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Leo Trotzki 19330817 Der Zusammenbruch der beiden Internationalen

Leo Trotzki: Der Zusammenbruch der beiden Internationalen

Erklärung der Delegation der Bolschewiki-Leninisten auf der Konferenz der linkssozialistischen und kommunistischen Organisationen

[Nach den beiden maschinenschriftlichen Textvarianten in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 1258, International Institute of Social History, Amsterdam. Die Einfügungen und handschriftlichen Änderungen in Textvariante 1 wurden in Textvariante 2 in den Text eingearbeitet.]

Trotz dem sichtlichen Verfall des Weltkapitalismus als Wirtschaftsform und Gesellschaftsordnung macht die Weltarbeiterbewegung heute eine tiefere Krise durch als nach der Zertrümmerung der Pariser Kommune und während des imperialistischen Krieges. In dem höchst industrialisierten Land Europas haben zwei Arbeiterparteien, die sozialdemokratische und die kommunistische, die hinter sich 13 Millionen Wähler führten, kampflos vor den faschistischen Banden kapituliert. Zwei Internationalen wurden einer Prüfung unterzogen und erwiesen sich als bankrott.

Die zweite Internationale, deren Bankrott zutage trat angesichts des imperialistischen Krieges 1914-18, versuchte am Tage nach dem Weltgemetzel, ihre Reihen wieder aufzurichten, indem sie die Arbeiter verhinderte, zum Kommunismus der III. Internationale zu gehen. Die Niederlage der deutschen Sozialdemokratie bestätigt, dass der Reformismus, der die II. Internationale zugrunde richtete, nur zu neuen Katastrophen für die Arbeiter führen kann und führen konnte. Die Sozialdemokratie, sich1 bis zum Schluss an den Boden des verwesenden Kapitalismus klammernd, wurde sie selbst vom Verwesungsprozess angegriffen. Sie durchlief alle Demütigungen und allen Verrat, demoralisierte rastlos ihre Kader, verzichtete auf die geschichtlichen Aufgaben des Proletariats und verriet seine Tagesinteressen. Im Lager der unterdrückten Klasse wurde sie zum Haupthindernis ihrer Befreiung.

Aber auch die III. Internationale, welche zur Aufgabe hatte, die Kräfte des Proletariats für den revolutionären Aufschwung gegen die Bourgeoisie in allen Ländern für den Sieg des Sozialismus zu organisieren, ist an ihrer Aufgabe gescheitert. Sie wurde ein Opfer des bürokratischen Zentrismus, der zur Grundlage hat die2 Theorie und Praxis des Sozialismus in einem Lande. In einer Zeit, in der der von Weltgegensätzen zerrissene Kapitalismus die internationale Revolution auf die Tagesordnung stellte, verwandelt sich die Komintern in einen unterwürfigen und ohnmächtigen, die konservative und national beschränkte Bürokratie der Sowjetunion umgebenden Chor.3

Tausende von Kommunisten versuchen heute in Hitler-Deutschland, die offizielle Partei zu retten, indem sie die alte Politik unter den4 neuen Bedingungen fortsetzen. Bei all unserer revolutionären Sympathie für die selbstaufopfernden Kämpfer müssen wir ihnen sagen, dass die falsch gerichteten Anstrengungen und Opfer sich als fruchtlos erweisen werden. Unter den Bedingungen des faschistischen Terrors ist die stalinistische Politik in kurzer Zeit völliger Vernichtung geweiht. Eine illegale revolutionäre Partei in Deutschland muss man auf neuen Grundlagen aufbauen.

Nachdem der lebendige Gang der Ereignisse gezeigt hatte, dass Faschismus und Sozialdemokratie, zwei polare Werkzeuge der bürgerlichen Herrschaft, einander nicht nur politisch, sondern auch physisch ausschließen, musste man die einfachen Schlussfolgerungen aus dieser Erfahrung zur Grundlage unserer gesamten internationalen Agitation machen und die Sozialdemokratie auf den Weg der Einheitsfront mit den kommunistischen Parteien stoßen. Aller Augenscheinlichkeit zuwider verkündete die Bürokratie der Komintern die Unerschütterlichkeit der Theorie vom „Sozialfaschismus", und indem sie sich damit endgültig den Zugang zu den reformistischen Massenorganisationen versperrte ersetzte sie die proletarische Einheitsfrontpolitik durch maskeradenhafte Blocks mit ohnmächtigen Zirkeln von Pazifisten und Abenteurern. Wenn der Stalinbürokratie die Lehre der deutschen Katastrophe nicht half, so wird ihr gar nichts helfen. Es bedarf neuer nationaler Parteien und einer neuen Internationale.

