Leo Trotzki‎ > ‎1923‎ > ‎

Leo Trotzki 19231008 Brief an die Mitglieder von Zentralkomitee und Zentraler Kontrollkommission

Leo Trotzki: Brief an die Mitglieder von Zentralkomitee und Zentraler Kontrollkommission

[Zusammenfassung der menschewistischen Emigrantenzeitung Sotsialistitscheskij Westnik, nach Die Linke Opposition in der Sowjetunion 1923-28. Band I, Westberlin 1976, S 197-204. Der vollständige Text wurde veröffentlicht in Schriften 3.1 Hamburg 1997, S. 149-170]

1. „Einer der Vorschläge der Kommission des Gen. Dserschinski (die anlässlich der Streiks und ähnlicher Vorkommnisse eingerichtet wurde) besagt, man müsse Parteimitglieder, die von Gruppenbildungen in der Partei Kenntnis haben, verpflichten, dies der GPU, dem ZK und der ZKK mitzuteilen. Man könnte meinen, dass die Informierung der Parteiorganisation darüber, dass sich parteifeindliche Elemente ihres Rahmens bedienen, für jedes Parteimitglied eine derart elementare Pflicht darstellte, dass keine Notwendigkeit bestände, darüber sechs Jahre nach der Oktoberrevolution besondere Beschlüsse zu fassen. Dass überhaupt das Bedürfnis nach einem solchen Beschluss entstanden ist, ist ein äußerst besorgniserregendes Symptom, neben dem andere stehen, die nicht weniger eindeutig sind." So beginnt Trotzki seinen Brief, der die kürzlich geführte Diskussion eröffnete, und fährt fort: „Das Bedürfnis nach einem solchen Beschluss bedeutet:

a) dass sich in der Partei illegale oppositionelle Gruppen gebildet haben, die der Revolution gefährlich werden können, und

b) dass es in der Partei Tendenzen gibt, dass Genossen, die von solchen Gruppenbildungen wissen, die Parteiorganisationen nicht davon unterrichten. Beide Tatsachen zeugen von der außerordentlichen Verschlechterung der Lage in der Partei seit dem 12. Parteitag" (…) „Sehr viele Mitglieder der Partei, durchaus nicht die schlechtesten, verfolgten mit größter Besorgnis die Maßnahmen und Verfahrensweisen, mit denen der 12. Parteitag einberufen wurde" … Die in einem halben Jahr geleistete Arbeit des neuen ZK erwies sich jedoch als Verschärfung der Methoden und Verfahrensweisen, mit denen der 12. Parteitag einberufen worden war, und als Resultat davon kam es innerhalb der Partei sowohl zur Bildung offen feindlicher und erbitterter Gruppen als auch dazu, dass es zahlreiche Elemente gab, die von der Gefahr wussten, aber davon keine Mitteilung machten …

2. Die äußerste Verschlechterung der innerparteilichen Situation hat zwei Gründe:

a) eine grundsätzlich falsche und ungesunde innerparteiliche Ordnung und

b) die Unzufriedenheit der Arbeiter und Bauern mit der schweren ökonomischen Lage, die sich nicht nur als Ergebnis von objektiven Schwierigkeiten, sondern auch als Ergebnis offenkundiger grundlegender Fehler der Wirtschaftspolitik entwickelt hat.

3) „Der 12. Parteitag kam zusammen unter dem Motto des Brückenschlags (zwischen Industrie und Landwirtschaft, U.W.) Als Autor der Thesen über die Industrie habe ich das ZK vor dem Parteitag auf die außerordentlich große Gefahr hingewiesen, dass unsere wirtschaftliche Aufgabe auf dem 12. Parteitag in abstrakt-agitatorischer Form vorgestellt wird, obgleich die Aufgabe darin besteht, eine ,Umkehr der Aufmerksamkeit und des Willens der Partei' in Richtung auf die konkreten lebenswichtigen Aufgaben mit dem Ziel der Verbilligung der Selbstkosten für die staatlichen Produkte herbeizuführen."

