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Leo Trotzki 19350331 Tagebucheintrag

Leo Trotzki: Tagebucheintrag

[Nach Tagebuch in Exil. Köln-Berlin 1958, S. 82 f.]

31. März

Eine witzige Geschichte! Der sowjetische Geschichtswissenschaftler W. I. Newski ist weder schlechter noch besser als viele andere sowjetische Historiker: Schlampig, nachlässig und dogmatisch, jedoch mit einer Mischung von Naivität eigener Art, die vor dem allgemeinen Hintergrund »gezielter« Fälschungen hin und wieder den Eindruck ehrbarer Gründlichkeit zu erwecken vermag. Newski gehört keiner Oppositionsströmung an. Nichtsdestoweniger ist er das Opfer einer systematischen Hetzkampagne. Was ist der Grund dafür? Hier eine der möglichen Erklärungen: In seiner Geschichte der RKP, die 1924 erschien, bemerkt Newski (in der Literaturübersicht) :

»Solche Büchlein, wie die kleine Broschüre Konst. (sic!) Molotows Zur Parteigeschichte, stellen nicht nur keinen positiven Beitrag dar, sondern stiften unmittelbaren Schaden, so groß ist die Zahl der in ihnen enthaltenen Fehler: Auf nur 39 Seiten dieses Büchleins wurden 19 Fehler gezählt!«

Im Jahre 1924 konnte Newski nicht wissen, dass Molotows Stern hoch aufsteigen und dass die »19 Fehler« in der Broschüre den Verfasser nicht hindern würden, Vorsitzender des Rates der Volkskommissare zu werden. Offensichtlich hat Molotow über das Orgbüro, in dem er eine Zeitlang (das liegt weit zurück!) schaltete und waltete, die Hetze gegen den bedauernswerten Newski ausgelöst… Indessen, die Zeiten sind veränderlich: der Stern Molotows ist verblasst – und wer weiß, ob die Bemerkung Newskis über die Ignoranz des Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare nicht einmal ein Ruhmesblatt für den unglückseligen Geschichtsschreiber bilden wird. Tatsächlich, eine tolle Geschichte!…

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