Leo Trotzki: Offener Brief an alle Mitglieder des Leninbundes [eigene Übersetzung nach dem russischen Text im Bulletin der Opposition, Nr. 9, Februar 1930, verglichen mit der englischen Übersetzung] Werte Genossen! Aus dem Zirkularbrief des Vorstands des Leninbundes vom 29. Januar 1930 ist es klar, dass die für den 23. Februar 1930 einberufene Konferenz des Leninbundes die Aufgabe hat, die Spaltung durch Ausschluss der marxistischen Opposition zu erledigen. So charakterisiert der Vorstand des Leninbundes selbst die Aufgabe. Ich lasse persönliche und organisatorische Streitigkeiten und Anschuldigungen völlig beiseite. Sie haben natürlich ihre Bedeutung im Leben einer Organisation. Aber die Frage der Einheit oder Spaltung entscheidet sich nicht durch sie, sondern durch prinzipielle theoretische und politische Meinungsverschiedenheiten. Die Einheit einer Organisation ist nicht immer und unter allen Bedingungen heilig. In den Fällen, in denen Meinungsverschiedenheiten größere Tiefen erreicht haben, kann die Spaltung der einzige Ausweg aus der Lage sein. Man muss nur dafür sorgen, dass es eine ehrliche Spaltung ist, d.h. dass sie entlang der Linien der prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten verläuft und dass diese Linie allen Mitglieder der Organisation klar ist. Unter diesem Blickwinkel muss man sagen, dass die Zirkularbriefe des Vorstands des Leninbundes vom 20. und 29. Januar nicht nur die Spaltung vorbereiten, sondern dies auch in der gefährlichsten und schädlichsten Form tun, indem sie Fragen von Klatsch in den Vordergrund schieben und die grundlegenden Unterschiede durch falsche Informationen verzerren. Ich werde versuchen, das zu zeigen. Hat die Urbahns-Fraktion Gleichgesinnte? Die Ausgangs-Meinungsverschiedenheit ist die Meinungsverschiedenheit über den Klassencharakter der Sowjetunion. Diese Frage ist nicht national, sondern international. Es gibt keine revolutionäre Organisation und kann keine geben, die diese Frage nicht für sich entscheiden und alle notwendigen „inländischen" Schlussfolgerungen ziehen würde. Es kann keine richtige nationale Politik ohne die Lösung dieser internationalen Frage geben. Der Vorstand des Leninbundes behauptet in seinem Zirkularbrief, dass Urbahns Blickwinkel auf den „Klassencharakter Sowjetrusslands" von folgenden Organisationen geteilt werde: „Der Mehrheit der belgischen Opposition, der Treint-Gruppe und der französischen Contre Le Courant, der tschechischen Gruppe und dem Großteil der amerikanischen Opposition. Diese falsche Behauptung ist auf die Unwissenheit der Mitglieder des Leninbundes berechnet und soll sie auf schwere Abwege führen. Jede lokale Organisation des Leninbundes kann diese Frage überprüfen: Wenden Sie sich einfach mit einem Brief an alle oben aufgezählten Gruppen. Der Vorstand der belgischen Opposition veröffentlichte nicht wenige fehlerhafte Artikel über die ostchinesische Bahn. Aber er grenzt sich entschieden vom Vorstand des Leninbundes in der Frage des Klassencharakter der Sowjetunion ab. Dies gibt das Recht, den Fehler der Brüsseler Genossen als partiell und episodisch zu betrachten. Solche Fehler sind bei der Arbeit unvermeidlich. Wegen solcher partieller Fehler zu brechen, wäre ein Verbrechen. Brüche werden unvermeidlich, wenn partielle Abweichungen sich in eine falsche prinzipielle Position verwandeln. In der Frage des Klassencharakters der Sowjetunion besteht zwischen dem Vorstand des Leninbundes und dem Vorstand der belgischen Opposition ein unversöhnlicher Widerspruch. Wendet Sie sich an Brüssel, Genossen, und überprüfen Sie es! Zwei kleine französische Gruppen, Treint und Contre Le Courant, standen bisher, zumindest formell, in den wichtigsten Fragen auf dem Standpunkt der russischen Opposition. Mir ist nicht ein Dokument bekannt, in dem sie sich in der Frage des Klassencharakters der Sowjetunion mit Urbahns solidarisieren würden. Vielleicht haben sie ihre Ansichten in der jüngsten Vergangenheit geändert? Ich weiß es nicht. Wie auch immer, in jedem Fall würden Sie nicht nur sich selbst, sondern auch den Gruppen Treint und Paz