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Leo Trotzki 19250817 Der Kampf um die Qualität der Produktion in der Sowjetunion

Leo Trotzki: Der Kampf um die Qualität der Produktion in der Sowjetunion

[Nach Internationale Presse-Korrespondenz, 5. Jahrgang Nr. 152 (6. November 1925, S. 2281 f,]

[In der Sowjetunion wird gegenwärtig unter aktivster Teilnahme der breitesten Arbeiter- und Bauernmassen eine energische Kampagne für die Hebung der Qualität der Produktion geführt. Im nachstehenden veröffentlichen wir einen Teil aus der Rede des Genossen Trotzki in einer vom Obersten Volkswirtschaftsrat zur Hebung der Produktionsqualität besonders einberufenen Kommission. Die Redaktion.]

Es herrscht die Ansicht, dass die Hebung der Qualität der Produktion unter der Herrschaft des Kapitalismus durch die Konkurrenz bedingt wird. Das ist richtig, aber nur bis zu einem gewissen Grade. Im Maße der Konzentration der Produktion – der Vertrustung, Syndizierung – räumt die Konkurrenz in den Hauptzweigen der Produktion ihre Stelle dem Monopol ein. Das bedeutet aber bei weitem nicht die Notwendigkeit der Herabsetzung der Produktionsqualität. Die Entwicklung der Technik und der Organisation der Produktion hat neue Methoden der Hebung der Qualität geschaffen. Solche sind: die wissenschaftlich-technische Experimentalarbeit, die Festsetzung technischer Produktionsnormen für bestimmte Waren, Standarisierung, richtige Kontrolle, Herausgabe von Zertifikaten, Warenbescheinigungen seitens kompetenter wissenschaftlich-technischer Institutionen usw. Die Konkurrenz ist also nicht einmal im Kapitalismus die einzig mögliche Methode der Hebung der Produktionsqualität, um so weniger ist dies bei uns der Fall, wo die wichtigsten Zweige und Unternehmungen der Industrie in den Händen des Staates konzentriert sind, wo eine kombinierte Einwirkung auf die Industrie und auf die Qualität ihrer Produktion möglich ist. Dieser Gedanke muss jetzt besonders betont werden, da sich viele unserer Wirtschaftsfunktionäre von der Konkurrenz als eines Faktors des technischen .und wirtschaftlichen Fortschritts in unkritischer Weise hinreißen lassen. Eine besonders anschauliche und zugleich sichtbar negative Anwendung fanden die Methoden der Konkurrenz in unserer elektrotechnischen Industrie. So hat eine unserer staatlichen elektrischen Glühlampenfabriken mit der anderen konkurriert. Beide haben ihre Produktionsgeheimnisse voreinander verheimlicht, obwohl beide weit hinter der ausländischen Technik zurückgeblieben waren. Es ist ganz offenbar, dass ein Fortschritt auf diesem Gebiete nur durch die Inanspruchnahme ausländischer technischer Hilfe, durch eine richtige Einführung der experimentellen und der Kontrollarbeit bei uns, keineswegs aber durch eine Marktkonkurrenz zweier Staatsfabriken erzielt werden kann, die beide noch in den Kinderschuhen stecken und miteinander auf Kosten des Staates konkurrieren, obwohl sie zur Konkurrenz einen viel ernsteren Vergleichsmaßstab haben könnten: die auf dem Weltmarkt gangbare Glühlampe. Jetzt, durch die Vereinigung unserer beiden Starkstromtrusts, entfallen diese abnormalen Verhältnisse, und die zweifelsohne großen Errungenschaften von Moskau und Leningrad werden durch die gemeinsame Konkurrenz mit der europäischen Glühlampe eine weitere Entwicklung erfahren. Hiervon werden sowohl die Leningrader als auch die Moskauer Fabriken, hauptsächlich aber der Konsument, einen Nutzen ziehen.