4. Die Resolution über die Industrie fordert die Kräftigung und Stärkung der Organisation der Staatlichen Plankommission (Gosplan), seine Festlegung als führendes Planungsorgan. Es ist äußerst bedeutsam, dass das ZK nach dem 12. Parteitag in den Besitz einer schon während seiner Krankheit geschriebenen Notiz des Genossen Lenin gelangte, in der der Gedanke geäußert wird, es sei notwendig, dem Staatlichen Plankomitee sogar gesetzgeberische (genauer gesagt: administrativ-anordnende) Rechte zu verleihen. In Wirklichkeit wurde das Staatliche Plankomitee in der Zeit nach dem 12. Parteitag noch mehr beiseite geschoben.… „In größerem Umfang als vor dem Parteitag werden äußerst wichtige wirtschaftliche Fragen im Politbüro in aller Eile entschieden, ohne entsprechende Vorbereitung und außerhalb ihres Planungszusammenhangs"

Trotzki weist weiter darauf hin, dass Rykow und Pjatakow dem ZK am 19. September (1923) einen Bericht vorgelegt haben, in dem sie davon sprechen, dass „einige Entscheidungen des Politbüros uns dazu veranlassen, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass sich die Leitung der uns anvertrauten staatlichen Industrie unter den sich entwickelnden Verhältnissen äußerst schwierig gestaltet." Diesen Absatz beendet Trotzki mit den Worten: „Eine Leitung der Wirtschaft existiert nicht, das Chaos kommt von oben."

5. In diesem Absatz weist Trotzki darauf hin, dass eine der Ursachen für die gegenwärtigen Krisen in Handel und Industrie „der eigengesetzliche, d. h. dem allgemeinen Wirtschaftsplan nicht untergeordnete Charakter unserer Finanzpolitik" ist. Und weiter … „Ein wesentliches charakteristisches Moment ist der Umstand, dass das ungeheuer angewachsene Missverhältnis zwischen den Preisen für industrielle und denen für landwirtschaftliche Produkte gleichbedeutend ist mit der Liquidierung der Neuen ökonomischen Politik, denn für den Bauern – die Basis der NEP – ist es gleichgültig, warum er nicht kaufen kann: weil der Handel durch Dekrete verboten ist oder weil zwei Schachteln Streichhölzer genauso viel kosten wie ein Pud (16,38 kg) Brot." Trotzki verweist darauf, dass die Konzentration der Industrie auf Schritt und Tritt gegen „politische" Erwägungen stößt, und hält es für nötig, die Aufmerksamkeit auf einen Teilaspekt der Frage zu richten, der seiner Meinung nach die gesamte Frage klar beleuchtet. Er legt dar, wozu „die Führung der Wirtschaft durch die Partei durch das Fehlen eines Planes, eines Systems und einer richtigen Parteilinie" entarte.

Auf dem 12. Parteitag", schreibt Trotzki, „wurde von empörenden Missbräuchen mit Erklärungen über Handel und Industrie seitens einiger Parteiorganisationen berichtet. Worin bestand dieser Missbrauch? Darin, dass manche Parteiorganisationen, die dazu verpflichtet sind, die Wirtschaftsorgane zu leiten, indem sie sie zu höchster Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit, Ökonomie und zu Verantwortungsgefühl erziehen sollen, diese in Wirklichkeit zersetzen, indem sie zu gröbsten und verschwenderischsten Mitteln greifen und den Staat betrügen: anstatt die Unternehmen einfach mit einer Industriesteuer zugunsten der Parteiorganisationen zu belegen, was ungesetzlich wäre, aber wenigstens einen realen Sinn hätte, greift man zur Zwangseintreibung sinnloser Propaganda-Erklärungen, mit denen dann Papier, Druckerarbeit und anderes vergeudet werden. Das Schlimmste daran ist, dass sich die Wirtschaftler nicht entschließen können, dieser Raubpolitik und Demoralisierung entgegenzutreten, sondern im Gegenteil nach genauer Anweisung des Sekretärs des Gouvernementskomitees für eine halbe oder ganze Seite irgendeines ,Sputnik komunista' einen Beitrag leisten. Wenn es irgendein Wirtschaftler wagte, sich zu widersetzen, d. h. ein wirkliches Verständnis seiner Parteipflicht zeigte, dann würde er sofort in die Kategorie derer eingestuft, die die ,Parteileitung' nicht anerkennen, mit allen sich daraus ergebenden Folgen" (…) „Man muss überhaupt keine Ahnung davon haben, was richtige Wirtschaftsarbeit und Verantwortungsgefühl bedeuten, um eine derartige ,Leitung' der Wirtschaft durchgehen zu lassen. "…

