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Leo Trotzki 19340330 Brief an Alois Neurath

Leo Trotzki: Brief an Alois Neurath

[Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 270, International Institute of Social History, Amsterdam.]

30. März 1934

Lieber Genosse Scholze,

Ich habe mich sehr gefreut, Ihren Brief vom 7. 3. erhalten zu haben. Er beseitigt manche Besorgnisse und schafft einen Boden für eine freundschaftliche Auseinandersetzung und – wie ich hoffe – Verständigung.

Sie irren sich sehr, wenn Sie meinen, dass „falsche Informationen“ mich gegen Sie feindlich gestimmt hätten. Die Korrespondenz brach mit meiner Übersiedlung ab, die ungefähr mit Ihrem Brief über die bevorstehende Verfolgung Ihrer Freunde zusammenfiel. Ich wollte damals durch einen unvorsichtigen Brief die Lage nicht verschlimmern. Dann ist der peinliche Konflikt mit der deutschen Sektion ausgebrochen in Bezug auf die Herausgabe der Beilage. Es ist höchst bedauerlich, zu sehen, dass zwei Sektionen über eine höchst wichtige praktische Frage ohne jeden prinzipiellen Grund in einen heftigen Streit geraten anstatt zu einem rein praktischen Übereinkommen zu gelangen. Ich konnte aber Ihrer Aufforderung, mich über die Sache auszusprechen, nicht nachkommen, denn ich habe weder das Recht noch die Möglichkeit, in solchen Konflikten als „Schiedsrichter“ aufzutreten. Dass die Geschichte mit Josephstal einen peinlichen Eindruck machte, brauche ich Ihnen nicht zu sagen. Ich habe aber immer eine abwartende Haltung eingenommen und die Genossen, die von einem endgültigen Bruch sprachen, immer zur Vorsich gemahnt. Ich war sicher, dass Ihre Gruppe mit uns nicht brechen will, dass sie aber in ihrem Manöver viel zu viel auf den Weg der passiven Anpassung sich begeben hat; und das ist eben der Vorwurf, den ich Ihnen mache.

Der Charakter der Arbeit entspricht nicht dem höchst akuten Charakter der politischen Lage und den aus ihr entspringenden revolutionären Aufgaben. Man merkt es leider nicht nur in Ihrem Lande. Wir haben ziemlich viel Freunde, die sich an eine passiv-kritische Haltung gewöhnt haben und in ihrem Verständnis der Fehler der anderen eine politische Genugtuung finden, welche für ihre revolutionären Bedürfnisse ausreicht. Diese Geistesverfassung, die ja nur die Zersetzung der beiden alten Internationalen widerspiegelt, ist ihrerseits ein Element weiterer Zersetzung.

Ich erinnere mich, wie ein deutscher, sehr erfahrener und kluger Genosse im Jahre 1931/32 auf meine Aufforderung, sich mit aller Kraft in die Arbeit zu stürzen, antwortete, er müsse erst sein Jus fertig machen, um Rechtsanwalt zu werden. Er hat nichts fertig gemacht und sitzt jetzt im Konzentrationslager, ohne etwas besonderes gemacht zu haben. Trotz der Wucht der Ereignisse benehmen sich viele Genossen so, als rechneten sie mit irgendeinem Wunder. Man bebaut seinen kleinen Obstgarten am Abhang des Vesuvs vor der unvermeidlichen ganz nahen Eruption.

Unsere Kritik ist richtig, unsere Marschroute ist richtig; das genügt aber nicht. Die Idee wird zur Macht, wenn sie sich der Masse bemächtigt; und ohne fieberhafte Tätigkeit kann man jetzt an die enttäuschte und desorientierte Masse nicht herankommen. Selbstverständlich muss man Vorsicht walten lassen, aber Vorsicht nur im Sinne der Konspiration und nicht im Sinne der abwartenden Passivität. Die Ereignisse in Österreich, auch in Frankreich, beweisen, dass in jedem neuen Lande, das an der Reihe ist, die Gräuel des faschistischen Kampfes um die Macht und der faschistischen Diktatur immer gewaltiger und blutiger werden würden. Das bezieht sich natürlich auch auf die Tschechoslowakei. Niemand, auch die Vorsichtigsten nicht, würden der Rache entgehen können. Das müsste man allen vorgeschrittenen Arbeitern einpauken und mit dieser Perspektive sollte man den Charakter der Arbeit in Einklang bringen.

Wir haben viel zu viel ältere Genossen, die schon viele Erfahrungen und Enttäuschungen erlebt haben. Das ist gut. Aber es ist auch schlecht. Wir müssen sie durch ganz junge Arbeiter zu ersetzen suchen, durch Burschen von 15 bis 20 Jahren, die allein die praktische, technische Verbindung mit der großen Masse verschaffen können. Aus diesen jungen Burschen könnten in dieser bewegten Zeit sich recht bald gute Führer herausbilden.

Was die SAP betrifft, so glaube ich, haben wir, wenigstens für diese Etappe, alle Mittel erschöpft, um die Spitzen durch persönliche Einwirkungen für die marxistische Politik zu gewinnen.Ohne Erfolg. Walcher entdeckt von neuem, ohne es zu wissen, den russischen Menschewismus Martowscher Prägung in einer recht vereinfachten Ausgabe. Jetzt heißt es keine Zugeständnisse zu machen. Wenn die linken Zentristen, die mir manchmal ganz und gar verxxxchert1 erscheinen, nicht von unserer Kritik und dem Druck der Ereignisse nicht eines Besseren belehren lassen, so werden ihre „Parteien“ zwischen uns und den Apparaten der alten Internationalen in ganz kurzer Zeit restlos zerrieben sein.

Mit den herzlichsten Grüßen


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