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Leo Trotzki 19350331 Eine neue Schlinge des stalinistischen Amalgams

Leo Trotzki: Eine neue Schlinge des stalinistischen Amalgams

[Nach Unser Wort, Halbmonatszeitung der IKD, 3. Jahrgang, Nummer 3 (55), Mitte April 1935, S. 1]

Am 16. Januar 1935 schrieb ich in der Affäre Sinowjews und der Anderen: „Es wäre eine kriminelle Leichtsinnigkeit, zu denken, dass Stalin sich weigern würde, Versuche zu unternehmen, uns noch irgend eine andere, von der GPU und ihrer ausländischen Agenten gebaute „Affäre" zu unterschieben. Andere Methoden des Kampfes kennt Stalin nicht."

Jetzt sind von dem stalinistischen Amalgam auf die Köpfe unserer Freunde in der UdSSR neue Schläge gerichtet worden. Sie sind grob und liederlich vorbereitet, – das aber wird sie selbstverständlich nicht hindern, einen Weg zu blutigen Repressalien gegen die Bolschewiki und ihre Nächsten zu bahnen.

Am 20. März 1935 veröffentlichte die „Prawda" ein Kommuniqué über die Verschickung von ehemaligen Grafen, Fabrikanten, Grundbesitzern, hohen zaristischen Funktionären und Gendarmen aus Leningrad, im ganzen 1074 Mann. Das Kommunique setzte hinzu : „Ein Teil der Verschickten wird beschuldigt … der Tätigkeit gegen den Sowjetstaat zugunsten der ausländischen Staaten". Wir lassen die Frage ganz und gar beiseite, in welcher Weise sich In Leningrad im Jahre 1935 – dem 18. Jahre nach dem Oktober – mehr als tausend gefährliche Vertreter des alten zaristischen Russland gefunden haben. Heißt das, dass die GPU, die Leninisten verfolgend und ausrottend, die Klassenfeinde nicht bemerkt hat? Oder haben diese Tausend der Ehemaligen vorher keine Gefahr dargestellt und ihre Köpfe erst jetzt erhoben, nachdem das stalinistische Regime zu innerparteilichen terroristischen Akten und zu blutigen Massenrepressalien gegen die Parteijugend geführt hat? So oder anders, das offizielle Kommuniqué hat keinen Platz für Ungewissheiten offengelassen über diejenigen, gegen die die Reinigung in Leningrad geführt worden ist: alle 1074 Mann sind genau nach den Kategorien der ehemaligen herrschenden Klassen und der zaristischen Bürokratie verteilt.

Aber nach 5 Tagen – in der „Prawda" vom 25. März 1935 -- finden wir schon eine andere Version: hinsichtlich der Verhaftungen und Verschickungen schreibt man buchstäblich folgendes:

Stinkende Abfälle der Trotzkisten, Smowjewisten, ehemaligen Fürsten, Grafen, Gendarmen, dieser ganze gemeinsam handelnde Abschaum versuchte die Mauern unseres Staates zu untergraben".

Also, unter den 1074 Verschickten und Beschuldigten, und zwar an erster Stelle, finden wir „Trotzkisten und Sinowjewisten", die „gemeinsam" handeln mit den ehemaligen zaristischen Ministern md Gendarmen. Warum aber wurde diese Gruppe der Trotzkisten und Sinowjewisten aus der offiziellen Bekanntmachung vom 20. März 1935 herausgelassen, die eine genaue Aufzählung aller Kategorien der Verschickten und Beschuldigten gegeben hatte? Es ist ganz klar: das Laboratorium der Amalgame hat sich mit einer Verspätung besonnen und die „Korrektur" der offiziellen Bekanntmachung nachträglich Vorgenommen: „gemeinsam" mit den ehemaligen Gendarmen hätten die Trotzkisten und Sinowjewisten gehandelt, die man aus irgend einem Grunde vor 5 Tagen vergessen hatte.

Im Zusammenhange mit dieser unerwarteten „Korrektur" ist noch eine nicht unbedeutende Umstellung der kriminellen Qualifikation erfolgt. Das Kommuniqué vom 20. März 1935 schrieb, dass Grafen und Gendarmen handelten „zu Gunsten (?) der ausländischen Mächte". Die Dehnbarkeit dieser Formel versteht sich von selbst. Die „Prawda" vom 25. März wendet hinsichtlich der „gemeinsam handelnden" Trotzkisten und Grafen eine viel präzisere Formel an: sie hätten gehandelt „nach den Vorschriften der ausländischen Spionage", So haben die groben Fälscher während 5 Tagen uns erlaubt, mit bloßen Augen den Anfang und das Ende der neuen Schlinge – aber sicherlich nicht der letzten – zu sehen.

Nur ganz und gar naive Menschen können denken, dass die ,.Prawda" einfach aus polemischen Übereifer gegen die Trotzkisten übertrieben habe und noch eine Lüge und Verleumdung auf ihr Konto häufe. Nein. Die „Prawda" ist nicht die „l'Humanité". Hinter der „Prawda" steht die GPU. Die Redakteure der „Prawda" schreiben nicht, was ihnen in den Kopf kommt: sie erfüllen die Vorschriften bestimmter Stellen. Der Artikel vom 25. März 1933 zeugt einfach dafür, dass im Laufe der 5 Tage eine neue blutige Maßnahme gegen die Oppositionellen beschlossen Wurde und da ein passender terroristischer Akt nicht vorhanden war, so wurde der „Prawda" vorgeschrieben, die Vernichtung von Bolschewisten mit der Razzia gegen die ehemaligen Grundbesitzer, Grafen und Gendarmen zu verbinden.

Wir sprechen von neuen Vernichtungen: sind sie schon in der Tat vorgenommen worden oder stehen sie noch bevor? Wir wissen es nicht. Sehr möglich, dass der niederträchtige Artikel der „Prawda" vom 25. März eine Art anonymen Nachruf auf die schon erschossenen Leninisten darstellt; es ist jedoch auch möglich, dass dieser Artikel nur die blutigen Repressalien vorbereitet. Jedenfalls ist es klar, dass Stalin den Fehlschlag der Leningrader GPU ausbessert: das Amalgam mit dem lettischen Konsul ist zusammengebrochen, – um es zu ersetzen, muss man ein Amalgam mit Grafen und Gendarmen bauen. Die Technik ist eine Neue das Ziel bleibt das selbe.

Schon die nächsten Tage können uns genaue Nachrichten über diejenigen bringen, gegen die die neue stalinistische Schlinge unmittelbar gerichtet wurde. Aber um die Zahl der neuen Opfer auf ein Minimum herabzusetzen, muss man sofort die Kampagne der Entlarvung des neuen Amalgams und seiner Verfasser beginnen.

Den 31. März 1935.

Leo Trotzki.

(Aus dem „Bulletin der russischen Opposition" Nr. 43.)

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