Leo Trotzki: Anmerkungen über die SAP und das London-Amsterdamer Büro [eigene Übersetzung nach Writings of Leon Trotsky: Supplement (1934-40), S. 572-577] N [möglicherweise Nicolle Braun alias Erwin Wolf]: Die letzte deutsche Konferenz enthüllte, dass es innerhalb der IKD immer noch ernsthafte Meinungsunterschiede und mangelnde Klarheit über den taktischen Umgang mit der SAP und dem London-Amsterdamer Büro gibt. Die Konferenzresolution über die SAP und die Leitlinien für Plenumsmitglieder, ihr Vorgehen im Zusammenhang mit der Pariser Konferenz des London-Amsterdamer Büros betreffend, sind beide von einem versöhnlerischen Geist durchdrungen. Trotzki: Es ist absolut notwendig, eine konsequente Linie gegenüber der SAP aufrecht zu erhalten. Die SAP drückt die Gefühle zahlreicher verwirrter Elemente aus und ist Vertreter einer ganzen internationalen Geistesverfassung. Sie ist der erwählte Führer für Leute mit allen Arten von Mängeln und alle ihre Anstrengungen sind auf die Beibehaltung dieser Mängel und das Säen von neuer Verwirrung gerichtet. In dem Prozess stützt sie sich auf den Sektierer Bauer und den prinzipienlosen Einheitsapostel Doriot. Die SAP ist sehr geschickt darin, ihre Verwirrung mit unseren Argumenten zu verdecken. Wir wollen nicht vergessen, dass sie eine gründliche Schulung hatten – in der Komintern, bei den Brandlerianern und sie haben sogar von uns etwas gelernt. Diese „Geschicklichkeit“ macht die SAP zu einer der gefährlichsten zentristischen Strömungen, denen wir jetzt gegenüberstehen. Obwohl sie selbst nicht viel darstellen, versucht die SAP überall mit ihren über verschiedene Länder verstreuten Emigrantengruppen einzugreifen und der revolutionären Bewegung Bremsen anzulegen. Wir müssen der SAP, die die uns am nächsten stehende Gruppe zu sein scheint, eine sehr gründliche Lehre erteilen. Wir müssen aufhören, uns ihr anzubiedern und einen entschlossenen Kampf gegen sie führen. Unser Verhalten gegenüber der IAG muss von den selben Überlegungen ausgehen. Theoretisch gibt es in der Tat eine Möglichkeit, dem Büro beizutreten, vorausgesetzt, dass es in der Organisation eine klare linke Strömung gibt. Gegenwärtig geht es bei unserem Kampf gegen das Büro jedoch mehr gegen die SAP-Führung im Büro, weil sie hauptsächlich für den rechten Kurs verantwortlich ist. Die Vorbedingung für die theoretische Möglichkeit eines Eintritts in die IAG ist ein unerbittlicher Kampf gegen die SAP, die gegenwärtig Konservatismus und Reaktion innerhalb der Arbeiterbewegung darstellt. Im Internationalen Jugendbüro spielt die SAP die selbe Rolle. Die SAP hat sich selbst an unseren Schultern hochgezogen; jetzt sollen wir uns unterwerfen, damit die SAP sich bei Tranmæl und Kilbom anbiedern kann. Während Genosse Schmidt von der OSP im Gefängnis war, haben de Kadt und Walcher die Führung des Jugendbüros unter ihre Kontrolle genommen, um gegen unsere Linie zu kämpfen. Nachdem de Kadt aus der OSP wegen seinem Verrat während des Julikampfs in Amsterdam [1934] geflohen ist, versucht Walcher die selbe Politik mit dem Schweden Kilbom fortzusetzen. Letzterer verweigerte unserem Genossen Held einen Wohnsitz in Stockholm, um die Führung an Brandt und die SAP zu übergeben. Das politische Eingreifen unserer Genossen auf der [Jugend-]Konferenz in Lille war unzureichend. Sie blieben bei allem stumm und erlaubten der SAP praktisch eine Diktatur auf dieser Konferenz auszuüben. Wir müssen energische Maßnahmen ergreifen, um die Ränke der SAP zu stoppen. N: Viele der SAP-Gruppen in Deutschland (aber natürlich nicht alle von ihnen) sind viel weiter links als die SAP-Führung im Ausland. Sie sprechen sich offen für die Vierte Internationale aus und antworten oft positiv