Leo Trotzki: Brief an Anton Grylewicz 28. Februar 1930 [eigene Übersetzung nach dem russischen Text] Werter Genosse Grylewicz! Ich schicke diesen Brief dem Genossen Seipold. Sie schreiben über die Absicht Ihrer Gruppe, bis zur Vereinigung mit den Weddingern eine Zeitung herauszugeben. Dies bedeutet, die Vereinigung unmöglich zu machen. Wenn nicht in der ersten, dann werden Sie unausbleiblich in der zweiten Nummer eine Polemik beginnen und werden in Deutschland ungefähr in der selben Lage sein, in welcher sich die linke Opposition in Österreich befindet. Dort bestehen drei schwächliche Gruppen, welche keine prinzipiellen Differenzen vorweisen, aber sich von Zeit zu Zeit untereinander raufen. Unter diesen Bedingungen bliebe der internationalen Opposition nichts anderes übrig als abzuwarten. Genau eine solche abwartende Stellung einnehmen, wäre ich persönlich in Beziehung auf zwei linksoppositionellen Gruppen in Deutschland gezwungen. Die Differenz in der Gewerkschaftsfrage, soweit ich sie mir vergegenwärtige, hat taktischen Charakter. Sowohl ihre prinzipielle Tiefe als auch ihre praktische Bedeutung wurden bisher weder aufgedeckt, noch geklärt, noch formuliert. Nicht eine der Gruppen hatte bisher ernsthafte eigenständige Erfahrung mit Gewerkschaftsarbeit. Beim Vorhandensein allgemeine prinzipieller Voraussetzungen und beim praktischen Beistand der internationalen Opposition kann man – daran zweifle ich nicht – auf dem Weg der Erfahrung und Diskussion zu einer gemeinsamen taktischen Linie in Beziehung auf die Gewerkschaften kommen. Schließlich, sogar falls sich eine neue Spaltung als unausbleiblich erwiese, dann liefe sie nicht entlang der alte Linie, weil in beiden Organisationen verschiedene Farbtöne vorhanden sind. Sie fahren fort, auf der Abberufung des Genossen Landau zu beharren. Ich halte das gleichfalls für falsch, gar nicht davon zu reden, dass ich kein Recht habe, über einzelne Genossen zu verfügen. Heute sehen Sie das Haupthindernis im Genossen Landau. Аber morgen wird es ein neues Hindernis geben. So geschieht es immer, wenn eine Gruppe sehr schwach und von ihren inneren Angelegenheiten, aber nicht vom breiten politischen Kampf aufgesogen wird. In dem Maße, in dem die Sache um prinzipielle Differenzen mit der Fraktion Urbahns ging, unterstützte Sie die ganze internationale Opposition energisch und wird Sie ferner unterstützen. In dem Maße, in dem aber die Sache um Zank geht, der von einzelnen Personen auf der einen oder anderen Seite (richtiger, auf der einen und der anderen Seiten) hervorgerufen ist, kann auch keine Rede von Unterstützung sein. Umgekehrt, bei der ganzen internationalen Opposition kann sich schließlich ein solcher Eindruck bilden, dass als Resultat des langen Fraktionskampfes das Spitzenpersonal der deutschen Opposition sich bis zu einem solchen Grad in persönlichem Zank verheddert hat, dass man hier nichts machen kann. Ich verstehe selbstverständlich, dass persönliche Momente eine große Rolle bei der Entscheidung in Teilfragen spielen, zum Beispiel bei der Schaffung einer Redaktion: es ist hart, in eine Redaktion Leute zu stecken, welche einander erzfeindlich sind. Aber hier kann man sich auf den Abzug von einem oder zwei von jeder Seite beschränken. Dies wäre aus einem sachlichen Blickwinkel traurig, aber damit hätte man sich abfinden können. Aber die Sache geht doch um die Verschmelzung zweier Organisationen, welchen zig Arbeiter angehören. Auf deren Verschmelzung zu verzichten nur deshalb, dass X. oder Y. in Berlin, aber nicht in Wien lebt, bedeutet schauderhafte sektiererische Schwäche zu offenbaren und Unwillen, sich von sektiererischen Arbeitsmethoden zu befreien. ich lege diesem Brief die Antwort der Redaktion des Bulletins „Vérité" aus Anlass der Vorbereitung der internationalen Vereinigung bei. Je schneller und entschlossener alle Gruppen der linken Opposition die „Vérité" unterstützen werden, umso entschlossener werden Urbahns und dessen Halbverbündete isoliert: Paz und Treint in Frankreich, Pollak in der Tschechoslowakei. Es wäre jedoch außerordentliche schädlich, wenn man aus Deutschland zwei Antworten erhalten würde: eine von Ihnen, die andere von den Weddingern. Ich glaube, dass Sie verpflichtet sind, eine gemeinsame Antwort zu erstellen, sogar wenn die Vereinigung noch nicht stattgefunden hat. |
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