N.
K. Krupskaja: Rede
in der Trauersitzung des 11. Sowjetkongresses der UdSSR
26.
Januar 1924
[Zuerst
veröffentlicht am 27. Januar 1924 in der „Prawda“ Nr. 22. Nach
N.
K. Krupskaja: Das
ist Lenin. Eine
Sammlung ausgewählter Reden und Artikel. Berlin 1966, S. 19-21]
Genossen!
Was ich Ihnen zu sagen habe, erinnert am wenigsten an eine
Parlamentsrede. Da ich jedoch zu Vertretern der Republiken der
Werktätigen spreche, zu vertrauten, teuren Genossen, die vor der
Aufgabe stehen, das Leben auf neuen Fundamenten aufzubauen, so glaube
ich, Genossen, dass ich mich an keinerlei Konventionen gebunden zu
fühlen brauche.
Genossen,
als ich in diesen Tagen an der Bahre Wladimir Iljitschs stand, habe
ich über sein ganzes Leben nachgedacht, und jetzt möchte ich Ihnen
folgendes sagen. Sein Herz schlug voll heißer Liebe zu allen
Werktätigen, zu allen Unterdrückten. Niemals hat er selbst darüber
gesprochen, und auch ich hätte das wahrscheinlich in einer anderen,
weniger feierlichen Minute nicht gesagt. Ich spreche davon, weil er
dieses Gefühl von der russischen heldenhaften revolutionären
Bewegung als Erbe erhalten hat. Dieses Gefühl ließ ihn
leidenschaftlich und brennenden Herzens nach einer Antwort suchen auf
die Frage: Auf welchen Wegen kann die Befreiung der Werktätigen
herbeigeführt werden? Antwort auf seine Fragen erhielt er bei Marx.
Doch nicht wie ein Buchgelehrter ging er an Marx heran. Er trat an
Marx heran wie ein Mensch, der Antworten auf quälende, dringende
Fragen sucht. Und bei ihm fand er diese Antworten. Mit ihnen ging er
zu den Arbeitern.
Man
schrieb die neunziger Jahre. Damals konnte er nicht auf Kundgebungen
sprechen. Er ging nach Petrograd in Arbeiterzirkel. Er ging hin, um
dort zu berichten, was er selbst bei Marx erfahren, um von den
Antworten zu erzählen, die er bei ihm gefunden hatte.
Er
ging zu den Arbeitern nicht wie ein hochmütiger Lehrmeister, sondern
als ein Genosse. Und er sprach und erzählte nicht nur, sondern hörte
aufmerksam an, was die Arbeiter ihm sagten. Und die Petersburger
Arbeiter erzählten ihm nicht nur von den Zuständen in den Fabriken,
nicht nur von der Knechtung der Arbeiter. Sie erzählten ihm auch von
ihrem Dorf.
Im
Saale des Gewerkschaftshauses, an der Bahre Wladimir IIjitschs, habe
ich einen Arbeiter gesehen, der damals einem Zirkel Wladimir
Iljitschs angehörte. Es war ein Bauer aus Tula. Und dieser Tulaer
Bauer, ein Arbeiter des Semjannikow-Werkes, sagte einmal zu Wladimir
Iljitsch: „Hier in der Stadt fällt es mir schwer, alles zu
erklären, ich werde in mein Tulaer Gouvernement gehen und dort alles
berichten, was Sie sagen; ich werde es meinen Angehörigen und den
anderen Bauern sagen. Sie werden mir glauben. Ich bin ja einer von
ihnen. Und dort können uns keine Gendarmen stören.“
Wir
sprechen heute viel vom Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern.
Dieses Bündnis, Genossen, verdanken wir der Geschichte selbst, Der
russische Arbeiter war einerseits Arbeiter, anderseits war er Bauer.
Die Arbeit unter den Petersburger Arbeitern, die Gespräche mit ihnen
und das aufmerksame Anhören ihrer Reden ließen Wladimir Iljitsch
den großen Marxschen Gedanken begreifen, jenen Gedanken, dass die
Arbeiterklasse der Vortrupp aller Werktätigen ist und dass ihr die
werktätigen Massen und alle Unterdrückten folgen, dass darin ihre
Kraft und das Unterpfand ihres Sieges liegt. Nur als Führer aller
Werktätigen kann die Arbeiterklasse siegen. Das begriff Wladimir
Iljitsch, als er unter den Petersburger Arbeitern wirkte. Und dieser
Gedanke, diese Idee war der Leitstern für seine ganze weitere
Tätigkeit, für jeden seiner Schritte, Er wollte die Macht für die
Arbeiterklasse. Er begriff, dass die Arbeiterklasse diese Macht nicht
deshalb braucht, um sich ein süßes Leben auf Kosten anderer
Werktätiger zu sichern; er verstand, dass es die historische Aufgabe
der Arbeiterklasse ist, alle Unterdrückten, alle Werktätigen zu
befreien. Diese Grundidee drückte dem gesamten Wirken Wladimir
Iljitschs ihren Stempel auf.
Genossen
Vertreter der Sowjetrepubliken, der Republiken der Werktätigen! An
Sie wende ich mich und bitte Sie, sich diese Idee Wladimir Iljitschs
besonders zu Herzen zu nehmen.
Ich
möchte, Genossen, noch ein paar letzte Worte sagen. Genossen, unser
Wladimir Iljitsch ist gestorben, er, den wir liebten, den wir
verehrten, ist nicht mehr.
Genossen
Kommunisten, erhebt das Banner, das Lenin teuer war, das Banner des
Kommunismus, noch höher!
Genossen
Arbeiter und Arbeiterinnen, Genossen Bauern und Bäuerinnen,
Werktätige der ganzen Welt, schließt eure Reihen einmütig
zusammen, stellt euch unter das Banner Lenins, unter das Banner des
Kommunismus!