Die Einstellung der Bolschewiki-Leninisten

Die Teilnehmer dieser Konferenz haben verschiedene politische Herkunft. Die einen spalteten sich in den letzten Jahren von den Parteien der 2. Internationale ab, die anderen gingen aus den Reihen der III. Internationale hervor, schließlich gibt es Organisationen gemischter oder mittlerer Herkunft. Die einen traten als selbständige Parteien auf, die anderen betrachteten sich und handelten als Fraktionen. Wenn diese Organisationen heute zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Konferenz zusammenkommen, um zu versuchen, eine Grundlage für ein gemeinschaftliches Arbeiten zu finden, so anerkennen sie damit alle offen5 die Notwendigkeit des Zusammenschlusses der proletarischen Vorhut auf neuen Grundlagen.

In Bezug auf Deutschland hat unsere internationale Organisation (Bolschewiki-Leninisten) diese Stellung nach ernstem und heißem Kampf fast einmütig angenommen. Was die Komintern als Ganzes betrifft, sie ist die Frage von uns formell erst für die nächsten Wochen zur Diskussion gestellt. Wir erscheinen hier im Auftrag des internationalen Plenums der Bolschewiki-Leninisten, das die vorliegende Deklaration gebilligt hat. Unsere 6nationalen Sektionen sind noch zu keiner abschließenden Äußerung gelangt. Doch ist die Frage durch die vorangegangene Entwicklung der Ereignisse wie die Entwicklung der linken kommunistischen Opposition selbst so weit vorbereitet, dass wir an dem Urteil unserer Organisationen nicht zweifeln. Das Schlusswort gehört jedenfalls unseren Sektionen.

Einige Teilnehmer an der gegenwärtigen Konferenz bleiben vermutlich bei der Meinung, dass wir zum Bruch mit der stalinistischen Bürokratie mit reichlicher Verspätung gelangt sind. Hier ist nicht der Platz, um zu altem Streit zurückzukehren. Tatsache ist jedoch, dass unsere Politik, die sich nach den objektiven Prozessen und nicht nach den subjektiven Stimmungen richtete, uns die Möglichkeit gab, in mehr als zwanzig Ländern feste Organisationen von Bolschewiki-Leninisten zu formieren. Wenn auch die meisten von ihnen nur Kader-, und keine Massenorganisationen sind, so haben sie doch den unschätzbaren Vorzug, im internationalem Maßstabe verbunden zu sein durch die Einheit der programmatischen und strategischen Konzeption, die sich fortwährend an der Erfahrung der großen Ereignisse und Kämpfe des Proletariats entwickelte.

Der Kampf mit dem Reformismus7

Schon aus dem Gesagten erhellt, dass der Bruch mit der zentristischen Bürokratie für uns auf keinen Fall eine Milderung der Beziehungen zum Reformismus bedeutet. Im Gegenteil, heute sind sie unversöhnlicher als je. Das hauptsächliche geschichtliche Verbrechen der Stalinbürokratie erblicken wir gerade darin, dass sie mit all ihrer Politik der Sozialdemokratie einen unschätzbaren Beistand leistet, indem sie den Übergang des Proletariat auf den Weg der Revolution hemmt.

Für uns Bolschewiki-Leninisten, wie hoffentlich auch für Euch alle, kann nicht die Rede sein von dauernder gemeinsamer Arbeit mit Organisationen, die nicht mit den prinzipiellen Grundgedanken des Reformismus gebrochen haben und weiterhin auf die Auferstehung der Sozialdemokratie als Partei hoffen, oder als ihre Mission die Vereinigung der 2. und8 3. Internationale ansehen. Von solchen Tendenzen durchdrungene Gruppierungen können die Arbeiter nur rückwärts zerren. Wir aber wollen, gestützt auf die Lehren der Vergangenheit, vorwärts marschieren.

