Leo Trotzki: Brief an Jakob Frank 20. Januar 1930 [Eigene Übersetzung nach dem russischen Text im Архив Л. Д. Троцкого. Том 5] Werter Esquire! Ich habe Ihren Brief № 12 erhalten. Ich habe ihn aufmerksam gelesen. Es hat mich nicht überzeugt. Am ausdrucksstärksten in Ihrem langen Brief sind zwei Phrasen: „Es hat mich empört" (S. 5). „Mich haben diese austrokommunistischen Methoden empört" (S. 6). Darin steckt nach meiner Meinung der ganze Kummer, dass Sie „eine friedliche, schmerzfreie Lösung der Frage" suchten, aber.... Sie „empört" wurden. Die Sünden des Genossen Landau, auf die Sie hinweisen, sind ziemlich weit verbreitet. Genossen mit solchen Eigenschaften können sehr nützliche Arbeiter sein, vorausgesetzt, es gibt eine Organisation und deren Kontrolle. Das haben wir noch nicht. Deshalb klettern alle Minusse hervor. „Empören" ist menschlich verständlich und verzeihlich, aber es führt zur am wenigsten ruhigen und zur schmerzhaftesten Lösung der Frage. Sie tadeln aus irgendeinem Grund „die österreichische Methode": „Sich mit einem Arbeiter anzufreunden, ihn zu Hause zu besuchen, ihn selbst einzuladen … Anekdoten zu erzählen, usw., usf.“ Trotz des karikierten Bildes der Sache (eine kleine Karikatur) muss ich sagen: Diese Methode erscheint mir korrekter als das ständige Schmoren im eigenen Saft. Ich denke, dass Ihr Fehler darin bestand, dass, nachdem Sie sich von der Unmöglichkeit überzeugt hatten, sich mit denen oben zu treffen, sie es ablehnten, statt dessen an die unten zu appellieren, sich mit Ihnen zu treffen. Ich gebe zu, dass, wenn man mit denen oben einen Modus vivendi hätte ausarbeiten können, ohne die unten in die Diskussion des Konflikts einzubeziehen, das sehr ökonomisch, angenehm, edel und so weiter und so fort gewesen wäre. Aber es stellte sich heraus, dass es unerreichbar war. Was für einen anderen Ausgang aus einem Haufen streitsüchtiger Intellektueller gibt es, als die Arbeiter unten anzusprechen und ihnen offen alles zu bekennen: So steht es, also söhnt uns entweder aus oder jagt uns auseinander. Ich zumindest kenne keinen anderen Weg, das Leben hat keinen gefunden. Wenn sich eine der streitenden Seiten, die sich für beleidigt hält, an die Arbeiter wendet, dann natürlich nicht dazu, um der andere Seite Komplimente zu machen. Das liegt in der Ordnung der Dinge. Ist das eine österreichische Methode? Nein, es ist eine universelle Methode. Vergeblich haben Sie sich ihr widersetzt. Es war notwendig, nach dem Entdecken der Unnachgiebigkeit beider Seiten selbst diesen Weg vorzuschlagen: alle seine Arbeiter zusammenzurufen und ihnen die Sache ehrlich darzulegen. Unangenehm? Was kann man machen: Mehr haben wir nicht zu bieten.1 Auch in solchen Streitsachen lernen die Arbeiter, werden erwachsen, erwerben die Fähigkeit, die Herren „Führer" einzuschätzen. Das ist auch das Wichtigste, warum ich gegen Ihre Linie opponiere. Alles andere folgt daraus. Nun wird ohnehin dieser Weg noch immer von der Logik der Lage erzwungen. Aber viel Zeit ist verloren gegangen. Von Landau zu verlangen, dass er Berlin verlässt, halte ich mich nicht für berechtigt. Auf welcher Grundlage? Was für Sitten sind das? Ich konnte ihn bitten, nach Berlin zu gehen, ich konnte ihm Unterstützung bei der Reise geben. Jetzt ist seine Mission liquidiert. Er ist in einen Streit verheddert, der ihn genauso betrifft wie alle anderen auch. Mit welchem