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Leo Trotzki 19310313 Brief an Alfonso Leonetti

Leo Trotzki: Brief an Alfonso Leonetti

13. März 1931

[Eigene Übersetzung nach der englischen Übersetzung in Writing of Leon Trotsky, Band 13. Supplement (1929-1933), New York 1979, S. 75 f., dort unter dem Titel: "To Preserve Our Politics from Degeneration”, „Um unsere Politik vor der Degeneration zu bewahren"]

Werter Genosse Torino:

Vielen Dank für Ihren freundlichen Brief bezüglich unserer philiströsen „Katastrophe". Die Situation ist sehr besorgniserregend, aber im Laufe einiger Monate könnte sie, so hoffe ich, korrigiert werden – abgesehen von einigen unwiederbringlichen Verlusten.

Sogar die Position der Liga, obwohl durch die Politik des Naville-Gourget-Blocks gründlich kompromittiert, könnte wiederhergestellt werden, wenn der Wille dazu vorhanden wäre. Leider fügt Naville nur schlechte Gefühle hinzu. Sein letzter Brief zeigt mir, dass er nichts gelernt hat. Im Gegenteil, er ist mehr Souvarinist, mehr Antimarxist als je zuvor. Ich antworte ihm vorläufig nicht, um ihm nicht allzu bittere Wahrheiten sagen zu müssen, denn trotz allem will ich die Hoffnung nicht aufgeben.

In Ihren letzten Briefen haben Sie mich auf die Fehler von La Vérité aufmerksam gemacht. Einige von ihnen sind real, einige sind übertrieben, einige sind imaginär. Ich wäre durchaus bereit, jeden der Fehler von La Vérité mit Ihnen zu analysieren. Aber was diese Analyse für mich sehr schwierig macht, ist, dass sie nur auf dem gemeinsamen Boden des Marxismus konstruktiv sein könnte. Nehmen Sie zum Beispiel die Gewerkschaftsfrage. Nun, Gourget ist ein bekennender Syndikalist und Nicht-Marxist, und Naville ist nur sein journalistischer Leutnant. Ich habe das Protokoll der Exekutivkomitee-Sitzung mit Gourget und Co. gelesen. Das hätte mir gereicht, selbst wenn ich nicht alles wüsste, was vorher vorgefallen war, und selbst wenn ich nicht über ein Jahr lang versucht hätte, Gourget und Naville für die marxistische Konzeption zu gewinnen. Den Gourgetismus zu tolerieren, hieße zuzulassen, dass sich in der Liga Knochenfäule bildet. Glauben Sie, dass wir mit Tomski gebrochen haben, um uns mit den französischen Syndikalisten zu verbrüdern? Oh nein!

Die elementare Pflicht der Marxisten in der Liga und in der Internationalen Opposition ist es, Gourget zu sagen, dass seine Theorie, wie seine Praxis, einem Verrat am Marxismus gleichkommt und dass eine große Kluft ihn von uns trennt. Das ist vielleicht die letzte Hoffnung, Gourget selbst und seine Gruppe noch zu retten. Aber das ist unsere zweitrangige Sorge. Die erste Sorge ist, unsere Politik vor der Degeneration zu bewahren, deren gefährlichste Form in Frankreich der „gutmütige" Syndikalismus ist. Das IS sollte dazu eine einstimmige Erklärung abgeben. Alles, was Sie mir über die Fehler von La Vérité gesagt haben, ist unvergleichlich weniger wichtig als die Verbrechen von Gourget und die Fehler von Naville.

Übrigens werde ich mich mit Molinier – er sollte in ein oder zwei Tagen kommen – über alle Fragen unterhalten, die Sie in Ihren letzten Briefen aufgeworfen haben.

Ich lasse die deutsche Frage beiseite, die nicht weniger wichtig ist. Auch hier ist die Position von Naville zweideutig. Es ist allgemein bekannt, dass er hinter den Kulissen mit Landau marschiert. Aber er wagt es nicht, offen für seinen Verbündeten zu sprechen. Ist das eine revolutionäre Haltung?

Zweifellos wird Naville im letzten Moment, wenn die verworrene Leere von Landaus Politik sich der Welt gezeigt hat, für die endgültige Resolution stimmen. Leider, ein solches Vorgehen zeugt nicht von einem revolutionären Charakter.

Meinen Dank und meine aufrichtigsten Grüße.

Ihr,

L. Trotzki

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