Die „21 Bedingungen" zur Aufnahme in die Kommunistische Internationale, die seinerzeit von Lenin zwecks entschiedener Abgrenzung von allen Schattierungen des Reformismus und Anarchismus ausgearbeitet wurden, bekommen auf der heutigen Etappe wieder aktuellen Charakter. Es handelt sich selbstverständlich nicht um den Text dieses Dokuments, der entsprechend den Bedingungen der neuen Periode gründlich umgearbeitet werden muss, sondern um seinen allgemeinen Geist der revolutionären marxistischen Unversöhnlichkeit. Nur unter der Voraussetzung einer schonungslosen Abgrenzung vom Reformismus kann und muss man den Boden der freundschaftlichen Zusammenarbeit mit allen den proletarischen Organisationen betreten, die sich in der Tat vom Reformismus zum Kommunismus entwickeln. Wir verurteilen und verwerfen entschieden die Praxis der Stalinbürokratie, die als „linke Sozialfaschisten" alle die revolutionären Organisationen behandelt, die – durch Verschulden der Komintern – außerhalb der Komintern stehen, um sie9 tags darauf nach der neuen Katastrophe scharwänzelnd in die Komintern einzuladen als „sympathisierende" Partei. Die Komintern ist nur imstande, die proletarischen Organisationen zu zersetzen und zu zerstören, nicht aber, sie zu festigen und zu erziehen. Die Zusammenarbeit, die wir im Auge haben, setzt voraus ein ehrliches Verhältnis zu Ideen und Tatsachen, gegenseitige kameradschaftliche Kritik und Achtung voreinander.

Die ersten vier Weltkongresse der Komintern

Revolutionäre Politik ohne revolutionäre Theorie10 ist undenkbar. Hier brauchen wir am allerwenigsten von vorn anfangen. Wir stehen auf dem Boden Marx' und Lenins. Die ersten Kongresse der Kommunistischen Internationale hinterließen uns ein unschätzbares programmatisches Erbe. Der Charakter der heutigen Epoche als der Epoche des Imperialismus, d. h. des kapitalistischen Niedergangs; die Natur des heutigen Reformismus und die Methoden zu seiner Bekämpfung; das Verhältnis zwischen Demokratie und proletarischer11 Diktatur; die Rolle der Partei in der proletarischen Revolution; das Verhältnis zwischen Proletariat und Kleinbürgertum, insbesondere der Bauernschaft (die Agrarfrage); das nationale Problem und der Befreiungskampf der Kolonialvölker; die Arbeit in den Gewerkschaften; die Einheitsfrontpolitik; das Verhältnis zum Parlamentarismus und so weiter – all diese Fragen erfuhren in der Arbeit der ersten vier Weltkongresse eine bislang unübertroffene prinzipielle Beleuchtung.

Eine der ersten unverzüglichen Aufgaben der Organisationen, die auf ihre Fahnen die Erneuerung der revolutionären Bewegung schreiben, besteht darin, aus der Gesamtmasse12 die grundsätzlichen Beschlüsse der ersten vier Kongresse herauszuschälen, sie in ein System zu bringen und einer ernsten Diskussion im Lichte der weiteren revolutionären Aufgaben des Proletariats zu unterziehen. Die heutige Konferenz sollte unserer Meinung nach die ersten Schritte dieses notwendigen Werks festlegen.

Die strategischen Lehren des letzten Jahrzehnts13

Das politische Leben der proletarischen Vorhut ist nicht bei den ersten Kongressen der Kommunistischen Internationale stehengeblieben. Unter dem Einfluss der geschichtlichen Verhältnisse, d.h. des Klassenkampfes, ging der Apparat der Komintern endgültig vom Marxismus zum Zentrismus, vom Internationalismus zur nationalen Borniertheit über. War der Aufbau der 3. Internationale unmöglich ohne Säuberung der Marxschen Lehre vom Schutt des Revisionismus, so ist heute die Schaffung revolutionärer Parteien des Proletariats undenkbar ohne die Säuberung der Prinzipien und der Methoden des Kommunismus von Schutt und Fälschung des bürokratischen Zentrismus.

