Leo Trotzki: Lehren der Kapitulationen(Nekrolog-Überlegungen) [eigene Übersetzung nach dem russischen Text im Bulletin der Opposition Nr. 9, Februar 1930, verglichen mit der englischen Übersetzung] Aus Anlass der Kapitulationen Bucharins, Rykows, Tomskis gab es lange Kaffeesatzlesen1: ob es ein pfiffiges Manöver von Seiten der Rechten sei oder aber umgekehrt eine Wiederaufnahme des Blocks der Rechten mit den Zentristen? Das Kaffeesatzlesen für sich genommen ist nicht sehr ergiebig. Es kann gut sein, dass die rechte Troika tatsächlich heimlich davon träumt, dass sie günstige Bedingungen abwarten und erneut ihr Haupt erheben; es kann sein, dass sie wegen der beunruhigenden wirtschaftlichen Symptome bereuen, dass sie sich zu sehr mit dem Bereuen beeilten. Es ist auf der anderen Seite durchaus möglich, dass die Stalinisten es für hilfreich halten, die Rechten für den Fall eines neuen Umschwungs in der Nähe der Macht zu halten. Aber nicht diese Berechnungen haben Bedeutung. Politisch wichtig ist, dass genau auf dem Höhepunkt des erz-„linken“2 Kurses der Block der Zentristen mit den Rechte erneuert wurde, während die Repressionen gegen die Linke nicht erschlafften, sondern sich verschärften. Rykow ist trotz allem Vorsitzender des Rats der Volkskommissare, aber Rakowski kuriert in Barnaul sein krankes Herz bei 40% Frost3. Tomski und Rykow sind im Politbüro, Bucharin ist im ZK, aber Sosnowski, B. Mdiwani, Kawtaradse sind im Gefängnis. Uglanow ist Volkskommissar für Arbeit, aber Bljumkin wurde erschossen (ja, Bljumkin wurde erschossen!). Diese Fakten entscheiden politisch, indem sie eine Einschätzung des linken Kurses insgesamt geben. Dennoch sind die Kapitulationen aller rechten Leader nach den Kapitulationen gewisser Linker ein für sich genommen wesentliches Faktum. Die Bedeutung dieser rituellen Kapitulationen für das Schicksal der Partei insgesamt werden klar werden, wenn man sie unter dem Blickwinkel nicht subjektiver Intrige, sondern objektiver Symptome betrachtet. Eine Lehre, eine Schlussfolgerung entspringt zuallererst aus den Umschwüngen und Unbeständigkeiten der letzten sechs Jahre: die beharrliche, systematische, unermüdliche Erdrosselung der Partei. Die Partei ist eine Ideenauswahl4. Sie bleibt Partei, solange sie sie im Grunde auf einer freiwilligen Ideenverbindung beruht. Aber welche Bedeutung können Ideen und Prinzipien erhalten, wenn die Leiter der Partei der Reihe nach selbst ihnen abschwören, aber der unpersönliche und ideenlose Apparat nicht nur ein für allemal seine Unfehlbarkeit bestätigt, sondern auch offen der Partei erklärt: „Uns könnt ihr nur durch Bürgerkrieg entfernen“! (Stalin im Jahre 1927). Erinnern wir uns noch einmal: Sinowjew ist formell „Führer“ der WKP und Komintern (in den Jahren 1923-1925). Sinowjew ist in der Opposition und gesteht seinen falschen Kampf gegen den Trotzkismus (in den Jahren 1926-1927) ein. Sinowjew schwört der Opposition ab und erklärt erneut den Krieg gegen den „konterrevolutionären“ Trotzkismus (im Jahre 1928-1929). Bucharin ist im Jahr 1922 „Trotzkist“; im Jahr 1923-26 Hand in Hand mit Sinowjew; 1926-1928 theoretischer Führer der WKP und Komintern, Anreger des rechts-zentristischen Kurses. Im Jahre 1928-1929 ist er Theoretiker der Opposition von rechts. Im Jahre 1929 gesteht Bucharin seine Fehler und schwört jenen Ansichten ab, welche ihn in der ganzen Zeit seines Kampfes mit dem „Trotzkismus“ inspirierten. Wenn wir Stalin unter dem Blickwinkel seiner Ideen nehmen, dann versteckte er sich in verschiedenen Perioden hinter den Ideen Sinowjews, Kamenews und Bucharins, nun versteckt er sich hinter