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Leo Trotzki 19310404 Probleme der Entwicklung der UdSSR

Leo Trotzki: Probleme der Entwicklung der UdSSR

(Plattformentwurf der Internationalen Linksopposition zur russischen Frage)

[Nach der Broschüre, Herausgeber: Bulletin der Russischen Opposition (Bolschewiki-Leninisten) Verleger: A. Grylewicz, Berlin 1931]

Inhalt:

I. ökonomische Widersprüche der Übergangsperiode

II. Die Partei im System der Diktatur

III. Gefahren und Möglichkeiten einer Konterrevolutionären Umwälzung

IV. Die Linksopposition und die UdSSR

V. Schlussfolgerungen


I. Ökonomische Widersprüche der Übergangsperiode

Klassencharakter der UdSSR

Die widerspruchsvollen Prozesse in Wirtschaft und Politik der UdSSR entwickeln sich auf der Basis der Diktatur des Proletariats. Der Charakter eines sozialen Regimes wird vor allem durch die Eigentumsverhältnisse bestimmt. Nationalisierung des Bodens, der Mittel industrieller Produktion und des Tausches bei staatlichem Außenhandelsmonopol bilden die Grundlagen des gesellschaftlichen Regimes der UdSSR. Die durch die Oktoberrevolution expropriierten Klassen, wie die sich neu bildenden Elemente der Bourgeoisie und des bürgerlichen Teils der Bürokratie könnten das Privateigentum an Grund und Boden, Banken, Fabriken, Werkstätten, Eisenbahnen usw. nicht anders wiederherstellen, als auf dem Wege konterrevolutionärer Umwälzung. Mit diesen Eigentumsverhältnissen, die die Grundlage der Klassenbeziehungen bilden, ist für uns der Charakter der Sowjetunion als der eines proletarischen Staates bestimmt.

Die Verteidigung der UdSSR gegen ausländische Intervention und gegen Anschläge der inneren Feinde, – von den Monarchisten und ehemaligen Gutsbesitzern bis zu den «Demokraten», Menschewiki und Sozialrevolutionären – bildet die elementare und unbestreitbare Pflicht jedes revolutionären Arbeiters, umso mehr des Bolschewiken-Leninisten. Zweideutigkeiten und Ausflüchte in dieser Frage, die ihrem Wesen nach Schwankungen des kleinbürgerlichen Ultraradikalismus zwischen der Welt des Imperialismus und der Welt der proletarischen Revolution widerspiegeln, sind unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur Internationalen Linksopposition.

Welthistorische Bedeutung der hohen Tempos der ökonomischen Entwicklung.

Die Möglichkeit der gegenwärtigen wahrhaft gigantischen Erfolge der Sowjetwirtschaft wurde durch die revolutionäre Umwälzung der Eigentumsverhältnisse geschaffen, die die Voraussetzungen planmäßiger Überwindung der Marktanarchie herstellte. Der Kapitalismus erzeugte niemals und ist unfähig jene Progression des ökonomischen Wachstums zu erzeugen, die sich gegenwärtig auf dem Territorium der Sowjetunion entwickelt. Beispiellos hohe Tempos der Industrialisierung, die sich entgegen den Erwartungen und Plänen der Epigonenleitung den Weg bahnten, haben ein für allemal die Macht der sozialistischen Wirtschaftsmethoden gezeigt. Der rasende Kampf der Imperialisten gegen den angeblichen Sowjet-«Dumping» ist deren unbeabsichtigte, aber umso echtere Anerkennung der Überlegenheit der sowjetistischen Industrieformen. Auf dem Gebiete der Landwirtschaft, wo Rückständigkeit, Zersplitterung, Barbarei am tiefsten wurzeln, vermochte das Regime der proletarischen Diktatur ebenfalls gewaltige schöpferische Kraft zu offenbaren. So groß auch im Weiteren die Rückstöße und Rückzüge sein sollten. – die heutigen Tempos der Kollektivierung, die nur auf den Grundlagen der Nationalisierung von Boden, Kredit und Industrie bei leitender Rolle der Arbeiter möglich sind, bedeuten eine neue Epoche in der Menschheitsentwicklung, den Beginn der Liquidierung des «Idiotismus des Dorflebens».1

Sogar in dem historisch denkbar schlimmsten Falle, wenn Blockade, Intervention, innerer Bürgerkrieg die proletarische Diktatur gestürzt hätten, würde die große Lehre des sozialistischen Aufbaus für die weitere Menschheitsentwicklung ihre ganze Kraft bewahren. Die vorübergehend besiegte Oktoberrevolution wäre ökonomisch und kulturell vollauf gerechtfertigt und würde folglich wieder auferstehen. Die wichtigste Aufgabe der proletarischen Avantgarde besteht jedoch darin, die Türe vor dieser schlimmsten historischen Variante zu versperren, indem sie die Oktoberrevolution schützt und festigt und sie in den Prolog der Weltrevolution verwandelt.

Grundlegende Widersprüche der Übergangsperiode

Ganz falsch ist die heute offiziell herrschende Doktrin des fatalistischen Optimismus, nach der das weitere schnelle Wachstum der Industrialisierung und Kollektivierung von vornherein gesichert sei und automatisch zum Aufbau des Sozialismus in einem Lande führe.

Wenn eine hochentwickelte sozialistische Wirtschaft nur möglich ist als harmonische, innerlich proportionale und folglich krisenlose Wirtschaft, so erscheint dagegen die Übergangswirtschaft vom Kapitalismus zum Sozialismus als Herd von Widersprüchen, wobei die tiefsten und schärfsten noch bevorstehen. Die Sowjetunion ist nicht, wie die Stalinsche Fraktion lehrt, in den Sozialismus eingetreten, sondern nur in das erste Stadium der Entwicklung in die Richtung zum Sozialismus.

Im Kern der wirtschaftlichen Schwierigkeiten, der einander ablösenden Krisen, der äußersten Spannung des gesamten Sowjetsystems und seiner politischen Erschütterungen ruht eine Reihe von Widersprüchen verschiedenen historischen Ursprunges, die sich auf verschiedene Weise mit einander verflechten. Nennen wir die wesentlichsten:

a) Das Erbe der kapitalistischen und vorkapitalistischen Widersprüche des alten zaristisch-bürgerlichen Russlands, vor allem der Widerspruch zwischen Stadt und Land.

b) Der Widerspruch zwischen der gesamten kultur-ökonomischen Rückständigkeit Russlands und den aus dieser Rückständigkeit dialektisch erwachsenen Aufgaben der sozialistischen Umwandlung.

c) Der Widerspruch zwischen dem Arbeiterstaat und der kapitalistischen Umkreisung, insbesondere – zwischen Außenhandelsmonopol und Weltmarkt.

Diese Widersprüche haben keinesfalls kurzfristigen, episodischen Charakter; im Gegenteil, die Bedeutung der wichtigsten von ihnen wird in Zukunft nur steigen.

Widersprüche der Übergangsperiode: Industrialisierung

Die Verwirklichung des Fünfjahresplanes würde einen gigantischen Schritt vorwärts bedeuten im Vergleich mit jenem Bettelerbe, das das Proletariat den Händen der Ausbeuter entrissen hat. Aber auch nach Erringung ihres ersten Plansieges würde die Sowjetunion aus der ersten Etappe der Übergangsperiode noch nicht herausgekommen sein. Der Sozialismus als System der Produktion nicht für den Markt, sondern für die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse ist nur denkbar auf Grundlage hochentwickelter Produktivkräfte. Indes wird nach der Quantität der Güter, die im Durchschnitt auf den Kopf der Bevölkerung entfallen, die UdSSR sogar am Schlusse des Fünfjahresplanes noch immer eines der rückständigsten Länder sein. Damit sie sich tatsächlich den fortgeschrittenen Ländern des Kapitals angleicht, wäre eine Reihe von Fünfjahresprogrammen erforderlich. Indes sichern die Produktionserfolge der letzten Jahre an sich keinesfalls ein dauerndes Wachstum in der Zukunft. Gerade die Schnelligkeit der industriellen Entwicklung häuft Disproportionen an, teils von der Vergangenheit her vererbt, teils aus der Kompliziertheit der neuen Aufgaben erwachsend, teils erzeugt durch die methodologischen Fehler der Leitung in Verbindung mit direkter Schädlingsarbeit. Der Ersatz der Wirtschaftsleitung durch administrative Anpeitschung, beim Fehlen jeder ernsthaften kollektiven Nachprüfung, führt unvermeidlich zum Aufkommen von Fehlern im Fundament der Wirtschaft selbst und zur Vorbereitung immer neuer «Engpässe» innerhalb des Wirtschaftsprozesses. Die nach innen getriebenen Disproportionen kehren unvermeidlich im nächsten Stadium zurück als Missverhältnis zwischen Produktionsmitteln und Rohstoff, zwischen Transport und Industrie, zwischen Quantität und Qualität und schließlich als Zerrüttung des Geldsystems. Alle diese Krisen bergen umso größere Gefahren in sich, je weniger die heutige Staatsleitung fähig ist, sie rechtzeitig vorauszusehen.

Widersprüche der Übergangsperiode: Kollektivierung

Die «durchgehende» Kollektivierung, auch wenn sie sich im Laufe der nächsten zwei – drei Jahre tatsächlich verwirklichen sollte, würde keinesfalls die Liquidierung des Kulakentums als Klasse bedeuten. Die Form der Produktivkooperation ist bei fehlender technischer und kultureller Basis unfähig, die Differenzierung innerhalb der kleinen Warenerzeuger und die Aussonderung kapitalistischer Elemente aus deren Mitte aufzuhalten. Zur wirklichen Liquidierung des Kulakentums ist eine völlige Revolution der landwirtschaftlichen Technik erforderlich und die Verwandlung des Bauern, zusammen mit dem Industrieproletarier in Arbeiter der sozialistischen Wirtschaft und Mitglieder der klassenlosen Gesellschaft. Das jedoch ist eine Perspektive von Jahrzehnten. Bei Überwiegen des individuellen Bauerninventars und der persönlichen oder gruppenmäßigen Interessiertheit seiner Eigentümer, wird sich die Differenzierung der Bauernschaft unvermeidlich neu bilden und verstärken gerade im Falle eines verhältnismäßigen Gelingens der Kollektivierung, d. h. bei allgemeiner Steigerung der Produktion der Landwirtschaft. Nimmt man ferner an, dass die Kollektivierung zusammen mit den Elementen neuer Technik die Produktivität der landwirtschaftlichen Arbeit bedeutend steigern wird (andernfalls wäre ja die Kollektivierung ökonomisch nicht berechtigt und folglich nicht von Bestand), so würde das auf dem Lande, das schon jetzt unter Übervölkerung leidet, zehn, zwanzig Millionen und mehr überschüssige Arbeitskräfte ergeben, die die Industrie, selbst bei den optimistischsten Plänen, aufzunehmen nicht imstande wäre. Dem Anwachsen überschüssiger, d. h. halbproletarischer, halbpauperisierter Bevölkerung, die in den Kolchosen keinen Platz finden könnte, würde am anderen Pol das Anwachsen reicher Kolchosen und wohlhabender Bauern innerhalb der armen und mittleren Kolchosen entsprechen. Unter der kurzsichtigen Leitung, die die Kolchosen a priori als sozialistische Unternehmen erklärt, können kapitalistisch-farmerische Elemente in der Kollektivierung beste Deckung für sich finden und um so gefährlicher für die proletarische Diktatur werden.

