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Karl Liebknecht 19081010 „Der Hochverrat von heute wird die Legitimität von morgen sein"

Karl Liebknecht: „Der Hochverrat von heute wird die Legitimität von morgen sein"

Aus einem Zeitungsbericht über das Schlusswort vor dem Ehrengerichtshof der Rechtsanwälte in Leipzig1

[Vorwärts Nr. 248 vom 22. Oktober 1908. Nach Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften, Band 2, S. 259-264]

Wie bekannt, fand am 10. dieses Monats vor dem Ehrengerichtshof für Rechtsanwälte in Leipzig die Verhandlung zweiter Instanz gegen den Genossen Liebknecht statt, die mit Freisprechung endete. Sie war nicht öffentlich. Bisher sind daher von ihr nur wenige, durch eine Erklärung des Reichsgerichtspräsidenten in ihrer Zuverlässigkeit bestrittene Einzelheiten bekannt geworden. Wir sind heute in der Lage, einiges Nähere aus ihr mitteilen zu können

(Es folgt die zusammenfassende Wiedergabe des Verhandlungsverlaufs Die Red.)

Aus dem Schlusswort Liebknechts heben wir hervor: Die Frage lautet: Habe ich mich der Achtung unwürdig gemacht, die mein Beruf erfordert. Die „Achtung" ist kein irgendwo in der Luft herum schwebendes Ding. Sie hat ihren Sitz in den konkreten Köpfen und Herzen der konkreten Menschen. Ich bestreite, durch meine Straffälligkeit oder durch meine Verurteilung in der Achtung irgendeines Menschen, der den Sachverhalt kennt, das Geringste eingebüßt zu haben; ich behaupte, dass alle Menschen, das große Publikum, meine Kollegen und auch Sie, meine Herren, mir nach wie vor unverkürzt ihre Achtung entgegenbringen. Wer ein anderes meint, täuscht sich selbst, verwechselt in politischer Befangenheit Feindseligkeit und Missachtung. Ja, ich behaupte, dass ich durch meine Verurteilung in weiten Kreisen an Achtung beträchtlich gewonnen habe. Ich will nicht davon sprechen, dass ich im November vorigen Jahres, als ich bereits in Strafhaft saß, von Neuem in Berlin zum Stadtverordneten gewählt worden bin, nicht davon, dass mir im Juni dieses Jahres der 11. Berliner Landtagswahlkreis mit überwältigender Mehrheit das Mandat eines Mitgliedes des preußischen Abgeordnetenhauses übertragen hat. Aus aller Welt sind mir begeisterte und oft rührende Sympathiekundgebungen zuteil geworden – auch aus den Kreisen der deutschen Beamten; nicht minder von Geistlichen, die mich unter Anrufung der Bibel rechtfertigten, selbst priesen. Zu den von meinem Herrn Verteidiger bereits erwähnten Kundgebungen aus Anwaltskreisen füge ich noch die Erinnerung an die Worte des bekannten Rechtsanwaltes Bassermann, eines Mitgliedes der Nationalliberalen Partei, der sich vorigen Herbst im Reichstag gegen den Gedanken meiner Disziplinierung wandte. Meine Herren, ich erhebe schlechthin den Anspruch auf unverminderte Achtung und kann die Berechtigung dieses Anspruchs geradezu beweisen.

Der Herr Oberreichsanwalt hat ins Zentrum seines Plädoyers die Ansicht gestellt, dass ich als Umstürzler der Rechtsordnung kein Organ dieser Ordnung sein könne. Er geht dabei von dem bereits widerlegten Gedanken aus, Abschaffung des stehenden Heeres sei Umsturz unserer Rechtsordnung. Das gibt mir Anlass zu einigen weiteren Bemerkungen.

Bei der Mehrzahl der Delikte ist der angestrebte oder erzielte Erfolg das kriminalpolitisch Wesentliche. Anders beim Hochverrat. Das hochverräterische Ziel dürfe erstrebt werden; es ist als solches gesetzlich nicht geschützt. Das Wesen des Hochverrats wird nicht durch das Ziel des Hochverrats charakterisiert, sondern durch das zur Erreichung des Ziels angewandte Mittel der Gewalt. Auch wer da irrig meinen sollte, unsere Rechtsordnung beruhe auf der Institution des stehenden Heeres, kann daraus heute keine Konsequenzen gegen mich ziehen. Ich bin nicht bestraft worden, weil ich die Beseitigung des stehenden Heeres anstrebe, sondern weil ich sie angeblich mit Gewalt durchzusetzen bemüht bin. Das Ziel – die Beseitigung des stehenden Heeres –, das Ziel gerade, dessen Erreichung einen Umsturz der bestehenden Rechtsordnung bedeuten soll, ist niemand, auch mir nicht, verwehrt. Das Mittel der Gewalt aber hat an und für sich mit diesem Umsturz nichts zu schaffen – darüber herrscht kein Streit.

