Leo Trotzki: Gedenken an einen Freund Am frischen Grab von Kote Zinzadse [Eigene Übersetzung nach dem russischen Text im Bjulleten Opposizii, Nr. 19, März 1931, verglichen mit der englischen Übersetzung] Völlig besondere Bedingungen – Zarismus, Untergrund, Gefängnis und Verbannung, der Kampf gegen die Menschewiki und, vor allem, die Erfahrung von drei Revolutionen — waren notwendig, um solche Kämpfer wie Kote Zinzadse zu erziehen. Sein Leben vereinigte sich für mehr als ein Vierteljahrhundert unauflöslich mit der Geschichte der revolutionären Bewegung. Er durchlief alle Etappen des proletarischen Aufstands – von den ersten Propagandazirkeln bis zu den Barrikaden und der Eroberung der Macht. Lange Jahre führte er die mühselige Arbeit eines Untergrundorganisators, bei der die Revolutionäre Schlingen banden, aber die Polizei sie auflöste.1 Er stand später an der Spitze der transkaukasischen Außerordentlichen Kommission, d.h. gerade im Mittelpunkt der Macht in der heroischsten Periode der proletarischen Diktatur. Als die Reaktion gegen den Oktober den Bestand und Charakter des Parteiapparats und dessen Politik veränderte, begann Kote Zinzadse als einer der ersten den Kampf gegen die neuen dem Geist des Bolschewismus feindseligen Tendenzen. Der erste Konflikt fand zur Zeit der Krankheit Lenins statt. Stalin und Ordschonikidse führten mit Unterstützung Dzierżyńskis einen Umsturz in Georgien durch und ersetzten den Kern der alten Bolschewiki durch karrieristische Tschinowniks vom Typs Eliaw, Orachelaschwili usw. Gerade in dieser Frage bereitete sich Lenin vor, gegen die Apparatfraktion Stalins einen unversöhnlichen Kampf auf dem 12. Parteitag der Partei zu führen. Am 6. März 1923 schrieb Lenin an die georgische Gruppe der alten Bolschewiki, zu deren Anregern Kote Zinzadse gehörte: „Von ganzem Herzen verfolge ich Ihre Angelegenheit. Ich bin empört über die Grobheit Ordschonikidses und über die Nachsicht von Stalin und Dzierżyński. Ich bereite für Sie Briefe und eine Rede vor.“ Der fernere Verlauf der Ereignisse ist ausreichend bekannt. Die Fraktion Stalins zerschmetterte die Fraktion Lenins im Kaukasus. Dies war der erste Sieg der Parteireaktion, die das zweite Kapitel der Revolution eröffnete. Zinzadse war tuberkulosekrank, mit Jahrzehnten revolutionärer Arbeit auf dem Rücken, wurde vom Apparat auf den Fersen verfolgt, aber er verließ nicht eine Minute den Kampfposten. in Jahr 1928 wurde er nach Bachtschyssaraj verbannt, wo Wind und Staub auf die Reste seiner Lunge tödlich wirkten. Später wurde er nach Aluschtaу überführt, wo der faule2 Winter die zerstörende Arbeit vollendete. Freunde versuchten Kote nach Suchumi, in das Sanatorium Gulripschi, zu bringen, wohin sich Zinzadse bereits einige Male zur Zeit der schwersten Verschärfung der Krankheit rettete. Ordschonikidse „versprach“ es natürlich – Ordschonikidse „versprach“ vieles und vielerlei. Aber die Verlumptheit3 seiner Natur (Grobheit steht nicht im Widerspruch zu Verlumptheit), machte ihn immer zum blinden Werkzeug in den Händen Stalins. In der damaligen Zeit, als Zinzadse bereits im buchstäblichen Sinne des Wortes mit dem Tode kämpfte, kämpfte Stalin gegen Versuche, den alten Kämpfer zu retten: Ihn nach Gulripschi, ans Ufer des Schwarzen Meeres lassen? Und auf einmal geht es ihm besser? Zwischen Batum und Konstantinopel kann eine Verbindung hergestellt werden. Nein, das darf man nicht! Der Tod Zinzadses entfernte eine der anziehendsten Gestalten des alten Bolschewismus von der Bühne. Diese Kämpfer, der nicht nur einmal dem Feinde seine Brust bot und und Feinde bestrafen konnte, war in persönlichen Beziehungen ein Mensch von außerordentlicher Weichheit. Gutmütiger Spott, ein wenig tückischer Humor verbanden sich in dem gehärteten Terroristen mit einer Zärtlichkeit, die man als beinahe weiblich bezeichnen kann. Die schwere Krankheit, die ihn nicht für eine Stunde aus ihren Krallen entließ, konnte nicht nur seine sittliche Standhaftigkeit nicht brechen, sondern auch seine immer lebensfrohe Stimmung und weiche Aufmerksamkeit zu den Menschen nicht verfinstern. Kote war kein Theoretiker. Aber sein klarer Gedanke, sein revolutionäres Gespür und seine riesige politische Erfahrung – die lebendige Erfahrung dreier Revolutionen – bewaffnete ihn besser, ernsthafter und zuverlässiger, als einen weniger Standhaften die formell aufgenommene Doktrin bewaffnet. Wie in Lear nach den Worten Shakespeares jeder Zoll König war, so war in Zinzadse jeder Zoll Revolutionär. Vielleicht zeigte sich sein Charakter am klarsten in den letzten acht Jahren des ununterbrochenen Kampfes gegen die nahende und sich festigende Herrschaft der ideenlosen Bürokratie. Zinzadse konnte organisch nichts fassen, was Abtrünnigkeit, Kapitulantentum oder Treubruch ähnelt. Er verstand die politische