Die ökonomischen Erfolge der gegenwärtigen Übergangsperiode liquidieren folglich die grundlegenden Widersprüche nicht, sondern bereiten deren vertiefte Rekonstruierung vor auf einer neuen, höheren historischen Grundlage.

Widersprüche der Übergangsperiode: UdSSR und Weltwirtschaft.

Das kapitalistische Russland bildete trotz seiner Rückständigkeit bereits einen untrennbaren Teil der Weltwirtschaft. Diese Abhängigkeit des Teiles vom Ganzen erbte die Sowjetrepublik von der Vergangenheit zusammen mit der geographischen, demographischen und ökonomischen Struktur des Landes. Die in den Jahren 1924-1927 entstandene Theorie des selbstgenügsamen Nationalsozialismus widerspiegelte das erste, sehr niedrige Stadium der Wiederbelebung der Wirtschaft nach dem Kriege, als deren Weltbedürfnisse noch keine Zeit gefunden hatten, zu erwachen. Der gegenwärtige angespannte Kampf um die Erweiterung des Sowjetexportes stellt eine anschauliche Widerlegung der Illusionen des Nationalsozialismus dar. Die Zahlen des Außenhandels werden immer mehr zu Kommandozahlen in Bezug auf Pläne und Tempos des sozialistischen Aufbaus. Indes beginnt das Problem des Außenhandels, oder anders gesagt, das Problem der Wechselbeziehungen zwischen Übergangs-Sowjetwirtschaft und Weltmarkt erst seine entscheidende Bedeutung zu offenbaren.

Akademisch lässt sich selbstverständlich innerhalb der Grenzen der UdSSR eine abgeschlossene und innerlich ausgeglichene sozialistische Wirtschaft konstruieren; doch der lange historische Weg zu diesem «nationalen» Ideal würde über gigantische ökonomische Verschiebungen, soziale Erschütterungen und Krisen führen. Allein schon die Verdoppelung des heutigen Ernteertrages, d. h. seine Annäherung an den europäischen, würde die Sowjetwirtschaft vor die grandiose Aufgabe der Realisierung eines landwirtschaftlichen Überflusses von Aberzehnmillionen Tonnen stellen. Mit diesem, wie mit dem nicht weniger akuten Problem der zunehmenden Übervölkerung auf dem Lande fertig werden, könnte man nur durch radikale Neueinteilung der gigantischen Menschenmassen auf verschiedene Wirtschaftszweige und durch völlige Liquidierung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land. Aber diese Aufgabe – eine der grundlegenden Aufgaben des Sozialismus – würde ihrerseits eine Ausnutzung der Hilfsmittel des Weltmarktes in bisher ungeahntem Ausmaße erfordern.

Letzten Endes führen somit alle Widersprüche der Entwicklung der UdSSR auf den Widerspruch zwischen dem isolierten Arbeiterstaat und seiner kapitalistischen Umkreisung zurück. Die Unmöglichkeit des Aufbaues einer selbstgenügsamen sozialistischen Wirtschaft in einem Lande erzeugt die grundlegenden Widersprüche des sozialistischen Aufbaus in jedem neuen Stadium in immer größerem Maßstabe und immer bedeutenderer Tiefe. In diesem Sinne müsste die Diktatur des Proletariats in der UdSSR unvermeidlich zusammenbrechen, wäre das kapitalistische Regime in der ganzen übrigen Welt fähig, sich noch eine lange historische Epoche zu halten. Eine solche Perspektive jedoch für unvermeidlich oder auch nur für die wahrscheinlichste halten können nur jene, die an die Unerschütterlichkeit des Kapitalismus oder an seine Langlebigkeit glauben. Die linke Opposition hat mit einem solchen kapitalistischen Optimismus nichts gemein. Aber ebenso wenig kann sie sich mit der Theorie des Nationalsozialismus abfinden, die ein Ausdruck der Kapitulation vor dem kapitalistischen Optimismus ist.

Weltkrise und ökonomische «Zusammenarbeit» der Imperialisten mit der UdSSR

Das Problem des Außenhandels in seiner heutigen ausnehmenden Schärfe kam für die leitenden Organe der UdSSR überraschend und wurde schon darum allein ein Element der Erschütterung der Wirtschaftspläne. Als bankrott erwies sich angesichts dieses Problems auch die Leitung der Komintern. Die Weltarbeitslosigkeit gestaltete die Frage der Entwicklung der ökonomischen Beziehungen zwischen den kapitalistischen Ländern und der UdSSR zu einer Lebensfrage für breite Massen der Arbeiterklasse. Für die Sowjetregierung und die Komintern eröffnete sich hier die seltene Möglichkeit, die sozialdemokratischen und parteilosen Arbeiter an Hand einer lebenswichtigen Frage mit dem Sowjetfünfjahresplan und den Vorzügen der sozialistischen Wirtschaftsmethoden bekannt zu machen. Unter der Parole der ökonomischen Zusammenarbeit und ausgerüstet mit einem konkreten Programm könnte die kommunistische Avantgarde einen viel wirksameren Kampf gegen Blockade und Intervention aufnehmen, als durch Wiederholung der ewig gleichen nackten Beschwörungen. Das Problem der Planwirtschaft im europäischen und im Weltmaßstabe könnte man auf ungeahnte Höhe erheben und so den Parolen der Weltrevolution neue Nahrung geben. Die Komintern hat auf diesem Gebiet so gut wie nichts getan.

Während die bürgerliche Weltpresse, einschließlich der sozialdemokratischen jäh für die Hetze gegen den angeblichen Sowjetdumping mobilisiert wurde, stampfen die kommunistischen Parteien verwirrt auf einem Fleck herum. Während die Sowjetregierung vor den Augen der ganzen Welt ausländische Märkte und Kredite sucht, erklärt die Bürokratie der Komintern die Parole der ökonomischen Zusammenarbeit mit der UdSSR als «konterrevolutionäre» Parole. Solche beschämende Widersinnigkeiten, wie speziell zur Verwirrung der Arbeiterklasse geschaffen, sind die direkte Folge der verderblichen Theorie des Sozialismus in einem Lande.

II.

Die Partei im System der Diktatur

Das dialektische Wechselverhältnis zwischen Ökonomik und Politik

Die ökonomischen Widersprüche der Übergangswirtschaft entwickeln sich nicht im luftleeren Raume. Die politischen Widersprüche des Regimes der Diktatur, wenn auch letzten Endes aus den ökonomischen erwachsend, besitzen für das Schicksal der Diktatur selbständige und dabei unmittelbarere Bedeutung als die Wirtschaftskrisen.

Ein Produkt des vulgär «ökonomischen», nicht dialektischen Materialismus ist die heutige offizielle Lehre, wonach das Anwachsen der nationalisierten Industrie und der Kolchosen automatisch und stetig das Regime der proletarischen Diktatur festigt. In Wirklichkeit besitzt die Wechselbeziehung zwischen dem ökonomischen Fundament und dem politischen Überbau viel komplizierteren und widerspruchsvolleren Charakter, besonders in der revolutionären Epoche. Die Diktatur des Proletariats, erwachsen aus den Verhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft, hat ihre Macht in der Periode offenbart, die sowohl der Nationalisierung der Industrie wie der Kollektivierung der Landwirtschaft voranging. In der Folge machte die Diktatur Perioden der Festigung und der Schwächung durch, je nach Verlauf des inneren und des internationalen Klassenkampfes, ökonomische Errungenschaften wurden nicht selten mit dem Preis politischer Schwächung des Regimes erkauft. Gerade dieses dialektische Wechselverhältnis zwischen Ökonomik und Politik hat auch unmittelbar die scharfen Wendungen der ökonomischen Politik der Regierung hervorgerufen, beginnend mit der NEP und abschließend mit den letzten Zickzacks der Kollektivierung.

Die Partei als Werkzeug und als Gradmesser der Erfolge

Wie alle politischen Institutionen ist auch die Partei letzten Endes das Ergebnis der Produktionsverhältnisse der Gesellschaft. Doch ist sie keinesfalls eine automatische Rechenmaschine ihrer Veränderungen. Als Extrakt der historischen Erfahrung des Proletariats, im gewissen Sinne der gesamten Menschheit, erhebt sich die Partei über konjunkturmäßige und episodenhafte Veränderungen der ökonomischen und politischen Bedingungen, was ihr erst die notwendige Kraft der Voraussicht, Initiative und des Widerstandes verleiht.

Als völlig unbestreitbar kann man die Schlussfolgerung betrachten, dass, wenn die Diktatur in Russland sich verwirklicht und später die kritischsten Momente überstanden hat, so nur deshalb, weil sie in der Gestalt der bolschewistischen Partei ihr Bewusstseins- und Willenszentrum besaß. Das Unzulängliche und letzten Endes Reaktionäre aller Abarten des Anarchismus und Anarchosyndikalismus besteht gerade darin, dass sie die entscheidende Bedeutung der revolutionären Partei, insbesondere im höchsten Stadium des Klassenkampfes, in der Epoche der proletarischen Revolution nicht begreifen. Die sozialen Widersprüche können zweifellos solche Schärfe erreichen, dass keine Partei imstande ist, einen Ausweg zu finden. Nicht weniger richtig ist aber, dass bei einer Schwächung der Partei oder ihres Entartens sogar eine überwindbare Wirtschaftskrise zur Ursache des Sturzes der Diktatur werden kann.

Die ökonomischen und politischen Widersprüche des Sowjetregimes schneiden sich in der herrschenden Partei. Die Schärfe der Gefahr bei jeder fälligen Krise steht in direkter Abhängigkeit vom Zustand der Partei. Wie groß auch die Bedeutung der Tempos von Industrialisierung und Kollektivierung an sich sein mag, sie tritt zurück vor der Frage: hat die Partei die marxistische Klarheit des Blicks, die geistige Geschlossenheit, die Fähigkeit bewahrt, ihre Ansichten kollektiv auszuarbeiten und selbstaufopfernd für sie zu kämpfen? Unter diesem Gesichtswinkel bietet der Zustand der Partei die höchste Kontrolle des Zustandes der proletarischen Diktatur als synthetischer Gradmesser deren Widerstandskraft. Wird der Partei im Namen der Erringung der einen oder anderen praktischen Ziele eine falsche theoretische Einstellung aufgezwungen; wird die Parteimasse zwangsweise von der Leitung der Politik verdrängt; wird die Avantgarde in der ungeformten Menschenmasse aufgelöst; werden die Parteikaders vom Apparat durch Staatsrepressalien zu Gehorsam angehalten, so bedeutet das, dass die Gesamtbilanz der Diktatur, trotz den wirtschaftlichen Erfolgen, mit einem Defizit abschließt.