Der mit zahlreichen und schweren Opfern verbundene Kampf der Linken Opposition gegen das Getaumel des stalinschen Apparats ist niedergelegt in einer Reihe von Dokumenten programmatischen und strategischen Charakters. Entsprechend den wichtigsten politischen Etappen des letzten Jahrzehnts erfahren in diesen Dokumenten folgende Probleme ihre Beleuchtung: der wirtschaftliche Aufbau der UdSSR; das Parteiregime; die Politik des Proletariats in den Kolonialrevolutionen (China, Indien); die Methoden der Einheitsfront (anglorussisches Komitee einerseits, deutsche Erfahrung andererseits); die Wege der spanischen Revolution („demokratische Diktatur"); der Kampf gegen den Krieg; der Kampf gegen den Faschismus, usw. Die Hauptschlussfolgerungen aus diesem zehnjährigen Kampf sind knapp zusammengefasst in den „Elf Punkten"14 der internationalen Vorkonferenz der Linken Opposition. Dies Programmdokument unterbreiten wir hier eurer Aufmerksamkeit.

Überflüssig zu sagen, dass wir unsererseits die größte Aufmerksamkeit allen Thesen, Resolutionen und Programmerklärungen entgegenbringen werden, in denen die anderen hier vertretenen Organisationen ihre Beurteilung der Perspektiven und Aufgaben geäußert haben oder äußern werden. Wir streben nichts so sehr an wie einen gegenseitigen Austausch der Erfahrungen und Ideen. Mit großer Befriedigung stellen wir fest, dass die „Prinzipienerklärung" der Revolutionären Sozialistischen Partei Hollands in allen Grundfragen mit der Plattform der Internationalen Linken Opposition übereinstimmt.15

Die heutige vorbereitende Konferenz kann selbstverständlich die programmatischen und strategischen Lehren des internationalen revolutionären Kampfes nicht mit der erforderlichen Gründlichkeit behandeln. Aber es ist Zeit, sich daran zu machen. Wir erlauben uns, den Wunsch aussprechen, dass jede der hier vertretenen Organisationen unsere „Elf Punkte" mit den notwendigen Kommentaren in ihrer Presse wiedergeben, und uns darauf zur Diskussion in derselben Presse eine Möglichkeit zur Verteidigung unserer Thesen geben wird. Wir unsererseits verpflichten uns, für unsere Sektionen zur Kenntnisnahme und Erörterung jedes Programmdokument zu veröffentlichen, das von den anderen Organisationen eingebracht wird, wobei wir den Verteidigern des Dokuments gern einen entsprechenden Platz in unserer Presse einräumen wollen.

Die UdSSR

Eine außerordentliche Bedeutung für die Weltarbeiterbewegung und folglich auch für die richtige Orientierung der gegenwärtigen Konferenz besitzt die Frage der UdSSR. Wir Bolschewiki-Leninisten betrachten die UdSSR auch in ihrer heutigen Form als einen Arbeiterstaat. Eine solche Beurteilung hat weder Illusionen noch Schönfärberei nötig.

Nichts als Verachtung kann man für solche16 „Freunde der UdSSR“ übrig haben, die jedes gegen die Sowjetbürokratie gerichtete Wort der Kritik für einen konterrevolutionären Akt erklären. Ließen Revolutionäre sich von derartigen Verhaltensregeln leiten – die Oktoberrevolution hätte nie stattgefunden.

Wir lehnen als Gespött auf den Marxismus die Einstellung der Brandlerianer ab, nach der die Politik der Stalinbürokratie, die in allen anderen Ländern eine Kette von Fehlern darstellt, in der UdSSR unfehlbar bleibt. Eine solche „Theorie" gründet sich auf der Verleugnung der allgemeinen17 Prinzipien der proletarischen Politik und macht die Internationale zu eine bloßen Summe nationaler Parteien, deren Führer stets bereit sind, die Augen vor den gegenseitigen Sünden zuzumachen. Mit dieser sozialdemokratischen Auffassung kann ein Marxist nichts gemein haben.

