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Leo Trotzki 19310307 Brief an die bulgarische Gruppe „Oswoboschdenije“

Leo Trotzki: Brief an die bulgarische Gruppe „Oswoboschdenije“

[eigene Übersetzung nach dem russischen Text]

7. März 1931

An die Gruppe „Oswoboschdenije“ [Befreiung].

Werte Genossen!

ich erhielt Ihre Postkarte vom 1. März, die sich nach unserer „Katastrophe“ erkundigt. Sie ist sehr groß, aber dennoch nicht so fürchterlich, wie es manche Zeitungen berichteten. Zuallererst werden die vollständigsten Archivdokumente außerhalb der Türkei aufbewahrt, manche sogar in zwei Kopien. Jener Teil der Archive, welcher mir für die laufenden Arbeiten nötig ist, verbrannte nicht. Gerettet sind auch die Manuskripte des zweiten Bandes der „Geschichte der russischen Revolution“, welcher von mir zum Druck vorbereitet wird. Alles übrige verbrannte. Darunter: Materialien, Zeitungsausschnitte, Notizen für ein Buch über die Weltlage, für ein Buch über die politische Charakteristik und teilweise für Bücher über Lenin und über die Rote Armee. Um diese Materialien wiederherzustellen, ist eine sehr große Arbeit notwendig: man muss eine große Zahl Bücher, alte Zeitung usw. usf. erneut lesen. Diese Arbeit ist nur teilweise durchführbar. Es verbrannte auch die ganze Bibliothek und aller sogenannter „Besitz“, einschließlich sogar solcher Dinge wie Stifte, Uhren und Schreibmaschine. Jetzt leben wir in einem Biwak und suchen eine Wohnung. Wie Ihnen der gegenwärtige Brief zeigt, wurde die Korrespondenz bereits erneuert, teilweise wiederbelebt wurde auch die ständige Arbeit. Das „Testament“ Lenins hoffen wir Ihnen zu senden, wenn wir unsere Mappen auswerten. Bisher sind sie zu einem Haufen zusammengeworfen.

Ich lenke sehr beharrlich die Aufmerksamkeit Ihrer Gruppe auf die Lage der Angelegenheiten in unserer internationalen Organisation. Die bulgarischen Marxisten hatten immer – im äußersten Maße der linke Flügel – die starke Seite, dass sie sich lebhaft und aktiv für internationale Probleme interessierten. Die lebende Verkörperung des bulgarischen Internationalismus ist Rakowski. Eine der Aufgaben der Gruppe „Oswoboschdenije“ ist, die internationalen Interessen der bulgarischen Kommunisten wiederzubeleben und zu vertiefen. Dies muss zuallererst die Form einer aktiven Beteiligung der Gruppe „Oswoboschdenije“ selbst am Ideen- und organisatorischen Leben der internationalen linken Opposition annehmen.

Die Krise in Frankreich wurde in dem Sinne gelöst, dass die Gruppe Molinier-Mill, die immer in der Gewerkschaftsfrage eine richtigere Position einnahm, in der zentralen, Pariser Gruppe eine Mehrheit von 5/6 sammelte und in ihren Händen die ganze Exekutivkommission und Redaktion der „Vérité“ konzentrierte. Die Gruppe des Genossen Gourget, die an einer syndikalistischen, richtiger einer trade-unionistischen Krankheit in schwerer Form leidet, ist in der Liga sehr schwach, hat aber Rückhalt in der Unitären Opposition innerhalb der Gewerkschaften. Die Gruppe Naville, zu der einige fähige Literaten mit bestimmter theoretischer Vorbereitung gehören, nimmt keine Position ein, manövriert, kombiniert und unterstützt in der Tat die Gruppe Gourget gegen die marxistische Mehrheit der Liga.