Ersetzung der Partei durch den Apparat

Nur Blinde, Mietlinge und Betrogene können die Tatsache bestreiten, dass die regierende Partei der UdSSR, die leitende Partei der Komintern durch den Apparat völlig unterdrückt und ersetzt wurde. Der gigantische Unterschied zwischen dem Bürokratismus von 1923 und dem Bürokratismus von 1931 wird sowohl durch die in dieser Periode erfolgte restlose Liquidierung der Abhängigkeit des Apparates von der Partei, wie auch durch die plebiszitäre Entartung des Apparates selbst charakterisiert.

Von Parteidemokratie ist heute nicht einmal der Schein übriggeblieben. Die Lokalorganisationen werden von den Sekretären gewählt und selbstherrlich umgebaut. Neue Parteimitglieder werden auf Anordnung des Zentrums mit den Methoden der politischen Dienstpflicht angeworben. Die Lokalsekretäre werden vom Zentralkomitee ernannt, das offiziell und offen in ein beratendes Organ des Generalsekretärs verwandelt ist. Parteitage werden willkürlich vertagt, Delegierte von oben herab nach dem Prinzip der Solidarität mit dem unabsetzbaren Führer ausgewählt. Selbst der Schatten einer Kontrolle der Spitzen von unten ist beseitigt. Die Parteimitglieder werden systematisch im Geiste passiver Unterwerfung dressiert. Jeder Schimmer von Selbständigkeit, Unabhängigkeit, Festigkeit, d. h. von jenen Zügen, die das Wesen des Revolutionärs ausmachen, wird unterdrückt, verfolgt, mit Füßen getreten.

Im Apparat bleiben zweifellos nicht wenige ehrliche und ergebene Revolutionäre. Doch wäre die Geschichte der nachleninschen Periode – eine Kette von immer gröberen Fälschungen des Marxismus, prinzipienlosen Manövern und zynischen Verhöhnungen der Partei – unmöglich gewesen ohne das zunehmende Vorherrschen höriger, zu allem bereiter Beamten im Apparat.

Unter der Hülle einer trügerischen Geschlossenheit durchdringt Doppelwesen das Parteileben durch und durch. Die offiziellen Beschlüsse werden einstimmig angenommen. Gleichzeitig sind alle Parteischichten von unversöhnlichen Widersprüchen zerfressen, die für ihren Ausbruch Umwege suchen. Die Bessedowski leiten am Vorabend ihres Überlaufens ins Feindeslager die Parteisäuberung gegen die linke Opposition. Die Bljumkin werden erschossen und durch die Agabekow ersetzt. Syrzew, zum Vorsitzenden der Volkskommissare der RSFSR ernannt an Stelle des «Halbverräters» Rykow, wird bald der illegalen Arbeit gegen die Partei beschuldigt. Rjasanow, das Haupt des wichtigsten wissenschaftlichen Instituts der Partei, wird, nachdem sein Jubiläum feierlich begangen ist, als Teilnehmer einer konterrevolutionären Verschwörung angeklagt. Indem sie sich von der Kontrolle der Partei befreite, hat die Bürokratie sich selbst der Möglichkeit beraubt, die Partei anders zu kontrollieren als durch die GPU, wo die Menschinski und Jagoda die Agabekow erziehen.

Ein Dampfkessel vermag auch bei grober Behandlung lange Zeit nützliche Arbeit zu leisten. Ein Manometer jedoch ist ein feines Instrument, das unter Stößen bald verdirbt. Bei einem unbrauchbaren Manometer indes kann man den besten Kessel leicht zur Explosion bringen. Wäre die Partei nur ein Orientierungswerkzeug, wie ein Manometer oder ein Kompass auf einem Schiff, auch in diesem Falle würde ihr Defekt mit großem Unheil drohen. Die Partei aber bildet außerdem den wichtigsten Teil des Verwaltungsmechanismus. Der von der Oktoberrevolution geschmiedete Sowjetkessel ist imstande, auch unter schlechten Mechanikern gigantische Arbeit zu leisten. Aber allein schon der Defekt des Manometers kennzeichnet die ständige Gefahr einer Explosion der ganzen Maschine.

Sozialistisches Absterben der Partei?

Die Apologeten und Advokaten der Stalinschen Bürokratie versuchen mitunter die bürokratische Liquidierung der Partei als fortschreitenden Prozess der Auflösung der Partei in der Klasse darzustellen, der sich durch die Erfolge der sozialistischen Umgestaltung der Gesellschaft erklärt. In diesen theoretischen Krämpfen wetteifert Analphabetismus mit Scharlatanerie. Von der Auflösung der Partei in der Klasse könnte man nur sprechen als von der Kehrseite des Prozesses der Abstumpfung der Klassengegensätze, des Absterbens der Politik, des Abnehmens aller Arten von Bürokratismus und vor allem der Verringerung der Rolle des Zwanges in den gesellschaftlichen Beziehungen. Indes tragen die Prozesse, die sich in der UdSSR und in der regierenden Partei vollziehen, in vieler Hinsicht einen gerade entgegengesetzten Charakter. Die Zwangsdisziplin stirbt nicht nur nicht ab – es wäre auch unsinnig, dieses auf der gegebenen Etappe zu erwarten – sondern nimmt im Gegenteil besonders erbitterten Charakter auf allen Gebieten des gesellschaftlichen und des persönlichen Lebens an. Die organisierte Beteiligung an der Politik der Partei und der Klasse ist faktisch auf den Nullpunkt gebracht. Die Ausschweifungen des Bürokratismus kennen keine Grenzen. Unter diesen Umständen die Diktatur des Stalinschen Apparates für das sozialistische Absterben der Partei auszugeben, bedeutet eine Verhöhnung der Diktatur und der Partei.

Die brandlerianische Rechtfertigung des plebiszitären Bürokratismus

Die rechten Mitläufer des Zentrismus, die Brandlerianer, versuchen die Erdrosselung der Partei durch die Stalinsche Bürokratie mit Berufung auf die «Kulturlosigkeit» der Arbeitermasse zu rechtfertigen, was sie nicht hindert, gleichzeitig dem russischen Proletariat das odiöse Monopol für den Aufbau des Sozialismus in einem Lande zuzuerkennen.

Die allgemeine ökonomische und kulturelle Rückständigkeit Russlands ist unzweifelhaft. Doch die Entwicklung historisch verspäteter Nationen hat kombinierten Charakter: um mit ihrer Rückständigkeit fertig zu werden, sind sie gezwungen, auf vielen Gebieten die fortgeschrittensten Formen sich anzueignen und zu pflegen. Die wissenschaftliche Doktrin der proletarischen Revolution wurde von den Revolutionären des rückständigen Deutschland Mitte des XIX. Jahrhunderts geschaffen. Dank seiner Verspätung hat der deutsche Kapitalismus in der Folge den Kapitalismus Englands und Frankreichs überholt. Die Industrie des rückständigen bürgerlichen Russland war die konzentrierteste der Welt. Das junge Proletariat Russlands hat als erstes die Verbindung von Generalstreik und Aufstand durch die Tat gezeigt, hat als erstes Sowjets geschaffen und als erstes die Macht erobert. Die Rückständigkeit des russischen Kapitalismus hat nicht gehindert, sondern, im Gegenteil, die Erziehung der weitestblickenden proletarischen Partei, die jemals existierte, ermöglicht.

Als Auslese der revolutionären Klasse in der revolutionären Epoche, lebte die bolschewistische Partei, ein reiches und stürmisches inneres Leben in den kritischsten Perioden ihrer Geschichte. Es sollte nur jemand vor dem Oktober oder in den ersten Jahren nach der Umwälzung gewagt haben, sich zur Verteidigung des Bürokratismus in der Partei auf die «Rückständigkeit» des russischen Proletariats zu berufen! Indes hat die seit der Machteroberung unbestreitbar stattgefundene Steigerung des gesamten Kulturniveaus der Arbeiter nicht zur Blüte der Parteidemokratie geführt, sondern im Gegenteil zu deren völligem Erlöschen. Hinweise auf den Zustrom von Arbeitern aus dem Dorfe erklären nichts, da dieser Faktor sich stets ausgewirkt hat und das Kulturniveau des Dorfes seit der Umwälzung ebenfalls bedeutend gestiegen ist. Schließlich ist die Partei nicht die Klasse, sondern deren Avantgarde: sie kann ihr zahlenmäßiges Anwachsen nicht durch Herabminderung ihres politischen Niveaus bezahlen. Die Brandlerianische Verteidigung des plebiszitären Bürokratismus, die sich auf das tradeunionistische, nicht aber bolschewistische Verständnis der Partei stützt, ist ihrem Wesen nach eine Selbstverteidigung, denn in der Periode tiefsten Verkommens und tiefster Selbstentäußerung des Zentrismus waren die Rechten seine zuverlässigste Stütze.

Weshalb siegte die zentristische Bürokratie?

Um marxistisch zu erklären, weshalb die zentristische Bürokratie gesiegt hat und weshalb sie zwecks Aufrechterhaltung ihres Sieges gezwungen war, die Partei zu erdrosseln, muss man ausgehen nicht von der abstrakten «Kulturlosigkeit» des Proletariats, sondern von der Veränderung der Wechselbeziehungen zwischen den Klassen und der Veränderung in den Stimmungen der einzelnen Klassen.