7. Das letzte Plenum des ZK hat eine Parteikommission zur Verringerung der Unkosten und zur Herabsetzung der Preise eingesetzt … „Doch es ist vollkommen offenkundig, dass eine mechanische Herabsetzung der Preise durch die staatlichen Organe unter dem Einfluss politischer Motive in der Mehrzahl der Fälle nur die Zwischenhändler bereichern und sich kaum auf den Bauernmarkt auswirken wird" (…) „Allein die Gründung einer Kommission zur Herabsetzung der Preise ist ein beredter und vernichtender Beweis dafür, wie eine Politik, die die Bedeutung einer planmäßigen operativen Regulierung ignoriert, unter dem Einfluss ihrer eignen unausweichlichen Folgen zu Versuchen eines kriegskommunistischen Kommandierens über die Preise gezwungen wird! Das eine ergänzt das andere und untergräbt die Wirtschaft, anstatt ihren Zustand zu bessern."

8. „Das ungeheure Auseinanderfallen der Preise bei der Belastung durch eine einheitliche Steuer, die hauptsächlich deswegen bedrückend wirkt, weil sie nicht auf die bestehenden wirtschaftlichen Verhältnisse abgestimmt ist, hat von neuem die äußerste Unzufriedenheit der Bauern hervorgerufen. Diese Politik wirkte sich sowohl direkt als auch indirekt auf die Stimmung der Arbeiter aus. Schließlich hat die veränderte Stimmung der Arbeiter jetzt auch die Partei ergriffen. Oppositionelle Gruppierungen sind aktiv geworden und haben sich vergrößert. Ihre Unzufriedenheit hat sich verschärft. So hat sich der Brückenschlag: vom Bauern über den Arbeiter zur Partei – in umgekehrter Richtung gegen uns gewandt. Wer das nicht vorhergesehen hat oder bis zum letzten Moment davor die Augen verschlossen hat, der hat eine recht anschauliche Lektion erhalten" … Das Wesen des heftigen Konflikts im Politbüro auch am Vorabend des Parteitags, schreibt Trotzki, bestand in der Einstellung zu dem zentralen Problem: der Rationalisierung der staatlichen Industrie und der Schließung der Schere zwischen industriellen und landwirtschaftlichen Preisen.

9. Als eine der wichtigen Aufgaben des neuen ZK bezeichnete der 12. Parteitag die sorgfältige persönliche Auswahl der Wirtschaftler von oben nach unten. Die Aufmerksamkeit des Organisationsbüros dem Gebiet der Auswahl der Funktionäre ging jedoch in völlig andere Richtung. Bei Ernennungen, Entlassungen und Versetzungen wurden Parteimitglieder vor allem unter dem Aspekt beurteilt, in welchem Maße sie für die Unterstützung der innerparteilichen Ordnung förderlich oder hinderlich sein könnten, die – heimlich und inoffiziell, aber um so wirkungsvoller – durch das Organisationsbüro und das Sekretariat des ZK durchgesetzt worden ist. Auf dem 12. Parteitag war gesagt worden, dass als Mitglieder des ZK „unabhängige" Leute gebraucht würden.

