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Leo Trotzki 19211020 Die Rote Armee und die Aufgaben der politischen Aufklärung

Leo Trotzki: Die Rote Armee und die Aufgaben der politischen Aufklärung

(Rede auf dem Zweiten Allrussischen Kongress der Abteilungen für politische Aufklärung, Moskau, Oktober 1921.)

[Nach Russische Korrespondenz, II. Jahrgang, Heft 12, Dezember 1921, S. 990-1000]

Die gleichen Bedingungen, die für die scharfe Wendung unserer Wirtschaftspolitik bestimmend waren, haben selbstverständlich auch eine entsprechende Rückwirkung auf unsere Armee gehabt.

Worin besteht nun das Wesen unserer internationalen Lage? Es besteht darin, dass wir uns am Ausgang des vierten Jahres nach der Oktoberrevolution noch immer in kapitalistischer Einkreisung befinden. Der Gang der proletarischen Revolution hat vorläufig keine unmittelbare weitere Entwicklung gebracht. Die Bourgeoisie hat in der ganzen Welt dem Ansturm der proletarischen Massen standgehalten in der für sie kritischsten Periode – nach der Liquidation des imperialistischen Krieges und in der Zeit der Demobilmachung der Armee. Es war dies die Periode der geringsten staatlichen Widerstandsfähigkeit der Bourgeoisie als eine herrschende Klasse, eine Periode der größten unmittelbaren Gefahren, die von Seiten der durch den Krieg und seine Resultate enttäuschten werktätigen Massen drohten, eine Periode der stärksten elementar-revolutionären Massenerschütterungen, eine Periode endlich der größten Panik inmitten der herrschenden Klasse. In dieser Periode konnten wir mit einem gewissen Recht der Ansicht sein, dass die Herrschaft der Bourgeoisie unter diesem elementaren Druck zusammenbrechen würde, und dass die Arbeiter- und Bauernarmee, die wir für die Sicherstellung der Herrschaft der Arbeiterklasse in unserem Lande geschaffen haben, ihre Aufgabe innerhalb dieses nationalen Rahmens erschöpfend erfüllen würde.

Die Geschichte nahm aber einen anderen Weg. Wir sind nach wie vor von der machthabenden Bourgeoisie eingekreist. Der ganze Besitz und die Staatsmacht außerhalb der russischen Sowjetrepubliken befinden sich noch in ihren Händen. Die Hoffnung darauf, dass der erste elementare Anprall der Werktätigen nach dem Kriege die Bourgeoisie hinwegfegen würde, ist nicht in Erfüllung gegangen. Die Bourgeoisie hat standgehalten. Das ist die allerwichtigste Tatsache für die Beurteilung der internationalen Situation. Was spielt sich augenblicklich vor unseren Augen ab? Eine weitere Ansammlung der revolutionären Kräfte der Arbeiterklasse! Es ist dies jedoch nicht mehr jener elementare Strom, den wir Ende 1918 und im Laufe des Jahres 1919 beobachteten, obgleich eine elementare Massenbewegung auch heute existiert. Es ist dies eine systematischere, hartnäckigere Arbeit zur Schaffung einer revolutionären Partei in jedem Lande, zur Ansammlung revolutionärer Erfahrung, zur systematischen Vorbereitung der Eroberung der Macht durch die Arbeiterklasse.

In der Epoche, in die wir eingetreten sind, kann gar keine Rede mehr sein von einer Hoffnung darauf, dass die Arbeiterklasse die Bourgeoisie unvorbereitet überraschen und sie mit einem kräftigen Anprall über den Haufen werfen wird. Davon kann gar keine Rede sein.

Trotzdem die wirtschaftliche Basis unter den Füßen der Bourgeoisie unaufhörlich weiter ins Schwanken gerät, hat es die Bourgeoisie dennoch zu einer solchen Beherrschung ihrer selbst und ihres Staatsapparates gebracht, dass der Kampf hartnäckiger, systematischer, lang andauernder und erbarmungsloser werden wird. Das ist die Hauptcharakteristik der heutigen internationalen Situation. Einerseits beobachten wir eine Sammlung der Kräfte der Arbeiterklasse und andererseits sehen wir auf dem untergrabenen und immer mehr zerfallenden wirtschaftlichen Fundament des Kapitalismus eine Ansammlung der militärisch-polizeilichen politischen Macht der Bourgeoisie, wir sehen, wie diese ihre wirtschaftliche Kraft und die Apparate des von ihr gebauten Staates sammelt, wie sie uns Widerstand leistet und sich auf noch hartnäckigeren und erbarmungsloseren Widerstand vorbereitet. Das ist der charakteristischste Zug in der ganzen internationalen Lage.

Was geht hieraus hervor? Erstens sagt sich die Bourgeoisie, die in den Jahren 1919, 1920 und 1921 standgehalten hat, dass der Bolschewismus keine so große unmittelbare tödliche Gefahr darstellt, wie er ihr in den Jahren 1918 und 1919 schien, als sie uns mit kleinen Okkupationstruppen zu stürzen versuchte. Sie sagt: mit ihnen, mit den Bolschewiki, kann man in Beziehungen treten, man kann an die Wiederherstellung der zerstörten wirtschaftlichen Basis herangehen und wirtschaftliche Beziehungen mit ihnen anknüpfen, denn die von ihnen drohende Gefahr ist durchaus keine tödliche und unmittelbare. Die Bourgeoisie lebt bereits drei Jahre nach dem Krieg und hat vor, noch weiter zu leben.

Die Wiederherstellung der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland ist für die Bourgeoisie auch psychologisch also bereits möglich geworden. Andererseits geht hieraus hervor, dass sie sich auf eine lange Epoche des Kampfes zur Unterdrückung der proletarischen Revolution vorbereitet. Auch sie laviert. Wir lavieren, manövrieren innerhalb der internationalen und inneren Situation in Bezug auf die Bauernmassen, auf die unzufriedenen Massen der mittleren Bauern und auch in Bezug auf die Bourgeoisie, und da wir standgehalten haben, so haben wir folglich nicht schlecht laviert und manövriert. Aber die Bourgeoisie laviert und manövriert auch. Für sie ist die Zeit gekommen zur Ausnutzung der Naturschätze Russlands, teilweise auch des russischen Marktes; es ist für sie die Zeit gekommen, die am tiefsten klaffenden wirtschaftlichen Wunden zu heilen, die russische Arbeiterklasse bei diesem Werk zu unterstützen, aber die feindlich gesinnten Massen des eigenen Landes zu erdrosseln, wenn diese sich erheben. Was ergibt sich hieraus, d. h. was für Perspektiven eröffnen sich uns? Hieraus ergibt sich, wie ich bereits sagte, ein langer, angespannter, zunehmend erbitterter Kampf der Arbeiterklasse um die Macht, nicht nur in europäischem, sondern im Weltmaßstabe. Es wird Flut und Ebbe in diesem Kampfe geben. Wie lange er dauern wird, ist schwer zu sagen. Das eine ist jedoch klar, dass sich dieser Kampfzustand in unserer internationalen Lage in der verschiedensten Weise widerspiegeln wird.