Nach der heroischen Kräftespannung in den Jahren der Umwälzung und des Bürgerkrieges, der Periode großer Hoffnungen und unvermeidlicher Illusionen, musste das Proletariat eine längere Periode von Müdigkeit, Energieverfall, teilweise direkter Enttäuschung an den Resultaten der Revolution durchmachen. Kraft der Gesetze des Klassenkampfes erweckte diese Reaktion im Proletariat einen außerordentlichen Zustrom neuer Hoffnungen und Sicherheit bei den kleinbürgerlichen Schichten in Stadt und Land und bei den bürgerlichen Elementen der Staatsbürokratie, die sich auf den Grundlagen der NEP bedeutend gefestigt hatte. Die Niederschlagung des bulgarischen Aufstandes im Jahre 1923, die ruhmlose Niederlage des deutschen Proletariats 1923, die Niederschlagung des estnischen Aufstandes 1924, die treubrüchige Liquidierung des Generalstreiks in England 1926, die Niederschlagung der chinesischen Revolution 1927, die mit all diesen Katastrophen verbundene Stabilisierung des Kapitalismus – das ist die Weltlage für den Kampf der Zentristen gegen die Bolschewiki-Leninisten. Schmähung der «permanenten» d. h. der ihrem Wesen nach internationalen Revolution, Verzicht auf die kühne Politik der Industrialisierung und Kollektivierung. Einsatz auf den Kulaken, Bund mit der «nationalen» Bourgeoisie in den Kolonien und mit den Sozial-Imperialisten in der Metropole – das ist der politische Inhalt des Blocks der zentristischen Bürokratie mit den Kräften des Thermidors. Gestützt auf die erstarkte und kühn gewordene Kleinbourgeoisie und bürgerliche Bürokratie, die Passivität des ermüdeten und desorientierten Proletariats und die Niederlage der Revolution in der ganzen Welt ausbeutend, zerschlug der zentristische Apparat in wenigen Jahren den linken revolutionären Flügel der Partei.

Der Zickzackkurs ist die Politik des bürokratischen Lavierens zwischen den Klassen

Die politischen Zickzacks des Apparates sind nicht zufällig. In ihnen äußert sich die Anpassung der Bürokratie an entgegengesetzte Klassenkräfte. Der Kurs der Jahre 1923-1928, lässt man die einzelnen Schwankungen beiseite, bildete die halbe Kapitulation der Bürokratie vor dem Kulakentum im Lande und vor der Weltbourgeoisie und ihrer reformistischen Agentur außerhalb des Landes. Sobald die Stalinisten die wachsende Feindseligkeit des Proletariats verspürten und die Tiefe des thermidorianischen Abgrundes, bis an dessen Rand sie hinab geglitten waren, erblickten – machten sie einen Sprung nach links. Die Schroffheit des Sprunges entsprach der Gewalt der Panik, die in ihren Reihen durch die Folgen ihrer eigenen (Kraft der Kritik der Linksopposition aufgedeckten) Politik hervorgerufen worden war. Der Kurs von 1928-1931 – sieht man wiederum von den unvermeidlichen Schwankungen und Rückfällen ab – bildet den Versuch der Bürokratie, sich dem Proletariat anzupassen, jedoch ohne auf die prinzipiellen Grundlagen ihrer Politik, und hauptsächlich ohne auf ihre Allmacht zu verzichten.

Die Zickzacks des Stalinismus beweisen, dass die Bürokratie keine Klasse, kein selbständiger historischer Faktor, sondern eine dienende Macht, ein Exekutivorgan der Klassen ist. Der linke Zickzack bezeugt, dass wie weit der vorangegangene Rechtskurs auch ausgeschlagen haben mochte, er sich doch auf dem Fundament der Diktatur des Proletariats entwickelte. Doch die Bürokratie ist gleichzeitig auch nicht ein passives Organ, in dem sich nur die Eingebungen der Klasse spiegeln. Ohne jene absolute Selbständigkeit zu besitzen, deren Illusion in vielen bürokratischen Schädeln lebt, verfügt der regierende Apparat doch über eine verhältnismäßig große Selbständigkeit. Die Bürokratie besitzt unmittelbar die Staatsmacht, erhebt sich über den Klassen, drückt deren Entwicklung einen mächtigen Stempel auf und, wenn sie auch nicht selbst zur Grundlage der Staatsmacht zu werden vermag, kann sie doch durch ihre Politik aufs Äußerste den Übergang der Macht aus den Händen der einen Klasse in die Hände der anderen erleichtern.

Die Politik des Lavierens ist unvereinbar mit der Selbständigkeit der proletarischen Partei.

Über allen Aufgaben steht für die Bürokratie die der Selbsterhaltung. Alle ihre Wendungen ergeben sich für sie unmittelbar aus dem Bestreben, ihre Selbständigkeit, ihre Positionen, ihre Macht zu bewahren. Doch verträgt sich die Politik des Lavierens,, die vollständig freie Hand erfordert, nicht mit dem Vorhandensein einer selbständigen Partei, die an Kontrolle gewöhnt ist und Rechenschaft verlangt. Daraus folgt das System der gewaltsamen Zerstörung der Parteiideologie und des bewussten Säens von Verwirrung,

Der Kurs auf den Kulaken, die schädlings-menschewistischen Programme der Industrialisierung und Kollektivierung, der Block mit Purcell, Tschiang Kai-schek, La Folette, Raditsch, die Schaffung der Bauern-«Internationale», die Parole der Zweiklassen-Partei – das alles wurde für Leninismus erklärt. Umgekehrt, der Kurs auf Industrialisierung und Kollektivierung; die Forderung der Parteidemokratie; die Parole der Sowjets in China; der Kampf gegen die Zweiklassen-Partei im Namen der Partei des Proletariats; die Entlarvung der Leere und des Truges der Bauerninternationale, der Antiimperialistischen Liga und anderer Potemkinscher Dörfer, – das alles erhielt den Namen «Trotzkismus».

Mit dem Moment der Wendung vom Jahre 1928 wurden die Masken umgefärbt, die Maskerade aber hörte nicht auf. Die Proklamierung des bewaffneten Aufstandes und der Sowjets in China während des Triumphes der Konterrevolution; die abenteuerlichen Wirtschaftstempos in der UdSSR unter administrativer Knute; die «Liquidierung des Kulakentums als Klasse» im Verlauf von zwei Jahren; der Verzicht auf die Einheitsfront mit den Reformisten unabhängig von Zeit und Ort; der Verzicht auf die Parolen der revolutionären Demokratie für die historisch zurückgebliebenen Länder; die Verkündung der «dritten Periode» während des ökonomischen Aufstiegs – das alles wurde von nun an Leninismus genannt. Umgekehrt, die Forderung realistischer Wirtschaftspläne, den Kräften und Bedürfnissen der Arbeiter angepasst; die Ablehnung des Programms der Liquidierung des Kulakentums auf der Grundlage des bäuerlichen Inventars; die Zurückweisung der Metaphysik der «dritten Periode» im Namen der marxistischen Analyse der ökonomischen und politischen Prozesse in der ganzen Welt und in jedem einzelnen Lande – das alles wurde jetzt für «konterrevolutionären Trotzkismus» erklärt.

Die ideologische Verbindung zwischen den zwei Perioden der bürokratischen Maskerade bleibt die Theorie des Sozialismus in einem Lande, die grundlegende Charta der Sowjetbürokratie, die sie über die proletarische Avantgarde der Welt erhebt und die von vornherein alle ihre Handlungen, Wendungen, Fehler und Verbrechen heiligt.

Das Gewebe des Parteibewusstseins entsteht langsam und erfordert eine ständige Erneuerung durch marxistische Überprüfung des zurückgelegten Weges, durch Analyse der Veränderungen der Situation, durch revolutionäre Prognose. Ohne unermüdliche innerkritische Arbeit verfällt die Partei unvermeidlich dem Niedergang. Indes schließt der Kampf der Bürokratie um Selbsterhaltung die offene Gegenüberstellung der heutigen Politik mit der gestrigen, d. h. die Nachprüfung des einen Zickzacks durch den anderen, aus. Je minder rein das Gewissen der regierenden Fraktion, umso mehr verwandelt sie sich in einen Augurenorden, der eine Geheimsprache. spricht und die Anerkennung der Unfehlbarkeit des ältesten Auguren fordert. Die gesamte Geschichte der Partei und der Revolution wird den Bedürfnissen der bürokratischen Selbsterhaltung angepasst. Legenden häufen sich auf Legenden. Die Grundwahrheiten des Marxismus werden als Abweichungen gebrandmarkt. So wurde im Prozess des Zickzacks zwischen den Klassen in den letzten acht Jahren das Grundgewebe des Parteibewusstseins immer mehr auseinander gezerrt und zerfetzt. Administrative Pogrome besorgten das Übrige.

Das plebiszitäre Regime in der Partei.

Nachdem sie die Partei besiegt und erdrosselt hat, kann sich die Bürokratie den Luxus der Meinungsverschiedenheiten in den eigenen Reihen nicht leisten, um nicht gezwungen zu werden, zur Lösung der Streitfragen an die Massen zu appellieren. Sie braucht einen ständigen Schiedsrichter, einen politischen Vorgesetzten. Die Auslese für den gesamten Apparat geschieht um den «Chef» herum. So entstand das plebiszitäre Apparatregime.

Der Bonapartismus ist eine der Formen des Sieges der Bourgeoisie über den Aufstand der Volksmassen. Das heutige Sowjetregime mit dem sozialen Regime des Bonapartismus zu identifizieren, wie es Kautsky tut, bedeutet, bewusst vor den Arbeitern im Interesse der Bourgeoisie den Unterschied der Klassenfundamente verheimlichen. Nichtsdestoweniger kann man mit vollem Recht von der vollendeten plebiszitären Entartung des Stalinschen Apparates oder vom bonapartistischen System der Verwaltung der Partei als einer der Voraussetzungen des bonapartistischen Regimes im Lande sprechen. Eine neue politische Ordnung entsteht nicht aus dem Nichts. Die zur Macht gelangte Klasse baut den Apparat ihrer Herrschaft aus jenen Elementen auf, die im Augenblick der revolutionären oder konterrevolutionären Umwälzung vorhanden sind. Die von Menschewiken und Sozialrevolutionären geleiteten Sowjets waren zur Zeit Kerenskis die letzte politische Hilfsquelle des bürgerlichen Regimes. Gleichzeitig waren die Sowjets, vor allem in Gestalt der Bolschewiki, der Herd der in Vorbereitung begriffenen Diktatur des Proletariats. Der heutige Sowjetapparat ist eine bürokratische, plebiszitär entstellte Form der Diktatur des Proletariats. Gleichzeitig aber ist er ein potenzielles Werkzeug des Bonapartismus. Zwischen der heutigen Funktion des Apparates und seiner möglichen Funktion müsste noch das Blut des Bürgerkrieges fließen. Doch die siegreiche Konterrevolution würde gerade im plebiszitären Apparat unschätzbare Elemente finden zur Aufrichtung ihrer Herrschaft, wie auch ihr Sieg selbst undenkbar wäre ohne den Übergang entscheidender Teile des Apparates auf die Seite der Bourgeoisie. Das ist es, weshalb das Stalinsche plebiszitäre Regime sich in eine Hauptgefahr für die Diktatur des Proletariats verwandelt hat.

III.

