Leo Trotzki: Die Erklärung des Genossen Rakowski und anderer [eigene Übersetzung nach dem russischen Text im Bulletin der Opposition, Nr. 17-18 (November-Dezember 1930, verglichen mit der englischen Übersetzung] Mit einer Verspätung von einigen Monaten1 erhielten wir schließlich die Erklärung, mit welcher sich die Genossen Rakowski, Muralow, Kossior und Kasparowа kurz vor dem 16. Parteitag an die Partei wandten. Infolge eines verhängnisvollen Zufalls wurden Exemplare der Erklärung, die uns rechtzeitig gesandt wurden, abgefangen. Trotz der großen Verspätung bewahrt das gedruckte Dokument vollständig seine Bedeutung. Bei aller Kürze der Formulierung gibt es eine deutliche Einschätzung der ökonomischen und politischen Prozesse, die sich im Lande ereignen, nennt alle Gefahren beim Namen, die bereits nicht mehr in einer fernen Zukunft, sondern in unmittelbarster Nähe sind. Die Erklärung schließt sich in unmittelbarster Weise an jene Erklärung an, die Genosse Rakowski im August vergangenen Jahres abgab, in dem Moment, als die linke Wendung des Zentrismus noch ihre ganze Frische bewahrte und nicht vollauf durch die Erfahrung überprüft war. Und zur gleichen Zeit unterscheiden sich diese zwei Dokument von einander wie zwei Meilensteine auf verschiedenen Etappen eines und desselben Weges. Die erste Erklärung markiert die Wendung der Führung in die Richtung, die die Opposition im Verlauf der vorherigen Jahre verteidigte. Zur selben Zeit warnte sie vor möglichen Gefahren auf den neuen Wegen, forderte die Aktivität der Partei für die Überwindung dieser Gefahren und stellte der Partei die Kräfte der Opposition zur Verfügung. Manchen schien diese Stellung der Frage – im Geist der Politik der Einheitsfront – kapitulatorisch, oder zumindest halb-kapitulatorisch. Selbstverständlich ging diese Art Anschuldigung nicht von sehr ernsthaften Quellen aus*. Wir wiesen bereits damals darauf hin, dass Politik nicht aus nackter Wiederholung von Formel besteht, die für alle Anlässe des Lebens taugen. Rakowski machte sich nicht die geringsten Illusionen hinsichtlich der politischen Linie des Zentrismus im Moment des linken Umschwungs. Er legte klar und deutlich seine Einschätzung des Zentrismus in den Thesen dar, die gleichzeitig mit der ersten Erklärung niedergeschrieben wurden. Aber die Aufgabe bestand nicht darin, einfach in der Erklärung das zu wiederholen, was in den Thesen gesagt wurde, sondern darin, der Partei, zumindest unbedeutenden ihre Teile, zu helfen, das, oder zumindest unbedeutende Teile dessen, aufzufassen, was in den Thesen dargelegt ist. Bei dem Ersticktsein der WKP(b) ist es sehr schwer nachzuprüfen, was für einen unmittelbaren Einfluss die erste Erklärung auf die Unteren der Partei hatte. Man kann jedoch nicht bezweifeln, dass der Rückfall in den rasenden Kampfes gegen die linke Opposition vor dem Parteitag und die unbestrittene Belebung der linken Opposition zur Zeit der Vorparteitagsdiskussion eine ihrer Ursachen in der Erklärung Rakowskis hatte, die eine Bresche in die von den Stalinisten aufgebaute Wand der Lügen und Verleumdungen schlug. Wir haben jedoch eine sehr grelle Prüfung der uns interessierenden Frage außerhalb der UdSSR. Der Genosse Feroci, einer der Leiter der neuen italienischen Opposition, erzählte in einem Artikel in der „Vérité“ Nr. 502 darüber, welchen großen Eindruck die Erklärung Rakowskis sogar im Zentralkomitee der italienischen Kommunistischen Partei auslöste, besonders natürlich in dessen linkem Teil. Die Erklärung Rakowskis überredete auf solche Weise nicht nur niemanden zur Kapitulation, sondern diente umgekehrt als einer der Anstöße zum Entstehen der neuen italienischen Opposition. Die neue nun erstmals publizierte Erklärung bilanzierte die Politik des Umschwung nach links im Moment des neuen Halbumschwungs nach rechts. Alle diese Umstände werden im Dokument einer klaren Einschätzung unterzogen, zu welcher man auch heute nicht vieles hinzufügen muss. Wir erachten für erforderlich, bloß zwei Momente zu unterstreichen. In der Erklärung wird erwähnt, dass, die Stalinsche Führung zwar der Schaffung eines Verbands der Dorfarmut entgegenwirkte, jedoch diese Organisation in der Ukraine duldete. Man muss bloß hinzufügen, dass, wenn der Versuch von Stalin-Bucharin-Rykow-Kamenew und anderen in den Jahren 1924-1925, die Organisation der ukrainischen Dorfarmut abzuschaffen, nicht bis zu Ende gebracht wurde, dann nur dank des entschlossenen Widerstandes des revolutionären Flügels der ukrainischen Partei, unter Führung des Genossen Rakowski. Der zweite Moment, welchen wir hier hervorheben wollen, betrifft die Kapitulanten. Die Erklärung stellt gnadenlos und zur gleichen Zeit vollkommen richtig fest, dass diese Leute das „Recht auf jegliche Art Vertrauen von Seiten der Partei und Arbeiterklasse“ einbüßten. In natürlicher Verbindung damit wiederholt diese Erklärung, dass keine Verfolgung die Leninsche3 Opposition hindert, ihre Pflicht bis zum Ende zu erfüllen. 22. Oktober 1930 1 In der englischen Übersetzung: „mit einer gewissen Verspätung“ * Die Unernsthaftigkeit dieser Kritik wird besonders dadurch hervorgehoben, dass an ihrer Spitze Paz stand, welcher die Anschuldigung Rakowskis wegen kapitulatorischer Tendenzen nur dazu brauchte, um die Reihen der revolutionären Bewegungen zu verlassen, in der er nur Zufallsgast war. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, dass im Block mit Paz gegen Rakowski auch Genosse Treint agierte, welcher bei allen Fehlern, die er beging und begeht, dennoch, wie wir hoffen wollen, keine Zufallsfigur in der Arena des revolutionären Kampfes ist. 2 In der englischen Übersetzung fehlt: „in der „Vérité“ Nr. 50“ 3 In der englischen Übersetzung fehlt: „leninistische“ |
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