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Leo Trotzki 19331110 Maria Reese und die Komintern

Leo Trotzki: Maria Reese und die Komintern

[Nach Unser Wort. Halbmonatsschrift der Internationalen Kommunisten Deutschlands, Jahrgang 1, Nr. 15 (Ende November 1933), S. 3]

In ihrem Offenen Brief in der Zeitung Unser Wort hat Maria Reese die bittere und raue Wahrheit über die Partei gesagt, der sie bis vor kurzem angehörte. Die deutsche Agentur der Kominternbürokratie hat nichts begriffen, nichts vorhergesehen, nichts vorbereitet. Die revolutionäre Arbeit ersetzte sie durch Geschwätz und Geprahle. Jahraus, jahrein betrog sie Arbeiter und Partei. Das Zentralkomitee betrog sogar den eigenen Apparat. Leute, die verantwortliche Posten innehatten, wie der Fraktionsvorsitzende Torgler oder die Reichstagsabgeordnete Maria Reese selbst, glaubten aufrichtig bis zum letzten Augenblick, dass das Zentralkomitee seine Pläne habe, dass es die notwendigen Kampfkräfte bereitgestellt habe, dass die Komintern wisse, wohin sie die deutschen Arbeiter führt. Im Augenblick von Hitlers Machtantritt und besonders im Augenblick des von Görings Agenten angelegten Reichstagsbrandes zerfielen die revolutionären Illusionen der besten Elemente aus dem Parteiapparat zu Staub. Das Zentralkomitee überließ die Partei ihrem Schicksal: ohne Führung, ohne Losungen, selbst ohne Erklärungen. Ein ähnlicher Treuebruch seitens der Führer ist in der Geschichte des revolutionären Kampfes nicht gesehen worden. Es ist nicht schwer, sich die düstere Verzweiflung der getäuschten Massen und die fürchterliche Kopflosigkeit des Parteiapparats auszumalen.

Unter diesen Umständen musste sich für Maria Reese die Auslandstätigkeit Münzenberg, Heckert und Co. als ein unerträglicher Kontrast zu den Ereignissen innerhalb Deutschlands darstellen: aufgeblasene Berichte, verlogene Korrespondenzen, leere und unechte Kongresse, darauf berechnet, Sand in die Augen zu streuen. Maria Reese forderte die Diskussion über das Geschehene. Sie versuchte den Übergang von der Maskeradenpolitik zur revolutionären Mobilisierung des Weltproletariats gegen den Faschismus zu erreichen. Bei jedem Versuch stieß sie auf eine undurchdringliche Mauer. Dann zog Reese für sich alle Schlussfolgerungen, brach mit der Komintern und stellte sich unter das Banner der Vierten Internationale.

Worauf die Stalinbürokratie, die politisch nichts mehr zu verlieren hat, Reese aus der Komintern „ausschloss". Doch auch in diese Tat legten die Bankrotteure alle ihre eigenen Züge rachsüchtiger und verlogener Ohnmacht. Der Hauptanklagepunkt gegen die Gen. Reese ist, dass sie sich dem Lager des „konterrevolutionären Trotzkismus" angeschlossen hat. Dieses Urteil ist nicht neu! Die „revolutionäre" Arbeit der Stalinisten besteht in systematischer Hilfe für Tschiang Kai-schek, Citrine, Wels, Hitler. Die marxistische Kritik an diesen Verbrechen ist nach dieser Logik ein „konterrevolutionäres" Unternehmen. Aber damit nicht genug. Die im Namen der deutschen Kompartei – d.h. einiger sich in der Emigration verkriechender Bürokraten – erlassene Verfügung beschuldigt Maria Reese, sie „leiste der Regierung Hitler Beistand und verrate auf diese Art an den letzteren Parteimitglieder und Sympathisierende". Diese gemeine Beschuldigung wird das erwachte deutsche Proletariat den heutigen Anklägern auf die Stirn schreiben! Maria Reese wurde „ausgeschlossen" wegen ihres mutigen Offenen Briefes, und zwar erst nach Erscheinen dieses Briefes, d.h. nachdem sie selbst mit der Komintern gebrochen hatte. Bankrotteure offen Bankrotteure zu nennen, war geradezu Pflicht eines jeden aufrechten und ehrlichen Revolutionärs, Wenn der Brief der Genossin Reese irgendeinen Einfluss haben kann auf das Schicksal der von Hitler verfolgten Kommunisten und insbesondere auf den Gang des Reichstagsbrandprozesses, so nur als eine unschätzbare Zeugenaussage zugunsten der Angeklagten. Aus diesem Brief erhellt selbst für einen Blinden, wie weit die offizielle Partei von dem Gedanken an den Aufstand, von der Vorbereitung des Aufstandes und folglich auch von solchen „Signalen" zum Aufstand wie dem Reichstagsbrand entfernt war!

Die Stalinbürokratie rächt sich dafür, dass ein verantwortlicher Genosse, der sich unlängst noch in ihren Reihen befand, offen und ehrlich die Wahrheit über die Führung, das Regime und die Sitten der Komintern gesagt hat. Die Bürokratie verzeiht Feigheit, Fälschung, Betrug und Verrat – unter einer Bedingung: dass nicht aus der Schule geplaudert wird. Die Gesetze der Zirkelbürgschaft haben diesen Leuten längst die Gesetze der Revolution und des Marxismus ersetzt. Der Kampf um das eigene, aufgeblähte Prestige, die Posten und das gesicherte Dasein hat den Kampf um die proletarische Diktatur beiseite gedrängt. Maria Reese hat sich davon an der tragischen Erfahrung des deutschen Proletariats überzeugt. Mit ihr zusammen machten diese Erfahrung Tausende und Zehntausende von betrogenen Revolutionären. In den Zuchthäusern und Konzentrationslagern ziehen sie die Bilanz der Katastrophe, die sie erlebten. Maria Reeses Brief ruft sie zu kühnen revolutionären Schlüssen. Pflicht jedes Revolutionärs auf der ganzen Welt ist es, Maria Reeses Brief herauszugeben, nachzudrucken und in allen Sprachen zu verbreiten, welche die Ausgebeuteten und Kämpfenden sprechen.

L. Trotzki

10. November 1933

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