Splittern der Ideen der Opposition, ohne seine eigenen zu haben. Aber, wie „Wahrheit Resultat der Legalisierung“ (Schtschedrin) ist, so ist Reputation Resultat der Apparatpaukerei5 … für eine gewisse Zeit. Die Automatisierung des Parteilebens erreichte die höchste Grenze6. Der Apparat verlangt nicht Anerkennung irgendwelcher Prinzipien, – er verlangt Anerkennung seiner Unfehlbarkeit. Die Erpressung reumütiger Dokumente hat ganz und gar nicht die Aufgabe, im Bewusstsein der Partei irgend eine Summe von Ideen zu bestätigen (welche??). Das Ziel der Erpressung ist eines: Der Partei einflößen, dass jegliche Art Gegenwehr oder Widerstand, jegliche Art Kritik am Apparat, jegliche Art Grummeln, sogar Flüstern gegen den Apparat, sogar Aufschreiben in einem Tagebuch (Kamenew!) bloß Repressionen oder neue Ideenerniedrigungen7 bewirken können. Die „Selbstkritik“ dient aber jenem Ziele von der anderen Seite, weil sie die Verpflichtung der Mitglieder der Partei bedeutet, das zu kritisieren, was der Apparat „kritisiert“. Die Partei ist eine Ideenauswahl8. Die Partei ist eine revolutionäre Härtung des Charakters. Die Partei ist eine Panzerung der Klasse durch die Unerschütterlichsten, Festesten, Standhaftesten. Der Zusammenschluss dieser Elemente vollzieht sich allmählich, unter beständiger Nachprüfung durch die Ereignisse. Das lebende Gewebe der Partei ist deshalb ein sehr verwickeltes und empfindliches organisches Gewebe. Die Partei darf man nicht unter eine Presse halten, wie man menschliche Hände nicht unter eine Presse halten darf: die Durchblutung hört auf, das Gewebe stirbt ab. Der Prozess des Absterbens des Parteigewebes wird vor unseren Augen durch den zunehmenden materiellen Druck der Parteibürokratie hervorgerufen. Das Kapitulantentum aller „Führer“ der Partei der Reihe nach, in Gruppen und einzeln, vor dem absolut ideenlosen Apparat charakterisieren vollkommen die unerhörten Kräfte des Drucks, jenes Stadium, in welchem bei der Partei die Ideendurchblutung beinahe vollkommen aufhört. Die Umstände der Reue der Rechten zeigen besonders beeindruckend die Transparenz des Apparatzynismus. Überraschend und ohne Vorbereitung erfährt die Menschheit9, dass drei prominenteste Persönlichkeiten der Partei und Sowjetrepublik – der Leiter der Komintern, das Haupt der Regierung und der Führer der Gewerkschaften – sich bereits etwa zwei Jahre in scharfer Opposition zum Zentralkomitee befanden und die offizielle Politik für tödlich10 halten. Wie drang das aber nicht nach außen? Wirklich ging es um das Schicksal Revolution! Wo aber wurden die strittigen Fragen besprochen und wo wurden sie entschieden? Wirklich werden die Protokolle des ZK für alle Mitglieder11 der Partei veröffentlicht. Aber die Sache ist die, dass der Apparat ein Doppelleben führt. Hinter den Kulissen werden Fragen entschieden, aber auf der offiziellen Bühne werden Scheindebatten und Stimmabgaben nach im Voraus festgelegter Choreographie aufgeführt. Damit wird die Partei gefüttert. Schlimm genug. In der Zeit scharfer Opposition von drei Mitgliedern des Politbüros wurde der Partei offiziell mitgeteilt, zuallererst vom Generalsekretär, dass Gerüchte und Gerede über Differenzen im ZK und über eine rechte Abweichung im Politbüro eine empörende Verleumdung der „Trotzkisten“ repräsentierten. Nachher, im Rückblick, zeigt es sich, dass man unter dem Name „Verleumdungen“ zuverlässige Fakten verstehen muss, und obendrein solche von ausnehmender Wichtigkeit, welche vor der Partei versteckt wurden. Eine offene Agitation gegen Bucharin begann ein bis zwei Monate vor dessen Kapitulation. Aber der Name