Der Anwalt ist nach der geltenden Meinung, im Gegensatz zu dem Beamten, durch seinen Beruf politisch nicht gebunden; nur aus Gründen der Moral ist seine ehrengerichtliche Ahndung zulässig. Die Frage der „Achtung" liegt durchaus auf dem Gebiete moralischer Beurteilung.

Büßt jeder Rechtsbrecher schon darum, weil er das Recht gebrochen hat, die für den Anwaltsberuf erforderliche Achtung ein? Die Rechtsprechung des Ehrengerichtshofes verneint das mit Recht. Auf allen Festungen Deutschlands sitzen Duellanten in Fülle. Sie tragen den Offiziersrock und den Richtertalar; sie verlieren ihren Offiziersrock, ihren Talar keineswegs. Der Richter, der in bewusster, überlegter Weise das Gesetz verletzt hat, darf weiter über andere Gesetzesverletzer richten. Ich habe nicht in bewusster Weise gegen das Gesetz verstoßen – selbst der Herr Oberreichsanwalt unterstellt dies –, und ich soll nicht Anwalt bleiben können? Gewiss, der Hochverrat ist nach dem System unseres Strafgesetzbuches ein Verbrechen. Einen Verbrecher, einen Hochverräter – man pflegt dieses Wort mit drei Ausrufungszeichen auszusprechen und zu denken – als Kollegen zu haben, mag manchem Anwalt wohl unheimlich und widerwärtig erscheinen. Es gilt, sich von diesen unheimlichen Worten nicht verwirren zu lassen und meinem Verbrechen, dem Hochverrat, klar ins Innere seines Wesens zu schauen. Der Hochverrat, der nicht aus unehrenhafter Gesinnung begangen worden ist, das heißt der Hochverrat, den ich begangen haben soll, ist nicht ein wahlweise mit Zuchthaus oder Festung bedrohtes Delikt, sondern ausschließlich mit Festungshaft bedroht, mit custodia honesta genau wie das Duell. In der Strafart bringt das Gesetz gerade die moralische Würdigung zum Ausdruck. Und auf die moralische Würdigung allein kommt's hier an.

Wenn das Gesetz den Hochverrat zum Verbrechen stempelt, so nicht aus Gründen der Moral, sondern der staatlichen Notwehr, der Staatsräson. Wenn es für den reinen Fall des politischen Hochverrats eine ehrenhafte Strafart zulässt, so folgt es damit der moralischen Anschauung höherer Kultur, die es als barbarisch und niedrig verwirft, den politisch anders Denkenden, Wollenden und Handelnden nur um deswillen in seiner Ehre anzutasten.

Nicht aus Gründen der Moral, die hier allein zu sprechen haben, bin ich zum Verbrecher qualifiziert.

Der Hochverrat ist in der Tat ein gar eigenartiges Delikt. Bei anderen Delikten pflegt die mit Erfolg gekrönte Tat härter beurteilt zu werden als die versuchte Tat. Anders bei dem auf Umgestaltung der politischen Ordnung gerichteten Hochverrat. Da ist erfolgreicher Hochverrat nach allgemeiner Ansicht im Staats- und Völkerrecht kein Hochverrat mehr. Erfolgreicher Hochverrat ist hier eine contradictio in adjecto.

Überschauen Sie, meine Herren, die Geschichte der Menschheit. Die Geschichte aller Staatengebilde ist eine ununterbrochene Kette hochverräterischer Akte. Der politische Fortschritt der Menschheit vollzieht sich allenthalben in der Form des Hochverrats. Der Hochverrat von gestern ist die Legitimität von heute, und der Hochverrat von heute wird die Legitimität von morgen sein. Wir alle stehen mit beiden Füßen auf den Errungenschaften des Hochverrats. Auch Sie, meine Herren, sitzen auf Ihren Plätzen kraft der Machtvollkommenheit des Hochverrats von gestern. Ohne die Hochverräter der dreißiger und vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts wäre das heutige Deutsche Reich, von dem Sie Ihre Vollmacht herleiten, nicht vorhanden.