In vielen, sogar in den meisten Fällen, wo wir ein schlechtes oder gar bewusst gefälschtes Produkt vor uns haben, ist es nicht so leicht, zu entscheiden, worin die Ursache liegt: in den sogenannten allgemeinen Verhältnissen, in der mangelnden, technischen Vorbereitung, in der Unfähigkeit der Führung des Unternehmens, oder etwa in böser Absicht. Alle diese Ursachen kreuzen sich in verschiedenen Proportionen. Es muss noch hinzugefügt werden, dass jeder Trust und jede Fabrik im Falle der Verletzung der Auftragsbedingungen bezüglich der Qualität oder der für die gegebene Ware festgesetzten allgemeinen Normen die Möglichkeit haben, sich auf die Schuld anderer Wirtschaftsorgane zu berufen, die ihnen schlechtes Rohmaterial oder schlechte technische Ausrüstung geliefert hätten Es wird in allen diesen Fragen nicht wenig Streit geben. Hierzu müssen wir vorbereitet sein und rechtzeitig richtige organisatorische Formen für die kompetente und rasche Lösung der mit der Frage der Qualität verbundenen Konflikte schaffen. In den nächsten Jahren werden diese Fragen in unserem Wirtschaftsleben eine große Rolle spielen. Es ist klar, weshalb: Unsere Wirtschaft wächst und die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Wirtschaftszweige und Unternehmungen bedürfen einer genauen Fixierung.

Vor kurzem fiel noch fast gar kein Wort über die Qualität der Produktion. Das Wachstum der Produktion wurde mit dem sogenannten Vorkriegsniveau in Puds oder nach den Preisen der Kataloge von 1913 verglichen; die Frage der Qualität wurde dabei gänzlich ignoriert. Was den Konsumenten anbelangt, so musste er sich freuen, wenn er nicht zwei rechte oder zwei linke Stiefel bekam, obwohl ein solches Glück auch nicht jedem Konsumenten zuteil wurde. Auch jetzt ist noch bei manchen unserer Genossenschaftsorganisationen der Abglanz dieser Epoche zu beobachten. Ganz anders wird es von nun an werden. Jede Etappe des wirtschaftlichen Aufschwunges wird eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Qualität der Produktion mit sich bringen. Der Staat selbst wird darin ein Beispiel geben. Die militärischen Behörden werden rücksichtslos eine strenge Erfüllung der Auftragsbedingungen fordern. Diese auch schon heute bemerkbaren erhöhten Ansprüche der innerwirtschaftlichen Organe sind ein gesunder und progressiver Faktor. Auch das Verkehrskommissariat, das Post- und Telegraphenkommissariat usw. werden immer anspruchsvoller. Die Wirtschaftsfunktionäre beklagen sich nicht selten über die „Haarspalterei" der staatlichen Konsumenten. Es ist sehr leicht möglich, dass vielleicht in einzelnen Fällen tatsächlich eine gewisse bürokratische Haarspalterei vorhanden ist. Das ist aber eine nebensächliche Frage. Im allgemeinen haben wir einen tief progressiven Prozess vor uns: Jeder Konsument fordert die Hebung der Qualität der Produktion. Diese Tatsache widerspiegelt sich auch in dem Verhältnis des einen Trusts zum anderen. Wenn das Volkskommissariat für Post und Telegraph auf den Schwachstromtrust einen Druck ausübt, dann fordert letzterer seinerseits bessere Kabelleitungen vom Starkstromtrust. Die Maschinenbautrusts fordern gutes Eisen, die Textiltrusts fordern Merinowolle, gute Baumwolle, gute Farbstoffe usw. Streitigkeiten einzelner Wirtschaftsorgane untereinander auf diesem Gebiete sind eine unvermeidliche Folgeerscheinung des Kampfes um die Qualität der Produktion. Diese Streitigkeiten darf man nicht mit einer Handbewegung als Händelsüchtigkeit abtun, sondern man muss ihren progressiven Sinn begreifen. Wir brauchen kompetente, qualifizierte Sachverständigenkommissionen in allen Produktionszweigen. Das ist einer der Bestandteile jenes Mechanismus, der in der sich herausbildenden sozialistischen Gesellschaft eine ständige Hebung der Produktionsqualität garantieren muss.