Der Ring wird sich enger zusammenziehen, es werden neue Interventionen kommen, neue kriegerische Einmischungen, neue Attacken und Versuche, uns zu erdrosseln; dann wird der Ring sich wieder erweitern, Handelsverträge werden abgeschlossen werden. Wir werden in eine lange Periode des Kampfes der Arbeiterklasse mit der Bourgeoisie eintreten, wobei während dieser lange währenden Epoche die Rote Armee einen Bestandteil des Arbeiter- Proletariats der ganzen Welt bildet und bilden wird. Das sind die Perspektiven, die wir klar erfassen müssen, das ist der Gesichtswinkel, unter dem wir die Frage der Roten Armee betrachten müssen, das ist die Art, wie wir sie nicht nur innerhalb unserer Partei, sondern auch vor den breiten werktätigen Massen kommentieren müssen.

Wir sagen oft, dass wir von der Kriegsperiode zu einer Wirtschaftsperiode übergegangen sind. Das ist natürlich in jenem Sinne richtig, dass wir gegenwärtig dem wirtschaftlichen Gebiet viel mehr Kräfte zuwenden können als bisher. Aber in dem Maße, wie dies von den weniger bewussten Elementen der Arbeiterklasse in jenem Sinne aufgefasst wird, dass die historische Rolle der Roten Armee abgeschlossen sei, in dem Maße würde von hier eine außerordentlich große Gefahr drohen (falls die fortgeschrittenen Elemente in dieser Hinsicht nicht dagegen arbeiten), die darin besteht, was wir heute oftmals „Liquidationsgesinnung" in Bezug auf die Rote Armee nennen.

Diese Liquidation ging teilweise ganz elementar von Seiten der kommunistischen Spitzen aus (davon war schon mehr als einmal die Rede): sie bestand im Austritt aus der Roten Armee, der auch gegenwärtig noch nicht ganz aufgehört hat, obgleich das Plenum des Zentralkomitees der Partei die Verordnung erlassen hat, den Hauptbestand der Parteiarbeiter ganz fest an die Armee anzugliedern. Aber auch jetzt dauert dieser Abstrom von der Armee auf die Seite der wirtschaftlichen Arbeit fort. Es ist deshalb notwendig, dass sich die militärischen Parteiarbeiter diesem Zustand ganz entschieden widersetzen. Dort, wo die Gouvernementskomitees die militärischen Arbeiter nach Übereinkunft mit ihnen ablösen, geschieht dies vorwiegend auf Grund einer besonderen Übereinkunft und entgegen der Verfügung des Zentralkomitees der Partei; die militärischen Parteiarbeiter müssen in solchen Fällen entschieden auch gegen die Gouvernementskomitees kämpfen. Es ist dies ein notwendiger Kampf um die Selbsterhaltung der Armee. Er steht im Zusammenhang mit jener tief kritischen Periode, die die Rote Armee durchmacht. Diese kritische Periode hat vor allem ihre Ursache in dem Übergang aus dem Kriegs- in den Friedenszustand. Unsere Rote Armee ist unter der unmittelbar drohenden Gefahr entstanden, sie ist entstanden unter dem Drucke der intensivsten, konzentriert-rasenden Agitation unserer Partei, angesichts der weißgardistischen Armeen, der weißen Generale usw.; das alles trug nur zu ihrem festen Zusammenschluss bei.

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Jetzt, mit dem Übergang zum Friedenszustand, geht die ursprüngliche Psychologie der Roten Armee in die Brüche. Vor allem beginnt man zu zweifeln, ob man in der Armee bleiben müsse. Und wenn aus ihr die fortschrittlichsten und energischsten Elemente fortgehen, so beginnt man umso mehr daran zu zweifeln, inwiefern die Arbeit in den Reihen der Armee zweckmäßig ist. Die kommunistischen Genossen müssen gegen diesen Strom schwimmen, sie müssen ihn eindämmen und zum Stillstand bringen. Wenn sie in der kritischen Übergangsperiode hierauf verzichten würden, so würde dies eine Zersetzung der Roten Armee bedeuten. Bei uns waren in der Armee 16 Jahrgänge mobilisiert. Jetzt nähern wir uns dem Zustand, dass in der Armee nur noch 3 und schließlich nur noch 2 Jahrgänge zurückbleiben – die Jahrgänge 1900 und 1901. Zu gleicher Zeit wird der zahlenmäßige Bestand der Armee um mehr als zwei Drittel verringert. – Die fristlose Entlassung der ältesten Jahrgänge erscheint als ganz unvermeidlich, sie führt zur Verjüngung der Armee. Diesen großen Vorzug des Altersausgleichs hoffen wir in den nächsten Monaten zu erreichen, – hierfür müssen wir der werktätigen Arbeit ungefähr 400.000 Mann zweier Jahrgänge entziehen, die nicht rechtzeitig einberufen worden waren. Diese nachträglichen Einberufungen aus der Arbeitsarmee werden auch nicht ohne einen gewissen inneren und äußeren Widerstand vor sich gehen, – und hier muss die Agitation energisch einsetzen; es wird sich darum handeln, den Sinn der Verjüngung der Armee und ihres Altersausgleichs zu erklären; der Altersunterschied ruft Gärung und Protest hervor.

Wir brauchen die Armee als dauernde Einrichtung, die während der ganzen nächsten Epoche bestehen bleiben muss; hieraus wird uns die Rolle der Agitation klar, die im Zusammenhang mit den Veränderungen in der internationalen Lage und mit den möglichen, notwendigen Verschiebungen durch das Entstehen anderer Sowjetrepubliken an wachsen wird. Diese Agitation werden wir sofort brauchen, nämlich bei der nachträglichen Einberufung der Jahrgänge 1900 und 1901. Die Entlassung der älteren Jahrgänge ist für uns ein Plus, eine Auffrischung der Armee; aber zugleich ist sie auch ein großes Minus, denn sie bedeutet den Fortgang der erfahrensten und geübtesten Elemente aus der Armee, den Fortgang all derer, die die geistige Höhe der Armee ausmachten und ihre Stütze bildeten. Die nächste Gefahr besteht gerade darin, dass in dieser Übergangsperiode, falls ein zu schnelles Weggehen der Kommunisten aus der Armee eintreten würde, falls der Armee als ganzes nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet, und keine wirksame systematische Agitation betrieben würde, wir unter der äußeren Hülle der Roten Armee ein leeres Schemen bekommen würden. Das darf und wird selbstverständlich nicht eintreten.