auf unsere Anstrengungen, solidarische Zusammenarbeit und Diskussion einzuführen. Sie folgen jedoch immer noch ihrer Führung im Ausland, die uns an jeder Stelle zu behindern versucht, zum Beispiel bei den Einheitsverhandlungen in X, wo das SAP-Regionalkomitee beauftragt wurde, sinnlose Bedingungen zu stellen, wie das Verbot „aus der anderen Organisation Mitglieder zu gewinnen“ etc. Ich bin der Meinung, dass wir eine Erklärung über die Sinnlosigkeit solcher Forderungen herausgeben sollten, aber dass wir uns von solchen Tricks nicht übertölpeln lassen und nicht das Scheitern solcher Verhandlungen zulassen sollten in Fällen, wo örtliche Einheitsverhandlungen eine fortschrittlichen politischen und organisatorischen Charakter tragen. Trotzki: Ich werde zu diesem besonderen Fall in X keine Meinung äußern, weil ich mit den Details nicht vertraut bin. Im Allgemeinen können von den Genossen in Deutschland begangene Fehler mit Nachsicht betrachtet werden. Als Folge der Bedingungen von äußerster Illegalität fehlt das notwendige allgemeine Bild der internationalen Angelegenheiten bei den dort arbeitenden Genossen. Aber in allen internationalen Fragen muss die Auslandsführung unnachgiebig sein und einen entschlossenen Kampf gegen die SAP einleiten. Trotz Nachsicht bei internen deutschen Angelegenheiten muss die Auslandsführung in allen internationalen Fragen Ellenbogenfreiheit behalten. Eine Spaltung innerhalb der SAP ist keineswegs undenkbar. Wir müssen ständig darauf hinweisen, dass es nur die SAP ist, die politische Hindernisse auf dem Weg zur Einigung sieht. Unter keinen Umständen sollten wir mit der Vierten Internationale Versteck spielen und wir müssen in allen Fällen mit großer Selbstgewissheit handeln. N: Es gibt in unseren Reihen keine großen Unterschiede bei der Bewertung des London-Amsterdamer Büros. Statt dessen wird oft die Frage aufgeworfen, ob wir das Büro zerfallen lassen sollten oder ob wir im Gegenteil aktiv versuchen sollten, es durch unseren Eintritt in eine revolutionäre Richtung umzugestalten oder wenn nötig von innen für sein Aufbrechen zu arbeiten. Trotzki: Wenn wir in der gegenwärtigen Lage dem London-Amsterdamer Büro beitreten würden, dann würden wir alle gegen uns gruppieren. Wir würden die einzige Zielscheibe der Zentristen werden. Der Kampf gegen uns wäre die einzige Daseinsberechtigung des London-Amsterdamer Büros. Wenn wir jedoch außerhalb bleiben, sie scharf kritisieren und sie sich selbst überlassen, werden alle versteckten Widersprüche deutlich werden, weil es, praktisch gesprochen, drei Tendenzen im London-Amsterdamer Büro gibt: eine befürwortet die Zweite Internationale (Schweden), eine befürwortet die Dritte (die ILP in England) und eine befürwortet die Vierte (RSAP). Wir haben schon ein gewisses Maß an Erfahrung durch die Teilnahme der Niederländern und unsere Ansichten wurden nur bestätigt. Doriot selbst erklärte, dass der einzige positive Aspekt dieser Konferenz [im Februar 1935] die Verurteilung der trotzkistischen Ideen sei. In der Tat zielte alles darauf ab, die Vierte Internationale zu verurteilen. Das war der einzige Klebstoff, der die dort vertretenen Gruppen (mit der Ausnahme der Niederländern) zusammenhielt. N: Die Befürworter einer versöhnlerischen Linie bezüglich des London-Amsterdamer Büros ziehen immer den Vergleich mit Lenins Haltung zu Zimmerwald und Kienthal. Trotzki: Der große Unterschied zwischen damals und heute ist, dass es zu Beginn des Krieges nirgends eine wirklich kommunistische Gruppe gab. In Frankreich zum Beispiel waren Merrheim und Bourderon am weitesten links und sie waren gemäßigte Zentristen, die der Meinung waren, die Zweite Internationale solle nach dem Krieg wieder