Noch eine Frage: Es ist schon öfter gesagt worden, dass der Vergleich der gegenwärtigen Produktion mit dem sogenannten Vorkriegsniveau als untauglich verworfen werden muss, nicht nur, weil das Vorkriegsniveau für uns kein Ideal ist, sondern vor allem deshalb, weil aus dem Rahmen eines solchem Vergleiches die Frage der Produktionsqualität gänzlich herausfällt. Wir müssen die Produktion unserer Industrie mit der entsprechenden Produktion des gegenwärtigen Weltmarktes vergleichen. Das ist der einzig richtige und instruktive Maßstab. Indem wir bestimmte technische Normen für unsere Industrie festsetzen, und für ihre Durchführung sorgen, müssen wir wenigstens für die wichtigsten Produkte einen Vergleichskoeffizienten berechnen, der das Verhältnis unseres Produktes zu den Erzeugnissen der Weltproduktion zum Ausdruck bringt. Wenn, sagen wir, unser Farbstift zweimal so teuer wie der ausländische, ist, und wenn er wegen seiner Zerbrechlichkeit dreimal so rasch wie der ausländische verbraucht wird, wenn er dabei auch dreimal so schlecht schreibt wie der ausländische (auch das muss in Betracht gezogen werden), dann wird der Vergleichskoeffizient 1 : 2*3*3 =1:18 betragen, das heißt, unser Bleistift wird 18mal schlechter sein als der ausländische. Ein solcher Koeffizient mag ungeheuerlich erscheinen, indessen erweist er sich in manchen Fällen als ganz real. Man muss der Einschätzung durch das Augenmaß: „Ein wenig schlechter", „Ein wenig teurer", „Etwas weniger haltbar" usw. ein Ende setzen. „Ein wenig" multipliziert mit „ein wenig“ und dazu noch „ein wenig“ gibt einen solchen Koeffizienten, der uns ungeheuerlich erscheint.

Ein Vergleichskoeffizient also, der genau festgesetzt, streng nachgeprüft und vor den Produktionsfunktionären allseitig beleuchtet wird, wird eine mächtige erzieherische, das heißt anspornende Wirkung haben. Das ist etwas wirksamer als die Konkurrenz zwischen zwei Staatsfabriken, die beide gleich rückständig gegenüber der ausländischen Produktion sind.

Die allmähliche Änderung dieser Vergleichskoeffizienten wird dabei der beste Maßstab für die Befestigung unserer sozialistischen Positionen in der internationalen kapitalistischen Umgebung sein. Wenn wir in viel schlimmeren Zeiten jede Illusion und Selbsttäuschung bekämpft haben, so bedürfen wir ihrer heute um so weniger. Das, was wir geschaffen haben, ist groß genug, um die noch ungelösten gigantischen Aufgaben klar zu beleuchten. Die kapitalistische Welt ist stark durch das kolossale Übergewicht ihrer technischen Macht. Wir sind aber stark durch die Möglichkeiten, die uns die nationalisierte Industrie und die vergesellschaftete wissenschaftlich-technische Arbeit eröffnen. Um diese Vorzüge auszunützen, bedürfen wir einer furchtlosen Einschätzung unserer Rückständigkeit und ein leidenschaftliches Bestreben, diese Rückständigkeit zu überwinden. Das allgemeine Gerede über die Rückständigkeit muss durch die Sprache genauer Zahlen ersetzt werden. Die Vergleichskoeffizienten werden einen Maßstab für unsere Kraft und unsere Schwäche darstellen und zum ununterbrochenen Kampf um die Hebung der Qualität unserer Produktion antreiben.

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