Sie wissen selbstverständlich, dass Naville, als sich das vollständige Scheitern seiner Politik, besonders in der Gewerkschaftsfrage, zeigte, auf eigene Initiative den Rücktritt aus dem Internationalen Sekretariat einreichte. Ihm blieb auch nichts anderes, weil er den Rückhalt in der französischen Liga einbüßte. Die Exekutivkommission stellte für diesen Platz die Kandidatur eines anderen französischen Genossen, Frank, auf, der in der Liga eine große Rolle spielte. Formell besteht das Sekretariat nicht aus offiziellen Vertretern der nationalen Sektionen. Aber dem Wesen nach muss das französische Mitglied des Internationalen Sekretariats natürlich Rückhalt in seiner Organisation haben, ansonsten wird keine Arbeit herauskommen. Deshalb war das Ersetzen Navilles durch Frank unter den gegebenen Bedingungen vollkommen unausbleiblich und durchaus zweckmäßig. Ich halte mich dabei auf, weil in der nächsten Zeit die Frage der Bestätigung Franks als Mitglied des internationalen Sekretariats zur Abstimmung durch alle nationalen Sektionen gestellt wird.

Falls Sie in Paris einen ernsthaften und zuverlässigen Gleichgesinnten hätten, sollten sie diesem mit dem Sekretariat verbinden. Er würde Sie immer in den Angelegenheiten auf dem Laufenden halten. Im folgenden Stadium könnte er ins Sekretariat eintreten, selbstverständlich unter der Bedingung, dass er ein durchaus zuverlässiger Genosse ist.

Die Krise der deutschen Opposition befindet sich in einem anfänglicheren Stadium. Alles Wesentlichste aus diesem Anlass ist in dem Zirkularbrief gesagt, dessen Kopie ich Ihnen sandte. Landau und Naville repräsentieren zwei Varianten eines und denselben Typs: Intellektuellen-Journalisten, die leicht prinzipielle Fragen fassen, sie schnell auf dem Papier formulieren, aber vollkommen der Erfahrung proletarischer Organisationen entbehren.

Beiden fehlt mehr als alles ein Gefühl revolutionärer Verantwortung. Erzogen in unbedeutenden Zirkeln, wo alles auf persönlichen Verbindungen, auf Freundschaft, Sympathien usw. beruht, übertragen sie diese Gebräuche auf die proletarische Organisation, was ein Regime der Vetternwirtschaft schafft: die gröbsten prinzipiellen Fehler werden verziehen, falls sie von den eigenen Leuten vollführt werden; umgekehrt, falls das nicht die „eigenen“ sind, d.h. sie nicht zum engen Zirkel gehören, suchen sie bei ihnen sorgfältig den Splitter im Auge. Verschiedene Versuche, diese Genossen zu drängen, von Methoden des Intellektuellenzirkels zu Methoden der revolutionären Organisation überzugehen, werden von ihnen als Anschlag auf ihre „Individualität“ wahrgenommen. Im Kampfe für seine Gruppe ging Landau sehr weit und befindet sich jetzt im Zustand offenen Bürgerkriegs mit der Mehrheit der deutschen linken Opposition, besonders mit der Leipziger Organisation, die sehr aktiv und nach der Zusammensetzung rein proletarisch ist. Aus den Reihen dieser Organisation wurde die Losung des Ausschlusses Landaus aufgestellt. Sie wissen aus meinem Zirkularbrief, dass ich mich dagegen aussprach. Die Bürokratie der Komintern brachte die Unsitte auch in die Reihen der Opposition, und erzog sie, alle Konflikte mechanisch zu lösen. Auf diesem Wege übertrumpfte Landau in vieler Beziehung die Stalinisten. Aber es wäre falsch, ihm mit denselben Methoden zu antworten. Die Sache geht hier nicht um Landau selbst, sondern um die politische Erziehung der ganzen Organisation. Es ist nötig ein Regime der Loyalität zu errichten. Ohne das kann die Organisation weder leben noch sich entfalten. Man muss hinzufügen, das stimmt, dass Landau um so viel zu weit ging, dass es sein kann, dass er sich bereits die Möglichkeit eines Rückzugs entzog. Das ist die Meinung einer Reihe deutscher leitender oppositionellen Arbeiter. Wir werden sehen. In jedem Fall, sogar falls die fernere Entwicklung der Krise in Deutschland die Absplitterung der Gruppe Landau bewirken würde, müsste die Verantwortung völlig bei dieser Gruppe liegen.

Sie fragen in Ihrem Brief nach meinem Gesundheitszustand: er ist nicht schlechter als immer. Zeitungsberichte in dieser Hinsicht sind nicht wahr.

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