aufgebaut werden. Selbst Liebknecht änderte seine Meinung; zuerst war er immer noch in der selben Organisation mit den Unabhängigen [Sozialdemokraten]. In Schweden war es Höglund und in Norwegen [?], ein sehr gemäßigter Linker. In diesen Tagen mussten die ersten Kanäle geöffnet werden. Ja, wenn Lenin nur eine Gruppe von zehn Arbeitern gehabt hätte, oder auch nur fünf (er sagte immer, dass drei gute Arbeitern ihm wichtiger seien als alle Zentristen zusammengenommen) … Aus diesem Grund war es damals notwendig, an diesen Konferenzen teilzunehmen. (Diese Handlung war jedoch kein Hindernis für die Zusammenarbeit bei der Arbeit innerhalb von sozialdemokratischen Organisationen. Während dem Krieg zum Beispiel arbeiteten Inessa Armand und andere zusammen mit Trotzki in Frankreich und nahmen an [sozialdemokratischen] Treffen teil. Lenin selbst arbeitete in der Schweizer Organisation. Trotzki [muss heißen: Lenin] war zusammen mit Fritz Platten Delegierter der Schweizer Parteikonferenz und wurde von den Rechten am Reden gehindert. Auf der folgenden Parteikonferenz nahm Lenin auch teil.) Alles hängt davon ab, ob man ein paar Kräfte im Land hat oder nicht, ob man unabhängige internationale Aktion entwickeln kann. In jedem Fall ist der Punkt nicht, ob man an einer internationalen Konferenz teilnimmt oder nicht (wir schließen den Genossen Schmidt nicht aus); was vielmehr entscheidend ist, ist die zerstörerischen Auswirkungen dieser politischen Linie wahrzunehmen und zu bekämpfen. Illusionen zu haben ist gefährlich und nicht eine mögliche Teilnahme. Diesen Illusionen in unseren Reihen entsprechen Illusionen über die SAP-Führung. Alle zentristischen Strömungen machen jetzt den wichtigsten Test in den internationalen Fragen durch. Aber in den internationalen Fragen kann jeder geschulte Marxist sehen, wohin sie steuern. Natürlich ist die SAP gegen Hitler, aber in internationalen Fragen unterstützt sie Tranmæl und Kilbom und bereitet so den Weg für den norwegischen und schwedischen Hitler. Sie tun das auf heimliche Weise und verwenden radikale Phrasen, aber letztlich sagen sie dies: Wir arbeiten mit Tranmæl aber nicht mit den Trotzkisten. Das ist die elendste Art von Verrat. Sie stehlen unsere Argumente gegen Tranmæl, brechen diesen Argumenten ein bisschen die Spitze ab und verwenden sie dann, um unsere Leute zu beeindrucken („verwässerter Trotzkismus“), aber in Wirklichkeit arbeiten sie mit Tranmæl gegen uns. Ein zweites Beispiel: de Kadt. Wir waren die ersten, die ihn als das erkannten, was er ist und wir kritisierten ihn auf äußerst scharfe Weise. (Siehe Unser Wort) Kurz danach entlarvte de Kadt sich als Schurke und wurde aus der niederländischen Partei ausgeschlossen. Er stellte sich nie als Marxist dar und ist in Wirklichkeit ein reaktionärer Spießer. Aber die Führer der SAP verbündeten sich mit ihm in ihrem Kampf gegen uns. Es gibt auch das Beispiel von Frankreich. Der rechte Frossard stellt nichts in der SFIO dar. Trotzdem verbeugt sich Blum ständig vor ihm, während er Marceau Pivert, der breite revolutionäre Schichten hinter sich hat, wie Dreck behandelt. Das ist die altehrwürdige Methode der Zentristen. Sie verbeugen sich vor den Rechten, während sie die Linken als Fußabtreter benutzen. Das ist entscheidend und nicht die theoretischen Formulierungen, die die Zentristen benutzen. Die SAP schmückt sich mit gestohlenen revolutionären Phrasen, aber marschiert mit Tranmæl, Kilbom und Zyromsky gegen den revolutionären Flügel. Diese Kluft zwischen Wort und Tat müssen wir jetzt entlarven. In ihr liegt das Wesen des Zentrismus. Natürlich sind die Worte der Zentristen auch unzureichend. Aber vor einem ungeschulten Publikum werden wir mit komplizierten