Rykows als eines der Führer der rechten Abweichung wurde erst ganz am Vorabend des Novemberplenums des ZK laut genannt. Besonders gnadenlos zauste die „Prawda“ jedoch den Namen Rykows12 erst nach dessen Kapitulation, indem sie den Verdacht ausdrückte, dass das Bereuen der rechten Führer „unaufrichtig“ sei. Mit anderen Worten, das Zentralorgan der Partei hält es für durchaus möglich, dass eine Person, die von der Partei auf den verantwortlichsten Posten im Staat gestellt ist, fähig ist, die Partei und die Volksmassen in solchen Fragen zu täuschen, von welchen das Schicksal der Partei und des Landes abhängt. Dieser Verdacht wird in einem solchen Ton geäußert, als ob von einer vollkommen einfachen und durchschnittlichen Erscheinung die Rede sei. Indessen ist die Rede von politischem Betrug, von zynischer Prinzipienlosigkeit, von Ideenverrat von Seiten von Mitgliedern des Zentralkomitee, welche auch heute, wo diese Zeilen geschrieben wurden, alle noch an der Spitze der sowjetischen Regierung stehen oder zu deren wichtigsten Organen gehören. Die Partei erfährt beiläufig, bereits im Moment der Abwickelung, dass das Haupt der Komintern, das Haupt der Regierung und das Haupt der Gewerkschaften im Verlauf von anderthalb Jahren „mit dem Schicksal von Partei und Revolution spielten“ (buchstäblich!) – „auf eine Katastrophe spekulierten“ (buchstäblich!) – alles das irgendwo im bürokratischen Untergrund. Um ihr verbrecherisches „Spiel“ aufzudecken erweist sich die Hilfe der Partei als ganz und gar nicht nötig … konnte ansonsten die Presse schweigen? Indessen, die Presse schwieg. Die Partei wurde eingeschläfert und betrogen. Die rechte Abweichung war verkörpert in der Gestalt Frumkins. Öffentlich kämpften Rykow und Stalin gleichermaßen gegen Frumkin und Schatunski, wobei das Schauspiel auch Kampf gegen die rechte Abweichung hieß. Ob Frumkin selbst gegen sich kämpfte, ist uns nicht bekannt. Wir dachten sogar einmal, dass ein Sonderbeschluss der ZKK Frumkin dazu verurteilte, im reuelosen Zustand zu verbleiben, damit immer ein fertiges Objekt für die Bedürfnisse des Kampfes gegen die rechte Abweichung bei der Hand sei. Aber diese Hypothese hat sich nicht bestätigt … Erst nachdem Rykow rituell13 kapitulierte, – was allgemein die Notwendigkeit eines ferneren Kampfes auszuschließen schien , – erst in diesem Moment wurden Rykow, und mit ihm die ganze Troika, besonders zügellos öffentlich geschändet, im Angesicht der Partei, der Bevölkerung14 des Landes und der Menschheit ganz allgemein15. Die Partei war überhaupt nicht notwendig für den Kampf gegen die „Verschwörung“ Rykows, Bucharins und Tomski. Der Partei wurde beteuert, dass es überhaupt keinen Kampf gebe. Aber nach dem Sieg hinter den Kulissen über die Rechten, wurden der Partei die drei politischen Skalps gezeigt: schaut, hier, wie das Generalsekretariat mit allen jenen verfährt und verfahren wird, die ihm im Wege stehen! Das Verfahren16 der Abrechnung mit den rechten Führern stellt eine neue Etappe im Prozess der bonapartistischen Umwandlung des Parteiregimes dar: sie befassen sich auf der Bühne mit Kampfübungen gegen Frumkin, aber danach zeigen sie überraschend der Partei den Skalp Rykows. Der Automatismus des Kampfes und die Verachtung der Partei wurden hier bis zu einem Ausdruck gebracht, welchen wir in der Vergangenheit noch nicht kannten. Das Bild des Parteiregimes erlangt noch grellere Deutlichkeit dank des Umstandes, dass Rykow, Tomski und Bucharin am nächsten Tag kapitulierten, nachdem Radek und Smirnow es für notwendig hielten zu kapitulieren „im Interesse des Kampfes mit den Rechten“. Als er nach