einen großen Dienst erweisen, wenn Sie sie fragen würden: was denken sie vom Klassencharakter der Sowjetunion im Februar 1930? Unter dem Namen der „tschechischen Gruppe" ist im Zirkular offenbar die Rede von einer kleinen Gruppe von Prager Studenten, die, soweit ich weiß, keine Verbindung mit der Arbeiterbewegung haben. Diese Gruppe veröffentlicht nichts. Ich räume nach ihrem ganzen Auftreten ein, dass sie wirklich auf dem Standpunkt von Urbahns steht. Eine völlige Erfindung ist jedoch die Behauptung des Zirkulars über die amerikanische Opposition. Wie ihre Wochenzeitung „Militant", eines der besten kommunistischen Organe, bezeugt, hat die amerikanische Kommunistische Liga nichts mit dem Blickwinkel von Urbahns gemeinsam. Nach diesem Bild steht in der Hauptstreitfrage der Vorstand des Leninbundes, abgesehen von einer kleinen Gruppe von Prager Studenten, völlig allein da. Und kein Wunder! Urbahns entwickelte und vertiefte seinen Fehler und gab in seinen neuesten Artikeln eine neue Staatstheorie im Allgemeinen, die nichts mit Marx' Theorie zu tun hat und sich von der idealistisch-demokratischen Theorie nur durch die Phraseologie unterscheidet. Vergessen Sie nicht die internationale Opposition! Beide Zirkulare versuchen, die Lage der Dinge in der Opposition so darzustellen: „Wer die Ansichten des Genossen Trotzki nicht teilt, gehört nicht zur Leninschen Opposition.“ Diesen unwürdige Trick braucht man, um die Isolation des Vorstands des Leninbundes zu verdecken. In der Tat: Warum spricht Genosse Urbahns von „der Meinung des Genossen Trotzki"? Die russische Opposition hat eine Plattform, an deren Entwicklung Hunderte von Genossen direkt beteiligt waren, und im Kampf für sie waren Tausende Genossen Ausschlüssen, Verhaftungen, Verbannungen – bis hin zu Erschießungen – ausgesetzt. In diesem Zusammenhang von Trotzkis persönlichen Ansichten zu sprechen, bedeutet, eine empörende Unaufmerksamkeit und Respektlosigkeit für den Kampf der russischen Opposition zu zeigen. Der Vorstand des Leninbundes will weiterhin die Gruppe „La Vérité“ nicht sehen, die eine politische Wochenzeitung und eine theoretische Monatszeitschrift, La Lutte de Classes, in Frankreich herausgibt. Man muss blind sein, um nicht zu verstehen, dass diese Gruppe bereits zum Kern geworden ist, um den sich die echte linke kommunistische Opposition in Frankreich vereint. Die Amerikanische Kommunistische Liga stellt eine der besten und am schnellsten wachsenden Trupps der Opposition dar. Der Vorstand des Leninbundes ignoriert sie. Es kann keinen Zweifel geben, dass die belgische Opposition in ihrer Gesamtheit trotz der in ihrem Umfeld entstandenen Meinungsverschiedenheiten nicht zögern wird, zwischen der internationalen Opposition und der Urbahns-Gruppe zu wählen. Der Vorstand des Leninbundes verschließt die Augen vor den Fakten und lullt sich und andere mit leeren Hoffnungen ein. Alle drei Gruppen der österreichischen Opposition verhalten sich scharf negativ zur Plattform des Leninbundes, besondere zu dessen Sicht auf den Klassencharakter des Sowjetstaates. Die linke tschechische Opposition (die Gruppe des Genossen Lenorovic), die unter den Arbeitern arbeitet und die Herausgabe einer Zeitung in Angriff nimmt, teilt in allen wichtigen Fragen den Blickwinkel der internationalen Opposition. Ebenfalls unnachgiebig entgegengesetzt zu den Ansichten Urbahns' ist die chinesische Opposition. Schließlich hat der Vorstand des Leninbundes keinen Grund, auf die Unterstützung der italienischen Opposition, der spanischen, ungarischen usw. zu hoffen. Dies ist die wirkliche Lage der Dinge: die internationale Opposition auf der einen Seite, die rein nationale Gruppe Urbahns' auf der anderen Seite. Der Block von Urbahns, Treint und Paz Wenn sich der Vorstand des Leninbundes noch auf irgendwelche ausländischen Gruppen stützen kann, dann bis zu einem gewissen Grade auf die Gruppen Treint und Paz. Aber haben sie eine prinzipielle Übereinstimmung in einer einzigen Frage erreicht? Mögen sie darüber offen sprechen. Urbahns steht für eine unabhängige Partei. Das ist seine Hauptidee. Treint