Gefahren und Möglichkeiten einer konterrevolutionären Umwälzung

Das Kräfteverhältnis zwischen den sozialistischen und den kapitalistischen Tendenzen

Durch die vereinigte Wirkung ökonomischer Erfolge und administrativer Maßnahmen ist das spezifische Gewicht der kapitalistischen Elemente in der Volkswirtschaft in den letzten Jahren sehr eingeschränkt worden, besonders in Industrie und Handel. Die Kollektivierung und Entkulakisierung haben für die gegebene Periode die ausbeuterische Rolle der Dorfspitzen stark verringert. Das Kräfteverhältnis zwischen den sozialistischen und kapitalistischen Elementen der Wirtschaft hat sich zweifelsohne zum Vorteil des ersteren verschoben. Diese Tatsache ignorieren oder gar ableugnen, wie das die Ultralinken oder Vulgäroppositionellen tun, die allgemeine Redensarten über NEP-Mann und Kulak wiederholen, ist der Marxisten völlig unwürdig.

Nicht weniger falsch jedoch ist es, das heutige prozentuelle Kräfteverhältnis als gesichert zu betrachten oder, was noch schlimmer ist, den Grad der Verwirklichung des Sozialismus am spezifischen Gewicht der Staats- und Privatwirtschaft in der UdSSR zu ermessen. Die gesteigerte Liquidierung der inneren kapitalistischen Elemente, darunter auch mit den Methoden administrativen Kopfschwindels, fiel zusammen mit dem gesteigerten Hervortreten der UdSSR auf dem Weltmarkt. Die Frage nach dem spezifischen Gewicht der kapitalistischen Elemente in der UdSSR darf man deshalb nicht unabhängig von der Frage nach dem spezifischen Gewicht der UdSSR in der Weltwirtschaft stellen.

Nepmann, Vermittler, Kulak sind zweifellos natürliche Agenten des Weltimperialismus; Schwächung der ersteren bedeutet gleichzeitig Schwächung des letzteren. Doch ist die Frage damit nicht erschöpft: außer dem Nepmann existiert noch der Staatsbeamte. Lenin erinnerte auf dem letzten Parteitag, an dem er teilnahm, daran, dass in der Geschichte nicht selten ein Sieger-Volk, mindestens dessen oberste Schicht, die Sitten und Glaubensbekenntnisse des von ihm besiegten, kulturell höher stehenden Volkes sich aneignete, und dass ähnliche Prozesse auch im Kampfe der Klassen möglich sind. Die Sowjetbürokratie, die ein Amalgam der oberen Schicht des siegreichen Proletariats mit den breiten Schichten der gestürzten Klassen darstellt, schließt in sich eine mächtige Agentur des Weltkapitals ein.

Elemente der Doppelherrschaft

Zwei Gerichtsprozesse – gegen die Spezialisten-Schädlinge und die Menschewiki, – haben ein äußerst grelles Bild des Kräfteverhältnis der Klassen und Parteien in der UdSSR gezeigt. Von den Gerichtsorganen ist unwiderlegbar festgestellt worden, dass während der Jahre 1923-1928 die bürgerlichen Spezialisten in engem Bündnis mit den ausländischen Zentren der Bourgeoisie erfolgreich eine künstliche Verlangsamung der Industrialisierung durchführten, in der Berechnung auf Wiederherstellung kapitalistischer Verhältnisse. Die Elemente der Doppelherrschaft im Lande der proletarischen Diktatur bekamen ein solches Gewicht, dass die direkten Agenten der kapitalistischen Restauration gemeinsam mit ihren demokratischen Helfern, den Menschewiki, eine führende Rolle spielen konnten in allen Wirtschaftszentren der Sowjetrepublik! Wie weit ist anderseits der Zentrismus in die Richtung der Bourgeoisie hinab gerutscht, wenn die offizielle Politik der Partei im Laufe einer Reihe von Jahren als legale Deckung für die Pläne und Methoden der kapitalistischen Restauration dienen konnte!

Der linke Zickzack Stalins, ein objektives Zeugnis der machtvollen Lebensfähigkeit der proletarischen Diktatur, die die Bürokratie um die eigene Achse dreht, hat jedenfalls weder eine konsequente proletarische Politik, noch ein vollblütiges Regime der proletarischen Diktatur geschaffen. Die im bürokratischen Apparat enthaltenen Elemente der zweiten Macht sind mit dem Eintreten des neuen Kurses nicht verschwunden, sondern haben sich umgefärbt und umbewaffnet. Sie haben sich zweifellos sogar verstärkt, insofern die plebiszitäre Entartung des Apparats vorwärts schritt. Die Schädlinge verleihen jetzt den Tempos abenteuerlichen Schwung und bereiten damit gefährliche Krisen vor. Die Bürokraten hängen voll Eifer das Schild des Sozialismus über jene Kolchosen aus, in denen sich die Kulaken verbergen. Nicht nur geistige, sondern auch organisatorische Fühler der Konterrevolution sind tief in die Organe der proletarischen Diktatur eingedrungen und nehmen umso leichter eine Schutzfarbe an, als das gesamte Leben der offiziellen Partei auf Lüge und Fälschung beruht. Die Elemente der zweiten Macht sind umso gefährlicher, je weniger die unterdrückte proletarische Avantgarde Möglichkeiten besitzt, sie rechtzeitig aufzudecken, um ihre Reihe von ihnen zu säubern.

Ohne Partei ist der sozialistische Aufbau in der Übergangsepoche nicht möglich

Politik ist konzentrierte Ökonomik, und die Politik der Diktatur – die konzentrierteste aller nur denkbaren Politik. Der perspektivische Wirtschaftsplan ist kein von vornherein gegebenes Dogma, sondern eine Arbeitshypothese. Die kollektive Nachprüfung des Planes muss im Prozess seiner Durchführung geschehen, wobei die Elemente der Nachprüfung nicht nur Buchhaltungsziffern sind, sondern auch die Muskeln und Nerven der Arbeiter und die politische Verfassung der Bauern. Abtasten, nachprüfen, summieren, das alles verallgemeinern kann nur eine aktive, nach freiem Willen handelnde, ihrer selbst sichere Partei. Der Fünfjahresplan wäre undenkbar ohne die Gewissheit, dass alle Beteiligten des Wirtschaftsprozesses, die Leitungen der Fabriken und Trusts einerseits, die Fabrikkomitees andererseits, sich der Parteidisziplin unterwerfen, und dass die parteilosen Arbeiter der Führung der Zellen und Betriebskomitees nicht entgleiten.

Die Parteidisziplin ist indes restlos mit der administrativen Disziplin verschmolzen. Der Apparat erwies sich – erweist sich auch heute noch – als allmächtig, insofern er die Möglichkeit besitzt, das Grundkapital der bolschewistischen Partei zu verausgaben. Dies Kapital ist groß, aber nicht unbegrenzt. Die Überspannung des bürokratischen Kommandos erreichte mit dem Augenblick der Niederschlagung des rechten Flügels die höchste Grenze. Weiter kann man auf diesem Wege nicht gehen. Aber damit ist auch der Durchbruch der administrativen Disziplin vorbereitet.

Von dem Moment an, wo die Parteitradition bei den einen und die Angst vor ihr bei den anderen aufhören, die offizielle Partei zusammenzuhalten, und die feindlichen Tendenzen nach außen durchbrechen, wird die Staatswirtschaft die ganze Kraft der politischen Widersprüche jäh verspüren. Jeder Trust und jede Fabrik werden die von oben kommenden Pläne und Direktiven umstoßen, um mit eigenen Mitteln ihre Interessen zu sichern. Abmachungen zwischen einzelnen Betrieben und dem Privatmarkt hinter dem Rücken des Staates werden aus einer Ausnahme zur Regel werden. Der Kampf zwischen den Betrieben um Arbeitskräfte, Rohstoffe, Absatzmärkte wird automatisch unter den Arbeitern den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen auslösen. Die auf diese Weise unvermeidliche Liquidierung des Planprinzips würde nicht nur die Wiederherstellung des Innenmarktes bedeuten, sondern auch die Durchbrechung des Außenhandelsmonopols. Die Leitungen der Trusts würden sich schnell der Lage von Privateigentümern oder Agenten des ausländischen Kapitals nähern, an das sich zu wenden viele von ihnen in ihrem Kampfe ums Dasein gezwungen wären. Im Dorfe, wo die wenig widerstandsfähigen Formen der Kolchosen kaum erst Zeit gehabt haben würden, die kleinen Warenerzeuger zu erfassen, müsste der Zusammenbruch des Planprinzips jäh die Elemente der ursprünglichen Akkumulation entfesseln. Der administrative Druck könnte die Lage schon allein deshalb nicht retten, weil der bürokratische Apparat das erste Opfer der nach außen dringenden Widersprüche und zentrifugalen Tendenzen werden würde. Ohne die durchgeistigende und bindende Kraft der kommunistischen Partei wären folglich Sowjetstaat und Planwirtschaft zum Zusammenbruch verurteilt.

Der Zerfall der offiziellen Partei trägt die Gefahr des Bürgerkrieges mit sich

Der Zusammenbruch der plebiszitären Disziplin würde nicht nur die Partei-, Administrations-, Wirtschafts-, Gewerkschafts- und Kooperativorgane erfassen, sondern auch die rote Armee und die GPU; unter gewissen Bedingungen könnte die Explosion gerade an diesem Ende beginnen. Schon das beweist, dass der Übergang der Macht in die Hände der Bourgeoisie sich keinesfalls auf bloßem Entarten allein beschränken könnte, sondern unabwendbar die Form der offenen gewaltsamen Umwälzung annehmen müsste.

In welcher politischen Form könnte diese vor sich gehen? In dieser Hinsicht kann man nur die Haupttendenzen aufzeigen. Unter thermidorianischer Umwälzung verstand die linke Opposition stets eine solche Verschiebung der Macht vom Proletariat zur Bourgeoisie, die zwar ihrem Wesen nach bereits entscheidend, sich formell noch im Rahmen des Sowjetsystems vollzieht, unter dem Banner der einen Fraktion der offiziellen Partei gegen die andere. Demgegenüber erscheint die bonapartistische Umwälzung als eine offenere, «reifere» Form der bürgerlichen Konterrevolution, vollzogen gegen das Sowjetsystem und die bolschewistische Partei insgesamt, in Form des blanken Säbels, der im Namen des bürgerlichen Eigentums erhoben wird. Die Niederschlagung des rechten Flügels der Partei und dessen Lossagung; von seiner Plattform verkleinern die Chancen der ersten, stufenweisen, verschleierten, d.h. thermidorianischen Form der Umwälzung. Die plebiszitäre Entartung des Parteiapparats steigert zweifellos die Chancen der bonapartistischen Form. Jedoch stellen Thermidor und Bonapartismus keine irgendwie unversöhnlichen Klassentypen dar, sondern sind nur Entwicklungsstadien des gleichen Typs, wobei der lebendige historische Prozess unerschöpflich ist in der Schaffung von Übergangs- und Kombinationsformen. Eins ist sicher: würde die Bourgeoisie wagen, die Machtfrage offen zu stellen, die letzte Antwort wäre durch gegenseitiges Prüfen der Klassenkräfte in tödlichem Zusammenstoß gegeben.