Moskau aus der Verbannung zurückkehrte, schrie Radek auf den Stationen17, dass bald zwei Teile des ZK einander arretieren würden, und dass man deshalb dem Zentrum, d.h. Stalin, im Kampf mit den Rechten, d.h. mit Bucharin, Rykow und Tomski, zur Hilfe eilen müsse. Aber Radek hatte keine Zeit, den dritten oder vierten reumütigen Klatsch18 fertig zu schreiben, als die fürchterlichen Führer der rechten Teile des ZK sich beeilten zu erklären, dass auch sie vor Begierde brennen, dem Zentrum beim Kampf mit allen Abweichungen zu helfen, besonders aber mit den rechten. Auf solche Weise erwies sich die Umgebung Frumkins als zu hundert Prozent abgesichert. Etwas verspätet waren Smirnow und Boguslawskij19 und fanden alle Plätze bei der Razzia belegt. Aber hier, wie bei der Sünde20, bereute auch Frumkin selbst. Der rechte Flügel wurde schließlich transzendental21. Bei der ganzen Tragik der Lage kann man nicht leugnen, dass die linken Kapitulanten in sie ein Element der direkten Hanswurstiade hineinbringen. Die Kapitulanten aus der Linken sind geeilt, um sich beim Apparat für den Kampf mit der rechten Gefahr einzureihen, und führen den Kampf ausschließlich gegen links, d.h. gegen … den Trotzkismus. Für diese Ziele erkannte Jaroslawski sie auch als „beste Elemente“ der Opposition an. Jaroslawski sollte es wissen, wo die besten und wo die schlimmsten22 sind! Es ist klar, dass Sinowjew eine solche Ausnahmeexplosion des bürokratischen Wirrwarrs einfach benutzen musste, um daran zu erinnern, dass er, gelobt sei Gott, lebendig und in der Eigenschaft eines Kapitulanten des ersten Jahrgangs, sozusagen eines Aristokraten in der Familie der Überläufer, alle Privilegien im Kampfe gegen Abweichungen haben müsse, und zuallererst, selbstverständlich, gegen den „konterrevolutionären Trotzkismus“. Genau genommen kann die Notwendigkeit eines neuen und obendrein solch brennendenn Bereuens Sinowjews („abschließend mit der Partei verschmolzen!“) auf den ersten Blick unverständlich erscheinen: es könnte scheinen, der Mensch hätte bereits bereut und könnte andere an die Reihe lassen. Aber in der Tat ist das nicht so. Der springende Punkt ist, dass das erste Bereuen des erforderlichen Enthusiasmus entbehrte. Das Fehlen dieses schwer erkennbaren23 Elements wurde Jaroslawski besonders klar zu jenen Zeiten, als die Opposition die echten Protokolle der Verhandlungen Kamenews mit Bucharin unter Vermittlung Sokolnikows hinsichtlich des Kampfes mit Stalin veröffentlichte. Die Protokolle führte Kamenew speziell für Sinowjew, welcher nach dem ersten Bereuen noch eine gewisse Zeit in Kaluga wohnte. Während sie für alle Fälle Verhandlungen mit Bucharin führten, seufzten Kamenew und Sinowjew zur selben Zeit bei Begegnungen mit Oppositionellen aus Anlass der Spaltung der Opposition tief auf, klagten über die schroffen Angriffe Trotzkis und brachten die Hoffnung auf gemeinsame Arbeit mit ihm in der Zukunft zum Ausdruck. Als alles dies sich unbeabsichtigt zeigte, verstummten die Ältesten des Kapitulantenklans verdrossen. Kamenew gab bekannt, dass er ein Buch über Lenin schreiben würde, weil man mit Stalin keinen Brei kochen24 könne. Aber in jenem Moment, als das Generalsekretariat mit dem Skalp des reuigen Rykow vor der Partei wedelte, erinnerte sich Sinowjew durchaus fristgerecht an seinen eigenen Skalp und bereute abermals, dieses Mal mit solch kräftigem Enthusiasmus, dass sogar das abgehärtete Herz selbst eines Molotow hätte zittern müssen. Aber es nutze nichts. Im Bericht Stalins vor den marxistischen Agrariern figurierten mehrmals die „trotzkistisch-sinowjewistische“ und sogar „sinowjewistisch-trotzkistische“ Opposition. Ein aufmerksamer Leser musste einfach darüber stolpern. Die Sache dabei ist, dass im Umfeld der Bürokratie die Opposition immer als trotzkistisch firmierte – gerade dazu, um die volle ideenmäßige Uneigenständigkeit Sinowjews zu unterstreichen. Warum wird aber nun, nach den wiederholten Kapitulationen Sinowjews, welcher es außerdem schaffte, „abschließend mit der Partei zu verschmelzen“ – warum und wozu gibt es nun die Rede über eine sinowjewistische Opposition? Zufällig? Оh nein, Zufälle können beim Fünfjahresplan sein, aber nicht bei Apparatmanövern. Noch klarer zeigte sich die Absicht bei Reden des dienstbeflissenen Kaganowitsch. Dieser letztere sprach bei einer der Jubiläumsreden unlängst über die Opposition Sinowjews und Kamenews so, als ob wir alle noch im Jahr 1926 lebten. Die allgemeine politische Bedeutung dieses Rückfalls in den längst verstummtеn Kampf war auch ohne Kommentare klar. Der Stalinsche Apparat gab Sinowjew und Kamenew „einen Wink“: denken Sie, bitte, nicht, dass wir Sie das Haupt erheben lassen werden. Die Leiter des Apparats gaben ihren Handlangern „einen Wink“: auf alle Fälle lassen sie diese zweideutigen Reuigen nicht das Haupt erheben! Sonst nichts25. Das Gleichgewicht der derzeitigеn Apparat- und individuellen Führung hält sich auf einem überaus künstlichen und angespannten System theoretischer Fiktionen, historischer Legende und realer Gewalt gegen die Partei. Dieses System verlangt ein weiteres festeres Anziehen der Schrauben, aber nicht deren Lockerung. Für dieses System ist sogar Sinowjew gefährlich. Jeder seiner aufgedunsen Artikel in der „Prawda“ zwingt bereits durch Beunruhigung den internationalen Nominierten Molotow, wachsam zu werden. … Nun erfahren wir auch jenen Anlass, welcher die Apparatmarschälle antrieb, Sinowjew und Kamenew zu erinnern, dass sie für immer „bedeutungslose Träumereien“ preisgeben sollten. 26Darüber erzählt unserer Korrespondent in dieser Nummer des Bulletins. Sinowjew, erweist es sich, versuchte zur Zeit des eigenen mündlichen Bereuens einfügen, dass die Opposition nicht in allem Unrecht hatte, wie der Kampf gegen die Rechten bezeugte. Und Kamenew musste zugeben27 (im Tagebuch!), dass Trotzki im Recht war, als er ihn und Sinowjew warnte, dass Kapitulationen nicht der Weg zur Partei, sondern zum politischen Tod wären. Kamenew hatte immer mehr Neigungen und Fähigkeiten als Sinowjew, die Enden zusammenführen, aber, wie es im Leninschen Testament heißt, war Kamenew „nicht zufällig“ mit Sinowjew zusammen. „Nicht zufällig“ durchlief er alle Etappen der Ideenerniedrigungen mit, um zu einer einfachen und im Voraus bestimmten Schlussfolgerung zu kommen: sein Weg führt nur zum politischen Tod. Aber so oder so mussten die beiden erneut bereuen, dieses Mal bereits mit Enthusiasmus, der sie im Übrigen nicht im Geringsten vor ihren öffentlichen Ohrfeigen von Seiten des Amsterdamer* Kaganowitsch beschützte. ★ ★ ★ Wir mussten nicht nur ein Mal erläutern, dass sich das Parteiregime nicht aus eigenem Antrieb bildet, sondern eine Funktion der Politik ist, welche ihrerseits Interessen durchsetzt oder Klassendruck widerspiegelt. Die Bürokratisierung der WKP, beginnend im Jahre 1922, ging parallel mit dem Wachsen der ökonomischen Kräfte und des politischen Einflusses des Kleinbürgertums auf Basis der NEP und mit der Festigung der bürgerlichen Regime in Europa und in der ganzen Welt als Resultat aufeinanderfolgender Niederlagen des Proletariats. Aber das Parteiregime ist nicht eine bloß passive Widerspiegelung von Prozessen tiefer Ordnung. Die Partei ist eine lebende