und Paz waren bisher dagegen. Haben sie sich geeinigt? Auf was genau? Urbahns trat erneut bei den Kommunalwahlen mit „unabhängigen" Kandidaten gegen die Kandidaten der Kommunistischen Partei an. Das Resultat? Eine weitere Schwächung des Leninbundes. Bei Urbahns entspringt diese selbstmörderische Politik der Idee einer zweiten Partei. Stimmen ihm Treint und Paz zu? Mögen sie es sagen. Oder vielleicht interessieren sich diese Internationalisten nicht für Deutschland. Wie steht die Sache in der Gewerkschaftsfrage? Paz steht für die „Autonomie" der Gewerkschaften, leugnet aber im Unterschied zu Monatte nicht die Notwendigkeit einer kommunistischen Partei. Dies ist die alte diplomatische, in ihrem Kern opportunistische Position des Jaurèsismus, gegen die die Marxisten einen unversöhnlichen Kampf führten und weiterhin führen werden. Schließt sich Urbahns dem Prinzip der Gewerkschafts„autonomie" in seiner jaurèsistischen Interpretation an? Oder denkt Urbahns vielleicht, dass ihn Frankreich nicht schert? Oder schließen sich auf der anderen Seite Treint und Paz Urbahns' Block mit den Brandlerianern in den Gewerkschaften gegen die Kommunistische Partei an? Oder denken Treint und Paz vielleicht, dass sie Hamburg nicht schert? Was verhält sich Urbahns zu Paz' berührender Romanze mit den elsässischen National- „Kommunisten"? Oder schert sich Urbahns nicht um das Elsass, nachdem es an Frankreich gegangen ist? Worüber sind sich die drei Gruppen einig? Nur im Kampf gegen die russische Opposition. Sie alle verurteilten Rakowskis Erklärung. Sie sind zu revolutionär für einen solchen „Kompromiss". Natürlich! Sie erkennen die Politik der Einheitsfront in Beziehung auf Sozialdemokratie, reformistische Gewerkschaften, Brandlerianer, elsässische Nationalisten an. Aber sie halten die Politik der Einheitsfront für unannehmbar in Beziehung auf die offiziellen kommunistischen Parteien. In der Tat: Wenn man an die Erklärung Rakowskis nicht lyrisch oder1 demagogisch, sondern politisch herantritt, dann ist das nichts anderes als die Anwendung einer Einheitsfrontpolitik in Beziehung auf die WKP durch die Opposition. Urbahns Position in dieser Frage erklärt sich aus seinem Kurs auf eine zweite Partei. Und wie erklärt sich die Position von Treint und Paz? Nichts als Verwirrung und Prinzipienlosigkeit. In einem Wort, überall und in allem Schweigen, Diplomatie, Zweideutigkeit und Ambiguität. Die neuen Verbündeten wagen es nicht, an eine einzige Frage ernsthaft heranzutreten, um ihr neues, auf Sand gebautes Bündnis nicht zu erschüttern. Das ist ein ideologischer Abenteurer. Das war nie erfolgreich und wird es auch nie sein. Nötig ist eine internationale Vereinigung der Opposition Der Vorstand des Leninbundes schloss vor einigen Monaten die Genossen Grylewicz und Joko aus seinen Reihen aus, die die Ansichten der internationalen Opposition vertreten. Dadurch hat die Gruppe Urbahns' bereits gezeigt, dass sie nicht Hand in Hand mit der internationalen Opposition arbeiten will. Denn es ist klar, dass wir nicht zwei Arten von Ansichten zulassen können: für den internen und externen Gebrauch. Eine solche Dualität charakterisiert die Opportunisten, insbesondere die Brandlerianer. Ihr „Internationalismus" stellt sich bekanntlich dar als die arithmetische Summe der nationalen Opportunismen. Damit haben wir nichts zu tun. Unsere internationale Orientierung und unsere nationale Politik sind untrennbar miteinander verbunden. Die Opposition muss daher auf ihren ersten Schritten als internationale Fraktion handeln, wie die Kommunisten in der Epoche der Veröffentlichung des Manifests der Kommunistischen Partei oder der Ersten Internationale2 oder wie die Zimmerwalder Linke seit Beginn des Krieges handelten. In all diesen Fällen ging es in hohem Maße um kleine Gruppen und sogar Einzelpersonen; aber sie handelten nichtsdestotrotz als internationale Organisation. In der Epoche des Imperialismus drängt sich eine solche Position hundertmal gebieterischer auf als in der Epoche von Marx. Wer glaubt, dass sich die internationale Linke eines Tages als einfache Summe von