Offizieller Verhandlungsbericht [Berner Tagwacht Nr. 218, 18. September 1915, Beilage, S. 1f., nach: Horst Lademacher (Hg.): Die Zimmerwalder Bewegung. I. Protokolle. Den Haag - Paris 1967, S. 170-180] 1. Zur Vorgeschichte In den Tagen vom 5. bis 8. September 1915 fand in Zimmerwald (Schweiz) eine internationale sozialistische Konferenz statt, die erste allgemeine internationale sozialistische Tagung seit Ausbruch des Krieges. Der Krieg hat die internationalen Beziehungen des Proletariats jäh zerstört. Es war nicht nur ein äußerlicher Bruch der bisherigen Verbindungen. Sozialistische Parteien und Arbeiterorganisationen verschiedener Länder verließen sowohl den Boden des Klassenkampfes als den der Internationalität. Sie segeln heute noch im nationalistischen Fahrwasser. Die nationalen Gegensätze, die vor dem Kriege die Politik der bürgerlichen Regierungen bestimmten und die das Proletariat stets bekämpfte, haben sich mit dem Kriegsausbruch auf die Arbeiterklasse übertragen. Der neu geschaffene Gegensatz verschärfte sich durch die Haltung der Arbeiterpresse, die sich in verschiedenen Ländern in den Dienst der Herrschenden stellte, ihre Kriegspolitik, mitunter sogar ihre von Eroberungsabsichten getragenen Kriegsziele unterstützte und an Stelle der internationalen Solidarität des Proletariats die nationale Solidarität mit der Ausbeuterklasse als neues soziales Evangelium predigte. Unter solchen Umständen konnte auch das Internationale Sozialistische Büro seiner Aufgabe nicht mehr gerecht werden. Die normalen Beziehungen zwischen ihm und den ihm angeschlossenen Parteien und Verbänden hörten auf, das Büro führt heute eine Scheinexistenz. Von sozialistischen Parteien der neutralen Ländern wurden wiederholt Versuche unternommen, um die internationalen Beziehungen wieder herzustellen und damit die sozialistischen Parteien gemäß den Kongressbeschlüssen von Stuttgart, Kopenhagen und Basel zu einer gemeinsamen Aktion gegen den Krieg und für den Frieden zusammenzuführen. In diesem Sinne tagte im September 1914 in Lugano eine italienisch-schweizerische Konferenz. Die schweizerische Parteileitung erhielt von ihr den Auftrag, auf den internationalen Kongressbeschlüssen fußend, Verbindungen mit den Parteien der kriegführenden Länder wie der neutralen Staaten anzuknüpfen. Inzwischen hatte der Holländer, Genosse Troelstra, eine Reise unternommen, um in ähnlichem Sinne auf die Parteileitungen einzuwirken. Seine Bemühungen hatten jedoch nur den Erfolg, dass das Internationale Sozialistische Büro von Brüssel nach Den Haag verlegt wurde, ohne indessen eine Zusammenarbeit der sozialistischen Parteien zu ermöglichen. Noch während der Reise Troelstras erließen die Sozialisten Amerikas eine Einladung für einen internationalen Kongress, der in Washington hätte abgehalten werden sollen. Die amerikanischen Genossen erklärten sich bereit, sowohl die Kosten des Kongresses als der Delegationen zu übernehmen. Der Plan scheiterte, der Kongress kam nicht zustande. Im Januar dieses Jahres sodann tagte in Kopenhagen eine Konferenz der Sozialisten der neutralen nordischen Länder. Sie beschränkte sich auf die Formulierung eines allgemeinen Friedensprogrammes, ohne sich über die Voraussetzungen seiner Verwirklichung auszusprechen. Später wurden beim Internationalen Sozialistischer Büro private und halboffizielle Bemühungen zur Wiederherstellung der internationalen proletarischen Beziehungen gemacht. Die Konferenz der Sozialisten der Ententemächte in London wie die Konferenz der Sozialisten des Zweiverbandes in Wien aber hatte bewiesen, dass diese Bemühungen fruchtlos