Jetzt ist jedoch die Agitation aufs Äußerste geschwächt, es ist das eine zweifellose Tatsache. Ich glaube, dass diese Schuld ganz den Gouvernements-Sowjets für politische Aufklärung anzurechnen ist. Ich fragte den Kommandeur der Truppen des Privolschskij -Bezirks, und – nehmen Sie es mir nicht übel –, er antwortete mir, dass die Gouvernementssowjets für politische Aufklärung in der Armee in der Mehrzahl der Wolgagouvernements gar keine Arbeit leisten, – und dass wir im Allgemeinen keine Hilfe von ihnen zu sehen bekamen.

Vielleicht übertreibt er, da er sich im Zentrum der Armee befindet, aber im Großen Ganzen glaube ich, dass es richtig ist, dass die Partei und die Gouvernementssowjets für politische Aufklärung sich nicht genügend Rechenschaft darüber abgeben, was für eine wichtige Periode die Armee durchmacht und in wie starkem Maße sie gegenwärtig der Unterstützung bedarf. Die alte Agitation, die darin bestand, dass man in eine Kaserne hineinlief, eine Rede hielt und weiter nichts, taugt für heute natürlich nicht mehr, denn beim heutigen Rotarmisten sind diese allgemeinen Redewendungen über den Imperialismus, die für die alten Rotarmisten noch etwas zu bedeuten hatten, bereits gänzlich überflüssig; für die jungen Leute von 19–20 Jahren, die heute kommen, die nicht am Kriege teilgenommen haben, bleiben die allgemeinen Redewendungen über den Imperialismus wirkungslos und darum ist eine so oberflächliche Agitation nichts wert. Hier ist systematische Erziehung erforderlich. Der neu in die Armee eintretende Rotarmist spürt den Feind noch nicht, und die Instruktionen aus der Kriegszeit berühren ihn wenig, zumal sie in der ledernsten Sprache abgefasst sind. Man muss ihn folglich mit der Realität dessen vertraut machen, was auf Erden vor sich geht, und bei Rumänien und Polen beginnen.

Wir müssen unter allen Umständen statt der Schablone der Leierkastenagitation über den Imperialismus im Allgemeinen eine Serie verständlicher Broschüren über unsere Nachbarn herausgeben. Wir müssen ihn in diesen Broschüren belehren, was z. B. Rumänien ist, in welcher Lage sich der Bauer in Rumänien befindet, was Polen ist, usw. usw. Vielleicht müssen diese Broschüren in zwei Ausgaben erscheinen, eine wissenschaftlicher gehaltene für die politischen Arbeiter, Kommissare usw., und eine andere ganz populäre für den Durchschnittsbauern. Der Inhalt dieser Broschüren muss den politischen Abteilungen der Armee natürlich zur Kenntnis gebracht werden. Es darf nicht so kommen, dass wir erst dann zu lehren beginnen, wenn der Krieg begonnen hat, und dann erst noch warten, bis wir dem Rotarmisten zum Bewusstsein gebracht haben, dass er seinen Feind hassen müsse, dass er sich merken müsse, was z. B. das äthiopische Bojarentum ist, während er noch nicht weiß, dass es ein Land mit dem Namen Äthiopien gibt. Wie sollte er auch sonst in den Krieg ziehen?

Zur Zeit des Zaren und des zarischen Regimes war dies einfach etwas Elementares, Nationales und Gezwungenes wie bei Uspenskij. Sie erinnern sich, wie sein Held, der Invalide Kudinytsch erzählte, wie er gekämpft hat: „Wir schlugen den Tscherkessen, ein gutes Volk, ein gastfreundliches Volk, und wir erschlugen unzählige von den Seinen".

Wir können unsere Armee nicht so aufbauen. Unser Kudinytsch muss wissen, mit wem er kämpft und warum er kämpft, und er muss hierüber unterrichtet werden, ebenso gut wie seine Kommandeure. Wissen etwa alle Kompanieführer und alle Zugführer, was sie wissen müssten? Nein, bei Weitem nicht. Es ist richtig, sie schimpfen über Polen, schimpfen über Rumänien, aber sie schimpfen in Bausch und Bogen über alles in diesen Ländern. Er wird sich natürlich nicht irren und wird im Wesentlichen recht haben, wenn er über Rumänien oder Polen schimpft; aber wir führen doch nicht immer Krieg. Es muss alles erklärt werden, wie und warum. Zu diesem Zwecke braucht man aber ein Lehrbuch, das der Roten Armee angepasst ist. Das ist bereits eine Aufgabe der Politik und Aufklärung.

Ferner: der Rotarmist der aktiven Armee ist vor allem vom Krieg, vom Kampf in Anspruch genommen. Aber der Rotarmist, der in einer Epoche des Friedens lebt, beobachtet vor allem, was in den Kasernen und im Lager um ihn herum vor sich geht. Der Rotarmist der Friedenszeit ist bereits aufmerksamer in Bezug auf Einzelheiten. Im Kriege geht es „kriegsmäßig" zu. Wenn der Rotarmist im Kriege nichts zu essen hat, dann plündert er den Bauern, wenn aber niemand auszuplündern ist, dann hungert er auch. Und obwohl hier ein Mangel des Mechanismus vorliegt, so drückt der Rotarmist ein Auge zu, da er sieht, dass nichts mehr zu machen ist – es ist Krieg. In Friedenszeiten verhält es sich hiermit ganz anders. In der Friedenszeit verlangt er, dass in der Kaserne alles in Ordnung sei, dass die Kaserne ein Fenster und dass das Fenster Glasscheiben habe, dass die Kaserne eine Tür habe, dass in der Kaserne ein Ofen stehe. Er ist bereits viel anspruchsvoller und neigt dazu zu brummen, wenn ihn etwas nicht befriedigt, schon ganz davon zu schweigen, wenn er schlechte Behandlung oder böswilliges Verhalten seinen Bedürfnissen gegenüber erfährt.

Anderseits ist das ihn umgebende Milieu in Friedenszeiten in Bezug auf die Rote Armee auch anspruchsvoller ist als in Kriegszeiten. Wenn er in Kriegszeiten eine Tür zertrümmert, weil er kein Holz für das Lagerfeuer hat, so nimmt es selbst der Bauer, bei dem er diese Tür einschlug, nicht so genau, da eben Krieg ist. Jetzt aber, in der Zeit der Ruhepause und in einer Zeit des Friedens, stellt die Umgebung größere Ansprüche an den Rotarmisten. In Friedenszeiten beobachten wir, dass der Rotarmist größere Ansprüche an den Staat stellt und umgekehrt auch der Staat an den Rotarmisten. Der Rotarmist fordert in Friedenszeiten mehr Ordnung, d. h. gerade das – wir müssen es zugeben – was uns sowohl in der Armee als auch auf anderen Gebieten fehlt. Und hier brauchen wir detaillierte Arbeit, sorgfältige Arbeit auf dem Gebiete der Erziehung des Rotarmisten. Seine Aufmerksamkeit muss auf Einzelheiten gelenkt werden, aus denen sein Leben sich zusammensetzt.