nationalen Gruppen bilden wird und dass daher der internationale Zusammenschluss auf unbestimmte Zeit verschoben werden kann, während sich die nationalen Gruppen „verstärken", der räumt dem internationalen Faktor eine untergeordnete Bedeutung ein und betritt damit den Weg des nationalen Opportunismus. Jedes Land hat zweifellos seine sehr bedeutenden Besonderheiten, aber diese Besonderheiten können in unserer Zeit nur mit einem internationalen Blickwinkel bewertet und revolutionär ausgenutzt werden. Träger einer internationalen Ideologie kann nur eine internationale Organisation sein. Kann man in der Tat darauf rechnen, dass einzelne nationale Oppositionsgruppen, verstreut und sich selbst überlassen, mit ihren eigenen Kräften den richtigen Weg finden können? Nein, dies ist der wahre Weg zur nationalen Degeneration, zum Sektierertum, zum Untergang. Die Aufgaben, vor denen die internationale Opposition steht, stellen gigantische Herausforderungen dar. Nur in einer untrennbaren Verbindung zueinander, nur durch das Erarbeiten mit gemeinsamen Kräften von Antworten auf alle aktuellen Fragen, nur durch die Schaffung einer internationalen Plattform, nur durch die wechselseitige Überprüfung jedes Schritts, d.h. nur durch die Vereinigung zu einem internationalen Ganzen können die nationalen Gruppen der Opposition ihre historische Aufgabe erfüllen. Das gilt ausnahmslos für alle Gruppen ohne Ausnahme, aber vor allem für die russische Opposition. Die Epidemie der Kapitulanten erfasst im vergangenen Jahr bedeutende Kreise der russischen Opposition gerade deshalb, und nur deshalb, weil sie von der Opposition anderer Länder abgeschnitten waren, das Leben der Komintern als Ganzes nicht sahen, sich nicht in ihre Aufgaben hineindachten und es sich daher leicht machten, sich über den linken Zickzack der Stalinisten in den inneren Fragen der UdSSR zu täuschen. Die linke Opposition hat bereits genug Zeit versäumt. Die verderbliche Entwicklung des Leninbundes, die Fehler einiger nationaler Gruppen, das Auf-der-Stelle-Treten und die Stagnation anderer sind in einem riesigen, man kann sagen, entscheidenden Ausmaß das Ergebnis nationaler Uneinigkeit und handwerklicher Methoden des politischen Handelns. Wenn die linke kommunistische Opposition nicht schmählich im Nichts enden will, muss sie abwartende Stimmungen beiseite legen und ihre internationalen Reihen eng zusammenschließen. Wahrer und falscher Internationalismus Die Brandlerianer prahlen damit, dass sie mit keiner der russischen Gruppen einverstanden sind. Was bedeutet das? Eine revolutionäre Organisation, die mit keiner der bestehenden russischen Gruppen einverstanden ist, ist verpflichtet, eine neue russische Gruppe zu gründen, die die richtige Linie in der Sowjetunion durchführt. Im anderen Fall müsste man einfach „Neutralität" in Bezug auf die Oktoberrevolution erklären. Das Gleiche gilt für jedes andere Land. Kommunismus kann nur international sein, sonst ist er kein Kommunismus. Wie verhält es sich in dieser Sache mit dem Vorstand des Leninbundes? Ist er solidarisch mit einer der russischen Fraktionen? Die Rede ist natürlich nicht von einem mechanischen Monolithismus, sondern von Solidarität in grundlegenden Fragen. Wir wissen nichts darüber. Dies ist natürlich eine zweitrangige Frage für Urbahns, ebenso wie alle Fragen der internationalen Bewegung im Allgemeinen. Die Fraktion von Urbahns, die im Innern Anhänger der internationalen Opposition aus ihren Reihen ausschließt, ist zur gleichen Zeit bereit, sich in der internationalen Arena mit allen „linken" Gruppen zu vereinen, unter der Voraussetzung natürlich, dass sie sich nicht in ihre nationale Politik einmischen. Die Verbündeten von Urbahns, Treint und Paz, die ihren „nationalen" Bankrott vorausahnen, träumen in ihrem skrupellosen Kampf gegen die „Vérité" von einer solchen internationalen Vereinigung, in die alle eintreten können: sowohl die, die für Tschiang Kaischek sind, als auch die, die für die Sowjetrepublik sind, sowohl die, die die „Autonomie" der Gewerkschaften vor dem Kommunismus3 retten, als auch die, die für den Einfluss