Leo
Trotzki: Brief an die Konferenz der Vereinigten Opposition Deutschlands [Nach dem maschinenschriftlichen Text in Lev Davidovič Trockij / International Left Opposition Archives, inventory number 968, International Institute of Social History, Amsterdam] Teure Genossen, Indem ich in diesen Zeilen Eure Konferenz auf das Wärmste begrüße, will ich nochmals und möglichst kurz mich in Bezug auf die Grundlinie der deutschen kommunistischen Opposition aussprechen. Für jeden von uns ist es klar, dass die deutsche Linksopposition gegenwärtig noch äußerst schwach ist im Vergleiche mit jenen Aufgaben, die ihr durch die ganze Lage gesetzt werden. Diese Schwäche ist von der Vergangenheit vererbt und das Resultat sowohl der objektiven historischen Bedingungen als auch der falschen Politik zuerst der Maslow-Fischer-, dann der Urbahnsführung. Diese Leute meinten und lehrten alle oppositionellen Arbeiter, dass die offizielle Partei unausweichlich zerfallen muss und an Einfluss verlieren; und dass die Opposition, erstarkt im Kampfe mit der Partei, auf deren Trümmern zu einer neuen Partei erwachsen wird. Jeder ernste Arbeiter musste sich aus diesem Anlasse sagen: wenn all das, was im Laufe der letzten zehn-zwölf Jahre geschaffen wurde, zerfallen muss und neue Leute auf einem neuen Platz zu bauen beginnen, wo ist da eine Gewähr, dass es besser ausgehen wird? Das ist eine richtige Fragestellung. Die wirkliche Gewähr liegt nur in der lebendigen Erfahrung der proletarischen Avantgarde, und Erfahrung wird in Ereignissen und Jahren angesammelt. Breite Kreise revolutionärer Arbeiter werden erst dann der Opposition Gehör und Glauben zu schenken beginnen, wenn sie sich durch Erfahrung überzeugen, dass sie nicht nur auf die gesamte durch den Kommunismus in Deutschland und der ganzen Welt gewonnene Erfahrung nicht verzichtet, sondern, im Gegenteil, sich auf diese Erfahrung stützt, um aus ihr gemeinsam mit der proletarischen Avantgarde richtige revolutionäre Schlüsse zu ziehen. Freilich, auch in der Arbeiterklasse gibt es Räsonneure, bloße Kritik, die kleinere Sekten bilden, welche jahrelang an der Peripherie der Arbeiterbewegung bleiben und sich mit ohnmächtiger Kritik begnügen, abseits von den großen Aufgaben und Perspektiven. Solche pseudolinken Scheinblüten freuen sich über jeden Misserfolg der Kommunistischen Partei und hoffen abergläubisch, dass aus den Misserfolgen der proletarischen Avantgarde irgendwie ihre eigene Kraft erwachsen wird. Mit diesen Sektierern, die in Deutschland alle Fragen des Regenbogens spielen, haben wir und können wir nichts gemein haben. Der Sieg unserer Politik baut sich für uns nicht auf der Schwächung, sondern auf der Stärkung der Kommunistischen Partei auf. Gibt es hier keinen Widerspruch? hören wir den möglichen Einwand, – sogar doppelten Widerspruch: Erstens: können wir denn eine Stärkung der Kommunistischen Partei bei der gegenwärtigen Führung erwarten? Zweitens: führt die Stärkung der Partei nicht zur Stärkung der gegenwärtigen Führung, die, wie die Erfahrung bewiesen hat, unfähig ist, das Proletariat zum Siege zu führen? Beide diese Einwände sind unrichtig, denn sie sind nicht dialektisch. Dass der Einfluss der Partei wachsen kann, trotz der gegenwärtigen, untauglichen Leitung, beweisen von neuem die letzten Wahlen. Eine richtige Leitung ist die unerlässliche Bedingung dauerhafter Erfolge, und umso mehr – des vollen Sieges des Proletariats; aber ein Anwachsen des Einflusses der Partei kann auch entgegen der untauglichen Leitung vor sich gehen, unter der Einwirkung objektiver Gründe. Man kann mit Gewissheit sagen, dass die deutsche Parteiführung, beginnend bereits mit den Märztagen 1921, besonders aber im Oktober 1923 und bis zum heutigen Tage nichts getan hat als die Partei, die Revolution, das Proletariat zu schwächen. Andererseits stößt die ausweglose internationale Lage Deutschlands, die habgierige und böswillige Politik der deutschen Bourgeoisie, die niederträchtige und verräterische Rolle der Sozialdemokratie ungeheure Massen auf den Weg der Revolution, Der Umstand, dass die Stalinistische Bürokratenführung, blind und selbstvertrauend, taub und unwissend, opportunistisch und aventuristisch, durch ihre gesamte Politik die sich revolutionierenden Massen hindert, unter das