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Leo Trotzki 19230205 Befehl des Revolutionären Kriegsrates der Sowjetrepublik zum 5. Jahrestag der Roten Armee

Leo Trotzki: Befehl des Revolutionären Kriegsrates der Sowjetrepublik zum 5. Jahrestag der Roten Armee.

[Nach Internationale Presse-Korrespondenz, 3. Jahrgang Nr. 33 (21. Februar 1923), S. 239 f.]

Moskau, 5. Februar 1923.

Senken wir die Fahne vor dem Andenken unserer Gefallenen!

Auf unserem Wege haben wir viele Verluste gehabt. Die Rote Armee gab der Sowjetrepublik ihre heutigen Grenzen durch eine Reihe von schwersten Offensiven und Defensiven, Siegen und Niederlagen. Auf dem Blute unserer Helden feiern wir unser Fest.

Am 23. Februar 1918, inmitten des Angriffes unserer Feinde, verkündete die Arbeiter- und Bauernregierung die Notwendigkeit der Aufstellung von bewaffneten Kräften. Klein und schwach waren unsere ersten Truppen. Unter den Mauern von Kasan und Simbirsk erhielt die junge Armee ihre Feuertaufe. Hier, an der Wolga, lernt sie an ihre eigene Kraft glauben. Im Kampfe gegen Koltschak wächst und erstarkt sie, und erhebt sich nach jedem Misserfolg zu einer höheren Stufe. Der Feind versucht, die Rote Armee von innen zu zersetzen – Verrat nistet sich in den Reihen unserer Stäbe und Truppen ein. Die revolutionäre Armee säubert sich mit glühendem Eisen, ohne den Kampf mit dem offenen Feinde auf eine einzige Stunde unterbrechen zu können.

Die Front Denikins im Süden trachtet sich mit der Front Koltschaks im Osten zu vereinigen. Von den Steppen des Dons und Kubans entsendet die Gegenrevolution gegen den revolutionären Norden eine erprobte Kavallerie. Vor der Roten Armee erwächst die Aufgabe, eine eigene Kavallerie herbeizuschaffen. Der Proletarier setzt sich aufs Pferd. In einigen Monaten stehen Kavalleriedivisionen unter Waffen, die auf dem Kampfplätze zu einem roten Schrecken werden. An der Küste des Nördlichen Eismeeres fuhrt unsere Infanterie einen hartnäckigen Stellungskampf gegen die Engländer, Amerikaner und Weißen in Schneegruben und engen Hohlwegen. Die Rote Armee rettet zweimal Petersburg vor den weißgardistischen Truppen, die aus erprobten und nach den letzten Errungenschaften der Technik ausgerüsteten Kämpfern bestanden.

Im Frühjahr 1920 schlägt die Rote Armee den Angriff der Schlachta Polens auf Kiew zurück und marschiert mit einem unvergleichlichen Schwunge – ohne Reserven, ohne Rückendeckung, ohne Beschuhung – bis zu den Mauern Warschaus vor, eine revolutionäre Verbindung mit der polnischen Arbeiterschaft suchend. Sie wurde jedoch gezwungen, sich vor den frischen Kräften des französisch-polnischen Imperialismus, der die polnischen Arbeitermassen unterjocht, zurückzuziehen. In ihrem Rücken steht Wrangel, das letzte Aufgebot der Entente, der Helfershelfer der polnischen Schlachta. Den sich in der Krim eingegrabenen weißen Verrätern versetzt die Armee der Revolution einen vernichtenden Schlag. Die Kämpfe um Perekop wurden in das Buch der Geschichte als unvergleichliches Beispiel der revolutionären Heldenhaftigkeit eingeschrieben.

Die über 5 Millionen Mann starke Rote Armee baut sich nach dem Zusammenbruch der weißen Fronten rasch ab. Inmitten eines ununterbrochenen Abbaues und ununterbrochenen Lernens setzt sie den Kampf fort. Schlag auf Schlag versetzt sie den polnisch-rumänischen Söldnerbanden Petljuras und Sawinkows entlang der Grenze. Bis an die Brust im Schnee, manchmal bis zu den Knien in eiskaltem Wasser, säubert sie Sowjetkarelien von den weißfinnischen Truppen. In Turkestan und im verbündeten Buchara schlägt sie die Baschmaken-Banden, die von der englischen Agentur gebildet und bewaffnet wurden. Sie hilft dem mongolischen Volke, sich von den Banden zu befreien, die Mongolien in ein Operationsgebiet gegen Sowjetsibirien und gegen die Unabhängigkeit Chinas zu verwandeln suchten. Endlich beseitigt die Rote Armee im Fernen Osten, Hand in Hand mit den dortigen Aufständischen, die letzten Stützpunkte des Weißgardistentums und seiner japanischen Beschützer; Von Murmansk bis Sebastopol, von den Mauern Warschaus bis Wladiwostok – das war der Umkreis des Kriegsterrains der Roten Armee während dieser fünf Jahre.

