Leo Trotzki‎ > ‎1935‎ > ‎

Leo Trotzki 19350330 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 80-82]

30. März

»Der stinkende Abschaum der Trotzkisten, Sinowjewmitläufer, ehemaliger Fürsten, Grafen, Gendarmen, dieses ganze Pack, das gemeinsame Sache macht, versucht die Mauern unseres Staates zu untergraben.«1

Vorstehendes stammt natürlich aus der Prawda. Weder die Kadetten noch die Menschewisten und Sozialrevolutionäre sind erwähnt: »gemeinsame Sache machen« nur die Trotzkisten und die Fürsten! In dieser Meldung ist etwas enthalten, das nicht zu überbietende Dummheit atmet – in der Dummheit aber wiederum etwas Fatales. Nur eine dem geschichtlichen Untergang geweihte Clique kann diesen Grad der Entartung und Verdummung erreichen!

Zugleich zeugt die herausfordernde Art dieser Dummheit von zwei Umständen, die untereinander in wechselseitiger Verbindung stehen: 1. irgend etwas ist drüben in Unordnung, und zwar in großer Unordnung; die »Unordnung« steckt irgendwo tief innerhalb der Bürokratie selbst, genauer gesagt, sogar innerhalb der herrschenden Funktionärsspitze; das Amalgam aus Abschaum und Pack zielt gegen irgendwelche Dritte, die weder zu den Trotzkisten noch zu den Fürsten gehören, am wahrscheinlichsten wohl gegen die »liberalen« Strömungen in den Reihen der regierenden Bürokratie. 2. irgendwelche neue praktische Schritte gegen die »Trotzkisten« werden als Vorbereitung eines Schlages erwogen, der näherstehende und intime Feinde des stalinistischen Bonapartismus treffen soll. Es könnte angenommen werden, dass irgendein neuer Coup d'état vorbereitet würde, mit dem Ziele, die persönliche Macht juristisch zu konsolidieren. Aber worin könnte ein solcher Coup d'état bestehen? Doch nicht in einer Krone? In der Zuerkennung des Titels eines »Führers« auf Lebenszeit? Das würde aber zu sehr an den deutschen Führer erinnern! Anscheinend bieten die Probleme der »Technik« des Bonapartismus zwangsläufig immer mehr politische Schwierigkeiten. Irgendeine neue Entwicklungsstufe zeichnet sich ab, im Verhältnis zu der die Mordaffäre Kirow nur ein düsteres Omen war. –

1 Zeitungsausschnitt eingeklebt

Kommentare