Banner des Kommunismus zu treten, dieser Umstand bildet unter den gegenwärtigen Bedingungen eine sehr ernste Quelle der wachsenden Stärke des Nationalsozialismus. Das Wachstum der kommunistischen Stimmen bei den letzten Wahlen scheint an und für sich bedeutend, wenn man es am parlamentarischen Maßstab misst. Aber es ist äußerst unbedeutend vom Gesichtspunkt der revolutionären Möglichkeiten und Aufgaben. Man kann sagen, dass die Partei den letzten Wahlen nur den arithmetischen Unterschied zwischen jener Masse gewann, den die Bourgeoisie und die Sozialdemokratie zu ihr stießen und der Masse, den die Leitung der Kommunistischen Partei von sich abstieß. Aber wir können mit vollem Rechte hinzufügen, dass die Gewinne der deutschen Kommunistischen Partei, wie auch aller Sektionen der Komintern unvergleichlich geringer, die Verluste hingegen weitaus größer wären, wenn die Stimme der Kritik und Warnung der Linksopposition, ihre Analyse und Prognose wäre. Wie schwach wir auch organisatorisch sind, sind wir doch schon ein ernster Faktor im inneren Leben aller Kommunistischen Parteien und dabei Faktor ihrer Stärkung geworden. Aber führt diese Stärkung nicht zur Festigung der Positionen der gegenwärtigen Leitung? Und ist denn etwa die jetzige Führung nicht das Haupthindernis auf dem Wege der proletarischen Revolution? Das letztere ist durchaus richtig. Thälmann, Remmele, Neumann – sind die Verbindung der ärgsten Züge bürokratischer Verantwortungslosigkeit, philisterhafter Selbstzufriedenheit, Feldwebeldiszipiin und eines besonderen Feldwebelabenteurertums, d.h. jenes, wo die Abenteuer auf Befehl der Obrigkeiten vollführt werden und die Abenteurer im Voraus wissen, dass sie straflos ausgehen werden. Vom politischen Extremismus, für den nichts existiert als die „Eroberung der Straße" im Namen unmittelbarer Diktatur des Proletariats (auf dem Papier) geht eine solche Führung ohne Mühe zum Possibilismus über, indem sie sich nach jedem Winde richtet, der von der Kleinbourgeoisie kommt, darunter auch dem Chauvinismus. Der Kopf des beamteten Zentristen ist so eingerichtet, dass in ihm immer alle Zugwinde der Eklektlk pfeifen. Eine solche Führung würden die deutschen revolutionären Arbeiter nie freiwillig dulden. Sie wird bestimmt, unterstützt, gerettet und der Avantgarde des deutschen Proletariats aufgedrängt durch die Stalinsche Fraktion in Moskau. Das ist durchaus unbestreitbar. Ist es jedoch richtig, dass eine Stärkung des Einflusses der Kommunistischen Partei in den Reihen des deutschen Proletariats zu einer Stärkung der jetzigen Parteileitung führt? Nein, das ist nicht richtig. Es ist dies die wesentliche und in der Wurzel verfehlte Beurteilung seitens aller und aller Arten ultralinken und pseudolinken Sektierertums. Die Stalinsche Bürokratie konnte sowohl in der UdSSR als auch im Weltmaßstabe ihre gegenwärtige Macht nur dank der andauernden revolutionären Ebbe erlangen. Den ersten Schlag gegen den linken Flügel führte die Stalinsche Fraktion, nachdem die Brandlersche Leitung so schmachvoll die revolutionäre Situation im Jahre 1923 versäumt hatte. Einer schonungslosen Zerschlagung unterwarfen die Stalinisten die linke Opposition, nachdem Tschiang Kai-schek, gestern Stalins Bundesgenosse, die chinesische Revolution zerschlagen hatte. Die Jahre der kapitalistischen Stabilisierung waren Jahre der Festigung des Stalinschen Apparates. Und das ist durchaus nicht Zufall. Die Abnahme der Massenaktivität, das Sinken der revolutionären Stimmungen, das Anwachsen der Apathie, schon diese Prozesse allein konnten das ungeheuerliche Wachstum des Parteibürokratismus möglich machen, der sich auf den Staatsapparat stützt, auf seine materiellen Mittel und Mittel der Repression. So erweisen sich die Niederlagen der internationalen Revolution, die Schwächung der Kommunistischen Parteien, die Schwächung des linken Flügels (Bolschewiki-Leninisten) im Inneren der Parteien und das Wachstum der Macht des Stalinschen Apparates als parallele und miteinander verbundene Prozesse. Schon diese einfache und unbestreitbare Verallgemeinerung erlaubt uns einige Prognosen aufzustellen. Eine wirkliche Radikalisation der Massen und ein Zustrom von Arbeitern unter das Banner des Kommunismus wird nicht die Festigung des bürokratischen