Als kommunistische Parteigruppe zeichnen wir uns dadurch aus, dass wir während unserer Erziehung in der Vergangenheit revolutionär gekämpft haben. Wir hatten ein Regime als Gegner, das im Laufe von Jahrzehnten, Jahrhunderten und Jahrtausenden entstanden war. Es schuf die Herrschaft, die Kultur und Technik und machte auf vielen Gebieten große Eroberungen. Wir mussten die alten Herren der Lage stürzen, um uns der Macht zu bemächtigen. Und wir achteten im Kampfe nicht darauf, ob Fenster in Scherben gingen, ob Häuser niedergebrannt wurden. Das war ein rücksichtsloser Kampf gegen die Bourgeoisie und die Staatsgewalt, ein Kampf, der uns nicht dazu erziehen konnte, Kleinigkeiten und Details zu beachten. Wir verhielten uns im Gegenteil diesen Einzelheiten gegenüber verächtlich, und als die Herren Philister uns sagten, dass die Revolution die Kultur usw. usw. zerstöre, so achteten wir nicht darauf. Unsere Arbeit war eine so große, dass wir nicht vor dem Einschlagen von Fensterscheiben und vor den Splittern zurückschreckten, die in der Luft herumflogen.

Nachdem wir die Macht erobert hatten, begann die Epoche des Bürgerkrieges. Was bekamen wir da zu sehen? Wieder das gleiche: „Wenn man Holz hackt, fliegen Späne". Und es flogen viele russische Späne umher. – Jetzt aber treten wir an den Aufbau heran und eine Umerziehung der Massen ist notwendig, denn die neuen Aufgaben verlangen jetzt neue Methoden.

Die Bauernschaft hat den imperialistischen Krieg durchgemacht, die Bauernschaft hat es erlebt, dass die Bourgeoisie sich ihr mit Hass entgegenstellte. Dann kam die Epoche des Krieges, des Bürgerkrieges – es ist klar, dass all dieses nicht dazu erziehen konnte, Details und Kleinigkeiten zu berücksichtigen. Und doch ist es gerade die Aufmerksamkeit für Details und Kleinigkeiten, die die notwendige Voraussetzung für den wirtschaftlich-kulturellen Aufstieg bildet. Wenn man einen Bericht erhält, dass in einer Division, einem Regiment oder in einer Brigade die Pferde gut beschlagen sind, sauber gehalten werden usw., so ist dies zwar eine unwichtige Angelegenheit, aber es ist Grund genug, um sich zu freuen. Hieran kann man sich klammern, kann sich daran erbauen; aber in der Mehrzahl der Fälle bekommt man keine solchen Berichte. Man bekommt den Bericht, dass die Pferde vernachlässigt sind, dass sie nicht geputzt, dass sie schlecht beschlagen sind, dass manche unter ihnen fehlen usw. – kurz alles das, was sich bei uns auf allen Gebieten beobachten lässt.

Die ganze Aufmerksamkeit muss jetzt der Erziehung der Roten Armee zugewendet werden. Wenn sie in der vergangenen Periode durch die revolutionäre Massenerhebung – „die Weißen, Wrangel, Denikin, sie sind die Feinde, sie sollen sterben" – erzogen wurde, so war doch die Armee noch ziemlich schwach organisiert, die Kommandeure waren zum Teil nur zur Hälfte aus der Reihe der unseren, und zur anderen Hälfte waren sie untauglich; alles wurde durch unsere Partei zusammengehalten und im großen Ganzen haben wir gesiegt. Jetzt aber stehen wir nicht unmittelbar unter jenem Drucke, der damals unsere Rote Armee zusammenhielt.

Dass die Bauernmasse den Gedanken der Erziehung theoretisch sofort erfassen könnte, davon kann gar keine Rede sein: sie kann allmählich auf dem Wege der Propaganda, mit der man bei den obersten Schichten beginnen muss, erzogen werden. Der Roten Armee aber kann der innere Zusammenhalt einerseits nur durch sorgfältiges Eingehen auf die Bedürfnisse des Rotarmisten garantiert werden, und anderseits dadurch, dass man diesen dazu erzieht, alle Details des Wirtschaftslebens des Landes mit Aufmerksamkeit zu betrachten.

Das ist eine ungeheure Erziehungsaufgabe, die sich vor uns erhebt und die wir unter allen Umständen erfüllen müssen. Es ist dies die allerschwierigste Aufgabe, da sie eine individuelle Umerziehung sowohl der führenden Arbeiter als auch der ganzen Rotarmistenmasse bedeutet. Und wir müssen diese Aufgabe lösen.

Von ungeheurer Bedeutung ist die Erziehung der Kommandeure. Die Kommandeure können wir nur dann erziehen, wenn wir ihre materiellen Bedürfnisse berücksichtigen. Das Oberkommando befindet sich in einer sehr schlechten Lage. Versuche, seine Lage zu verbessern, stoßen auf die Entgegnung: „das sind Privilegien für diese gegenüber der Lage der Rotarmisten". Ich empfehle Ihnen, diesem Umstande Ihre doppelte Aufmerksamkeit zuzuwenden. Es ist von Grund auf falsch, die Lage des Kommandeurs der des Rotarmisten gleichzustellen. Der Rotarmist muss zwei Jahre in der Armee bleiben. Das ist seine staatliche Militärpflicht. Der Kommandeur aber ist Berufssoldat. Er muss immer in der Armee bleiben, besonders die obersten Kommandeure. Seine Familie wird durch Mittel unterhalten, die er in seiner Eigenschaft als Kommandeur erhält. Dabei handelt es sich nicht um die Erfüllung einer vorübergehenden Pflicht, sondern um seinen Beruf. Und es muss hier die Lage des Kommandeurs und seiner Familie nicht mit der Lage des Rotarmisten, sondern mit der eines hochqualifizierten Arbeiters, mit jenen Forderungen verglichen werden, die er oder die Fachleute auf anderen Gebieten stellen können. Wenn in dieser Hinsicht Übergriffe vorkommen, so müssen sie verhindert und bestraft werden; aber das Verhältnis muss im Grunde genommen ein klares und deutliches sein und darf keine Zugeständnisse an eine billige Demagogie enthalten, die hier manchmal vorkommen.