Fast überall – in der Ostsee und im Weißen Meer, auf der Wolga und auf dem Dnjepr, auf dem Asowschen und auf dem Kaspischen Meere – wirkte Hand in Hand mit der Roten Armee die Rote Flotte. Und nicht nur auf dem Wasser: der beste Teil der Seeleute hat sich sehr oft zu Landtruppen zusammengefügt, die sich in den Kämpfen auf den gefährlichsten Posten stellten.

Die Jahre des Kampfes und des Ruhmes waren zugleich Jahre der Entbehrung und Not. Obwohl die halbverhungerten Arbeiter der Kriegsindustrie all ihre Kräfte der Sache der Verpflegung der roten Kämpfer gewidmet hatten, war nicht alles Nötige in genügendem Maße vorhanden: vom Brot bis zur Munition. Bereits durch Siege geweihte Regimenter marschierten ohne Stiefel. Durch Blut eroberte Positionen mussten oft nur darum preisgegeben werden, weil wir nichts gehabt haben, womit wir das Feuer des Feindes hätten erwidern können. Nur dank der Duldsamkeit und der Selbstverleugnung der revolutionären Kämpfer war der Kampf möglich. Nur die Unterstützung der arbeitenden Massen hat den Sieg gesichert.

Was und wie sie konnte, half die Rote Armee während all dieser Jahre bei der wirtschaftlichen Arbeit. Mit der Durchführung der Nahrungsmittelrequisitionen rettete sie die Industrie und die städtische Bevölkerung vor dem Hungertode. Sie fällte Bäume, schaffte Brennholz, fuhr das Holz der Bevölkerung zu und rettete dadurch die Fabrikanlagen und die Arteiterviertel vor Zerstörung und Erfrieren. Zwischen zwei Wellen des Bürgerkrieges widmete sie ihre Divisionen vollkommen der Arbeit – im Ural, im Donbassin, im Grosnyschen Naphthagebiet und auf anderen Stellen.

In dieses Leben unter Kämpfen, Arbeit und Entbehrung griffen verwüstende Epidemien ein. Ihre Wirkung war unvergleichlich fürchterlicher als die des feindlichen Feuers. Nicht nur die Spitäler, sondern auch die Kasernen verwandelten sich auf Wochen, manchmal auf Monate in Typhuslager. Die Geschichte hat selten ähnliche Leiden gesehen. Aber durch die Kraft des revolutionären Geistes der zum Selbstbewusstsein erwachten Massen hat die Armee alles ertragen, alles überwunden und marschierte über alles hinweg zum Siege.

Von 5.300.000 Mann ist der Stand der Roten Armee und der Roten Flotte heute auf 600.000 Mann reduziert. Millionen der früheren Kämpfer haben sich in alle Ecken und Enden des Landes zerstreut, in die Dörfer, in die Fabriken und in verschiedene Behörden des Sowjetstaates. Am Tag ihres fünfjährigen Jubiläums schließt die Armee in Gedanken sie alle in ihre Familie ein und umarmt vor allem mit brüderlichem Gefühl jene roten Kämpfer, die an ihrem Körper schwere Spuren der Kämpfe und der Siege tragen: unsere roten Invaliden. Es sind ihrer nur einige Zehntausende: der Feind hat der Regel nach nicht nur die Gefangenen ermordet, sondern auch die Verwundeten erschlagen.

Ihre Armee errichtete Sowjetrussland aus Arbeitern und Bauern. Ausbeuter haben in der Armee keinen Platz. Zur Ausbildung der Rotarmisten und zur richtigen Führung und Organisierung der Armee wurden Tausende ehemaliger Offiziere herangezogen. Unter ihnen fand die Revolution viele ehrliche und hingebende Diener, die ihre ganze Kraft der Sache der Werktätigen widmeten. Gleichzeitig wurde während dieser fünf Jahre in den militärischen Schulen ein neuer Kommandeurstand erzogen, der mit den Arbeitern und Bauern in enger Fühlung steht.

Die auf 600.000 Mann reduzierte Armee verwandelt sich immer mehr in einen Kader für mehrere Millionen starke proletarische und Bauernreserven. Wir beschreiten zugleich den Weg einer immer breiteren Anwendung der Prinzipien des Milizsystems. Um so wichtiger, um so lebensnotwendiger ist für die Armee die weitere Entwicklung der vormilitärischen Vorbereitung und die unaufhörliche Verbindung unserer bewaffneten Kräfte mit den arbeitenden Massen, mit den lokalen Sowjets, mit den Gewerkschaften, mit dem Jugendverbande und mit den Organisationen der Kommunistischen Partei.