blieben und erneute Versuche kaum ein anderes Resultat aufzuweisen haben würden. Die Bestätigung lag vor, als von der schweizerischen Parteileitung das Ansuchen an das Internationale Sozialistische Büro gerichtet wurde, beförderlichst eine Bürositzung, unter Zuziehung weiterer Vertreter aus den einzelnen Ländern, einzuberufen. Auch dieser Schritt blieb resultatlos und scheiterte an der Weigerung der französischen Partei, ihre Zustimmung zu der angeregten Einberufung zu geben. Nun lud die schweizerische Parteileitung, immer im Einverständnis mit dem italienischen Parteivorstand handelnd, die sozialistischen Parteien der neutralen Länder zu einer Zusammenkunft, die am 30. Mai in Zürich stattfinden sollte, ein. Die meisten der eingeladenen Parteien antworteten entweder gar nicht oder dann ablehnend. Nachdem sich nunmehr bei allen bisher zur Wiederherstellung der internationalen sozialistischen Beziehungen unternommenen Schritten gezeigt hatte, dass eine gemeinsame Aktion der sozialistischen Parteien der verschiedenen Länder, ja selbst der bloße Versuch zu einer unverbindlichen Aussprache unter ihnen so lange nicht möglich sei, als einzelne offizielle Parteien auf dem Boden des Patriotismus und der Kriegspolitik ihrer Regierungen stehen, erschienen weitere Bemühungen, die Vertreter der offiziellen sozialistischen Parteien zusammenzuführen, zwecklos zu sein. Die Praxis bewies im Gegensatz zur Theorie, dass man nicht national und international zu gleicher Zeit sein kann, dass es praktisch zu wählen gilt zwischen dem Entweder – oder. Die Versuche, mit oder ohne Mitwirkung des Internationalen Sozialistischen Büros, die der Internationale angeschlossenen offiziellen Parteien zur gemeinsamen Arbeit und zur Ausführung der feierlichst gutgeheißenen Kongressbeschlüsse zu versammeln, wurden aufgegeben. In Berücksichtigung der vorliegenden Tatsachen und Erfahrungen beschloss daher der italienische Parteivorstand am 15. Mai 1915 in Bologna, in Übereinstimmung mit Sozialisten aus andern Ländern, und auf Grund eines Situationsberichtes des Abgeordneten Genossen Morgari, der mit Parteigenossen aus kriegführenden und neutralen Ländern konferiert hatte, eine selbständige Initiative zur Einberufung einer internationalen Konferenz zu ergreifen. Die Einladungen ergingen an alle Parteien, Arbeiterorganisationen oder Gruppen von ihnen, von denen bekannt war, dass sie auf dem Boden der alten Grundsätze und der Beschlüsse der Internationalen verblieben seien und bei denen vorausgesetzt werden konnte, dass sie bereit wären, gegen die Burgfriedenspolitik aufzutreten und auf der Grundlage des proletarischen Klassenkampfes für eine gegen den Krieg gerichtete gemeinsame, gleichzeitige Aktion der Sozialisten in den verschiedenen Ländern einzustehen. Unter Anlehnung an die Beschlüsse des italienischen Parteivorstandes wurden von schweizerischer und italienischer Seite Verhandlungen angeknüpft, die zunächst zu einer am 11. Juli 1915 in Bern stattgehabten Vorbesprechung zwischen Vertretern aus kriegführenden und neutralen Staaten führte. In dieser Vorbesprechung wurden die Richtlinien der geplanten Konferenz festgesetzt. Man einigte sich darauf, dass die einzuberufende Konferenz keineswegs der Bildung einer neuen Internationale zu dienen habe; Aufgabe der Konferenz sei es vielmehr, das Proletariat zu einer gemeinsamen Friedensaktion aufzurufen, ein Aktionszentrum für diesen Zweck zu schaffen und zu versuchen, die Arbeiterklasse zu ihrer historischen Mission zurückzuführen. Es wurde deshalb vereinbart, die Einladung an alle Organisationen und Gruppen ergehen zu lassen, die gewillt sind, den Kampf gegen den Krieg aufzunehmen, unbekümmert um die prinzipiellen Unterschiede in der allgemeinen sozialistischen Auffassung. 