Apparates, sondern seine Erschütterung, seine Schwächung bedeuten. Thälmann, Remmele, Neumann – wir wiederholen – können ihre Führerpositionen nur bei Schwächung und Stillstand der revolutionären Bewegung erhalten, nur bei Niedergang der Aktivität der Arbeiter. Ein Wachstum der kommunistischen Massen bedeutet Wachstum der revolutionären Aufgaben und Wachstum der an die Führung gestellten Anforderungen. Die Erfahrung der letzten zwölf Jahre war nicht vergebens. In den Köpfen tausender und zehntausender fortgeschrittener Arbeiter lagerte sie sich ab, verdeckt durch eine Kruste formaler Disziplin, aber sie wird in ihrer ganzen Kraft bei einem Aufstieg der revolutionären Periode sich öffnen, wo die fortgeschrittenen Arbeiter mit ganz anderen Augen auf die Führung blicken werden, die berufen ist, sie in den Entscheidungskampf zu führen. Schon der gegenwärtige Zustrom kommunistischer Stimmen, gleichzeitig mit dem Wachstum der faschistischen Gefahr, muss das revolutionäre Selbstgefühl der proletarischen Avantgarde heben, das bedeutet aber auch seinen kritischen Geist in Bezug auf die eigene Führung. Damit bessern sich gleichfalls die Bedingungen für die Propaganda und Agitation der Bolschewiki-Leninisten. Was die Opposition zugrunde richten könnte, das ist der Geist einer Winkelgassensekte, die von Schadenfreude und Defätismus lebt, hoffnungslos und ohne Perspektiven. Um ihre historische Rolle zu erfüllen, muss die Opposition durch und durch erfüllt sein von der untrennbaren Verbundenheit der Erfolge der Partei und ihrer eigenen Erfolge. Nur unter dieser Bedingung wird sich die Opposition einen Weg in die Reihen der proletarischen Avantgarde finden, von der sie isoliert ist durch die geeinten Kräfte der kapitalistischen Stabilisierung, der Repression des Apparates und Fehler der eigenen Führung. Aus dem Gesagten geht klar hervor welch unüberbrückbarer Abgrund uns von den Brandlerianern trennt und wie richtig und heilbringend der Bruch mit dem Urbahnsbund war. Darin besteht eben das Wesen der gegenwärtigen Lage, dass, während der Stalinistische Apparat zu einer tief reaktionären Kraft geworden ist, die sich durch die kapitalistische Stabilisation und den politischen Stillstand hält, die kommunistische Opposition hingegen nur durch die revolutionäre Flut und den Zustrom der Massen unter das Banner der Partei gewinnen kann. Der weitere Gang der Entwicklung wird, bei einer richtigen Politik unsererseits, immer deutlicher enthüllen, dass der herrschende Apparat in vollen Gegensatz zu den Bedürfnissen der Partei geraten ist, indes das Schicksal der Opposition dagegen mit dem Geschick der Partei und der proletarischen Revolution verschmilzt. Im verflossenen halben Jahr hat die deutsche Opposition ein ernstes Stück vorbereitender Arbeit geleistet. Es wurde eine Scheidung in den wesentlichen Linien durchgeführt, ein eigenes Organ, der „Kommunist", geschaffen, das den richtigen Kurs in Bezug auf die offizielle Partei eingeschlagen hat; schließlich wurden Hand in Hand mit den anderen Sektionen die Grundlagen der Internationalen Organisation der kommunistischen Linken gelegt. Dies alles bildet in seiner Gesamtheit die Bedingungen für die Entwicklung einer richtigen Politik und daher auch für ein Wachstum des Einflusses der Fraktion der Bolschewiki-Leninisten. Und doch ist ein unbedeutend-kleiner Teil jener historischen Arbeit getan, die dem Linken Flügels des Kommunismus auferlegt ist. Zeitversäumnis, ebenso wie das Versäumen einer revolutionären Situation, ist eine vollkommen reale Gefahr, die nicht nur vor dem offiziellen Kommunismus, sondern auch vor der Opposition steht. Die Erfahrung beweist von neuem, wie viel Zeit kleine Reibungen und Gruppenkämpfe rauben, die untrennbar mit dem Leben von Sektiererkreisen verbunden sind. Es gibt kein anderes Mittel mit diesem Erben der Vergangenheit fertig zu werden, als vor sich die gigantischen revolutionären Aufgaben in ihrer ganzen Größe aufzurichten und zu ihrer Lösung den Opfermut und die Ergebenheit der besten Elemente der Opposition zu mobilisieren. Aus ganzem Herzen wünsche ich Eurer Konferenz, dieser großen Aufgabe gerecht zu werden. Mit festem kommunistischen Gruß L.Trotzki. Prinkipo, den 17. September 1930.
Übersetzung aus dem Russischen. |
Leo Trotzki > 1930 >