Georgi Plechanow: Über die Herausgabe einer „Bibliothek des modernen Sozialismus“ [Nach G. W. Plechanow: Sozialismus und politischer Kampf, Frankfurt am Main 1980, S. 111-113] Der Kampf gegen den Absolutismus – die historische Aufgabe, die die russischen Sozialisten mit allen anderen fortschrittlichen Parteien in Russland gemein haben – wird ihnen den möglichen Einfluss in der Zukunft nicht verschaffen, wenn der Sturz der absoluten Monarchie die russische Arbeiterklasse in unentwickeltem Zustand, in Gleichgültigkeit den gesellschaftlichen Fragen gegenüber oder ohne Vorstellung davon, wie diese Fragen in ihrem Interesse zu lösen sind, antreffen wird. Daher bildet die sozialistische Propaganda in den für sie aufnahmefähigsten Schichten der werktätigen Bevölkerung Russlands und die Organisierung zumindest der hervorragendsten Vertreter dieser Schichten eine der ernstesten Verpflichtungen der russischen sozialistischen Intelligenz. Notwendige Bedingung einer solchen Propaganda ist die Schaffung einer Arbeiterliteratur, die den wissenschaftlichen Sozialismus einfach, knapp und verständlich darlegt und die wichtigsten sozialen und politischen Aufgaben des heutigen russischen Lebens vom Standpunkt der Interessen der Arbeiterklasse erläutert. Aber bevor unsere revolutionäre Intelligenz die Schaffung einer solchen Literatur in Angriff nimmt, muss sie sich selbst die moderne sozialistische Weltanschauung aneignen und sich von den alten Traditionen lossagen, die mit ihr nicht übereinstimmen. Daher muss die Kritik der bei unserer revolutionären Intelligenz herrschenden Programme und Lehren einen wichtigen Platz in unserer sozialistischen Literatur einnehmen. Jeder, der mit dem gegenwärtigen Zustand unserer sozialistischen Literatur vertraut ist, weiß, wie wenig sie den beiden obengenannten Forderungen entspricht. Die Mitglieder der Gruppe, die zum ersten Male mit der Herausgabe des „Tschorny Peredjel" (1879-1880) begonnen hatten, haben beschlossen, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Auffüllung dieser Lücken beizutragen,und beginnen jetzt zu diesem Zweck mit der Herausgabe einer „Bibliothek des modernen Sozialismus". Sie erkennen die Notwendigkeit und Bedeutung des Kampfes gegen den Absolutismus völlig an, glauben aber, dass die russische revolutionäre Intelligenz die obengenannten Aufgaben der Organisierung der Arbeiterklasse und der Propagierung des Sozialismus in ihr bisher zu sehr ignoriert hat; sie sind der Meinung, dass ihr Kampf gegen die Regierung nicht in ausreichendem Maße von der Vorbereitung der Arbeiterklasse auf eine bewusste Teilnahme am politischen Leben des Landes begleitet war. Die zerstörende Arbeit unserer Revolutionäre wurde nicht ergänzt durch die Schaffung von Elementen für eine zukünftige sozialistische Arbeiterpartei in Russland. Die ehemaligen Mitglieder der Gruppe „Tschorny Peredjel“, die jetzt ihr Programm im Sinne des Kampfes gegen den Absolutismus und der Organisierung der russischen Arbeiterklasse in einer besonderen Partei mit einem bestimmten sozialen und politischen Programm ändern, bilden.jetzt die Gruppe „Befreiung der Arbeit" und brechen endgültig mit den alten anarchistischen Tendenzen*. Der Erfolg des ersten Vorhabens dieser Gruppe hängt natürlich von der Sympathie und der Unterstützung seitens der in Russland tätigen Revolutionäre ab. Daher wendet sie sich an alle Zirkel und Personen in Russland und im Ausland, die mit den oben dargelegten Ansichten sympathisieren, mit dem Vorschlag, sich gegenseitig zu unterstützen, Verbindungen herzustellen und ein vollständigeres Programm für die Arbeit zum Nutzen der gemeinsamen Sache auszuarbeiten. Die Gruppe betrachtet die „Bibliothek des modernen Sozialismus" als einen ersten Versuch, dessen Gelingen ihr die Möglichkeit gäbe, ihre Arbeit zu verbreitern und mit der Herausgabe sozialistischer Sammelwerke oder sogar einer periodischen Rundschau zu beginnen. Die Aufgabe, die sich die Herausgeber der „Bibliothek des modernen Sozialismus" gestellt haben, bedarf nach allem Gesagten kaum noch ausführlicherer Erläuterungen. Sie läuft auf zwei Hauptpunkte hinaus: 1) Verbreitung der Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus durch Übersetzung der wichtigsten Werke der Schule von Marx und Engels ins Russische und Verbreitung eigener Werke für Leser unterschiedlichen Vorbereitungsgrades. 2) Kritik der bei unseren Revolutionären herrschenden Lehren und Untersuchung der wichtigsten Fragen des russischen gesellschaftlichen Lebens vom Standpunkt des wissenschaftlichen.Sozialismus und der Interessen der werktätigen Bevölkerung Russlands. *Angesichts der immer wieder auftauchenden Gerüchte über einen angeblich erfolgten Zusammenschluss der alten Gruppe „Tschorny Peredjel" und der „Narodnaja Wolja" halten wir es für notwendig, hier einige Worte zu diesem Thema zu sagen. In den letzten zwei Jahren hat es tatsächlich zwischen beiden Gruppen Gespräche über einen Zusammenschluss gegeben. Aber obwohl zwei, drei Mitglieder unserer Gruppe sogar ganz zur „Narodnaja Wolja" übergegangen sind, konnte ein vollständiger Zusammenschluss leider nicht stattfinden. Wie der Leser aus der Broschüre „Sozialismus und politischer Kampf" ersehen kann, wird dieser Zusammenschluss erschwert durch unsere Meinungsverschiedenheiten mit der „Narodnaja Wolja" in der Frage der sogenannten Machtergreifung sowie einiger praktischer Methoden der revolutionären Taktik, die sich aus diesem Punkt des Programms ergibt. Beide Gruppen haben allerdings so viel gemeinsam, dass sie in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle in einer Reihe arbeiten, sich ergänzen und gegenseitig unterstützen können. (Anmerkung von L. G. Deutsch – A.d.Ü.) |
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