2. Die Vertretungen Die Einladung hatte den Erfolg, dass die Konferenz definitiv auf den 5. September 1915 und folgende Tage angesetzt werden konnte. Die Mandatsprüfung ergab folgende Vertretungen, deren persönliche Zusammensetzung in dem offiziellen und ausführlichen Verhandlungsprotokoll später bekannt gegeben wird. Deutschland: Die Vertretung wurde von den einzelnen Gruppen der Opposition abgeordnet, die offizielle Partei ist auf Grund ihrer derzeitigen Haltung nicht eingeladen worden. Frankreich: Auch hier musste von der Einladung der offiziellen Partei, die im Schlepptau der Regierungspolitik steht, abgesehen werden. Es waren indessen sowohl Mitglieder der Partei wie des allgemeinen Gewerkschaftsbundes (C.G.T.) anwesend. Der Metallarbeiterverband war offiziell vertreten, ebenso die Minorität der C.G.T. Italien: Die Vertretung war hier eine offizielle der Partei und der sozialistischen Kammergruppe. England: Eine offizielle Vertretung der Unabhängigen Arbeiterpartei (I.L.P.) war zugesichert. Die Partei erklärte sich mit dem Zweck der Konferenz einverstanden, ebenso ein Teil der British Socialist Party. Die Delegation der I.L.P., bestehend aus den Genossen Iowett und Bruce Glasier, Mitglied des Internationalen Sozialistischen Büros, wurde aber von der englischen Regierung an der Reise verhindert. Am Vorabend der Konferenz lief folgendes Telegramm ein: „Unmöglich Pässe zu erhalten. Wärmste Grüße. Iowett und Glasier." Russland: Die Konferenz war offiziell von dem Zentralkomitee wie von dem Organisationskomitee der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands beschickt, ebenso vom Zentralkomitee der Sozialistisch Revolutionären Partei. Ferner war je eine Vertretung der Sozialdemokratie Lettlands und des „Bund" anwesend. Polen: Die drei auf dem Boden des Klassenkampfes stehenden sozialdemokratischen Organisationen Russisch-Polens und Litauens hatten je einen offiziellen Delegierten abgeordnet. Rumänien: Offizielle Vertretung der sozialdemokratischen Partei Rumäniens. Bulgarien: Offizielle Vertretung der sozialdemokratischen Arbeiterpartei Bulgariens (Engherzige) und ihrer parlamentarischen Fraktion. Die rumänische und bulgarische Delegation vertraten zugleich die interbalkanische sozialistische Föderation. Schweden und Norwegen: Offizielle Vertretung der Socialdemokratiska Ungdomsförbundet. Holland: Offizielle Vertretung der Gruppe „De Internationale". Schweiz: Die Vertretung war eine persönliche; der Parteivorstand hatte den einzelnen Genossen die Beteiligung freigestellt. 3. Die Verhandlungen Von verschiedenen Seiten waren Begrüßungsschreiben eingelaufen, u.a. von einem Mitgliede des deutschen Reichstages, das besonderer Verhältnisse wegen an der Konferenz nicht teilnehmen konnte. Nach Erledigung der formellen Geschäfte hörte die Konferenz sodann die Berichte aus den einzelnen Ländern an. Die Delegierten aus den kriegführenden Staaten gaben hauptsächlich Auskunft über die Gestaltung der Parteiverhältnisse und der Arbeiterbewegung im Allgemeinen seit dem Kriegsausbruch. Sie schilderten die Ereignisse, die das Aufhören der internationalen Beziehungen bedeuteten und gaben übereinstimmend der Meinung Ausdruck, dass der imperialistische Krieg nicht als eine Methode des Klassenkampfes betrachtet werden könne. Der Kampf für den Frieden sei aber nur dann erfolgversprechend, wenn er auf internationaler Basis durchgeführt werde. Nur im Zusammenarbeiten der Arbeiterklassen