Die zwei Lager des Bürgerkrieges

Gesetzt den Fall, der molekulare Prozess der Anhäufung von Widersprüchen führte zu einer Explosion: der Zusammenschluss der feindlichen Lager würde sich im Feuer um jene politischen Zentren vollziehen, die gestern noch illegal waren. Der Zentrismus als kommandierende Fraktion würde, zusammen mit dem administrativen Apparat sofort ein Opfer der politischen Differenzierung. Die Elemente seines Bestandes würden sich auf beide Seiten der Barrikade verteilen. Wer im Lager der Konterrevolution in der ersten Zeit den Hauptplatz einnehmen würde: die abenteuerlich-prätorianischen Elemente vom Typus Tuchatschewski, Blücher, Budjonny, direkter Abhub vom Typus Bessedowski, oder noch schwerer wiegende Elemente vom Typus Ramsin und Ossadtschy – das würde bestimmt werden durch Zeitpunkt und Bedingungen der Übergangs der Konterrevolution zur Offensive. Doch die Frage selbst könnte nur von episodischer Bedeutung sein. Die Tuchatschewski und Bessedowski könnten nur als Stufe für die Ramsin und Ossadtschy dienen; diese ihrerseits taugen nur als Stufe für die imperialistische Diktatur, die sehr bald beide Stufen beiseite schleudern würde, auch wenn es ihr nicht gelänge sie gleich zu überspringen. Die Menschewiki und Sozialrevolutionäre würden dabei einen Block mit dem prätorianischen Flügel des Zentrismus bilden und die Imperialisten auf dem steilen Abstieg der Revolution decken, wie sie im Jahre 1917 versucht haben, sie bei dem steilen Aufstieg zu decken.

Im entgegengesetzten Lager würde eine nicht minder entscheidende Umgruppierung der Kräfte unter dem Banner des Kampfes für den Oktober stattfinden. Die revolutionären Elemente der Sowjets, Gewerkschaften, Kooperativen, der Armee und schließlich und vor allem, die fortgeschrittenen Arbeiter in den Betrieben würden angesichts der drohenden Gefahr die Notwendigkeit verspüren, sich unter klaren Parolen eng zusammenzuschließen um die bewährten und erprobten revolutionären Kader, die zu Kapitulation und Verrat unfähig sind. Nicht nur die zentristische Fraktion, auch der rechte Flügel der Partei würde nicht wenige Revolutionäre aussondern, die die Oktoberrevolution mit der Waffe in der Hand verteidigen würden. Doch hätten sie dazu eine schmerzhafte innere Abgrenzung nötig, undurchführbar ohne eine Periode der Verwirrungen, Schwankungen und ohne Zeitverlust. Unter diesen entscheidenden Umständen wäre die Fraktion der Bolschewiki-Leninisten, die durch ihre Vergangenheit scharf ausgeprägt und in schweren Prüfungen gestählt ist, berufen, die Rolle eines in gesättigte Lösung getauchten Kristalls zu spielen. Rings um die linke Opposition würde sich der Prozess des Zusammenschlusses des revolutionären Lagers und der Wiedergeburt der wahren kommunistischen Partei vollziehen. Das Vorhandensein einer leninistischen Fraktion würde die Chancen des Proletariats im Kampfe mit den Kräften der konterrevolutionären Umwälzung verdoppeln.

IV.

Die Linksopposition und die UdSSR

Gegen Nationalsozialismus für permanente Revolution.

Die demokratischen Aufgaben des rückständigen Russland konnten nicht anders gelöst werden, als auf dem Wege der Diktatur des Proletariats. Indem es an der Spitze der Bauernmassen die Macht eroberte, konnte das Proletariat jedoch nicht bei den demokratischen Aufgaben stehen bleiben. Die demokratische, Revolution hatte sich unmittelbar mit dem ersten Stadium der sozialistischen Revolution verflochten. Doch kann diese nicht anders abgeschlossen werden, als in der internationalen Arena. Das von Lenin ausgearbeitete Programm der bolschewistischen Partei betrachtet die Oktoberumwälzung als die erste Etappe der proletarischen Weltrevolution, von der sie untrennbar ist. Dies ist auch der Kern der Doktrin der permanenten Revolution.

Die außerordentliche Verzögerung in der Entwicklung der Weltrevolution, die für die UdSSR gigantische Schwierigkeiten schafft, und eigenartige Übergangsmethoden erzeugt, ändert jedoch nicht die grundlegenden Perspektiven und Aufgaben, die sich aus dem weltumfassenden Charakter der kapitalistischen Wirtschaft und aus dem permanenten Charakter der proletarischen Weltrevolution ergeben.

Die Internationale Linksopposition verwirft und verurteilt kategorisch die im Jahre 1924 von den Epigonen geschaffene Theorie des Sozialismus in einem Lande als schlimmste Reaktion gegen den Marxismus, als Haupterrungenschaft der thermidorianischen Ideologie. Die unversöhnliche Bekämpfung des Stalinismus (oder Nationalsozialismus), der seinen Ausdruck im Programm der Kommunistischen Internationale gefunden hat, ist eine notwendige Bedingung der richtigen revolutionären Strategie, sowohl in den Fragen des internationalen Klassenkampfes, wie auch in der Sphäre der wirtschaftlichen Aufgaben der UdSSR.

Regime der Doppelherrschaft oder Elemente der Doppelherrschaft im Regime der proletarischen Diktatur?

Geht man von der unbestreitbaren Tatsache aus, dass die WKP endgültig aufgehört hat, eine Partei zu sein, ist man da nicht zu der Schlussfolgerung gezwungen, es gäbe in der UdSSR keine Diktatur des Proletariats, da diese ohne eine herrschende proletarische Partei undenkbar sei? Eine solche auf den ersten Blick völlig konsequente Schlussfolgerung ist jedoch eine Karikatur auf die Wirklichkeit, und zwar eine reaktionäre Karikatur, die die schöpferischen Möglichkeiten des Regimes und die verborgenen Reserven der Diktatur ignoriert. Wenn auch die Partei als Partei, d. h. als selbständige Organisation der Avantgarde nicht existiert, so bedeutet das noch nicht, das alle von der Vergangenheit vererbten Elemente der Partei, liquidiert sind. In der Arbeiterklasse ist lebendig und stark die Tradition der Oktoberumwälzung, fest verwurzelt sind die Gewohnheiten des Klassengedankens: unvergessen in der älteren Generation die Lehren der revolutionären Kämpfe und die Schlussfolgerungen der bolschewistischen Strategie; in den Massen des Volkes und besonders des Proletariats lebt der Hass gegen die früher herrschenden Klassen und deren Parteien. Alle diese Tendenzen bilden in ihrer Gesamtheit nicht nur die Reserve der Zukunft, sondern auch die heutige lebendige Macht, die die Sowjetunion als Arbeiterstaat beschützt.

Zwischen den schöpferischen Kräften der Revolution und der Bürokratie herrscht ein tiefer Antagonismus. Wenn der Stalinsche Apparat vor gewissen Grenzen immerhin Halt macht, wenn er sich gezwungen sieht, sogar scharf nach links zu wenden, so geschieht das vor allem unter dem Druck der ungeformten, losen, aber noch mächtigen Elemente der revolutionären Partei. Die Macht dieses Faktors lässt sich nicht in Zahlen ausdrücken. Doch ist er heute jedenfalls mächtig genug, um das Gebäude der Diktatur des Proletariats zu stützen. Ihn ignorieren heißt, sich völlig auf den Boden der bürokratischen Denkungsweise stellen und die Partei dort und nur dort suchen, wo der Stalinsche Apparat kommandiert.

Die linke Opposition verwirft kategorisch die Einschätzung des Sowjetstaates nicht nur als eines bürgerlichen oder kleinbürgerlichen, sondern auch als eines «neutralen», zeitweilig gleichsam ohne Klassenherrn gebliebenen Staates. Das Vorhandensein von Elementen der Doppelherrschaft bedeutet durchaus nicht politisches Gleichgewicht der Klassen. Bei der Bewertung des sozialen Prozesses ist die Feststellung des erreichten Grades der Reife und der Abgeschlossenheit besonders wichtig. Der Moment des Übergangs der Quantität in Qualität hat in der Politik, wie auch auf anderen Gebieten, entscheidende Bedeutung. Die richtige Bestimmung dieses Moments ist eine der wichtigsten und gleichzeitig schwierigsten Aufgaben der revolutionären Leitung.

Die Bewertung der UdSSR als eines zwischen den Klassen stehenden Staates (Urbahns), ist theoretisch unzulänglich und politisch gleichbedeutend mit der Preisgabe oder halben Preisgabe der stärksten Position des Weltproletariats an den Klassenfeind. Die linke Opposition verwirft und verurteilt kategorisch diesen Standpunkt als unvereinbar mit den Prinzipien des revolutionären Marxismus.

Der Weg der linken Opposition in der UdSSR bleibt der Weg der Reform

Die oben gegebene Analyse der Möglichkeiten und Chancen einer konterrevolutionären Umwälzung darf keinesfalls so verstanden werden, als müssten die gegenwärtigen Widersprüche unbedingt zur offenen Explosion des Bürgerkrieges führen. Die soziale Sphäre ist elastisch und öffnet – in gewissen Grenzen – verschiedenen Möglichkeiten den Weg je nach Energie und Scharfblick der kämpfenden Kräfte, wobei die inneren Prozesse vom Gange des internationalen Klassenkampfes abhängen. Die Pflicht des proletarischen Revolutionärs besteht unter allen Umständen darin, jede Situation bis zu Ende zu durchdenken und auch auf den schlimmsten Ausgang vorbereitet zu sein. Die marxistische Analyse der Möglichkeiten und Chancen der thermidorianisch-bonapartistischen Umwälzung hat nichts gemein mit Pessimismus, wie die Blindheit und Prahlerei der Bürokratie nichts gemein hat mit revolutionärem Optimismus.

Die Anerkennung des heutigen Sowjetstaates als eines Arbeiterstaates bedeutet nicht nur, dass die Bourgeoisie nicht anders die Macht erobern könnte als durch einen bewaffneten Aufstand, sondern auch, dass das Proletariat der UdSSR die Möglichkeit nicht eingebüßt hat, sich die Bürokratie zu unterwerfen, die Partei wieder zu beleben und das Regime der Diktatur zu heilen – ohne neue Revolution, mit den Methoden und auf den Wegen der Reform.