Die Masse der Rotarmisten wird es immer verstehen, wenn man es ihr direkt sagt: „Du willst einen guten Kommandeur haben, der nicht alle drei Monate wechselt, sondern seinen Beruf systematisch ausübt und garantieren kann, dass er dich im Kampfe nicht als Kanonenfutter verwenden wird? Dann muss dieser Fachmann aber in günstige Verhältnisse gestellt werden." Anders werden wir kein Oberkommando bekommen. Dies gilt auch für jene Kommandeure, die aus den Arbeitern und Bauern hervorgegangen sind, und ebenso für die Mehrzahl der alten Kommandeure, die wir nicht hinauszuwerfen beabsichtigen, da sie zu uns passen, und wir müssen diesen unsere Aufmerksamkeit zuwenden, müssen es verstehen, ideell an sie heranzutreten, sie ideell für uns zu gewinnen.

Das ist wohl möglich, und wir haben hierfür günstiges Material. Unsere Zeitungen berichteten von dem Buch „Die Absteckung eines neuen Weges", das im Auslande, in Prag, erschienen und von ehemaligen Weißgardisten verfasst ist, von denen der eine ein Minister von Koltschak war, der andere die Agitationsabteilung bei dessen Armee unter sich hatte, und der dritte dieselbe Abteilung in der Armee Denikins leitete: Kljutschnikow, Potjechin und Bobrischtschew-Puschkin. Das sind alles Oktobristen, rechtsstehende konstitutionelle Demokraten, vielleicht auch ehemalige Schwarzhundertleute; es sind alles Erzpatrioten im reaktionären, bourgeois-adeligen Sinne des Wortes. Ausgehend von patriotischen Erwägungen, kommen sie in ihrem Buch zu dem Schluss, dass die Rettung Russlands in der Sowjetmacht liege, dass niemand die Einheit des russischen Volkes und seine Unabhängigkeit von der von außen kommenden Gewalt unter den gegebenen historischen Verhältnissen garantieren könne außer der Sowjetmacht, und dass man diese unterstützen müsse. Vom Kommunismus sind sie selbstverständlich unendlich weit entfernt; sie haben sich durch die Tore des Patriotismus nicht dem Kommunismus, wohl aber der Sowjetmacht genähert.

Wenn man dies liest, so kann man sehen, dass dies nicht irgendwelche käuflichen Seelen sind, die ihre Silberlinge von der Sowjetmacht bekommen wollen, und die sich bei ihr einschmeicheln wollen. Sie haben eine gewisse innere geistige Arbeit durchgemacht, die unter dem Gesichtswinkel des Patriotismus vor sich ging. Sie haben auf halbem Wege Halt gemacht; aber sie sind doch schon auf halbem Wege zu uns. Einige werden auf diesem Wege weitergehen, und dieser Weg ist gerade jener, auf dem sich die besten Elemente des alten Oberkommandos uns nähern. Es sollte in jedem Gouvernement wenigstens ein Exemplar dieses Buches vorhanden sein.

Ich denke, dass dieses Buch nicht das einzige in seiner Art sein wird. Dieser Umschwung im Bewusstsein der patriotischen Emigrantenintelligenz ist deutlich zutage getreten Der Weg wird neu abgesteckt, und es werden neue Bücher im Verlag dieser Gruppe erscheinen. In dieser Gruppe spiegelt sich ein umfassender Umschwung wider, der vielleicht dadurch hervorgerufen ist, dass wir standgehalten haben, oder vielleicht dadurch, dass Russland durch die Sowjetmacht repräsentiert wird. Für die Umerziehung des Oberkommandos der alten Schule ist uns das ein willkommenes Geschenk. Wir müssen es verstehen, dies Geschenk an Ort und Stelle auszunützen. Wir müssen mit Zitaten aus diesem Buche operieren, es erläutern, müssen zeigen, dass Leute, die auf patriotischem Standpunkt stehen, nachdem sie den Zusammenbruch der Intervention, die Zweifel bei der Intervention, den Kampf mit der Intervention, die Enttäuschung unter allen Elementen der Emigration als einer untauglichen miterlebt haben, gefühlt haben, dass die einzige Macht, die fähig ist, die ökonomische und kulturelle Entwicklung des russischen Volkes zu garantieren, die Sowjetmacht ist. Das muss dem Oberkommando zum Bewusstsein gebracht werden. Diese Arbeit kann hauptsächlich von innen heraus in der Armee durchgeführt werden. Ich hege keine Illusionen darüber, dass die Gouvernementsabteilungen für politische Aufklärung diese Arbeit leisten oder sie ganz in die Hand nehmen können. Die Gouvernementsabteilungen für politische Aufklärung haben allgemeine Aufgaben in Bezug auf das Gouvernement als Ganzes. Sie können diese Arbeit sehr unterstützen, sie können für sie den Ton angeben, indem sie neue Elemente in diese Arbeit hinein tragen, wenn es auch nur die Elemente von Ideen aus dem Buche „Die Absteckung eines neuen Weges" sind, indem sie hierdurch den in der Armee politisch Tätigen Nahrung geben. Aber die Arbeit der Umerziehung des Oberkommandos der Roten Armee kann nur in den Kasernen, in den Truppenteilen vor sich gehen.

Ich möchte dies besonders betonen. Vielleicht sind nicht alle Genossen hiermit einverstanden. Ich möchte ganz besonders Folgendes unterstreichen: ich denke augenblicklich nicht daran, dass wir die ganze Arbeit oder den Hauptteil der Arbeit der politischen Erziehung der Armee durch die Abteilung für politische Aufklärung und ihre Organe werden durchführen können, und zwar aus folgendem Grunde: Wir haben die Armee durch die Vermittlung der Gouvernementskommissariate für Militärwesen geschaffen. In ihren Händen lag alles. Sie registrierten, sie unterrichteten, sie betrieben Agitation, sie säuberten, sie formierten, sie richteten ab, sie erzogen – und sie kommandierten auch. Die Gouvernementskommissariate für Militärwesen hielten die Armee in ihren Händen. Augenblicklich ist dies nicht der Fall. Die Division, eine so grundlegende und große Einheit der Armee, ist von der Armee selbst geschaffen worden. Die Armee ist nach strategischen Erwägungen, keineswegs aber mit Rücksicht auf die Gouvernementskommissariate für Militärwesen eingeteilt. Die Arbeitsmethoden unserer Gouvernementskommissariate für Militärwesen haben sich gänzlich verändert; sie arbeiten auch heute noch und haben Funktionen der Registration und der Mobilmachung.