aller kriegführender Länder und mit tatkräftiger Unterstützung der Sozialisten der neutralen Staaten, die hier wertvolle Dienste zu leisten vermöchten, sei das Interesse des Proletariats in diesem Kampfe wahrzunehmen. Die sozialistischen Arbeiter in allen Ländern begrüßen daher den Zusammentritt der heutigen Konferenz, besonders die Proletarier der kriegführenden Staaten, und das um so mehr, als bis jetzt alle Versuche und Anstrengungen, die offiziellen Parteien einander näher zu bringen, scheiterten, und die Weigerung des sozialdemokratischen Partei des einen Landes, eine internationale Verständigung jetzt mitten im Krieg zu suchen, als Vorwand für die Rechtfertigung der Durchhaltepolitik im andern Lande dienen müsse. Das Interesse der Arbeiterklasse erheische aber den schleunigen Abbruch des Krieges, der mit den tiefsten Bedürfnissen der Völker im Widerspruch steht und in seinem Verlauf den wahren Charakter als imperialistischer Eroberungskrieg immer deutlicher offenbarte. – Eine Diskussion über die Berichte, deren Inhalt hier nun angedeutet werden kann, fand nicht statt. Man war der Ansicht, dass es sich in diesem Augenblick nicht um eine einlässliche Auseinandersetzung über die von den einzelnen Parteien befolgte Taktik handeln könne. Neben dem allgemeinen Situationsbericht bildete die Friedensaktion des Proletariats das Haupttraktandum. Hierzu lag eine gemeinsame Erklärung der deutschen und der französischen Delegation vor. Damit war bereits ein wichtiger Schritt nach vorwärts und für das Gelingen der Konferenz getan. Jede proletarische Friedensaktion wäre zum vornherein aussichtslos gewesen, wenn nicht zwischen den Vertretern von Deutschland und Frankreich, d.h. der beiden Länder, deren sozialistische Parteien, durch den Gegensatz der Regierungspolitik national getrennt, einander vollständig fremd und unversöhnlich gegenüberstehen. Die Konferenz begrüßte daher die Erklärung, deren Wortlaut hier folgt, aufs wärmste und nahm sie mit lautem Beifall auf. Gemeinschaftliche Erklärung der französischen und der deutschen Delegation an die internationale sozialistische Konferenz zu Zimmerwald (Schweiz) abgehalten vom 5. bis 8. September 1915 Nach einem Jahre dieses verheerenden Krieges hat sich sein unzweideutig imperialistischer Charakter mehr und mehr offenbart. Das beweist, dass seine Ursachen in der imperialistischen und Kolonialpolitik aller Regierungen liegen, welche die Verantwortung für die Entfesselung dieses furchtbaren Blutvergießens tragen. Durch den Burgfrieden, den die Nutznießer des Kapitalismus in allen Ländern erklärten, wurden die Volksmassen für diesen Krieg gewonnen, dem der Anschein eines Rassenkampfes, eines Krieges für Recht und Freiheit verliehen wurde. Unter dem Druck der so hervorgerufenen Gefühle, wurde in jedem Lande ein sehr großer Teil der organisierten und aufgeklärten Arbeiter von dem Nationalismus fortgerissen. Seitdem hat die den Machthabern unterstellte Presse nicht aufgehört, den angeblichen Befreiungscharakter dieses Krieges zu unterstreichen. Heute bezeichnen die Chauvinisten jeder Nation als Ziel des Krieges: die Eroberung von ganzen Ländern oder Landesteilen. Die Verwirklichung dieser Absichten würde den Keim künftiger Kriege in sich bergen. Im Gegensatz zu diesen Plänen, haben sich in allen Nationen entschlossene Minderheiten gebildet, die sich bemühen, die Pflichten zu erfüllen, die durch die internationalen Kongresse von Stuttgart, Kopenhagen und Basel den Sozialisten aller Länder auferlegt sind. Es ist ihre Aufgabe, heute mehr denn je sich diesen Annexionsbestrebungen zu widersetzen und die