Die fortgeschrittenen Proletarier haben als Kommissare, Agitatoren, politische Leiter die Armee aufgeklärt, zusammengehalten und ihr in den schwersten Stunden Mut eingeflößt. Eine unerschöpfliche Kraft der Roten Armee bestand in ihrem Glauben an ihre hohe Berufung: jeder Rotarmist wusste und weiß es, dass, zum Unterschiede von allen bisher dagewesenen Armeen, unsere Armee den Kampf um das Wohl der Arbeiter gegen ihre Ausbeuter zur Aufgabe hat. Die Rote Armee ist der Schutz der Unterdrückten, die Rote Armee ist das Schwert der Rebellen!

In einem großen Irrtum befangen ist jeder, der sagt, dass es immer Kriege geben wird. Nein, die Kriege werden ebenso verschwinden wie die religiösen Blutopfer verschwunden sind. Aber aufhören werden sie nur, wenn alle Arten des menschlichen Sklaventums aufgehört haben. Die Kommunistische Weltpartei hat zur Aufgabe, die ganze Welt auf der Grundlage der Solidarität und der Brüderlichkeit der Menschen umzubauen, unabhängig von Nation, Rasse und Hautfarbe. Der Sieg des Kommunismus wird der Anfang einer neuen Zeit der Menschheit: der Arbeit, der Liebe und der Freude sein.

Heute aber ist das räuberische Kapital noch der Herr in allen Ländern – außer Russland. Die revolutionäre Kommunistische Partei ist überall im Wachsen begriffen. Aber die Bourgeoisie ergibt sich nirgends ohne grausame Kriege. Sie verwüstet eher die ganze Welt, bevor sie auf ihre Herrscherrechte verzichtet. Die Ausbeuter schauen voll Hass auf das einzige Land, über das die Arbeiterklasse herrscht. Sowjetrussland ist die Festung der Weltrevolution. Die Herzen aller Werktätigen schlagen für Moskau. Die Rote Armee ist der Schutz der Unterdrückten und das Schwert der Rebellen!

Denkt daran, Kämpfer, der Hass des Imperialismus nimmt mit der Zeit nicht ab, sondern wird immer stärker. Im sechsten Jahre ihres Bestehens verweigert das Weltkapital, wie früher, die Anerkennung der Sowjetrepublik. Das Weltkapital wartet noch immer mit Hoffnung auf den Augenblick, wo es gegen Sowjetrussland den Todesschlag führen kann. Deshalb bedarf das arbeitende Russland und die Weltrevolution der Roten Armee heute nicht minder als in jener Stunde, in der sie ins Leben gerufen wurde durch den Willen der Sowjetmacht.

Junge Kämpfer! Die fünf verflossenen Jahre sollen Euch als Schule des großartigsten Heroismus dienen. Lernt von der Vergangenheit, bereitet Euch auf die Zukunft vor! Selbstverleugnung, Duldsamkeit, Bereitschaft, das Leben der Sache der Arbeiterklasse hinzugeben – das ist, was Ihr aus der fünfjährigen Geschichte unserer Armee lernen könnt. Auf. diese Vergangenheit gestützt und durch sie ermutigt, müsst Ihr sie übertreffen. Wir wollen den Frieden! Aber niemand weiß, wann der böse Wille des Feindes uns wieder zwingen wird, auf den Kampfplatz zu treten. Im bevorstehenden sechsten Jahre wird uns jeder Monat und jeder Tag so treffen, als ob dies der letzte Monat und der letzte Tag unserer Vorbereitung wäre. Die Kämpfer der Revolution dürfen den Soldaten des Imperialismus nicht nur nicht nachstehen, sondern – im Gegenteil – sie müssen sie in allem übertreffen.

Rotarmisten, höhere Kommissare! Senken wir heute die Kriegsfahne vor dem Andenken der Gefallenen. Geben wir unseren Tribut der heldenhaften Vergangenheit – nicht zur Beruhigung, nicht zum Ausruhen, sondern zur Verzehnfachung der Arbeit. Unser morgiger Tag muss und wird ruhmvoller als der gestrige sein.

Lernt! Erstarkt! Seid Männer! Bereitet Euch vor!

Der Vorsitzende des Revolutionären Kriegsrates: L. Trotzki.

Stellvertreter des Vors. des Revolutionären Kriegsrates: E. Sklianski.

Oberkommandeur aller bewaffneten Kräfte der Republik: O. Kamenjew.

Mitglied des Revolutionären Kriegsrates: Dagilow.

Chef der Politischen Verwaltung des Kriegsrates: Antonow-Owsejenko.

Chef des Stabes der Roten Armee der Arbeiter und Bauern; P. Lebedjew.

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