Recht könnte ich ihm „befehlen", aus Berlin abzureisen? Das wäre doch wirklich eine Moskauer-österreichische Satrapen-Methode. Nein, entschuldigen Sie. Die Berliner müssen aus eigener Kraft die Lage regeln und die Berliner Arbeiter und Provinzler einbeziehen. Was Berndl betrifft, so gebe ich zu, dass Sie Recht haben, und dass, da Sie die richtigen Informationen hatten, zu ihm speziell zu gehen, nicht viel Sinn gemacht hätte. Wenn wir doch nur ein formelles internationales Zentrum hätten, dann wäre es möglich, mit größtem Takt und Vorsicht eingreifen. Aber ein Zentrum haben wir leider immer noch nicht. In dieser Frage verschleppen und trödeln die französischen Genossen leider unzulässig. Wie viele Monate sind vergangen seit der Zeit, als wir gemeinsam mit Ihnen die Entscheidung zur Bildung eines internationalen Büros trafen? Zuerst lag die Stockung bei den Belgiern. Unterdessen hatten die Belgier einen inneren, tief prinzipiellen Kampf, der sie an den Rand der Spaltung brachte. Rosmer schlug vor, die Initiative nur der französischen Gruppe zu überlassen. Die „Vérité" ist bereits in hohem Grade ein „internationales" Organ. Ich stimmte dem mit Freude zu. Und – habe schon seit einigen Wochen vergeblich auf den versprochenen Zirkularbrief der „Vérité“ gewartet. Ich glaube, dass Sie als Teilnehmer unserer schriftlichen Vereinbarung in Prinkipo mit einem Brief an die Redaktion der „Vérité“ energisch protestieren und die schnelle Erfüllung der Verpflichtungen fordern müssen. Ich denke, dass auch Ihre Gruppe (wenn sie nicht überhaupt ein Mythos ist) in dieser Frage eine klare Entscheidung treffen und sie nach Paris hätten schicken sollen. Lassen Sie zumindest ein bescheidenes Informationsbüro zur Vorbereitung der zukünftigen Konferenz und zur Herausgabe eines Informationsbulletins einrichten. Ich schicke Ihnen zusätzliches Material zur Bljumkin-Sache. Bitte verbreiten Sie es mit den Mitteln, über die sie verfügen. Die deutsche Übersetzung vergessen Sie bitte nicht, Frey für …2 zu senden. Von der Unmöglichkeit der Zusammenarbeit mit ihm bin ich – leider – auch nicht überzeugt. Zu Landau haben Sie sogar schriflich geschworen, dass Sie nie zusammenarbeiten würden. Auch mit Frey zu arbeiten sei unmöglich. Mit Ihrer Gruppe zu arbeiten ist möglich, aber deren Arbeit scheint nicht zu existieren. Was ist damit, mein lieber Esquire? Nun, ich raffe es nicht. In der Zwischenzeit gibt Frey eine Zeitung heraus, kämpft für uns, kontaktiert die „revolutionären" Sozialdemokraten, bringt einen von ihnen mit mir in Verbindung, lädt die Arbeiter zum kollektiven Lesen der Autobiographie ein … Natürlich, von hier bis zur proletarischen Revolution ist es noch weit. Aber es ist ist doch immerhin etwas. Und an anderen Orten immer mehr … „Empörung". Das ist trostlos. Sie haben mich gebeten, auf alle zu „schimpfen". Fluchen gehört sich nicht, es ist eine Unsitte. Aber ich brummme immer noch, wie Sie sehen, ziemlich viel. Aber nun drücke ich Ihnen fest und voller Freundschaft die Hand und erwarte von Ihnen alle möglichen Nachrichten, nach Möglichkeit gute, aber bei Abwesenheit von ihnen zumindest schlechte. 1Wörtlich: „Je reicher man ist, desto glücklicher ist man“ 2 Hier steht eine Abkürzung, bei der auch die russischen Herausgeber unsicher sind. Sie vermuten „für organisatorische Ausgaben“ |
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