Beendigung dieses Krieges zu beschleunigen, der schon den Verlust von Millionen von Menschenleben verursacht, zahllose Verstümmelte geschaffen und drückende Not unter den Arbeitern aller Länder hervorgerufen hat. Deshalb erklären wir deutschen und französischen Sozialisten und Gewerkschafter: Dieser Krieg ist nicht unser Krieg! Wir verurteilen aufs Entschiedenste die Verletzung der belgischen Neutralität, die feierlich durch internationale Verträge kriegführender Staaten verbürgt ist. Wir fordern und werden nicht aufhören zu fordern, dass Belgien in seiner ganzen Integrität und Unabhängigkeit wieder hergestellt wird. Wir erklären, dass wir das Ende des Krieges durch einen nahen Frieden wollen, der kein Volk und keine Nation vergewaltigt, dass wir niemals Eroberungsplänen unserer Regierungen zustimmen, die unvermeidlich den Keim neuer Kriege in sich tragen müssten, dass wir, jeder in seinem Lande, für einen Frieden arbeiten, der den zwischen den Völkern gesäten Hass zerstreut und ihnen Zusammenschluss zu gemeinsamer Arbeit wieder ermöglicht. Ein solcher Frieden ist unseres Erachtens nur zu erreichen bei völligem Verzicht auf Vergewaltigung der Völker. Die Besetzung von von ganzen Ländern oder Landesteilen darf nicht zu deren gewaltsamer Einverleibung führen. Keine Annexion, weder eine offene noch eine maskierte, auch keine zwangsweise wirtschaftliche Angliederung, die durch politische Entrechtung nur noch unerträglicher gemacht wird. Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist unverbrüchlich zu achten. Wir nehmen die ausdrückliche Verpflichtung auf uns, unablässig in diesem Sinne, jeder in seinem Lande, zu wirken, damit die Friedensbewegung stark genug wird, unsern Regierungen die Beendigung dieser Schlächterei aufzuzwingen. Indem wir uns vom Burgfrieden lossagen, indem wir dem Klassenkampf treu bleiben, der die Grundlage zu Errichtung der sozialistischen Internationalen bildet, stehen wir deutschen und französischen Sozialisten und Gewerkschafter unter unsern Volksgenossen fest im Kampfe gegen dieses furchtbare Verhängnis und für die Beendigung des Völkermordens, das die Menschheit entehrt. Für die deutschen Teilnehmer: Adolf Hoffmann Georg Ledebour Für die französischen Teilnehmer: A. Merrheim A. Bourderon 4. Das Manifest Von der Vertretung des polnischen Landesvorstandes, des russischen Zentralkomitees, der Letten, der Schweden und Norweger lag ein Resolutionsentwurf vor, der die prinzipielle Stellungnahme der Konferenz festlegen sollte. In der Begründung dieser Resolution wurde ausgeführt, dass ohne die grundsätzliche Stellungnahme zum Weltkrieg und zum Zusammenbruch der Internationalen ein Friedensaufruf schwerlich möglich sein würde. Man müsse sich über die Voraussetzungen und über die Ziele der Friedensaktion im Klaren sein. Dieser Klarheit bedürfe in erster Linie die Arbeiterklasse. Erst nach der Befreiung vom Banne der bürgerlichen Durchhaltepolitik sei der Kampf für den Frieden überhaupt möglich. Dieser Kampf müsse in seinem Inhalt wie in seinen Mitteln ein revolutionärer sein. Eine Friedensaktion könne sich nicht bloß auf das Friedensziel beschränken. Bei der Höhe der sozialen Gegensätze werde die Friedensaktion in den Kampf um den Sozialismus umschlagen. Diesen Inhalt der Friedensaktion durch die Agitationsweise zu bestimmen, sei die zweite Aufgabe der Sozialdemokratie. Innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft seien die Gefahren des Imperialismus nicht zu bannen, deshalb müsse der Kampf für den Frieden zugleich der revolutionäre Kampf gegen den Kapitalismus sein. Dieser Auffassung wurde