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Leo Trotzki 19310300 Wessen Grammophon ist das aber?

Leo Trotzki: Wessen Grammophon ist das aber?

[eigene Übersetzung nach dem russischen Text im Bulletin der Opposition, verglichen mit der englischen Übersetzung]

Ein gewisser S. Gorski, ein ehemaliger linker Oppositioneller, bereute im Sommer letzten Jahres. Wir bestreiten niemandem das Recht zu bereuen, nicht das Recht, seine Reue – zusammen mit Tränen und anderen Produkten – auf dem eigenen Gesicht zu verschmieren. Wir sind auch nicht geneigt, an der Form der Reue herumzumäkeln, weil das Gesetz der Ästhetik (wie auch der Anti-Ästhetik) verlangt, dass die Form dem Inhalt entspricht. Aber ungeachtet dessen, schiene uns, dass es Grenzen gibt, vor welchen die mit Leichtsinn multiplizierte Niedertracht halt machen sollte. Es zeigt sich, dass S. Gorski es fertig brachte, alle Grenzen zu überschreiten. Nicht darin, natürlich, dass „Trotzki mit die Kräfte übersteigenden Tempi der Industrialisierung erschreckt“, und dass Gorski aus diesem Anlass Trotzkis in die Nähe Gromans und Groman in die der Schädlinge bringt. Hier bleibt Gorski noch vollständig in den Grenzen des offiziellen Rituals. Erst nachdem er das bis zum Ende erfüllt hat, trägt Gorski in seine Reue eine unerwartet-individuelle Note hinein, bezieht in die Sache den Dnjeprostroj ein, gegen welchen Trotzki kämpfte, aber welcher von Stalin gerettet wurde. Seinen Artikel schließt Gorski mit folgenden Worten ab: „Jene, welche Dnjeprostroj als ,Grammophon' betrachteten, tanzen auf ihrem eigenen politischen Grab. Leider tanzte vor Zeiten auch ich zu ihrer Musik. S. Gorski“. („Sa Industrialisazija“ [Für die Industrialisierung], Nr. 2544).

Was ist das? Unglaublich! Wahrlich traut man den Augen nicht. In den Jahren 1925-1926 war Trotzki Vorsitzender der Regierungskommission für Dnjeprostroj. Teilweise aus diesem Grund, aber hauptsächlich deshalb, weil in jener Periode an den Spitzen der Partei noch uneingeschränkt die Ideen der „abwärts gerichteten Kurve“ der Industrialisierung herrschten, traten alle1 Mitglieder des Politbüros als Gegner des Dnjepr-Wasserkraftwerks auf. Auf dem April-Plenum des ZK des Jahres 19272, erklärte Stalin in einer berühmten, gegen den „Überindustrialisierer“ Trotzki gerichteten wirtschaftlichen Programmrede: „Für uns ist der Bau der Dnjepr-Station so wie ein Bauer, der anstelle einer Milchkuh ein Grammophon erwirbt“. Die Debatten wurden, wie auch alle Protokolle des Plenums, stenografiert und in der Druckerei des ZK gedruckt. Die Phrase Stalins über das Grammophon löste eine Art Sensation aus und wurde häufig in Reden und Dokumenten der Opposition wiederholt. Letztendlich wurde diese Phrase geflügelt. Aber weil S. Gorski beschloss, völlig und ohne Rest zu bereuen, deshalb schob er (eigenständig oder nach dem Zeigestock Jaroslawskis?) die ökonomische Philosophie Stalins, zusammen mit dessen unsterblicher Formel – Trotzki unter. Was hat er aber damit angerichtet? „Jene, welche Dnjeprostroj als ,Grammophon' betrachteten, tanzen auf ihrem eigenen politischen Grab“. Auf ihrem eigenen politischen Grab! Aber es war doch Stalin, der Dnjeprostroj als Grammophon betrachtete. Wer also tanzt auf dem eigenen Grab? Egal was man will, aber die Reue Gorskis klingt verdächtig. Ist sie aufrichtig? Außerdem allgemein: Ist das Reue? Gibt es hier nicht Hintergedanken? Versucht Gorski nicht, in der Sprache Äsops Stalin zu kompromittieren? Und was sieht der Redakteur Boguschewski, ein Mensch der etwas weiß? Und was sieht Jaroslawski? Warum führt er nicht die Enden zusammen? Und allgemein: wohin gehen wir?

Alfa

1In der englischen Übersetzung eingefügt: „anderen“

2In der englischen Übersetzung und hier: „1926“

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