Leo Trotzki: Brief an Walter Held [Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 192, International Institute of Social History, Amsterdam] 29. März 1934 (Kopie an das IS) Lieber Genosse Held: 1. Ich habe die erste, ziemlich verspätete und ungenauen Information über den Auslauf der Jugendkonferenz so verstand, dass man Sie und Brandt noch mit der endgültigen Redaktion des Aufrufs beauftragt habe, und – wie es in diesen Fällen immer geschieht – hoffte ich, dass man das unglückselige Dokument durch die „Redaktion,“ wenn man einen guten Druck ausübt, noch weniger schädlich machen würde. Da dies aber unmöglich scheint, bleibt, glaube ich, unserer internationalen Organisation nichts übrig als wenigstens die schädlichen Seiten des Dokuments öffentlich zu charakterisieren. 2. Dass man der entwicklungsfähigen Jugend gegenüber „elastisch“ sein muss, beweist gar nicht, dass man über ihre grundsätzlichen Fehler zu schweigen hat. Der Fehler aber besteht darin, dass unsere Delegation die ihr gegeben Instruktionen vollständig missachtet hat. Ohne davon zu sprechen, dass wir von unseren theoretisch viel mehr als die anderen Delegierten geschulten Genossen auch eine eigene Initiative im Sinne der marxistischen Unversöhnlichkeit erwarten durften. 3. Dass Sie den offensichtlichen Fehler schon im Titel der Resolution nicht anerkennen, wundert mich. Warum sollten wir nicht gleich den sozialistischen Organisationen bei Namen genannt werden? Das ist mir absolut unverständlich. Haben Sie das wenigstens gefordert? Hat man das zurückgewiesen? Mit welcher Begründung? Haben Sie Zurückweisung und Begründung stillschweigend akzeptiert? Der Name dieser Organisation ist auch ihre Fahne. Man verzichtet auf die Fahne nicht mit dieser Leichtfertigkeit. Anstatt die Unzulässigkeit des Vorgehens unserer Delegation in diesem Frage einfach anzuerkennen, berufen Sie sich darauf, dass wir in unseren Reihen die holländische RSP akzeptiert haben. Das ist purer und dabei nicht sehr geschickter Sophismus! Haben wir denn den Namen unserer internationalen Organisation zugunsten der RSP geändert? Haben wir ihr Programm angenommen? Haben wir ihr irgendwelche prinzipiellen Zugeständnisse gemacht? Ganz im Gegenteil. Im internationalen Maßstab gehört die RSP zur Kommunistischen Liga. Worin besteht dann die Analogie? Niemand fordert doch, dass man die OSP und die SAP zwinge, sich „kommunistisch“ zu nennen. Wir wollen nur, dass sie uns nicht in Sozialisten umtaufen. Haben wir vielleicht kein Recht darauf? Unlängst habe ich geschrieben, der Zentrist benimmt sich dem Marxisten gegenüber wie der Kleinbürger zum Proletarier, d.h. mit Verachtung. Aber wehe dem Proletarier, der in Verhandlungen mit dem Kleinbürger seine Klassenwürde nicht zu schützen weiß! 3a. Sie verteidigen auch die geschichtlich berüchtigte Formel der „Überwindung“ [der Zweiten und Dritten Internationale] mit dem Hinweis darauf, sie könne auch „gut“ interpretiert werden. Ein politisches Manifest soll aber doch kein zweideutiger Orakelspruch sein, sondern zur Aufklärung, nicht Betrug der Arbeiter dienen. Besser kein Manifest als ein zweideutiges. Jedenfalls waren Sie verpflichtet, Ihre eindeutige Formel schriftlich der Zweideutigkeit gegenüberzustellen, um sie dann als den authentischen Ausdruck unserer Ansichten der der Arbeiterschaft mitzuteilen.1 4. Sie wiederholen stets, man könne doch nicht von der OSP und der SAP verlangen, dass sie sich selber als zentristisch kennzeichnen. Darauf antworte ich: a) es handelte sich um die Jugend, und von ihr kann man auch ein „elastisches“ Verhältnis der eigenen Partei gegenüber erwarten oder erhoffen. b) in der Politik heißt es in erster Linie seinen eigenen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, nicht sich zu beeilen, den Standpunkt des Gegners zu betreten. Sie waren verpflichtet, Zusatzanträge über den Zentrismus, über die NAP, über das Amsterdamer Büro vorzuschlagen und abstimmen zu lassen. Wenn die anderen diese Zusatzanträge ultimativ zurückweisen, so haben Sie wenigstens den Vorzug der Klarheit: Sie können diese Anträge veröffentlichen und somit Ihre eigene Position dokumentieren. Ob man nachher die Resolution unterzeichnet oder nicht, ist eine Frage für sich, deren endgültige Entscheidung war von Anfang an dem Internationalen Sekretariat vorbehalten. 