Dieses Wort bedarf jetzt keiner Kommentare mehr. Danach begann die Einführung des Kriteriums der „Unabhängigkeit" bei der Ernennung von Sekretären der Gouvemementskomitees durch das Generalsekretariat und weiter von oben nach unten, bis zur letzten Zelle. Diese Arbeit der Auswahl der Parteihierarchie aus Genossen, die vom Sekretariat als unabhängig im obengenannten Sinne des Wortes angesehen werden, entwickelte sich mit unerhörter Intensität.

10. „Im schlimmsten Zeitpunkt des Kriegskommunismus hatte das Wesen der Kooptation innerhalb der Partei auch nicht ein Zehntel der Verbreitung wie heute. Die Ernennung der Sekretäre der Gouvemementskomitees ist jetzt die Regel. Das schafft für die Sekretäre eine im Wesentlichen von den örtlichen Organisationen unabhängige und unkontrollierbare Position. Im Falle von Opposition, Kritik und Unzufriedenheit nimmt der Sekretär seine Zuflucht zu Versetzung, wobei er sich der Zentrale bedient. Auf einer der Sitzungen des Politbüros wurde mit Befriedigung erklärt, dass bei der Zusammenlegung eines Gouvernements die einzige Frage, die die zusammengelegten Organisationen interessierte, die war, wer der Sekretär des vereinigten Gouvernementskomitees sein würde. Der von der Zentrale ernannte und eben dadurch von der örtlichen Organisation nahezu unabhängige Sekretär bildet seinerseits die Quelle weiterer Ernennungen und Entlassungen im Gebiet des Gouvernements. Der von oben nach unten geschaffene Sekretärsapparat zieht in immer stärker eigengesetzlicher Weise alle Fäden an sich. Die Teilnahme der Parteimassen an der wirklichen Formierung der Parteiorganisationen wird immer stärker illusorisch. Es ist in den letzten ein bis anderthalb Jahren eine besondere Sekretärspsychologie entstanden, deren wesentlicher Zug die Überzeugung ist, dass der Sekretär in der Lage ist, jede beliebige Frage ohne Vertrautheit mit dem Wesen der Sache zu entscheiden. Wir können regelmäßig beobachten, wie ein Genosse, der keinerlei organisatorische, administrative oder sonstige Fähigkeiten gezeigt hat, solange er an der Spitze einer Sowjetinstitution stand, herrisch wirtschaftliche und andere Fragen zu lösen beginnt, sobald er auf den Posten eines Sekretärs gerät. Eine solche Praxis ist umso schädlicher, weil sie das Verantwortungsgefühl schwächt und vernichtet.

11. Der 12. Parteitag verlief unter dem Zeichen der Demokratie. Viele Worte von damals, die zum Schutz der Arbeiterdemokratie gesagt wurden, erschienen mir übertrieben und in erheblichem Umfang demagogisch angesichts der Unvereinbarkeit einer vollen, bis ins letzte entwickelten Arbeiterdemokratie mit der Ordnung der Diktatur. Doch es war vollkommen klar, dass die Einengung der Epoche des Kriegskommunismus lebendigeren und umfassenderen Formen der Parteiöffentlichkeit Platz machen muss. Die Ordnung jedoch, die im Grunde schon vor dem 12. Parteitag errichtet worden ist und danach ihre endgültige Festigung und Formulierung erhalten hat, ist weit entfernter von Arbeiterdemokratie als die Ordnung der schlimmsten Tage des Kriegskommunismus. Die Bürokratisierung des Parteiapparats hat durch die bei der Sekretärsauswahl angewendeten Methoden eine unerhörte Entwicklung genommen. Wenn wir in den schlimmsten Stunden des Bürgerkriegs in den Parteiorganisationen und sogar in der Presse über die Heranziehung von Spezialisten, über Partisanenwesen und reguläre Armee, über Disziplin usw. usw. gestritten haben, dann ist jetzt an einen derart offenen Gedankenaustausch über Fragen, die wirklich die Partei bewegen, nicht einmal auch nur zu denken. Es hat sich eine überaus breite Schicht von im Staats- oder Parteiapparat tätigen Parteiarbeitern gebildet, die eine eigne Parteimeinung geradezu aufgegeben hat, zumindest eine öffentlich geäußert, so als meinten sie, dass die Sekretärshierarchie derjenige Apparat sei, welcher Parteimeinungen und Parteientscheidungen hervorbringe. Unter dieser Schicht, die sich einer eignen Meinung enthält, zieht sich die breite Schicht der Parteimassen hin, denen gegenüber sich jede Entscheidung schon als eine Art von Aufruf oder Befehl darstellt. In dieser breiten Masse der Basis der Partei herrscht außerordentlich starke Unzufriedenheit, sowohl vollkommen berechtigte als auch durch zufällige Ursachen hervorgerufene. Diese Unzufriedenheit wird nicht auf dem Wege offenen Gedankenaustauschs auf Parteiversammlungen und auf dem Wege des Einwirkens der Massen auf die Organisation der Partei (Wahl der Parteikomitees, der Sekretäre usw.) beseitigt, sondern sie sammelt sich im Stillen an und führt dann zu inneren Geschwüren."