Die Politik der Stalinbürokratie in der UdSSR ist von derselben prinzipiellen Natur wie die Politik der Komintern. Der Unterschied liegt nicht in den Methoden, sondern in den objektiven Bedingungen: in der UdSSR stützt sich die Bürokratie auf die mächtigen von der proletarischen Revolution gesetzten Pfeiler und hat sie in zehn Jahren das Kapital der Komintern bis auf den letzten Rest verschwendet18, so hat sie die Grundlagen des sozialistischen Staates wohl19 unterhöhlt, aber nicht liquidiert. Nachdem das Sowjetproletariat dem Wesen nach Partei, Gewerkschaften und Sowjets eingebüßt hat die von der Bürokratie beschlagnahmt wurden, bewahrt es den Arbeiterstaat vor dem bürgerlichen Umsturz allein durch sein soziales Gewicht und die20 Kraft seiner revolutionären Tradition.

Den sozialen Aufbau der UdSSR mit dem „Staatskapitalismus" amerikanischen, italienischen oder deutschen Typs gleichzusetzen, heißt die Grundfrage einer Gesellschaftsordnung ignorieren: den Charakter des Eigentums, und offensichtlich falschen und gefährlichen Schlussfolgerungen Tür und Tor zu öffnen. In dieser Frage kann es für uns keine Zweideutigkeiten und Kompromisse geben. Die Verteidigung des Arbeiterstaats vor dem Imperialismus und die Konterrevolution bleibt wie bisher Pflicht eines jeden revolutionären Arbeiters. Doch zu dieser Verteidigung beitragen heißt durchaus nicht, ein Werkzeug der Sowjetregierung zu werden.

Die Handlungen und Erklärungen der Sowjetdiplomatie riefen nicht selten, besonders in der letzten Periode, heftigen und vollauf gerechtfertigten Unwillen bei den fortgeschrittenen Arbeitern hervor Nichts schwächt die Stellung der UdSSR in der Welt so sehr, trotz aller Anerkennungen und Nichtangriffspakte, wie die durch und durch opportunistische, von den einschläfernden Illusionen des „Sozialismus in einem Lande" erfüllte Außenpolitik der Stalinisten.21

Die UdSSR verteidigen kann man nicht ohne revolutionäre Kämpfe des Weltproletariats. Revolutionäre Kämpfe kann es nicht geben ohne Unabhängigkeit von der Sowjetbürokratie, also auch der Sowjetdiplomatie. Andererseits schließt die unversöhnlichste Kritik am Stalinismus die Einheitsfront mit der Sowjetbürokratie gegen die gemeinsamen Feinde nicht aus, sondern schreibt sie im Gegenteil vor.

Das Parteiregime

Die Frage des inneren Regimes muss Gegenstand größter Aufmerksamkeit werden beim Aufbau neuer Parteien und einer neuen Internationale. Die Arbeiterdemokratie ist keine organisatorische, sondern eine soziale Frage. Je mehr der leitende Apparat von der proletarischen Politik abweicht, umso weniger kann er über sich die Kontrolle der proletarischen Vorhut dulden. Letzten Endes ist die Erstickung der Arbeiterdemokratie ein Ergebnis des Drucks der Klassenfeinde durch Vermittlung der Arbeiterbürokratie. Dies geschichtliche Gesetz wird gleicherweise bekräftigt sowohl durch die Geschichte des Reformismus in den kapitalistischen Ländern wie durch die Erfahrung mit der Bürokratisierung des Sowjetstaates.22

Die Sozialdemokratie gelangt zu dem ihr nötigen Regime vermittels eines verwickelten Systems von Maßnahmen: einerseits jagt sie systematisch nicht nur aus der Partei sondern auch aus den Gewerkschaften die revolutionären und kritisch gestimmten Arbeiter hinaus, wenn sie sich nicht für einträgliche Posten kaufen lassen; andererseits entbindet sie ihre Minister, Parlamentarier, Journalisten und Gewerkschaftsbürokraten von der Beobachtung der Disziplin hinsichtlich der Partei. Die kombinierten Methoden von Gewalt, Betrug und Bestechung gestatten der Sozialdemokratie, den Schein der Diskussionen, der Wählbarkeit der Funktionäre, der Kontrolle usw. zu wahren und gleichzeitig ein Apparat der imperialistischen Bourgeoisie in den Kreisen der Arbeiter zu bleiben.

