Fall unseres »unverhofften« Todes erklären, dass Stalin als der Schuldige anzusehen ist. Diese Urkunde befindet sich an einem sicheren Ort. Ich empfehle Ihnen, das gleiche zu tun.

Sinowjew sagte mir nicht ohne eine gewisse Verlegenheit:

- Glauben Sie, dass Stalin die Frage Ihrer physischen Beseitigung nicht erwogen hat? Er hat diese Frage erwogen und überlegt. Ihn hielt ein und derselbe Gedanke zurück: die Jugend wird ihn persönlich mit der Verantwortung belasten, und ihre Antwort werden Terrorakte sein. – Aus diesem Grunde hielt er die Aufsplitterung der Reihen der oppositionellen Jugend für notwendig. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben… Treffen Sie die notwendigen Maßnahmen. Unzweifelhaft hatte Kamenew recht, als er davon sprach, dass Stalin (wie übrigens auch er selbst und Sinowjew in der voraufgegangenen Zeit) den Kampf auf einer anderen Ebene und mit anderen Waffen führte. Doch nur da ergab sich die eigentliche Möglichkeit eines solchen Kampfes, wo sich bereits das spezifische und selbstbestimmende Milieu der sowjetischen Bürokratie hatte bilden können. Stalin führte den Kampf mit dem Ziel der Zusammenfassung der Macht in den Händen der Bürokratie und der Verdrängung der Opposition aus ihren Reihen; dagegen kämpften wir für die Ziele der Weltrevolution, wodurch wir uns dem Konservativismus der Bürokratie und deren Streben nach Ruhe, Zufriedenheit und Komfort entgegenstellten. Angesichts des andauernden Kräfteverfalls der Weltrevolution war der Sieg der Bürokratie, infolgedessen aber auch der Sieg Stalins vorherbestimmt. Der Ausgang der Entwicklung, der von politischen Gaffern und Hohlköpfen der persönlichen Stärke, zumindest aber der ungewöhnlichen Schläue Stalins zugeschrieben wird, wurzelte in Wirklichkeit tief in der Dynamik geschichtlicher Kräfte. – Die Rolle Stalins selbst war dagegen nicht mehr als der halb bewusste Ausdruck des zweiten Kapitels der Revolution, des Kapitels ihres Katzenjammers. Während unseres Aufenthalts in Alma-Ata (Zentralasien) erschien bei mir einmal irgendein sowjetischer Ingenieur, der vorgab, nur aus eigenem Antrieb gekommen zu sein und Gefühle persönlicher Sympathie für mich zu empfinden. Er erkundigte sich nach unseren Lebensbedingungen, zeigte sich betrübt und bemerkte beiläufig und sehr vorsichtig: »Glauben sie nicht, dass irgendwelche Schritte zur Aussöhnung denkbar wären?« Es liegt auf der Hand, dass es sich bei diesem Ingenieur um einen Emissär gehandelt hatte, der mir den Puls fühlen sollte. Ich antwortete ihm sinngemäß, dass von einer Aussöhnung unter den gegebenen Verhältnissen nicht die Rede sein könnte; nicht deshalb, weil ich eine Aussöhnung nicht wollte, sondern deshalb, weil Stalin nicht in der Lage wäre, Frieden mit mir zu schließen, er sei gezwungen, den Weg, der ihm von den Bürokraten vorgezeichnet worden sei, bis zu Ende zu gehen.

- Womit kann denn das enden? – Es wird mit einer blutfeuchten Affäre enden, sagte ich, mit nichts anderem kann Stalin die Sache abschließen. – Mein Besucher zuckte zusammen, offensichtlich hatte er eine solche Antwort nicht erwartet, und verabschiedete sich sehr bald.

Ich glaube, dass dieser Unterhaltung hinsichtlich der Entscheidung über meine Verbannung ins Ausland eine große Bedeutung zukommt. Es ist möglich, dass Stalin auch früher schon einen solchen Ausweg in Betracht gezogen hatte, dabei aber im Politbüro auf Widerstand gestoßen war. Nun verfügte er über ein starkes Argument: T. selbst hat erklärt, der Konflikt würde zu einem blutigen Abschluss führen. Auslandsexil ist der einzige Ausweg!

Die Argumente, welche von Stalin zugunsten der Exilierung angeführt worden waren, habe ich seinerzeit im Bulletin der russischen Opposition veröffentlicht. Doch wie kommt es, dass die Sorge um die Komintern Stalin nicht zurückgehalten hat? Es steht außer Zweifel, dass er diese Gefahr unterschätzt hat. Seine Vorstellungen von politischer Stärke sind mit der Vorstellung von dem Apparat untrennbar verbunden. Er begann seine offene Polemik erst dann, als er im Voraus gewiss war, dass er das letzte Wort behalten würde. Kamenew hat die Wahrheit ausgesprochen: er führt den Kampf auf einer anderen Ebene. Eben deshalb hat er die Gefahr eines ausschließlich ideellen Ringens unterschätzt.

Kommentare