12. Auf dem 12. Parteitag wurde offiziell Kurs auf die „alten Bolschewiken" genommen. Hier betont Trotzki, dass die Kader der alten Bolschewiken eine „revolutionäre Hefe" der Partei und ihr „organisatorisches Rückgrat" darstellen, und er stimmt der Meinung zu, dass sie alle führenden Stellungen der Partei einnehmen sollen. Doch die Methode ihrer Einsetzung von oben nach unten stellt eine Gefahr dar, umso mehr, als bei der Einsetzung der Sekretäre die „Unabhängigkeit", von der bereits die Rede war, bedeutsam bleibt. Doch das Wachsen der Unzufriedenheit gegenüber dem eigengesetzlichen Apparat der Sekretäre, die sich mit dem alten Bolschewismus identifizieren, kann in Zukunft schwere Folgen für die Bewahrung der ideologischen Hegemonie der alten illegalen Bolschewiken in der heutigen Partei haben.

13. Ein schlimmes Symptom war der Versuch des Politbüros, den Etat auf dem Verkauf von Wodka aufzubauen, d. h. die Einkünfte des Arbeiterstaates von den Erfolgen der Wirtschaftsorganisation unabhängig zu machen. Nur der entschiedene Protest innerhalb und außerhalb des ZK vereitelte einstweilen diesen Versuch, der nicht nur der Wirtschaftsarbeit, sondern auch der Partei selbst einen äußerst schweren Schlag versetzt hätte. Doch der Gedanke an eine weitere Legalisierung des Wodkas ist vom ZK auch bis jetzt noch nicht verworfen worden. Es besteht kein Zweifel, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen dem eigengesetzlichen Charakter der Sekretärsorganisation, die immer unabhängiger von der Partei wird, und der Tendenz, einen von Erfolg oder Misslingen der kollektiven Aufbautätigkeit nach Möglichkeit unabhängigen Etat zu entwerfen, gibt. Der Versuch, die ablehnende Haltung gegenüber der Legalisierung des Wodkas offenbar zu einem Verbrechen gegen die Partei zu machen, und die Entfernung eines Genossen aus der Redaktion des Zentralorgans, der die Freiheit der Erörterung dieses verhängnisvollen Plans verlangt hatte, werden für immer zu den unwürdigsten Momenten in der Geschichte der Partei gehören."1

Die Punkte 14 und 15 sind der Kritik von Entscheidungen und Maßnahmen des Politbüros gegenüber der Armee und der sie leitenden Behörde, dem Revolutionären Militärrat [Rewoensowjet], gewidmet. Aus verständlichen Gründen gehen wir nicht auf die (bisweilen mehr als vielsagenden) Details der Kritik in dieser Frage ein, wollen aber darauf hinweisen, dass Trotzki schreibt: „Auf dem letzten Plenum wurde der Versuch unternommen, eine Gruppe von ZK-Leuten unter der Führung von Stalin in den Rewoensowjet hinein zu bekommen. Nur mein auf das Entschiedenste geäußerter Protest hielt das Plenum von der sofortigen Durchführung der genannten Maßnahme ab." Weiter beschreibt Trotzki die Geschichte der Aufnahme von Laschewitsch und Woroschilow in den Rewoensowjet und vergleicht diese Maßnahmen mit der seinerzeit bekannten Kampagne gegen den ukrainischen Rat der Volkskommissare.