Bedeutung des Blocks mit Sinowjew und Kamenew. Aber moralisch vertrug er diese Gruppe nicht. Seine Briefe bezeugten in ihrer ganzen Unbefangenheit seinen Abscheu – ein anderes Wort kann man hier nicht finden – vor Oppositionellen, welche im Streben nach formeller Zugehörigkeit zur Partei die Partei betrogen, indem sie ihren Ansichten abschworen. In Nr. 114 des russischen „Bulletins“ ist ein Brief von Zinzadse an M. Okudschawa abgedruckt: ein wunderbares Dokument der Standhaftigkeit, der Klarheit des Denkens und der Unerschütterlichkeit. Zinzadse war, wie gesagt, kein Theoretiker und überließ es gerne anderen, Aufgaben der Revolution, Partei und Opposition zu formulieren. aber jedes Mal, wenn er eine falsche Note hörte, nahm er die Feder in die Hand, und keine „Autorität“ konnte ihn von Ausdrücken von Befürchtung oder Widerspruch abhalten. Das bezeugt insbesondere sein am 2. Mai vergangenen Jahres ins Ausland geschriebener und in Nummer 12-13 des Bulletins (S. 27) gedruckter Brief. Diese Praktiker, Organisator beschützte die Reinheit der Doktrin aufmerksamer und zuverlässiger als viele Theoretiker. in Briefen Kotes begegnen wir nicht selten solchen Phrasen: „eine schlechte „Einrichtung“, diese Schwankungen“. und noch: „Es ist ein Unglück mit Leuten, welche nicht zu warten verstehen“. Und erneut: „In der Einsamkeit werden nicht standhafte Leute unwahrscheinlich leicht jeder beliebigen Ansteckung ausgesetzt“. Die Stimmung der Unerschütterlichkeit durchdrang Zinzadse völlig und erhielt seine schwach werdende physische Energie aufrecht. Er erlebte auch seine Krankheit als revolutionäres Duell. Nach dem Ausdruck eines seiner Briefe löste er im Kampf mit dem Tod die Frage: wer wen: „Bislang ist der Vorteil auf meiner Seite“, fügte er mit seinem ihn niemals verlassenden Optimismus einige Monate vor dem Tod hinzu. Im Sommer des Jahres 1928 schrieb Kote, indem er mittelbar sich selbst, d.h. seine Krankheit berührte, dem Autor dieser Zeilen aus Bachtschyssaraj: „… viele und viele unserer Genossen und uns nahestehenden Menschen erwartet das undankbare Schicksal, vom Leben irgendwo im Gefängnis oder in der Verbannung Abschied zu nehmen, aber alles das wird im Endergebnis eine Bereicherung der revolutionären Geschichte sein, aus welcher neue Generationen lernen werden. Die proletarische Jugend, die sich mit dem Kampf der bolschewistischen Opposition gegen den opportunistischen Flügel der Partei bekannt macht, wird verstehen, auf wessen Seite die Wahrheit ist“ … Diese einfachen und zur gleichen Zeit großen Wort konnte Zinzadse nur in einem sehr intimen Brief an einen Freund niederschreiben. Jetzt, wo der Autor nicht mehr lebendig ist, können und müssen diese Zeilen veröffentlicht werden. Sie resümieren das Leben und die Moral eines Revolutionärs von großer Härtung5. Sie müssen gerade dazu veröffentlicht werden, denn die Jugend kann nicht nur aus theoretischen Formeln, sondern auch aus persönlichen Beispielen revolutionärer Standhaftigkeit lernen. Westliche kommunistische Partei haben noch keine Kämpfer vom Typ Zinzadses erzogen. Dies ist ihre Hauptschwäche, welche durch historische Ursachen bestimmt wird, aber dadurch nicht aufhört, eine Schwäche zu sein. Die Linke Opposition der westlichen Länder bildet in dieser Beziehung keine Ausnahme – und davon muss man sich klar Rechenschaft ablegen. Gerade die oppositionelle Jugend kann und muss das Beispiel Zinzadses vieles und vielerlei lehren. Zinzadse war die lebende Verneinung und Missbilligung aller und jeder Arten von politischem Karrierismus, d.h. der Fähigkeit, Prinzipien, Ideen, Aufgaben des Ganzen6 im Namen persönlicher Ziele zu opfern. Dies bedeutet ganz und gar nicht eine Verneinung von berechtigtem revolutionären Ehrgeiz. Nein, politische Ambitionen sind eine bedeutende Sprungfeder7 des Kampfes. Aber der Revolutionär beginnt da, wo die persönliche Ambition vollständig und völlig im Dienst einer größeren Idee steht, sich ihr frei unterwirft und mit ihr verschmilzt. Das Flirten mit Ideen, das Fechten mit revolutionären Formeln, das Auswechseln der eigenen Positionen nach Erwägungen persönlicher Karriere – das hat Zinzadse erbarmungslos verurteilt in seinem Leben und in seinem Tod. Die Ambition Kotes war eine Ambition unerschütterlicher revolutionärer Zuverlässigkeit. Dies muss die proletarische Jugend bei ihm lernen. 1In der englischen Übersetzung: „in der Zeit, als die Revolutionäre im Netz der Polizei gefangen wurden, widmete er sich der Aufgabe, sie loszubinden“ 2In der englischen Übersetzung: „regnerische“ 3In der englischen Übersetzung: „Feigheit“ 4In der englischen Übersetzung: „2“ 5In der englischen Übersetzung: „hoher Ordnung“ 6In der englischen Übersetzung: „Sache“ 7In der englischen Übersetzung: „Kraft“ |
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