5. Ebenso unrichtig sind Ihre Auseinandersetzungen über die Lage in Holland überhaupt. Sie meinen, die Vereinigung [von RSP und OSP] wäre notwendig gewesen und hätte große Perspektiven eröffnet. Die Gewerkschaftspolitik der RSP halten Sie dabei für verhängnisvoll und diese Frage war für die Vereinigung eine der entscheidenden. Sie klagsen unser Zentrum an, die Änderung der Gewerkschaftspolitik der RSP nicht erzwungen zu haben. Einerseits scheint es Ihnen unmöglich, einen marxistischen Zusatzantrag zur Resolution zu stellen, d.h. eine bloße Textänderung vorzunehmen; andererseits meinen Sie, man könne durch irgendwelche mysteriösen Maßnahmen eine vierzig Jahre alte Organisation mit einem Schlage auf die Knie zwingen. Unser Standpunkt in der Gewerkschaftsfrage ist ganz klar, auch für die RSP. Das ist dadurch bewiesen, dass die RSP offiziell erklärt, den Standpunkt der Internationalen Kommunistischen Liga in der Gewerkschaftsfrage verändern zu wollen. Mit allen unseren Sektionen, auch den kleinsten, haben wir die Erfahrung gemacht, dass man allein durch formale Beschlüsse nicht viel ändern kann, dass eine Erziehungsarbeit und insbesondere eine eigene Erfahrung notwendig ist und dass die Herstellung der wirklichen Ideengemeinschaft nur durch langwierige Krisen zustande kommt (siehe z.B. Griechenland). Wenn Sie die NAS-Politik für ein Verhängnis halten, wie finden Sie es möglich, dass die RSP die OSP bei einer Verschmelzung würde verdauen können? Sie weisen auf Lenin, der in der Partei auch nichtbolschewistische Elemente mitgeführt habe. Wir haben aber in Holland keine starke bolschewistische Partei, und die holländische Führung ist durch die NAS gebunden, was man durch ein paar ungeduldige Briefe nicht loswerden kann. Was schlagen Sie also post festum vor? Ein Ultimatum an [die] RSP und einen unvermeidlichen Bruch? Das wäre völlig toll, denn wir haben hier eine befreundete und entwicklungsfähige Organisation. Oder sollen wir die OSP, die in der Gewerkschaftsfrage, rein formell gesprochen, Recht hat (im Wesen kann sie nicht recht haben, denn sie ist opportunistisch), gegen die RSP unterstützen? Ein Bruch mit der RSP würde darauf hinauslaufen. Diese ganze Perspektive habe ich Ihnen im vorigen Sommer entwickelt, habe mich bemüht, Sie darauf aufmerksam zu machen, dass man nur durch unermüdliche Kleinarbeit, insbesondere in der OSP Stützpunkte für unsre Politik vorbereiten muss. Von dieser Erziehungsarbeit der jungen Mitglieder können Sie leider nicht viel mitteilen. Sie weisen darauf hin, dass die NAS-Frage Ihnen die Erziehungsarbeit bei der OSP-Jugend sehr erschwerte. (Wenn Sie aber von der Verschmelzungsfrage sprechen, so schalten Sie die NAS-Frage unmerklich ganz aus.) Selbstverständlich ist es schwierig, marxistische Propaganda zu betreiben, wenn in der Organisation die Leitung nicht marxistisch ist. Darin bestand aber die Aufgabe, und ich glaube nicht, dass die NAS-Frage in dieser Arbeit so störend sein konnte. Ein systematischer Kursus über die Geschichte der Linken Opposition in Zusammenhang mit der Geschichte der Dritten Internationale könnte sicherlich eine jugendliche Gruppe im festen marxistischen Geiste erziehen, und das wäre der einzig richtige Weg gewesen. 6. Ich hörte von Genossen, dass ein Plan besteht, Sie nach Schweden in Vertretung der Linken Opposition gehen zu lassen. Das ist eine sehr wichtige Mission. Man muss sich aber meiner Meinung nach diesmal ganz gut und genau verständigen, worin eigentlich die Aufgabe besteht, Ich sehe sie in der systematischen Erziehungsarbeit unter den Jugendlichen. Wenn sie nach einem halben Jahr zehn Jugendliche um sich haben, die mit unseren Ansichten und Methoden in allen wichtigsten Fragen vertraut sind und sie an die schwedischen Verhältnisse mehr oder weniger selbständig anwenden können, so wird es eine große Leistung sein, Falls Sie aber mit dem Gedanken nach Schweden gehen, durch Spitzeneinwirkungen und persönliche Kombinationen dort mit einem Schlage große Perspektiven zu eröffnen, so werden Sie wiederum Enttäuschungen erleben und ihre eigenen Enttäuschungen in Anklagen gegen unser Zentrum verwandeln. Mit anderen Worten und ganz offen gesprochen: damit die guten Eigenschaften, die Sie besitzen, unserer gemeinsamen Sache Nutzen bringen, müssen Sie sich in der Arbeit radikal umstellen. Es wäre ganz notwendig, wenn Sie, wie auch jeder andere offiziellen Vertreter unseres Zentrums, jeden Monat einen kurzen, aber ganz genauen Berichte über Ihre eigenen Arbeit zuschickten. Dann kann man rechtzeitig mit Rat und Tat beistehen. Hoffentlich nehmen Sie mir meine offene Aussprache nicht übel, die nicht zur Gefährdung sondern zur Stärkung unserer freundlichen Beziehungen dienen sollte. 1Punkt 3a wurde am Schluss nachgetragen. |
Leo Trotzki > 1934 >