Wir mobilisieren jetzt sehr wenig. Die Registrierung haben wir auf kleine Militärausbildungsscheine reduziert. Die faktische Verwaltung der Armee geht in der Richtung der Struktur der Armee vor sich: Oberkommando-Kreis, Division, Brigade, Regiment. Das ist die Struktur der Armee. In dieser Richtung verläuft auch die Erziehung der Armee. Die Gouvernementskommissariate für Militärwesen stützten sich aber früher auf die Gouvernementsvollzugskomitees und waren gegen diese Reform. Sie strebten danach, dass die Führung der Armee sich in den Gouvernementskommissariaten für Militärwesen als Teilen des Vollzugskomitees konzentrieren sollte. Natürlich war dies von gewissem Nutzen. Aber allgemein-staatliche und militärische Erwägungen veranlassten uns, diese Reform dennoch durchzuführen. Das ist der Grund dafür, dass die Gouvernementskommissariate für Militärwesen auf irgendeine militärisch-administrative Leitung der Armee innerhalb der Grenzen der Gouvernements keinen Anspruch erheben können, wie auch die Gouvernementsabteilung für politische Aufklärung infolge ihrer Organisation und der Nichtübereinstimmung dieser mit der Frontorganisation die Erziehungs- und Aufklärungsarbeit nicht in ihren Händen konzentrieren kann. Das bedeutet aber nicht, dass sich ihre Bedeutung aus diesem Grunde verringert. Erstens bleibt ihnen die Möglichkeit, der Agitation bei den Fronttruppen Nahrung zuzuführen, sie sowohl ideell als auch materiell zu unterstützen. Zweitens – ich will Ihnen das nicht verheimlichen, da ich es für sehr wichtig halte – bleibt in ihren Händen die Arbeit der Schaffung einer bewussten Gruppe von Rotarmisten in den Truppenteilen, die diese Truppenteile stärken und sie in einer staatsbürgerlichen und sozialistischen Weltanschauung erziehen können, – was durch Einstellung von Arbeitern und Bauern in die Armee erreicht wird.

Vorläufig lässt sich, wie ich schon erwähnte, ein Rückgang der politischen Arbeit beobachten. Der Übergang all dieser Funktionen auf die Hauptabteilung für politische Aufklärung traf zusammen mit dem Abstrom der Arbeiter aus der Armee, mit der Demobilmachung der Armee, mit der Abnahme des Interesses für sie und mit jenem Verfall der politischen Arbeit, der sich jetzt zweifellos in der Armee vorübergehend beobachten lässt. Die Vereinigung der militärisch-aufklärenden Arbeit in der Armee mit der allgemein-aufklärenden im Gouvernement, diese Vereinigung muss sich erst in der Praxis bewähren.

Ich will Ihnen auch nicht verheimlichen, dass die Militärbehörde und ich sehr strenge Kritiker sein werden, dass wir manchmal ungerecht und in gewissen Fällen wie ein Kläger gegen einen Beklagten auftreten werden. Wir werden fordern und kritisieren, da wir eine maximale Anzahl ideell-politisch dienender Kräfte beibehalten müssen. Von diesem Gesichtspunkt erscheint die Ablösung der kommunistischen Arbeiter, wie sie sich jetzt in allen militärischen Organisationen und im Besonderen in den kulturell-aufklärenden beobachten lässt, als verderblich.

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Ich muss betonen: In die Kaserne hineingehen, dort eine Rede halten und dann wieder fortgehen – das ist keine Aufklärungsarbeit. Man muss die Kaserne von innen her kennen. Man muss Erfahrung aus Beobachtungen haben, man muss wissen, was und zu welcher Zeit man reden muss. Zu diesem Zwecke aber müssen die politischen Arbeiter auf längere Perioden in die Armee eingegliedert werden. Das ist das Unterpfand jeglichen Erfolges. Die Aufklärungsarbeit muss jetzt mit der Steigerung der Qualifikation des Rotarmisten als Krieger eng verknüpft werden. Es muss in ihm das Interesse für das Kriegshandwerk gehoben werden, es muss in ihm der sozialistische Staatsbürger erzogen, das Ehrgefühl des Kriegers geweckt werden. Das erfordert jedoch komplizierte Erziehungs- und Propagandamethoden.

Ich wollte Ihnen, als ich von der Schaffung eines Minimums menschlicher Existenzbedingungen für das Oberkommando sprach, auch noch sagen, dass dies alles nur bei aufmerksamem Verständnis der lokalen Sowjetorgane hierfür durchgeführt werden kann. Wir haben diese Frage mehrere Male besprochen, haben verschiedene Reformen durchgeführt, haben durch den Sowjet der Volkskommissare und durch den Sowjet für Arbeit und Verteidigung Kontrolle üben lassen – und sowohl diese Reformen, als auch die Kontrolle machten sich faktisch fast gar nicht bemerkbar.

Was bleibt uns dann übrig? Damit eine materielle Verbesserung eintritt, ist es notwendig, dass etwas von Seiten jener Organe unternommen wird, die an Ort und Stelle im Sinne der Verteilung des Oberkommandos und der Truppenteile an die Sowjets, die Macht haben. Wir haben den Versuch gemacht, einflussreicheren Sowjets einige Divisionen zuzuteilen; so wurden dem Moskauer Sowjet zwei Divisionen zugeteilt, und sie klagen nicht darüber. Es fällt für sie dieses und jenes vom Moskauer Sowjet ab, sowohl in materieller als auch in geistiger Hinsicht, besonders was die politischen Arbeiter anbelangt. Und wir sind im revolutionären Kriegssowjet zu dem Schluss gekommen, dass wir unbedingt im ganzen Lande ein solches Wetteifern der Sowjets und der Vollzugskomitees anregen müssen, in dem Sinne nämlich, dass ihnen Truppenteile zugeteilt werden. Natürlich kann nicht jeder Sowjet je zwei Divisionen haben. Einem Bezirkssowjet werden wir nur ein Regiment oder eine Batterie zuteilen, einem Gouvernementssowjet werden wir eine Brigade geben, und wer es auf sich nehmen kann, der möge eine Division übernehmen.

Das ist jetzt eher möglich in Anbetracht der stationären Verteilung der Truppen, die jetzt in der nächsten Zeit mehr sesshaft leben werden. Dann kann der lokale Sowjet innerhalb des Rahmens der bestehenden Vorschriften, Artikel, Reglements usw. sehr viel tun und das geistige Niveau und den materiellen Zustand der Truppen heben. So ist z. B. im Wolgagebiet die Ausbesserung der Kasernen zu drei Vierteln dank der Unterstützung der lokalen Sowjet- und Parteiorgane durchgeführt worden, da vom Zentrum sehr wenig hierfür hergegeben worden ist. Dies sagte mir derselbe Kommandeur der Truppen des Wolgagebiets, der sich über das Zurückgehen der Aufklärungsarbeit beklagte.

Ich persönlich bin der Ansicht, dass in dieser Hinsicht sehr viel getan werden kann, und dass die Aufgabe darin besteht, die Agitation zu heben. Möge sich jede Bezirksstadt, in der sich ein stärkeres Organ der Bezirksmacht befindet, durch Übereinkunft mit dem Kommandeur des Bezirkes Fronttruppen sichern, und es wird hiervon sowohl der Truppenteil als auch der lokale Sowjet seinen Vorteil haben.

