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revolutionärer Aufschwung 1912

Die Nachricht von der Schießerei an der Lena brachte die Arbeiterschaft ganz Russlands in Aufregung. Während des ganzen Monats April gab es in den Industriezentren Streiks und Protestmeetings, und die ganze Bewegung gipfelte in einer breiten Massenkundgebung am 1. Mai. Das Jahr 1912 brachte eine mächtige Streikwelle und signalisierte die Weiterentwicklung des machtvoll einsetzenden revolutionären Aufschwunges. Die Fabrikinspektoren verzeichneten in diesem Jahre 2.032 Streiks mit 725.000 Teilnehmern. Am schärfsten war die Bewegung unmittelbar nach der Schießerei an der Lena (April und Mai). Die Massenstreiks, Versammlungen und Demonstrationen verliefen im Zeichen der uneingeschränkten bolschewistischen revolutionären Losungen. Durch ihre breite Entfaltung stellte diese Bewegung zum ersten Male wieder seit der Revolution von 1905–1907 die Aufgabe der Vorbereitung des bewaffneten Aufstandes auf die Tagesordnung. Es war wirklich der Beginn einer neuen Revolution. Darin bestand der Sinn der Ereignisse, wie sie sich hier entwickelten. Dieser Sinn wurde von den Liquidatoren [...] verdreht, die die Bewegung als ein bloßes Streikfieber hinstellten und bestrebt waren, den Arbeitern anstelle der Losungen der Revolution die Losung des Kampfes für die „Koalitionsfreiheit“, d. h. die Freiheit der Streiks und der Verbände unter dem zaristischen Regime, zu unterschieben. Sowohl in dem vorliegenden Artikel als auch in einer Reihe anderer, späterer Artikel, die ebenfalls der Bewegung im Frühjahr 1912 gewidmet sind (z. B. „Die Liquidatoren gegen den revolutionären Massenstreik“ und „Die Losungen der Reichskonferenz der SDAPR im Januar 1912 und dieMaibewegung“), gab Lenin eine Einschätzung der Ereignisse und geißelte zugleich die Liquidatoren [...], die als Feuerwehrmänner die neue beginnende Revolution löschen wollten. In den Ereignissen selbst stellte er den unstreitigen Einfluss und die organisierende Rolle der bolschewistischen Partei fest, und in der anschwellenden Arbeiterbewegung erblickte er eine Bestätigung der Richtigkeit der Beschlüsse der Prager Konferenz. In einem späteren Artikel aus dem Jahre 1913 „Die Entwicklung der revolutionären Streiks und der Straßendemonstrationen" zog Lenin folgendermaßen das Fazit der Bewegung im Jahre 1912: „Der revolutionäre Streik der russischen Arbeiter im Jahre 1912 trägt im vollen Sinne des Wortes einen allgemeinen Volkscharakter. Denn unter einer allgemeinen Volksbewegung hat man keineswegs eine solche zu verstehen, mit der – unter den Verhältnissen der bürgerlich-demokratischen Revolution – die ganze Bourgeoisie oder auch nur die liberale Bourgeoisie solidarisch ist. So können nur Opportunisten denken. Nein. Eine allgemeine Volksbewegung ist jene Bewegung, die die objektiven Nöte des ganzen Landes zum Ausdruck bringt und dabei ihre schweren Schläge gegen die zentralen Kräfte des Feindes führt, der die Entwicklung des Landes hindert. Eine allgemeine Volksbewegung ist jene Bewegung, die durch die Sympathie der gewaltigen Mehrheit der Bevölkerung gestützt wird. Eben eine solche Bewegung war die politische Bewegung der Arbeiter im abgelaufenen Jahre, die von der Sympathie aller Werktätigen und Ausgebeuteten, der ganzen Demokratie, so schwach, eingeschüchtert, zersplittert, hilflos sie auch sein mochte, getragen wurde …“ (Sämtliche Werke, Bd. XVI).

Zum ersten Male seit der Niederwerfung der Revolution von 1905-1907 gab es auf Grund des beginnenden Aufschwungs der Arbeiterbewegung und des Streikkampfes in der ersten Hälfte des Jahres 1910 auch eine Neubelebung der revolutionären Stimmungen, des revolutionären Auftretens der Studentenschaft und der kleinbürgerlichen Demokratie. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 4, Anm. 78]

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