Leo Trotzki: Brief an die Mitglieder der bulgarischen Gruppe „Oswoboschdjenije“ [eigene Übersetzung nach dem russischen Text] 27. Oktober 1930 Werte Genossen! Ihr Manifest erhielt ich rechtzeitig. Die bulgarische Sprache stellt keine Schwierigkeiten dar. Mit Hilfe eines kleinen bulgarisch-französischen Wörterbuchs und mit gewissem Beistand von meiner Seite übersetzt mein Sohn das Manifest in die russische Sprache. Ich bin im gegenwärtigen Moment mit sehr dringlicher Arbeit beschäftigt, die ich hoffe, im Verlauf der nächsten Wochen zu beenden, nach der ich Ihnen ausführlich über das Manifest schreiben werde. Bei der ersten, sehr flüchtigen Lektüre macht es auf mich einen durchaus günstigen Eindruck. Eine gewisse Unklarheit blieb bei mir in der Gewerkschaftsfrage. Aber darüber werde ich Ihnen erst nach einer zweiten, sehr aufmerksamen Lektüre schreiben können. Der Umstand, dass Sie die Herausgabe einer wöchentlichen Zeitung vorbereiten, ist außerordentlich erfreulich, weil sie von der aktiven Stimmung in Ihrer Umgebung zeugt. Die Nummern 1 und 9 des „Bulletins“ wurden Ihnen gesandt, erreichten Sie aber offensichtlich nicht. Ich werde meinen Sohn beauftragen, sie ihnen entsprechend Ihren Anweisungen erneut zu senden. Was erklärt nach Ihrer Meinung, dass Genosse Nav nicht die Möglichkeit hatte, für einen Tag in Sofia zu bleiben? Sind die Ursache dafür eisenbahnpolitische Regeln (Transitticket usw.), oder aber irgendwelche höchst politischen Erwägungen? Die Erklärung des Genossen Rakowski an den XVI. Parteitag der WKP kann man Ihnen senden, sobald Sie eine passende Adresse mitteilen. Die Erklärung ist wunderbar. Nach allen bei uns vorhandenen Mitteilungen hob sich die Autorität des Genossen Rakowski, die auch früher sehr hoch war, nun auf eine außerordentliche Höhe. Er ist jetzt im vollen Sinne des Wortes die Achse der russischen Opposition. Vor dem Hintergrund von bürokratischer Ehrung nach Rangordnung, Servilität, Kapitulation und allgemein allen Arten von Treubruch flößt die mutige Festigkeit Rakowskis sogar Feinden Hochachtung ein. Die bulgarischen Revolutionäre haben volles Recht darauf stolz zu sein, dass sie der russischen und Weltrevolution eine solche Figur gaben. Leider ist die Gesundheit Christian Georgijеwitschs nicht gut. Er hatte einige Herzanfälle. In günstige klimatische Bedingungen lassen sie ihn nicht gehen. Ich glaube, dass die Herausgabe einer der Biographie und Charakteristik Rakowskis gewidmeten Broschüre hilfreich wäre. Vielleicht könnten die bulgarischen Genossen das auf sich nehmen? Ich würde sehr gerne für sie ein Vorwort schreiben. Ich schrieb Ihnen seinerzeit über meine dem Programm und der Strategie der Komintern gewidmeten Arbeit. Damals hatte ich von diesem Manuskript bloß ein Exemplar. Aber seit jenen Zeiten wurde es abgeschrieben. Ich werde dabei zuallererst die bulgarischen Genossen im Blick haben. Die Frage besteht bloß darin, wie wir Ihnen dieses Manuskript senden: es ist sehr groß, ein ganzes Buch. Auf Französisch muss dieses Buch in nächster Zukunft erscheinen, aber anscheinend in einer sehr wenig zufriedenstellenden Übersetzung. L.Trotzki |
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