Ich will in kurzen Worten noch von jenem Manöver berichten, das ich auf dem rechten Ufer des Dnjepr bei Kiew gesehen habe. Hier traten die starken und schwachen Seiten der Roten Armee zutage. Als Rumänien sich stark genug zu regen begann und Polen zu drohen schien, wurde beschlossen, auf dem rechten Ufer des Dnjepr bei Kiew ein Manöver zu veranstalten. Es lagen dort gute Truppenteile, Kursanten und Kavallerie waren vorhanden, und die Stimmung war prächtig. Als beide Abteilungen ins Gefecht kamen, waren sie beide der Meinung, dass sie am Vorabend eines Krieges mit Rumänien standen, und sie mussten schließlich auseinandergetrieben werden. Das zeugt von der großen Begeisterung und der Steigerung des kriegerischen Geistes. Es nahmen hieran fast ausschließlich junge Kräfte teil. Während dieses Manövers trat eine prächtige Stimmung, großer Kampfenthusiasmus und ungeheure Ausdauer zutage, denn es mussten große Strecken tags und nachts zu Fuß zurückgelegt werden. Das operative Denken des Oberkommandos war stark gehoben. Aber ein auch noch so genialer Operationsplan genügt nicht allein. Um ihn auszuführen, muss einer ganzen Reihe von Einzelheiten Aufmerksamkeit geschenkt werden. Es muss die Verbindung hergestellt, der Kundschafterdienst, der Schutz, die Anpassung an die Gegend organisiert werden. Auf diesem Gebiete waren wir schwächer als auf dem Gebiete der Strategie. Indessen liegt aber gerade hier das Wesen des Kriegshandwerks.

Jeder beste Plan läuft Gefahr zunichte zu werden, wenn den Einzelheiten keine Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Wenn die technische Hilfskraft den allerbesten Befehl fehlerhaft abschreibt, so geht die ganze Operation zum Teufel. Druckfehler entscheiden zuweilen das Schicksal eines Gefechtes. Wenn ein Befehl mit oder ohne Fehler abgeschrieben ist, wird er an den entsprechenden Stab weitergegeben, z. B. durch einen Motorradfahrer. Das Motorrad fährt zwei Werst und ist dann plötzlich nicht vom Fleck zu bringen. Dem entsprechenden Truppenteil bleibt der Hauptbefehl unbekannt; im Kopfe des Kommandeurs aber macht dieser Truppenteil einen Marsch und greift den Feind von der Flanke an. Indessen weiß dieser Truppenteil überhaupt gar nichts von den Plänen des Kommandeurs

Welchen Wert hat ein ausgezeichneter, gut überlegter Befehl, wenn er nicht an Ort und Stelle gebracht wird! Es ist selbstverständlich, dass, wenn die Motorräder schlecht sind, der Befehl gleichzeitig durch einen Reiter und ein Auto, auf dreifache Weise befördert werden muss, d. h. man muss sich von verschiedenen Seiten sichern, damit der Befehl richtig zugestellt wird. Das erfordert aber bereits Berücksichtigung der Einzelheiten, jener Einzelheiten, aus denen sich das Kriegshandwerk zusammensetzt, Beachtung des Reglements, denn das Reglement enthält die in der Vergangenheit gesammelte Erfahrung. Bei uns in der Armee, man muss es zugeben, herrscht ein Geist jener Richtung: „wir werden den Feind mit unseren Mützen erschlagen". Zum Reglement verhält man sich mit Verachtung; das Reglement ist aber eine Essenz der Kriegserfahrung, es ist ein Lehrbuch auf Grund der Erfahrung der vergangenen Kriege, wie man künftig Krieg führen muss. Indessen haben einige und viele gesagt, dass das Reglement nur toter Buchstabe sei, der die revolutionäre Freiheit hemmt. Das ist Unsinn.

Die besten Krieger, die Kommunistenkrieger, haben sich jetzt an das Studium der Reglements herangemacht und büffeln diese Reglements, die auf Grund der Kampferfahrung zusammengestellt sind, durch, büffeln sie durch, nachdem sie Lücken in ihrem Wissen festgestellt haben. Das Reglement ist der wichtigste Teil der politischen Aufklärungsarbeit, bei der man erbarmungslos gegen viele Meinungen kämpfen muss, die man nur als oberflächlich bezeichnen kann. „Wir werden den Feind mit unseren Mützen erschlagen" oder „die revolutionäre Methode", die die Nichtachtung der Befehle, der Reglements usw. zulässt – dagegen muss erbarmungslos gekämpft werden. Das ist ein Teil unserer Erziehungsarbeit, ebenso wie das Knöpfeputzen an der Uniform, das Reinigen der Waffen usw. Auch diese Arbeit muss geleistet werden.

Ich will auch noch zwei Worte über die Flotte sagen. Ihre Lage ist hart. Sie ist gebundener als die Armee, ist gebunden durch die Herrschaft Englands auf den Meeren. Unsere Flotte ist auf ein Minimum reduziert und hat sich durch den Kronstädter Aufstand selbst noch einen harten Schlag versetzt. Wir beobachten jetzt, dass das Wort Kronstadt in der Literatur, in der Presse, in den Zeitungen nicht mehr die Bezeichnung einer Festung und eines Punktes ist, an dem die Sowjetmacht entstanden ist, sondern, dass es ein Synonym des gegenrevolutionären Elements, des kleinbürgerlichen Kampfes geworden ist. Die Kronstädter Matrosen lesen das jeden Tag. Natürlich erschwert das nur vorübergehend die Frage der Wiedergeburt der Flotte. Ich denke, dass wir keinen Grund haben, auf die Idee dieser Wiedergeburt zu verzichten. Ob wir uns bei unserer Verteidigung auf die Landstreitkräfte beschränken können werden, ist sehr schwer zu sagen. Wir können uns natürlich nicht die Aufgabe der Schaffung einer aggressiven Flotte stellen. Wir müssen mehr an die Verteidigung der Küsten denken, und unsere Flotte muss folglich reinen Verteidigungscharakter tragen. Wir müssen darum einen Flottenkern aus den besten Seeleuten haben. Hier spielt die Qualifikation eine viel größere Rolle ab in der Armee. Es ist unvergleichlich schwerer, einen guten Seemann als einen guten Infanteristen, Artilleristen und sogar Kavalleristen zu finden. Wir müssen den Kern der Flotte schaffen, um ihn später weiter entfalten zu können. Die Organe der Abteilung für politische Aufklärung, die an Ort und Stelle mit der Flotte in Berührung kommen, müssen diesem Umstände ihre besondere Aufmerksamkeit zuwenden.