Indem die stalinistische Bürokratie, mit Hilfe des Staatsapparats den demokratischen in den bürokratischen Zentralismus verwandelt hat, hat sie liquidiert23 die Partei-, Sowjet- und Gewerkschaftsdemokratie nicht nur dem Wesen, sondern auch der Form nach. Das Regime der persönlichen Diktatur wurde vollständig von der KPdSU auf die Parteien der kapitalistischen Länder übertragen. Die Parteibeamten haben nur die Aufgabe, den höheren Willen verkünden. Die Parteimasse besitzt nur ein einziges Recht: zu schweigen und zu gehorchen. Die üblichen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der „Ordnung" in der Partei sind: Repressalien, Hetze, Bestechung. Das ist der Weg der Zersetzung und des Verderbens der proletarischen Parteien.

Ein Revolutionär wird erzogen nur in einer Atmosphäre der Kritik an allem Bestehenden, dabei auch an seiner eigenen Organisation. Eine unerschütterliche Disziplin kann nur entstehen bei bewusstem Vertrauen zur Führung. Das Vertrauen wird nicht nur durch eine richtige Politik erworben, sondern auch durch ein ehrliches Verhältnis zu den eigenen Fehlern. Die Fragen des inneren Regimes gewinnen so für uns außergewöhnliche Bedeutung. Man muss den fortgeschrittenen Arbeiter die Möglichkeit bieten, bewusst und selbständig an dem Aufbau der Partei und der Ausarbeitung ihrer gesamten Politik teilzunehmen. Man muss der Arbeiterjugend die Möglichkeit geben, zu denken, zu kritisieren, sich zu irren und sich wieder zu verbessern.

Andererseits ist klar, dass das Regime der Parteidemokratie nur in dem Falle zur Schaffung einer gestählten und einmütigen Armee proletarischer Kämpfer führen kann, wenn unsere Organisation, auf die unerschütterlichen Prinzipien des Marxismus gestützt, mit den Methoden des demokratischen Zentralismus24 den opportunistischen, zentristischen und aventuristischen Einflüssen unversöhnlich Widerstand leistet.

Wünschen wir insbesondere, dass diese Konferenz zeige, wie man, ohne die geringsten prinzipiellen Zugeständnisse zu machen, ohne Insinuationen und Kulissenintrigen, einen ehrlichen25 geistigen Kampf führen kann. Es ist wahrlich Zeit, dass die Atmosphäre der Arbeiterbewegung gereinigt wird und gesundet!

Der Kurs auf die neue Internationale ist uns von dem ganzen Gang der Entwicklung vorgeschrieben. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir vorschlügen, unverzüglich die neue Internationale auszurufen. Wir würden einen solchen Vorschlag ohne Zögern machen, herrschte unter den hier vertretenen Organisationen heute schon eine wirkliche, d.h. in der Erfahrung erprobte Einmütigkeit hinsichtlich der Grundprinzipien und -methoden des revolutionären Kampfes. Doch das ist nicht der Fall. Zu der prinzipiellen Einmütigkeit und folglich zur Internationale kann man nur kommen auf dem Wege gemeinsamer revolutionärer Arbeit und ernster gegenseitiger Kritik.

Man kann die neue Internationale nicht vorbereiten, wenn man sich nicht praktisch an den sich abspielenden Ereignissen beteiligt. Die Programmdiskussion dem revolutionären Kampf gegenüberstellen wäre selbstverständlich unrichtig. Notwendig ist, das eine mit dem anderen zu verbinden. Wir begrüßen es, dass auf die Tagesordnung dieser Konferenz aktuelle mit dem Kampf gegen den26 Faschismus und Krieg verbundene Fragen gestellt wurden, und auf jedem dieser Gebiet sind wir gleichermaßen bereit, Schulter an Schulter mit den anderen Organisationen einen wirklichen Schritt vorwärts zu tun.