Es wäre fruchtloser Pedantismus wollte man es unternehmen, die Chancen der proletarischen Reform und der Versuche der bürgerlichen Umwälzung im Voraus zu berechnen. Es wäre verbrecherische Leichtfertigkeit, zu behaupten, die erstere sei gesichert, die zweite ausgeschlossen. Man muss sich auf alle möglichen Varianten vorbereiten. Um im Augenblick des unvermeidlichen Zusammenbruches des plebiszitären Parteiregimes unverzüglich, ohne die Klassenfeinde Tempo gewinnen zu lassen, den proletarischen Flügel zu sammeln und voran zu schicken, ist es unbedingt notwendig, dass die linke Opposition als geschlossene Fraktion existiert und sich entwickelt, alle Veränderungen der Situation analysiert, die Perspektive der Entwicklung klar formuliert, Kampfparolen rechtzeitig aufstellt und ihre Verbindungen mit den fortgeschrittenen Elementen der Arbeiterklasse festigt.

Die Linksopposition und die Brandlerianer

Das Verhältnis der linken Opposition zum Zentrismus bestimmt ihr Verhältnis zur rechten Opposition, die nur eine unvollendete Brücke vom Zentrismus zur Sozialdemokratie darstellt.

In der russischen wie in allen anderen Fragen, führt die internationale Rechte ein parasitäres Dasein, indem sie sich hauptsächlich von der Kritik der praktischen und zweitrangigen Fehler der Komintern nährt, deren opportunistische Politik sie in den grundlegenden Fragen billigt. Die Prinzipienlosigkeit der Brandlerianer zeigt sich am unverhülltesten und zynischsten in den Fragen, die mit dem Schicksal der UdSSR verbunden sind. In der Periode des Regierungseinsatzes auf den Kulaken unterstützten die Brandlerianer restlos den offiziellen Kurs und bewiesen, dass man eine andere als die Stalin-Rykow-Bucharinsche Politik überhaupt nicht treiben könne. Nach der Wendung von 1928 verstummten die Brandlerianer abwartend. Als sich für sie unerwartet die Erfolge der Industrialisierung gezeigt hatten, nahmen die Brandlerianer kritiklos das Programm des «Fünfjahresplanes in vier Jahren» und der «Liquidierung des Kulakentums als Klasse» an. Die Rechten bewiesen ihre völlige Unfähigkeit zu revolutionärer Orientierung und marxistischer Voraussicht, wobei sie gleichzeitig als Advokaten des Stalinschen Regimes in der UdSSR auftraten. Der Grundzug des Opportunismus – sich vor der Macht des heutigen Tages zu beugen – bestimmt die ganze Haltung der Brandlerianer zu den Stalinisten: «Wir sind bereit kritiklos alles anzuerkennen, was ihr in der UdSSR macht, erlaubt uns nur, unsere Politik in unserem Deutschland zu treiben». Einen ähnlichen Charakter hat die Position der Lovestonisten in den Vereinigten Staaten, der rechten Opposition in der Tschechoslowakei und der ihnen verwandten halbsozialdemokratischen, halbkommunistischen Gruppen in anderen Ländern.

Die linke Opposition führt gegen den rechten Mitläufer der Zentristen einen unversöhnlichen Kampf, insbesondere und hauptsächlich auf der Grundlage der russischen Frage und ist gleichzeitig bestrebt, von dem zersetzenden Einfluss der Brandlerianischen Spitze jene Arbeiter-Revolutionäre zu befreien, die durch die Zickzacks des Zentrismus und sein unwürdiges Regime in die rechte Opposition hineingetrieben wurden.

Das Prinzip der linken Opposition: aussprechen was ist

Die kleinbürgerlichen Mitläufer, die «Freunde» der Sowjetunion, eigentlich Freunde der Stalinschen Bürokratie, darunter auch die abhängigen Beamten der Komintern in den verschiedenen Ländern, schließen leichten Herzens die Augen vor den Widersprüchen der Entwicklung der Sowjetunion, um später, bei der ersten ernsten Gefahr, ihr den Rücken zu kehren.

Politische und persönliche Konflikte stoßen jedoch nicht selten auch in die Reihen der linken Opposition erschrockene Zentristen und, was noch schlimmer ist, unbefriedigte Karrieristen. Bei Verschärfung der Repressalien oder umgekehrt in Momenten des Erfolges des offiziellen Kurses, kehren diese Elemente als Kapitulanten in die offiziellen Reihen zurück, wo sie den Chor der Parias bilden. Die Kapitulanten vom Typus Sinowjew-Pjatakow-Radek unterscheiden sich nur wenig von den KapituIanten-Menschewiki vom Typus Gromann-Suchanow oder der bürgerlichen Spezialisten vom Typus Ramsin. Bei allem Unterschied der Ausgangspositionen treffen alle drei Gruppen sich jetzt in der Anerkennung der Richtigkeit der heutigen «Generallinie», um bei der nächsten Zuspitzung der Widersprüche in verschiedene Richtungen auseinander zu stieben.

Die linke Opposition fühlt sich als Bestandteil der Armee der proletarischen Diktatur und der Weltrevolution, geht an die Aufgaben des Sowjetregimes nicht von außen heran, sondern von innen, reißt unerschrocken die falschen Masken herunter, enthüllt die wirklichen Gefahren, um mit Selbstaufopferung gegen sie zu kämpfen und dies die anderen zu lehren.

Die Erfahrung der ganzen nachleninschen Periode bezeugt den unbestreitbaren Einfluss der linken Opposition auf den Gang der Entwicklung der UdSSR. Alles, was am offiziellen Kurs schöpferisch war – und geblieben ist – war nur ein verspätetes Echo der Ideen und Parolen der linken Opposition. Der halbe Bruch des rechts-zentristischen Blocks war erzwungen durch den Druck der Bolschewiki-Leninisten. Der linke Kurs Stalins, erwachsen aus dem Bestreben, die Wurzel der linken Opposition zu untergraben, mündete in den Unsinn der Theorie und Praxis der «dritten Periode». Die Lossagung von diesem Fieberanfall, der zur direkten Katastrophe der Komintern führte, war wiederum die Folge der Kritik der Opposition. Die Macht dieser Kritik, bei der zahlenmäßigen Schwäche des linken Flügels, besteht darin, worin überhaupt die Macht des Marxismus besteht: in der Fähigkeit zu analysieren, richtige Wege vorauszusehen und zu weisen. Die Fraktion der Bolschewiki-Leninisten ist folglich schon heute einer der wichtigsten Faktoren in der Entwicklung der Theorie und Praxis des sozialistischen Aufbaus in der UdSSR und der internationalen proletarischen Revolution.

Das Lebensniveau der Arbeiter und ihre Rolle im Staate ist das höchste Kriterium der sozialistischen Erfolge

Das Proletariat ist nicht nur die grundlegende Produktivkraft, sondern auch die Klasse, auf der das Sowjetsystem und der sozialistische Aufbau beruhen. Die Diktatur kann nicht widerstandsfähig sein, wenn ihr entstelltes Regime zur politischen Farblosigkeit des Proletariats führt. Die hohen Industrialisierungstempos können nicht lange anhalten, wenn sie auf übermäßiger Anspannung beruhen, die zur physischen Abnutzung der Arbeiter führt. Ständiger Mangel an den allernotwendigsten Lebensmitteln und dauernder Alarmzustand unter der Knute der Administration gefährden den ganzen sozialistischen Aufbau. «Das Absterben der innerparteilichen Demokratie», sagt die Plattform der Opposition der UdSSR, «führt zum Absterben der Arbeiterdemokratie überhaupt, sowohl in den Gewerkschaften wie in allen übrigen parteilosen Massenorganisationen». Seit der Veröffentlichung dieser Plattform hat der Prozess weitere verheerende Fortschritte gemacht. Die Gewerkschaften sind endgültig zu Hilfsorganen der regierenden Bürokratie degradiert. Das System des administrativen Drucks unter dem Namen Stoßtrupps, ist aufgebaut, als handele es sich um einen kurzen Bergpass, nicht aber um eine große historische Epoche. Indes wird die Beendigung des Fünfjahresplanes die Sowjetwirtschaft vor einen neuen, noch steileren Aufstieg finden. Mit Hilfe der Formel «einholen, und überholen» führt die Bürokratie teils sich selbst, hauptsächlich aber die Arbeiter irre hinsichtlich der erreichten Etappe und bereitet eine scharfe Krise der Enttäuschung vor.

Die Wirtschaftspläne müssen nachgeprüft werden unter dem Gesichtspunkt der tatsächlichen systematischen Verbesserung der materiellen und kulturellen Bedingungen der Arbeiterklasse in Stadt und Land. Man muss die Gewerkschaften zu ihrer Grundaufgabe zurückführen: des kollektiven Erziehers, nicht aber der Knute. Man muss aufhören, das Proletariat in der UdSSR wie in der ganzen Welt zu betäuben durch Übertreibung des Erreichten und Herabminderung der Aufgaben und Schwierigkeiten. In den Vordergrund der gesamten Politik muss man die Frage nach der Steigerung der politischen Selbständigkeit der Proletariats stellen und seiner Selbsttätigkeit auf allen Gebieten. Die wirkliche Erreichung dieser Ziele ist undenkbar ohne Kampf gegen die übermäßigen Privilegien einzelner Gruppen und Schichten, gegen die äußerste Ungleichheit der Lebensbedingungen und vor allem – gegen die ungeheuerlichen Vorrechte und Bevorzugungen der unkontrollierten Bürokratie.

V.

Schlussfolgerungen

1. Die ökonomischen Erfolge der UdSSR, die sich den Weg gebahnt haben, trotz dem langanhaltenden Bündnis zwischen Zentristen, Rechten, Menschewiki und Schädlingen auf dem Gebiete der Planierung, stellen den größten Triumph der sozialistischen Wirtschaftsmethoden dar und einen mächtigen Faktor der Weltrevolution.

2. Die UdSSR als die Hauptfeste des Weltproletariats gegen alle Anschläge des Weltimperialismus und der inneren Konterrevolution zu schützen, ist die wichtigste Pflicht jedes klassenbewussten Arbeiters.

3. Die Krisen der ökonomischen Entwicklung der UdSSR erwachsen sowohl aus den von der Vergangenheit ererbten kapitalistischen und vorkapitalistischen Widersprüchen wie auch aus dem Widerspruch zwischen dem internationalen Charakter der modernen Produktivkräfte und dem nationalen Charakter des sozialistischen Aufbaus der UdSSR.

4. Aufgebaut auf dem Unverständnis für diesen letzteren Widerspruch erscheint die Theorie des Sozialismus in einem Lande ihrerseits als Quelle praktischer Fehler, die Krisen erzeugt oder sie vertieft.

5. Die Macht der Sowjetbürokratie hat sich entfaltet auf dem schroffen Abstieg der politischen Aktivität des Sowjetproletariats nach einer Reihe von Jahren höchster Kräfteanspannung; auf einer Reihe von Niederlagen der internationalen Revolution, auf der Stabilisierung des Kapitalismus und der Stärkung der internationalen Sozialdemokratie.