theoretischen Debatten wenig erreichen (auch wenn solche Debatten notwendig sind). In Frankreich stehen wir vor Aufgaben von historischen Ausmaßen. Für eine richtige politische Linie ist eine angemessene Analyse der politischen Lage entscheidend. (Siehe die französische Broschüre Wohin geht Frankreich?) Was heute in Frankreich besteht ist eine Lage, ähnlich der in Deutschland 1923 und dann später in den Jahren 1929-33. Hier finden wir uns wieder in einer vorrevolutionären Lage, die zur Revolution oder zur Konterrevolution führen muss. Was alle Zentristen charakterisiert, ist, dass sie sich fürchten, das zu sehen und zu verstehen. Der Zentrist fürchtet sich vor Taten. Deshalb weicht er in seiner Analyse der Lage aus. Die SAP-Leute geben dieser Angst theoretischen Ausdruck. Wir müssen das als unseren Ausgangspunkt nehmen. 1923 verpassten Brandler und Walcher die revolutionäre Lage. Später schafften sie es nicht, das zu verstehen. Daraus – der größten Erfahrung ihres Lebens – lernten sie nichts. Weil sie sich eine ziemlich lange Zeit lang verteidigen mussten, sammelten sie alle Argumenten, um eine revolutionäre in eine nichtrevolutionäre Lage zu verwandeln. Es ist notwendig, den Kampf im Lichte der Erfahrung von 1923 auszukämpfen. Denn jetzt fängt die SAP an, ihren bremsenden Einfluss auf alle revolutionären Elemente auszuüben; in Frankreich auf Marceau Pivert. Das ist gefährlich. Indem sie den Kampf gegen uns zusammen mit Zyromsky, Pivert und Doriot führen, wiederholen sie die schlechte Erfahrung von 1923. Wir charakterisieren die gegenwärtige Lage in Frankreich als vorrevolutionär und das bestimmt unsere Haltung gegenüber Blum etc. Auf der anderen Seite haben wir Walcher wiederholt erklärt, dass er die politische Orientierung des Anglo-Russischen Komitees wiederholt. Marceau Pivert sagt zu sich selbst: „Die politische Lage scheint eine entschlossene revolutionäre Herangehensweise zu fordern.“ Blum will aber keine revolutionäre Herangehensweise, und im Grunde will das Zyromsky auch nicht, weil er mit Blum nicht brechen will. Wir sagen zu Marceau Pivert: „Die politische Lage ist wichtiger als Blums Geistesverfassung. Man muss die politische Lage als grundlegenden Ausgangspunkt nehmen und seine Haltung gegenüber Blum und Zyromsky auf dieser Grundlage bestimmen.“ Dann kommt Walcher dazu und sagt: Ja, die Trotzkisten haben eine sehr gute Analyse der politischen Lage, aber sie sind Sektierer und sie wollen Dich isolieren, Marceau Pivert, und Dich zur Ohnmacht verurteilen. Sie fordern von Dir den Bruch mit Zyromsky.“ Auf diese Weise verstärken sie die zentristische Seite von Marceau Pivert gegenüber der marxistischen Seite. Die SAP wird kaum wagen, die Diskussion über die politische Lage gegen uns aufzunehmen. Sie würden sich viel lieber auf ihre Spezialität konzentrieren: gegen unser „Sektierertum“ kämpfen. Ihre Haltung gegenüber den zentristischen Führern (Zyromsky, Blum etc.) ist aus einer völlig verschiedenen Einschätzung der politischen Lage in Frankreich abgeleitet, einer Einschätzung, die von Angst vor revolutionärer Aktion diktiert wird. Sie erkennen unsere Aktionen in Worten an, aber „…wir sollten keine Sektierer sein und unter keinen Umständen mit Zyromsky brechen.“ Das bedeutet, dass sie aus ihrer eigenen Analyse der Lage keine praktischen Folgerungen ziehen sollten. Genau wie die SAP in der Vergangenheit in der Praxis Tranmæl und de Kadt unterstützt hatte, unterstützen sie jetzt Zyromsky gegen uns, aber in einer viel wichtigeren Frage, in einer Lage von weitreichender Bedeutung, nicht nur für das französische Proletariat, sondern für die ganze europäische Arbeiterklasse. |
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