des Kommunismus auf die Gewerkschaften kämpfen, sowohl die, die für eine Einheitsfront mit den Rechten gegen die offizielle Partei stehen, als auch die, die eine Einheitsfront mit der offiziellen Partei gegen die Rechten fordern. Dieses Programm eines makedonischen4 Salats wird unter der Losung der „Parteidemokratie" vertreten. Kann man eine üblere Verhöhnung der Parteidemokratie erfinden? Man muss es geradeheraus sagen: Unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den Bürokratismus der Dritten Internationale wird versuch, die Tendenzen und Methoden der Zweiten Internationale in die Opposition zu schleppen. Der Bürokratismus der Komintern fiel nicht vom Himmel: er hat hat bestimmte Klassengründe. Die Komintern befindet sich in Abhängigkeit vom inneren Kampf der Klassen. Theoretisch drückt sich dies in einem Widerspruch zwischen der Theorie des Sozialismus in einem einzelnen Lande und den Existenzgrundlagen der Komintern selbst aus. Gewisse National-Kommunisten, die sich einbilden, linke Kommunisten zu sein, übertragen auf die russische Opposition die Merkmale, die den regierenden Zentrismus kennzeichnen: „Wir wollen“, sagen sie, „weder die einen noch die anderen.“ Mit anderen Worten, klassen- und ideologische Kriterien ersetzen sie durch nationale. Dahinter verbergen sich meistens die kleinen Zirkelambitionen von Intellektuellen, die ihre kostbare „Autonomie" vor den Gefahren schützen, die ihr drohen von … der russischen Opposition. Oft verbindet sich das einfach mit feigem Chauvinismus. Auf diesem Wege werden in unsere Reihen Ideen und Stimmungen der 2. Internationale gebracht. Es ist klar, dass mit dieser Schmuggelware für uns nur unversöhnlicher Kampf möglich ist. Man muss wählen Wir stehen nicht für Demokratie im Allgemeinen, sondern für zentralistische Demokratie: Deshalb stellen wir die nationale Führung über die lokale und die internationale über die nationale. Eine revolutionäre Partei hat nichts mit einem Diskussionsclub gemeinsam, in den man kommt, wie in ein Café (Souvarines großartige Idee). Die Partei ist eine Organisation des Handelns. Für die Einmütigkeit der Partei wird auf demokratischem Wege gesorgt, aber die Ideengrenzen5 der Partei müssen streng bestimmt werden. Umso mehr, wenn die Rede von einer Fraktion ist. Wir sollten nicht vergessen, dass wir keine Partei, sondern eine Fraktion sind, d.h. die engste und festgefügteste Auswahl Gleichgesinnter zur Beeinflussung der Partei und anderer Organisationen der Arbeiterklasse. Es ist monströs und lächerlich zu fordern, dass die internationale Opposition zur Summe aller nationalen Gruppen und Grüppchen wird, die unzufrieden, gekränkt sind, protestieren und nicht wissen, was sie wollen. Nein, wir sind eine bestimmte Ideenströmung6, wir bauen auf der Grundlage bestimmter Prinzipien und Traditionen auf. Wenn es für Anhänger der internationalen Opposition unter diesen Bedingungen keinen Platz im Leninbund gibt, dann erklärt der Leninbund dadurch, dass er keinen Platz in den Reihen der internationalen Opposition will. Darüber muss man sich klar sein. Sie sehen, Genossen, dass diese Fragen unermesslich höher stehen als die kleinlichen und strittigen Fälle, auf denen Urbahns seine Anklageschrift aufbaut. Die Sache geht um das Schicksal Ihrer Organisation. Jedes Mitglied des Leninbundes muss verstehen, dass nach der Spaltung des Leninbundes er sich endgültig in einen Urbahnsbund verwandeln wird, d.h. in eine kleine nationale Sekte – ohne Bedeutung, ohne Zukunft, ohne Perspektiven. Das bedeutet, dass man sich entscheiden muss. Und für einen echten Revolutionär ist die Entscheidung nicht so schwer! Mit kommunistischem Gruß L. Trotzki. 6. Februar 1930. 1In der englischen Übersetzung fehlt: „lyrisch oder“ 2In der englischen Übersetzung fehlt: „oder der Ersten Internationale“ 3In der englischen Übersetzung: „den Übergriffen des Kommunismus“ 4In der englischen Übersetzung: „griechischen“ 5In der englischen Übersetzung: „ideologischer Rahmen“ 6In der englischen Übersetzung: „ideologische Strömung“ |
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