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Plechanows Verwischen der besonderen Klassenaufgaben des Proletariats

Der Struvismus (vom Namen Peter Struves hergeleitet) und der Brentanismus (vom Namen des deutschen Professors L. Brentano) wurden unter anderem dadurch gekennzeichnet, dass sie vom Marxismus die Anerkennung der Fortschrittlichkeit des Kapitalismus im Vergleich mit der Feudal- und Halbfeudalordnung übernahmen, dagegen aber den Kern des Marxismus, nämlich den Klassenkampf des Proletariats für seine Diktatur, die Notwendigkeit und Unausbleiblichkeit der proletarischen Revolution und der proletarischen Diktatur verwarfen. Der Struvismus, der an Marx eine derartige Operation vornahm, diente in den neunziger Jahren in Russland nichts anderem als der Förderung des Kapitalismus und der Verteidigung der Interessen der russischen Bourgeoisie. Plechanow, der noch vor dem Krieg zum Struvismus neigte, sank gerade durch die Motivierung seiner sozialchauvinistischen Haltung zu ihm hinab. Plechanow liebte es, die für das Vorkriegsrussland vollkommen richtige These zu wiederholen, dass wir nicht so sehr unter der Entwicklung des Kapitalismus leiden als vielmehr unter seiner ungenügenden Entwicklung; er zog jedoch aus dieser These vollkommen unmarxistische Schlussfolgerungen. Die einzige Aufgabe des Proletariats in der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1905–1907 sah er in der Beseitigung der Hindernisse, die sich der Entwicklung des Kapitalismus in Russland entgegenstellten. Somit ließ er lediglich die Aufgaben gelten, die vor der Bourgeoisie standen, die selbständigen Klassenziele des Proletariats in dieser Revolution sah er nicht, er bestritt sie und kämpfte gegen Lenin und die Bolschewiki, die in der Losung der revolutionär-demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft diesen selbständigen Klassenzielen der Arbeiterklasse Ausdruck verliehen, einer Losung, deren Verwirklichung die Möglichkeit gewährleistete, sofort nach dem Sturz des Zarismus zum Übergang von der bürgerlich-demokratischen zur sozialistischen Revolution zu schreiten. Vom Standpunkt Plechanows aus sollte man dem Proletariat in der bürgerlich-demokratischen Revolution keine besonderen Klassenaufgaben stellen, die sich von den Aufgaben der Bourgeoisie unterscheiden, man sollte vielmehr lediglich die Bourgeoisie unterstützen, sie vorwärtstreiben, mit ihr einen Block bilden und Abkommen treffen, sie jedoch keineswegs von der Revolution abstoßen und die Einheitsfront mit ihr nicht durch jene Taktik und jene Losungen stören, die von den Bolschewiki angewandt wurden. Als Plechanow bei Kriegsbeginn eine klar ausgeprägte sozialchauvinistische Position bezog, machte er auch hier bei der Motivierung seines Standpunkts, der Verteidigung des zaristischen Russlands, als Hauptargument die Erwägung geltend, dass Russland nicht so sehr unter der Entwicklung des Kapitalismus als unter seiner ungenügenden Entwicklung leide. Eine Niederlage Russlands – sagte er – und ein Sieg Deutschlands führen zur ökonomischen Versklavung Russlands, zur Hemmung der Entwicklung des Kapitalismus in Russland, während das Proletariat an einer Entwicklung des Kapitalismus in seinem Lande interessiert ist, da nur diese es dem Sozialismus näher bringen kann; deshalb muss das Proletariat im Krieg das zaristische Russland verteidigen. Der besondere – imperialistische – Charakter des Krieges, die besonderen Aufgaben, die vor dem Proletariat aller kriegführenden Länder infolge der mit dem Krieg anwachsenden revolutionären Krise auftauchten und die von Lenin in der Losung „Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg“ formuliert wurden, – wurden von Plechanow samt und sonders bestritten Ebenso wurden natürlich auch jetzt, zur Zeit des imperialistischen Krieges, genau so wie in den Jahren 1905–1907 die besonderen Klassenaufgaben des russischen Proletariats, die seit der Periode der Vorbereitung der ersten Revolution vor dem Proletariat standen und nunmehr, in der Kriegszeit, besonders aktuell wurden, von Plechanow bestritten: über die bürgerlich-demokratische Umwälzung hinaus sofort zu der sozialistischen Umwälzung zu schreiten und somit das Land vom kapitalistischen auf den sozialistischen Weg zu führen. So wurden von Plechanow ebenso wie von Struve und den Struvisten im Russland der neunziger Jahre angesichts der Fortschrittlichkeit der kapitalistischen Entwicklung die Klassenaufgaben des Proletariats verwischt. Und genau so wie Struve mit seinem Pseudomarxismus im Lager der Bourgeoisie gelandet war, geriet auch Plechanow, der den Marxismus entstellte, vulgarisierte und aushöhlte, während des Krieges endgültig ins Lager der Bourgeoisie. [Lenin, Ausgewählte Werke Band 7, Anm. 30]

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