Genossen! Ohne Führung, ohne internationale Leitung gibt es keine Möglichkeit für die Weltarbeiterklasse, sich von der gegenwärtigen Bedrückung zu befreien. Die Schaffung einer neuen Internationale27 hängt nicht nur von dem objektiven Gang der Ereignisse ab, sondern auch von unseren Anstrengungen. Sehr wahrscheinlich sind wir jetzt schon sehr viel stärker, als es vielen von uns scheint. Die Geschichte hat uns nicht vergebsens gezeigt, wie eine Organisation, die mit großer Autorität ausgerüstet ist, aber die Richtung verloren hat, lange Zeit hindurch scheinbar ungestraft Fehler auf Fehler häufen kann, aber letzten Endes bringt ihr der Gang der Ereignisse den unvermeidlichen Zusammenbruch. Umgekehrt kann eine mit einem zuverlässigen Kompass ausgerüstete Organisation, die lange Zeit hindurch eine unbedeutende Minderheit blieb, bei Eintritt einer geschichtlichen Wendung sich jäh auf eine hohe Stufe heben. Eine solche Möglichkeit eröffnet sich vor uns unter der Voraussetzung einer richtigen Politik unsererseits. Versuchen wir mit vereinten Kräften, diese Möglichkeit nicht fahren zu lassen! Unsere revolutionäre Verantwortung ist unermesslich groß. Möge sich unser Schaffen auf die Höhe dieser Verantwortung erheben!

Anhang:28

Im Folgenden geben wir eine kurze Information über die Zusammensetzung der Liga der Kommunisten-Internationalisten (Bolschewiki-Internationalist) durch die obenstehende Erklärung eingebracht wurde.

Unsere Organisation ist ungefähr zehn Jahre alt; sie entstand in der UdSSR 1923 als Linksopposition in der Kommunistischen Partei Russlands und hat sich dann unter allen Ländern der Welt ausgebreitet. Gegenwärtig besitzt sie folgende Sektionen: Russische: die wichtigste Sektion, arbeitet in vollständiger Illegalität, gibt das Bulletin der Opposition und andere Veröffentlichungen heraus. Deutsche Sektion: lässt im Ausland die Zeitschrift „Unser Wort“ erscheinen und führt eine illegale Arbeit durch in Deutschland. Belgische Sektion: stützt sich auf ansehnliche Gewerkschaftspositionen und gibt ein Wochenorgan heraus. Griechische Sektion: 2700 Mitglieder, verfügt über eine 3 mal wöchentlich erscheinende Zeitung und einmal monatlich erscheinende Revue. Hat starke Gewerkschaftspositionen und mehrere Gewerkschaftsorgane. Französische Sektion: Gibt ein Wochenorgan und eine theoretische Zeitung heraus. Spanische Sektion: verfügt über eine einmonatliche Revue. Italienische Sektion: Mit einem Bulletin. Bulgarische Sektion: mit einem Wochenorgan. Englische Sektion: mit einer Monatszeitung und einem hektographierten Bulletin. Unabhängige Kommunistische Partei Chiles: Mit einer Zeitung, Gewerkschaftspositionen und einem breiten Masseneinfluss. Amerikanische Sektion: Mit einem Wochenorgan und anderen (griechisch, jüdischen etc.) Zeitungen und Publikationen. Weitere Organisationen bestehen in Österreich, Tschechoslowakei, Schweiz, Polen, Rumänien, Südafrika, Australien, Argentinien, China, Brasilien, Ecuador, Nordafrika, Indochina, Kanada, Kuna, Ungarn. Die Mehrzahl dieser Organisationen veröffentlichen Zeitschriften und Bulletins und sind eng mit der Arbeiterklasse ihrer Länder verbunden. In anderen Ländern wie in den baltischen Randstaaten, Skandinavien, Japan, Jugoslawien etc. sind Gruppen in Bildung begriffen. Insgesamt arbeiten 26 Organisationen und Gruppen mit einer Presse von mehr als 35 Zeitungen in allen 5 Erdteilen.

1 In Variante 1 lautet der – handschriftlich durchgestrichene – Beginn des Absatzes: „Die Sozialdemokratie wurde zugrunde gerichtet durch den Reformismus. Sich“. Am Rand ist ein Einfügungsvermerk und eine handschriftliche „1“, aber die zugehörige Einfügung fehlt. Die Änderung findet sich in der englischen Fassung (Writings of Leon Trotsky, Vol 6, New York ²1975, S. 37 ff.), fehlt aber in der deutschen Fassung in Schriften 3.3 (Köln 2001, S. 437)

2 In Variante 1 lautet der – handschriftlich durchgestrichene – Beginn des Absatzes: „Die Kommunistische Internationale wurde das Opfer der“. Am Rand ist ein Einfügungsvermerk und eine handschriftliche „2“, aber die zugehörige Einfügung fehlt. Die Änderung findet sich in der englischen Fassung (Writings of Leon Trotsky, Vol 6, New York ²1975, S. 37 ff.), fehlt aber in der deutschen Fassung in Schriften 3.3 (Köln 2001, S. 437)

3Die beiden Absätze zu Sozialdemokratie und Komintern befinden sich in Variante 1 auf einem Papierstreifen, mit dem der ursprüngliche Text überklebt wurde.