So erklären sich die wundersam wechselnden Schicksale der Hochverräter, die mein Herr Verteidiger in so illustrativer Weise geschildert hat. Fritz Reuter, Richard Wagner waren Hochverräter. Ich erinnere an Miquel, den hochverräterischen Organisator von Bauernrevolten und nachmaligen preußischen Minister; an Bennigsen, diesen späteren hochangesehenen Führer der Nationalliberalen Partei, der sich in den sechziger Jahren in dringendster Gefahr einer Verfolgung wegen Hochverrats befand. Bismarck war in der Konfliktzeit Hochverräter gegen die preußische Verfassung. Und wie viele Richter sind den Ursachen des Hochverratsparagraphen zum Opfer gefallen. Man gedenke jenes Breslauer Landgerichtsdirektors, der, in den siebziger Jahren als Zeuge vernommen, zum Erstaunen seiner Kollegen bekunden musste, wegen Hochverrats zum Tode verurteilt gewesen zu sein.

Ich will durch keine weiteren Exempel ermüden. Nur darum möchte ich noch bitten, dass keiner der Herren mich der Ausübung meines Berufes für unwürdig befinden möge, ohne vorher in dem vortrefflichen Buch des Rechtsanwalts Weißler über die Rechtsanwaltschaft das 49. Kapitel recht genau studiert zu haben: Die Zahl gerade der einst hochverräterischen Anwälte, die danach weiter Zierden unseres Standes waren, ist Legion. Sie finden in diesem Kapitel auch recht bemerkenswerte Winke über die moralische Würdigung des Hochverrats und über die Ursachen, aus denen eine so große Zahl von Vertretern gerade dieses Berufes einst in Deutschland sowie heute in Russland und allenthalben in bewegten Zeiten auf Seiten der Revolution, des Hochverrats, standen.

So sehen Sie die Beurteilung des Hochverrats zeitlich bedingt, bedingt durch die im Sinne der moralischen Beurteilung zufälligen politischen Zustände jedes Landes.

Und noch eines: In einer halben Stunde erreiche ich von meiner Festung Glatz die österreichische Grenze. Jenseits der schwarz-gelben Grenzpfähle existiert mein Verbrechen nicht, es erlischt, verschwindet selbst in krimineller Beziehung. Bei Delikten, die irgendwie die Ehre antasten, pflegt das nicht zu sein. Innerhalb eines gegebenen Völkerkreises kennt die moralische Beurteilung keine staatlichen und keine zeitlichen Grenzen der Art, wie sie in der Beurteilung des Hochverrats vorhanden sind.

So ist es offenbar: Was den Hochverrat charakterisiert und zum Delikt, zum Verbrechen macht, liegt außerhalb der Sphäre irgendwelcher Moral, liegt durchweg im Gebiete der Politik, das bei der ehrengerichtlichen Entscheidung über die Berufsehre des Anwalts prinzipiell gänzlich auszuscheiden hat.

Hochverräter sitzen auf Thronen und Ministersesseln, Hochverräter tragen den Richtertalar. Soll ein Hochverräter nicht Anwalt sein können?

Betrachten Sie so meine Straftat sub specie aeternitatis, und Sie werden zur Zurückweisung des Anklageantrags gelangen.

Es ist eine ernste Stunde für mich. Nicht wegen der materiellen Seite der Sache, die hat völlig zurückzutreten. Ich hänge an dem Anwaltsberufe, dem ich vielleicht durch Anlagen, jedenfalls durch eine warme Neigung angehöre. Nicht um meine Ehre, auch nicht um meine Berufsehre kämpfe ich hier; diese Ehre lasse ich mir von niemandem streitig machen, über sie diskutiere ich nicht. Immerhin kann mir das Votum eines solchen Kollegiums nicht gleichgültig sein. Ich sehe Ihrem Spruch mit Vertrauen und mit Zuversicht entgegen.

1 Im Anschluss an die Verurteilung Karl Liebknechts wegen Hochverrats zu 1½ Jahren Festungshaft im Oktober 1907 versuchte die Reaktion durch ein Ehrengerichtsverfahren, Karl Liebknecht auch als Rechtsanwalt auszuschalten. In der Hauptverhandlung vor dem Ehrengericht der Anwaltskammer der Mark Brandenburg in Berlin am 29. April 1908 wurde der Antrag auf Ausschluss Karl Liebknechts aus dem Anwaltsstande jedoch abgewiesen. Auch in der Berufungsverhandlung am 10. Oktober 1908 vor dem Ehrengerichtshof der deutschen Rechtsanwälte in Leipzig wurde Karl Liebknecht freigesprochen.

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