Kraft der Geschichte, umso mehr die regierende Partei bei einem Regime der revolutionären Diktatur. Der Bürokratismus hat keinen körperlosen Charakter. Sein Träger ist eine zahlreiche, zusammengeschlossene Bürokratie mit einer ganzen Welt selbstsüchtiger Interessen. Auf solche Weise erhält das Parteiregime, wie auch viele andere zweitrangige oder Überbaufaktoren, – in gewissen und sehr breiten Grenzen – eine eigenständige Rolle. Darüber hinaus wird es Mittelpunkt aller Verschiebungen, Unrichtigkeiten, Gefahren, Widersprüche und Fehler. Es wurde jetzt das Kettenglied der gemeinsamen Kette, über dessen Vermittlung allein man auch ihre anderen Kettenglieder erreichen kann. Mag sein, es wäre noch richtiger zu sagen, dass das Parteiregime der gordische Knoten wurde, welchen die Partei entwirren muss, was auch immer es kosten mag, um zu verhindern, dass der Bonapartismus diesen Knoten mit dem Schwert zerhaut. Alfa. 1In der englischen Übersetzung: „Mutmaßungen“ 2In der englischen Übersetzung: „,ultra-linken'“ 3In der englischen Übersetzung: „bei Wetter unter dem Gefrierpunkt“ 4In der englischen Übersetzung: „ideologische Auswahl“ 5In der englischen Übersetzung: „Apparatmanipulationen“ 6In der englischen Übersetzung: „ihre Grenzen“ 7In der englischen Übersetzung: „Zwang zum Abschwören der eigenen Ideen“ 8In der englischen Übersetzung: „ideologische Auswahl“ 9In der englischen Übersetzung: „Welt“ 10In der englischen Übersetzung: „schädlich“ 11In der englischen Übersetzung: „für die Information“ 12In der englischen Übersetzung: „begann die „Prawda“ die Kampagne gegen Rykow“ 13Fehlt in der englischen Übersetzung 14Fehlt in der englischen Übersetzung 15In der englischen Übersetzung: „Welt“ 16In der englischen Übersetzung: „die Methode“ 17In der englischen Übersetzung: „auf dem ganzen Weg“ 18In der englischen Übersetzung: „Absatz“ 19In der englischen Übersetzung: „zu der Zeit als Smirnow und Boguslawski ankamen, fanden sie“ 20In der englischen Übersetzung: „wie es das Glück wollte“ 21In der englischen Übersetzung: „ein transzendentales Phänomen“ 22In der englischen Übersetzung: „wer besser und wer schlechter“ 23In der englischen Übersetzung: „trügerischen“ 24In der englischen Übersetzung: „keinen Kuchen backen“ 25In der englischen Übersetzung: „nicht mehr und nicht weniger“ 26In der englischen Übersetzung sind die beiden Sätze zusammengezogen: „Es scheint, dass Sinowjew versuchte …“ 27In der englischen Übersetzung: „gab zu“ * Kaganowitsch führte selbstverständlich seinerzeit die ganze Politik Stalins nach rechts aus. Im Jahre 1926 planten die Stalinisten die Liquidierung der Profintern auf dem Wege der Vereinigung mit den Amsterdamern. Aus Satzungen von Sowjetgewerkschaften wurde selbst die Erwähnung der Profintern gestrichen. Erschrocken über die Opposition wich Stalin im letzten Moment zurück. Kaganowitsch kam jedoch zur rechten Zeit, um in Charkow einen Bericht zu verlesen, in welchem er den Eintritt bei Amsterdam mit solchen Beweisgründen verteidigte, welche jedem beliebigen Sozialdemokraten Ehre machen würden. Aber sobald das Büchlein mit der Rede das Licht der Welt erblickte, erklang aus Moskau das Haltesignal. Damals erklärte Kaganowitsch der Presse, dass … die Stenographin ihn schlecht verstanden habe, dass er sich überhaupt nicht bereit für Amsterdam mache, aber dass er, überlastet mit Arbeiten, seine Rede nicht redigiert habe. Seit jener Zeit erhielt Kaganowitsch die Zusatzbezeichnung Amsterdamer. [Die Fußnote fehlt in der englischen Übersetzung, obwohl ihr Platz mit einem * markiert ist] |
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