Punkt 15 des Briefes schließt mit folgenden charakteristischen Zeilen: „Nicht umsonst hat Kuibyschew auf den ihm von mir gemachten Vorwurf, dass wirklichen Motive des Vorschlags über die Ablösungen im Militärischen Revolutionsrat nichts mit den offiziell erklärten Motiven zu tun hätte, diesen Widerspruch nicht nur nicht bestritten – wie hätte er sich auch bestreiten lassen? – sondern mir offen gesagt: ,Wir halten es für notwendig, gegen Sie zu kämpfen, doch wir können Sie nicht zum Feind erklären; daher sind wir gezwungen, derartige Methoden anzuwenden'."

Mit den Punkten 16 und 17 schließt der Brief Trotzkis: „Die Partei tritt in die vielleicht entscheidendste Epoche der Geschichte mit der schweren Last der Fehler ihrer führenden Organe… Zum 6. Jahrestag der Oktoberrevolution und am Vorabend der Revolution in Deutschland ist das Politbüro genötigt, den Entwurf einer Verordnung zu erörtern, der besagt, dass jedes Parteimitglied verpflichtet ist, den Parteiorganisationen und der staatlichen politischen Verwaltung (GPU) von illegalen Gruppierungen in der Partei Mitteilung zu machen. Es ist völlig offensichtlich, dass eine solche Ordnung und ein solcher Zustand der Partei unvereinbar mit den Aufgaben sind, die der Partei allein aus der Tatsache der deutschen Revolution erwachsen können und aller Wahrscheinlichkeit nach erwachsen werden. Dem Bürokratismus der Sekretäre muss ein Ende bereitet werden. Die Parteidemokratie muss zumindest in den Bereichen, in denen der Partei Verknöcherung und Entartung drohen, zu ihrem Recht kommen. Die unteren Schichten der Partei müssen sich im Rahmen der Parteilichkeit darüber äußeren, womit sie nicht zufrieden sind, und sie müssen die tatsächliche Möglichkeit erhalten, in Übereinstimmung mit den Parteistatuten und, was die Hauptsache ist, mit dem Gesamtsinn unserer Partei ihren organisatorischen Apparat zu gestalten …" (…) „Den Mitgliedern von ZK und ZKK ist bekannt, dass ich mit aller Entschiedenheit und Bestimmtheit im ZK gegen eine falsche Politik gekämpft habe, dass ich es jedoch grundsätzlich vermieden habe, den Kampf im ZK auch nur einem sehr engen Kreis von Genossen zur Beurteilung vorzutragen; das gilt auch für Genossen, die bei einem einigermaßen richtigen Parteikurs einen bedeutenden Platz in ZK und ZKK hätten einnehmen müssen. Ich muss feststellen, dass meine anderthalbjährigen Bemühungen zu keinem Resultat geführt haben. Es droht dazu zu kommen, dass die Partei in eine plötzliche Krise von ungewöhnlicher Schärfe gerät, und in dem Fall hätte die Partei das Recht, jedem, der die Gefahr sah, sie aber nicht offen beim Namen nannte, vorzuwerfen, dass er die Form höher stellte als den Inhalt.

Angesichts der eingetretenen Lage halte ich es nicht nur für mein Recht, sondern auch für meine Pflicht, das, was ist, jedem Parteimitglied mitzuteilen, das ich für genügend geschult, reif, diszipliniert und infolgedessen fähig halte und der Partei dabei zu helfen, ohne fraktionelle Krämpfe und Erschütterungen aus der Sackgasse herauszufinden."

1 Erstes Anführungszeichen hierzu fehlt, es dürfte an den Anfang dieses Punktes gehören, d. Übers.

Kommentare