Ich schließe jetzt und sage nur noch ein paar Worte über die Entwicklungsaussichten unserer Armee. Unser Programm spricht von Tendenzen zur Milizarmee, d. h. einer solchen Armee, die nur Kaders in Bereitschaft hält. Ihren wechselnden Bestand reißt sie nicht von der werktätigen Arbeit fort, hebt ihn aber im Falle der Not aus, schließt ihn den Kaders an und wirft ihn dann gegen den Feind. Wovon hängt aber das Tempo des Überganges zur Milizarmee ab? Es hängt von mehreren Ursachen ab, und die wichtigsten von ihnen sind das Wechselverhältnis zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft und der Zustand der Produktivkräfte, im Besonderen auch der Zustand des Transportwesens. Um die Armee auf eine Miliz zu reduzieren, muss man die Möglichkeit haben, nach der Mobilisierung des wechselnden Bestandes in kurzer Frist die Truppenteile gegen den Feind zu werfen; wenn aber das Transportwesen schwach ist, müssen mehr Teile unter den Fahnen stehen.

Unsere Armee, ebenso wie der Staat als Ganzes steht unter der organisierten Leitung der Arbeiterklasse und Bauernschaft. Soweit die Wechselbeziehungen zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft gute, und keine Reibungen vorhanden sind, ist die soziale Grundlage für eine Miliz vorhanden.

Der Grad des Überganges zu einer Milizarmee, oder der Grad der weiteren Zusammenschmelzung unserer Armee und ihre Reduzierung auf Kaders, sowie das Tempo dieser Umstellung, wird also durch unsere wirtschaftlichen Erfolge bedingt. Wenn wir vor dem Sturz der Weltbourgeoisie und solange sie noch eine Gefahr für uns darstellt, während hier die Arbeiter die Macht in den Händen haben, unser Transportwesen reorganisieren und den Prozess der Wiedergeburt der Landwirtschaft heben werden – diese Wiedergeburt hat zweifellos trotz der Schrecken der Wolgahungersnot begonnen – so wird der Prozess der Wiedergeburt seinen Weg gehen und die Wechselbeziehungen zwischen der Arbeiterklasse und der Bauernschaft werden vollständig brüderliche und freundschaftliche sein, sie werden weniger Schwankungen ausgesetzt sein, und dadurch werden die Bedingungen für eine weitere Verringerung der Armee ohne Verringerung der Verteidigungsfähigkeit des Landes geschaffen werden.

Einige Genossen neigen dazu, folgendes zu sagen: es wäre gut, die Armee noch mehr zu verkleinern, um mehr Rationen für die Industrie und für kulturelle Aufgaben zu bekommen. Das ist ein ganz natürliches Bestreben; aber es gibt hier eine gewisse Grenze, die in Anbetracht der objektiven Bedingungen nicht überschritten werden darf. In der Armee spiegelt sich vollständig das Land, die Öffentlichkeit, das Volk wieder, aus dem sie hervorgegangen ist, sowohl was die starken als auch was die schwachen Seiten anbelangt. Sie ist darum gezwungen, einen zu großen Teil der nationalen Einkünfte zu verschlingen, weil unsere nationalen Einkünfte zu gering sind, weil wir uns nicht den Luxus einer kleinen Kaderarmee gestatten können. Diesen Luxus werden wir uns erst gestatten, wenn wir reicher sein werden. Auch in ihrer Gesinnung spiegelt die Armee das sie umgebende Milieu wieder mit dem Unterschied, dass sie in ihrer künstlichen Zusammengeschlossenheit günstigere Bedingungen für geistige Beeinflussung bietet.

Indem wir die 19 bis 20-jährigen Bauern aus den Verhältnissen des bäuerlichen Lebens herausreißen, indem wir sie mit den Arbeiter-Kommunisten zusammenbringen, schaffen wir ein sehr günstiges Feld für die kommunistische Beeinflussung. Das ist der Grund, warum unsere Militärbehörde darauf bestehen wird, dass es auf dem Gebiete der militärischen Dienstpflicht keine Ausnahmen geben darf. Wir werden die Jahrgänge 1900 und 1901 nachträglich einberufen. Die Kaserne soll für die junge Generation eine wirkliche Schule nicht nur der militärischen, sondern auch der politischen Ausbildung und Erziehung sein. Und darum müssen möglichst wenig Ausnahmen sogar zugunsten jener gemacht werden, die die Hochschulen besuchen oder sie zu besuchen beabsichtigen. Wenn sie im Unterkurs und noch sehr weit vom Abschluss ihres Studiums entfernt sind, sollen sie in die Rote Armee eintreten. Keinerlei Ausnahmen dürfen gemacht werden, damit sich nicht ein Verhältnis zur Armee als zu einem Joche herausbilde. Das kann natürlich durch Verbesserung der Kasernen selbst, durch Reinigung der inneren Atmosphäre, aber ebenso auch auf die Weise erreicht werden, dass die Privilegierten, die gebildeteren jungen Leute keinerlei Vergünstigungen genießen werden. Und hier wird uns Ihre Unterstützung bei der nachträglichen Einberufung der Jahrgänge 1900 und 1901 unumgänglich notwendig sein.

In allgemein-politischer Hinsicht machten wir im Februar und März dieses Jahres, in der Zeit der Kronstädter und Tambower Aufstände, in der Zeit der Umgestaltung der Gesetzgebung, eine kritische Zeit durch. Man kann jetzt sagen, dass die vom allgemeinpolitischen Gesichtspunkt gefährliche kritische Periode hinter uns liegt. Aber die Armee bildet eine Gesellschaft im Kleinen, und in ihr spiegeln sich alle Züge der Umgestaltung wider. Die Stimmung in der Armee ist günstig; es sind Möglichkeiten vorhanden, sie aufrechtzuerhalten; von selbst aber wird sie nicht aufrechterhalten bleiben. Wenn das fortdauern wird, was wir in gewissen Monaten beobachteten, – ein Abstrom der Kräfte und ein Nachlassen des Interesses – so wird die Armee schwach werden, denn die Armee ist nicht eine mechanische Gesamtheit einzelner Personen, eine Armee ist nicht der Etat, eine Armee ist nicht nur eine bestimmte Anzahl von Geschützen, Maschinengewehren und Bajonetten. Eine Armee ist auch ein psychischer, geistiger, sittlicher, militärischer Zusammenhang zwischen lebendigen Personen. Dieser Zusammenhang ist ein besonderer, ein geistiger, ein militärischer, er entsteht durch Erfahrung, durch Kampf, durch Opfer, Prüfungen, Erziehung, Beispiel usw. Dieser Zusammenhang ist angesammeltes Kapital, und es ist zehn- ja hundertmal schwerer, es anzusammeln, als es zu verjubeln.

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