von mehreren Teilnehmern entgegengehalten, dass eine prinzipielle Erörterung und die Festlegung eines allgemeinen Programms über das Ziel hinausginge, das der Konferenz von ihren Organisatoren gesetzt wurde und auf Grund dessen die Beteiligung aus den verschiedenen Ländern erfolgte. So wichtig eine Neuorientierung der internationalen sozialistischen Politik sei, könne dies doch nicht Aufgabe dieser Konferenz sein. In keiner Weise dürfe der Anschein erweckt werden, als wolle diese Konferenz eine Spaltung herbeiführen und eine neue Internationale gründen. Das würde indes durch die Annahme der vorgelegten Resolution geschehen, die zudem Kampfmittel vorschlage, die aus der heutigen Diskussion ausscheiden müssten. Die Konferenz dürfe nicht das Werkzeug irgendeiner Richtung werden, sondern müsse versuchen, eine internationale Friedensaktion des Proletariats einzuleiten, bei der alle Elemente mitwirken können, die auf dem Boden der sozialistischen Weltanschauung stehend, gegen den Burgfrieden kämpfen und, unbekümmert um die gegebene militärische Situation in den einzelnen Ländern, für die rasche Beendigung des Krieges eintreten wollen. Nicht das Trennende, sondern das auf diesem Boden Einigende sei zu betonen. Dazu brauche man einstweilen keine Resolution. Notwendig sei der Erlass einer Kundgebung an das europäische Proletariat, ein Kampfruf, der die Tatsachen kennzeichnet, ausspricht, was ist, und die Arbeiterklasse zum entschlossenen Handeln, zur Wiederaufnahme des Klassenkampfes auffordert. In diesem Sinne liege ja bereits ein Entwurf von derselben Seite vor, die den Resolutionsentwurf vorbereitete. Die Konferenz entschied sich hierauf stillschweigend für den Erlass eines Manifestes. Im Verlauf der Diskussion wurden noch zwei weitere Entwürfe für eine Kundgebung eingebracht. Alle drei Vorlagen gingen an eine Kommission, die dann der Konferenz einen einheitlichen Entwurf vorlegte, der unter Vornahme unwesentlicher Änderungen einstimmig und mit Begeisterung Annahme fand. Auch die Urheber des Resolutionsentwurfes stimmten geschlossen für den Kommissionsentwurf und erklärten, dass sie zwar gewisse Tatsachen schärfer betont und die Kampfmittel deutlicher hätten umschrieben wissen wollen, da es sich aber um einen Kampfruf handle, würden sie Schulter an Schulter mit den übrigen Teilen der Internationale kämpfen und darum zur Einigkeit und Einheit der Aktion beitragen. Auf besonderen Wunsch der deutschen und der französischen Delegation wurde ferner beschlossen, das Manifest durch die Delegation eines jeden Landes persönlich unterzeichnen zu lassen. Wer heute für den Frieden kämpfen, für die Ideale des Sozialismus und für die Wiederherstellung der internationalen proletarischen Beziehungen einstehen wolle, müsse auch den Mut haben, mit seinem Namen und seiner Person in der Öffentlichkeit aufzutreten und die Verantwortung für die gesetzten Beschlüsse zu übernehmen. Nur so werde die Arbeiterklasse das Vertrauen wieder gewinnen und bereit sein, den Kampf aufzunehmen. Dieser Vorschlag fand einhellige Zustimmung. Selbstverständlich erschöpft sich die Friedensaktion des Proletariats nicht in dem Erlass einer Kundgebung seiner Vertreter. Nur in dem ununterbrochenen, fortwährend gesteigerten Zusammenwirken aller proletarischen Kräfte kann jener Einfluss erlangt werden, der die Herrschenden zur Einstellung des ungeheuerlichen Völkermordens zwingt. Das Internationale Sozialistische Büro wäre die berufene Instanz, die Friedensaktion der Arbeiterklasse zu fördern, die nötigen Verbindungen unter den sozialistischen Parteien herzustellen und