6. Der sozialistische Aufbau unter den Bedingungen der Klassenwidersprüche im Inneren und der kapitalistischen Umkreisung von außen, erfordert eine lebensfähige, weitblickende, aktive Partei als grundlegende politische Voraussetzung der Planwirtschaft und der Manövrierung der Klassen.

7. Zum Siege gelangt mit direkter Unterstützung oktoberfeindlicher sozialer Kräfte und nach Niederschlagung des revolutionär-internationalistischen Flügels der Partei, konnte indes die zentristische Bürokratie ihre Herrschaft fernerhin nur aufrechterhalten durch Maßnahmen der Unterdrückung von Parteikontrolle, Wählbarkeit und öffentlicher Meinung der Arbeitermassen.

8. Nachdem die zentristische Bürokratie die Partei erdrosselt hat, d. h. ohne Augen und Ohren geblieben ist, rückt sie tastend vor und bestimmt ihren Weg unter den unmittelbaren Stößen der Klassen, schwankend zwischen Opportunismus und Abenteurertum.

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9. Der Gang der Entwicklung hat alle wesentlichen Grundsätze der Plattform der russischen Opposition, sowohl in ihrem kritischen Teil, wie in dem der positiven Forderungen restlos bestätigt.

10. Besonders grell haben sich während der letzten Periode die Züge der drei grundlegenden Strömungen in der WKP und in der Kommunistischen Internationale abgehoben: die marxistisch-leninistische, die zentristische und die rechte. Die Tendenz des Ultraradikalismus offenbart sich entweder als Krönung eines der Zickzacks des Zentrismus oder an der Peripherie der linken Opposition.

11. Politik und Regime der zentrischen Bürokratie wurden zur Quelle schärfster und unmittelbarer Gefahren für die Diktatur des Proletariats. Der systematische Kampf gegen den regierenden Zentrismus ist der wesentlichste Teil des Kampfes für Gesundung, Festigung und Entwicklung des ersten Arbeiterstaates.

12. Das Ignorieren des materiellen Zustandes und der politischen Verfassung der Arbeiterklasse bildet den wesentlichsten Zug des bürokratischen Regimes, das mit Hilfe der Methoden des nackten Kommandos und administrativen Drucks hofft, das Reich des nationalen Sozialismus aufzubauen.

13. Die bürokratische Forcierung der Tempos von Industrialisierung und Kollektivierung, gestützt auf eine falsche theoretische Einstellung und durch das kollektive Denken der Partei nicht überprüft, bedeutet rücksichtslose Anhäufung von Disproportionen und Widersprüchen, insbesondere auf der Linie der Wechselbeziehungen zu der Weltwirtschaft.

14. Die Eigentumsverhältnisse in der UdSSR wie die politischen Wechselbeziehungen der Klassen beweisen unwiderlegbar, dass die UdSSR trotz allen Entstellungen des Sowjetregimes und trotz der unheilvollen Politik der zentristischen Bürokratie ein Arbeiterstaat bleibt.

15. Die Bourgeoisie könnte in der UdSSR nicht anders zur Macht kommen als mit Hilfe einer konterrevolutionären Umwälzung. Die proletarische Avantgarde bewahrt die Möglichkeit, die Bürokratie in die Schranken zu weisen, sie ihrer Kontrolle zu unterwerfen, die richtige Politik zu sichern und durch entschiedene und kühne Reform, Partei, Gewerkschaften und Sowjets wiederzubeleben.

16. Jedoch müssen bei Aufrechterhaltung des Stalinschen Regimes die sich im Rahmen der offiziellen Partei anhäufenden Widersprüche, besonders im Augenblick der Verschärfung der ökonomischen Schwierigkeiten unvermeidlich zur politischen Krise führen, die die Machtfrage aufs Neue in ihrem ganzen Umfange stellen kann.

17. Für das Schicksal des Sowjetregimes wird der Umstand von entscheidender Bedeutung sein, ob die proletarische Avantgarde imstande sein wird, sich rechtzeitig aufzurichten, zusammenzuschließen und dem Block der sich auf den Weltimperialismus stützenden thermidorianisch-bonapartistischen Kräfte Widerstand zu leisten.

18. Ihre Pflicht gegenüber der proletarischen Avantgarde kann die linke Opposition nur erfüllen durch ununterbrochene kritische Arbeit, durch marxistische Einschätzung der Situation, Bestimmung der richtigen Wege für die wirtschaftliche Entwicklung der UdSSR, der Wege für den Kampf des Weltproletariats, durch rechtzeitige Aufstellung lebendiger Parolen und durch unversöhnlichen Kampf gegen das plebiszitäre Regime, das die Kräfte der Arbeiterklasse fesselt.

19. Die Lösung dieser theoretischen und politischen Aufgaben ist nur unter der Bedingung denkbar, dass die russische Fraktion der Bolschewiki-Leninisten ihre Organisationen festigt, in alle wichtigen Zellen der offiziellen Partei und anderer Organisationen der Arbeiterklasse eindringt und gleiche zeitig ein untrennbarer Teil der internationalen linken Opposition bleibt.

20. Eine der unaufschiebbarsten Aufgaben besteht darin, die Erfahrung des Wirtschaftsaufbaus der UdSSR zum Gegenstand allseitigen und freien Studiums und der Diskussion innerhalb der WKP und der Komintern zu machen.

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21. Die Kriterien bei der Diskussion, Ausarbeitung und Nachprüfung der Wirtschaftsprogramme sind: a) systematische Steigerung des realen Arbeitslohns, b) Schließung der Schere der industriellen und landwirtschaftlichen Preise, d. h. Sicherung der Smytschka mit der Bauernschaft, c) Schließung der Schere der Innen- und Weltpreise, d. h. Schutz des Außenhandelsmonopols gegen den Ansturm billiger Preise, d) Steigerung der Qualität der Produktion, der die gleiche Bedeutung wie der Quantität beizumessen ist. e) Stabilisierung der inneren Kaufkraft des Tscherwonez, der noch für eine lange Periode, neben dem Planprinzip, ein notwendiges Element der Wirtschaftsregulierung bleiben wird.

22. Die administrative Jagd nach «maximalen» Tempos muss Platz machen der Ausarbeitung optimaler (vorteilhaftester) Tempos, die nicht eine zur Schau getragene Erfüllung des heutigen Befehls garantieren, sondern beständiges Anwachsen der Wirtschaft auf den Grundlagen des dynamischen Gleichgewichts, bei richtiger Verteilung der inneren Mittel und breiter planmäßiger Ausnutzung des Weltmarktes.

23. Dazu ist vor allem notwendig, sich von der falschen Perspektive der abgeschlossenen selbstgenügsamen nationalen Wirtschaftsentwicklung loszusagen, die sich aus der Theorie des Sozialismus in einem Lande ergibt.

24. Das Problem des Außenhandels der UdSSR muss als Knotenproblem gestellt werden, in der Perspektive wachsender Verbindungen mit der Weltwirtschaft.

25. Dementsprechend ist die Frage der ökonomischen Zusammenarbeit der kapitalistischen Länder mit der UdSSR zu einer der aktuellen Parolen aller Sektionen der Komintern zu machen, besonders in der Periode der Weltkrise und der Arbeitslosigkeit.

26. Die Kollektivierung der Bauernwirtschaften ist auf das Geleise der tatsächlichen Selbsttätigkeit des landwirtschaftlichen Proletariats und der Dorfarmut und ihres Bündnisses mit den Mittelbauern umzuleiten. Eine ernste und allseitige Überprüfung der Erfahrung der Kolchosen zur Aufgabe der Arbeiter und fortgeschrittenen Bauern machen. Das Staatsprogramm des Kolchosaufbaus in Einklang bringen mit den tatsächlichen Resultaten der Erfahrung und mit den gegebenen technischen und gesamtökonomischen Hilfsquellen.

27. Die, bürokratische Utopie der «Liquidierung des Kulakentums als Klasse» in zwei-drei Jahren auf der Basis des Bauerninventars ist zu verwerfen. Eine feste Politik systematischer Einschränkung der ausbeuterischen Tendenzen des Kulakentums führen. Zu diesen Zwecken die unvermeidlichen Differenzierungsprozesse sowohl innerhalb der Kolchosen wie zwischen den Kolchosen aufmerksam verfolgen, und die Kolchosen keinesfalls mit sozialistischen Unternehmungen identifizieren.

28. Aufhören sich in der Wirtschaft von Erwägungen des bürokratischen Prestiges leiten zu lassen. Nicht beschönigen, nicht verschweigen, nicht täuschen. Die heutige dem Niveau ihrer Produktivkräfte nach sehr tiefstehende, ihrer Struktur nach sehr widerspruchsvolle Übergangswirtschaft der Sowjetunion nicht als Sozialismus ausgeben.

29. Ein für allemal Schluss machen mit dem in der Praxis verderblichen und einer revolutionären Partei unwürdigen römisch-katholischen Dogma von der Unfehlbarkeit der Leitung.

30. Theorie und Praxis des Stalinismus verurteilen. Zur Theorie von Marx und zur revolutionären Methodologie von Lenin zurückkehren.

31. Die Partei als Organisation der proletarischen Avantgarde wiederaufrichten.

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Ungeachtet größter wirtschaftlicher Erfolge einerseits und äußerster Schwächung der Komintern anderseits, ist das revolutionäre spezifische Gewicht des Bolschewismus auf der politischen Weltkarte unvergleichlich bedeutender als das spezifische Gewicht der Sowjetwirtschaft auf dem Weltmarkte. Während man mit allen Mitteln die nationalisierte und kollektivierte Wirtschaft der UdSSR steigert und entfaltet, muss man zugleich die richtige Perspektive bewahren und keine Minute außer Acht lassen, dass der Sturz der Weltbourgeoisie im revolutionären Kampfe eine viel realere und unmittelbarere Aufgabe ist; als die Weltwirtschaft «einzuholen und zu überholen», ohne dabei die Grenzen der UdSSR zu übertreten.

Die gegenwärtige tiefe Krise der kapitalistischen Wirtschaft eröffnet revolutionäre Möglichkeiten vor dem Proletariat der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder. Das unvermeidliche Anwachsen der kämpferischen Aktivität der Arbeitermassen wird alle Probleme der Revolution wieder akut gestalten und der Selbstherrlichkeit der zentristischen Bürokratie den Boden entreißen. In die revolutionäre Periode wird die linke Opposition hineingehen bewaffnet mit klarem Verständnis für den zurückgelegten Weg, die begangenen Fehler, die neuen Aufgaben und Perspektiven.

Den völligen und endgültigen Ausweg aus den inneren und äußeren Widersprüchen wird die UdSSR in der Arena der siegreichen Revolution des Weltproletariats, und nur dort finden.

Den 4. April 1931.

1 Marx und Engels schrieben im „Kommunistischen Manifest“ vom „Idiotismus des Landlebens“

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