4In Variante 1 ist dieses Wort handschriftlich ergänzt

5In Variante 1 ist dieses Wort handschriftlich ergänzt.

6In Variante 1 ist „inter“ handschriftlich durchgestrichen.

7In Variante 1 handschriftlich geändert von „Die ,21 Bedingungen'“.

8In Variante 2: „&“ statt „und“

9In Variante 1 ist dieses Wort handschriftlich ergänzt.

10Hier steht in beiden Varianten „Praxis“. Aus dem folgenden Text ergibt sich, dass es „Theorie“ heißen muss, wie auch die englische Fassung (Writings of Leon Trotsky, Vol 6, New York ²1975, S. 37 ff.) und die deutsche Fassung in Schriften 3.3, Köln 2001, S. 440) schreiben

11In Variante 1 ist dieses Wort handschriftlich ergänzt.

12In Variante 1 ist dieses Wort handschriftlich geändert aus „allgemeinen Masse“.

13In Variante 1 ist dieses Wort handschriftlich geändert aus „Die ,11 Punkte'“.

14In Variante 1 ist diese Formulierung handschriftlich geändert aus „in Form der ,11 Punkte'“.

15Der letzte Satz ist in Variante 1 auf einem separaten Papierstreifen maschinenschriftlich ergänzt.

16In Variante 1 ist diese Formulierung handschriftlich geändert aus „die“.

17In Variante 1 ist dieses Wort handschriftlich ergänzt.

18In Variante 1 ist „hat … verschwendet“ handschriftlich geändert aus „verschwendete“.

19In Variante 1 ist „wohl“ von vor „die Grundlagen“ handschriftlich gestrichen und hier eingefügt.

20 In Variante 1 handschriftlich geändert aus „mit seinem sozialen Gewicht und der“

21 In Variante 1 handschriftlich geändert aus „Außenpolitik der Stalinisten, die … erfüllt ist“

22Der letzte Satz ist in Variante 1 auf einem separaten Papierstreifen maschinenschriftlich ergänzt.

23 In Variante 1 lautet der Beginn: „Die Stalinbürokratie liquidiert vermittels des Staatsapparats“. Diese Zeile ist von Hand durchgestrichen, am Rand ist ein Einfügungsvermerk und eine handschriftliche „3“, aber die zugehörige Einfügung fehlt, aber die zugehörige Einfügung fehlt. Diese Änderung fehlt auch in der englischen Fassung (Writings of Leon Trotsky, Vol 6, New York ²1975, S. 37 ff.) und der deutschen Fassung in Schriften 3.3, Köln 2001, S. 444 f.

24 In Variante 1 handschriftlich geändert aus „demokratischen Methoden“

25 In Variante 1 handschriftlich geändert aus „aufrichtigen

26 In Variante 1 ist „den“ maschinenschriftlich durchgestrichen

27 In Variante 1 lautet der Beginn: „Niemand kann heute vorhersagen, wie viel Zeit bis zur Schaffung der neuen Internationale vergehen wird. Das“. Diese Passage ist von Hand durchgestrichen und mit einem Einfügungsvermerk versehen, aber die zugehörige Einfügung fehlt. Die Änderung findet sich in der englischen Fassung (Writings of Leon Trotsky, Vol 6, New York ²1975, S. 37 ff.), fehlt aber in der deutschen Fassung in Schriften 3.3 (Köln 2001, S. 444 f.)

28 Der Anhang fehlt in der englischen Fassung (Writings of Leon Trotsky, Vol 6, New York ²1975, S. 37 ff.), und in der deutschen Fassung in Schriften 3.3 (Köln 2001, S. 444 f.)

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