aufrechtzuerhalten. Dieses Büro ist indessen zurzeit nicht in der Lage, diese Aufgabe zu erfüllen. Solange dies nicht der Fall ist, muss eine andere Stelle geschaffen werden, die diese Mission erfüllt. Die Konferenz beschloss daher provisorisch die Einsetzung einer Internationalen Sozialistischen Kommission und bestimmte Bern als ihren Sitz. Als Mitglieder dieser Kommission wurden gewählt: O. Morgari, italienischer Kammerdeputierter, die Nationalräte Charles Naine und Robert Grimm und Genossin Angelika Balabanow als Übersetzerin. Die Kommission wird in Bern ein provisorisches Sekretariat errichten, das den Verkehr unter den Parteien vermittelt, über die Ereignisse und den Fortgang der Friedensaktion die angeschlossenen Organisationen fortlaufend unterrichtet und zu diesem Zwecke ein periodisch erscheinendes Bulletin herausgibt. Dieses Sekretariat soll in keiner Weise das bisherige internationale Büro ersetzen, sondern aufgelöst werden, sobald dieses seiner Bestimmung gerecht zu werden vermag. Wie die Konferenz einstimmig war in allen bisher erwähnten Beschlüssen, so löste ebenso herzliche und einmütige Zustimmung die folgende, auf den Vorschlag der französischen Delegation vom Büro formulierte Sympathieerklärung aus: „Die internationale sozialistische Konferenz zu Zimmerwald entbietet den Ausdruck tiefsten Mitgefühls den zahllosen Opfern des Krieges, dem polnischen und dem belgischen Volke, den verfolgten jüdischen und armenischen Völkern, den Millionen menschlicher Wesen, die sich in unermesslichen Leiden quälen und unerhörte Gräuel über sich ergehen lassen mussten. Die Konferenz ehrt die Erinnerung an den großen Sozialisten Jean Jaurès, dem ersten Opfer dieses Krieges, gefallen als ein Märtyrer und Kämpfer im Ringen gegen den Chauvinismus und für den Frieden, sie ehrt das Andenken an die sozialistischen Kämpfer Tutzowicz und Catanesi, die ihr junges Leben auf den blutigen Schlachtfeldern aushauchen mussten. Die Konferenz entsendet den Ausdruck ihres tiefen und brüderlichen Mitgefühls den in Sibirien verbannten Dumaabgeordneten, die die glorreiche revolutionäre Vergangenheit Russlands fortsetzen, den vom Militarismus gefesselten Genossen Liebknecht und Monatte, die beide in ihren Ländern den Kampf gegen die Burgfriedenspolitik der Arbeiterschaft aufnahmen, den Genossinnen Luxemburg und Klara Zetkin, die ihrer sozialistischen Überzeugung wegen eingekerkert wurden und allen Genossen und Genossinnen, die deshalb verfolgt oder verhaftet wurden, weil sie den Kampf gegen den Krieg führten. Die Konferenz verpflichtet sich feierlich, die Lebenden und Toten zu ehren, indem sie das Beispiel dieser tapferen Kämpfer nachahmt und ohne Rast die Aufgabe verfolgt, den revolutionären Geist in den Massen des internationalen Proletariats zu wecken und sie zu einigen in dem Kampf gegen den brudermordenden Krieg und gegen die kapitalistische Gesellschaft." Nach viertägiger Dauer gingen die in voller Einmütigkeit vom Geist entschlossenen Willens und brüderlicher Solidarität getragenen Verhandlungen zu Ende. Mit einem Dankeswort an die Genossinnen Angelika Balabanow und Roland Holst, die das Sekretariat und die Übersetzungen in meisterhafter Weise besorgt haben, wurde die Konferenz Mittwoch nachts geschlossen. Mit dem Versprechen, das eben begonnene Werk zu fördern, mit zäher Energie und Ausdauer für die Festigung der Bande internationaler Solidarität zu wirken, schieden die Teilnehmer im Bewusstsein, dass diese Konferenz der erste notwendige Schritt für die Wiederherstellung der internationalen Beziehungen und der internationalen sozialistischen Aktion war. |