Der Kronstädter Aufstand brach in den ersten Märztagen des Jahres 1921 aus. Die Bewegung begann mit vereinzelten Unruhen auf den Schiffen. Am 1. März fand eine große Versammlung der Kronstädter Matrosen statt, auf der eine Resolution der Mannschaftsversammlung der 1. und 2. Brigade der Linienschiffe, die sich gegen die Diktatur des Proletariats und die Kommunistische Partei richtete, angenommen wurde. Am 2. März bildete sich ein „Provisorisches Revolutionskomitee der Matrosen, Rotarmisten und Arbeiter“, das sich als „Staatsmacht“ proklamierte. Am gleichen Tage wurde der Weißgardist General Koslowski zum Oberbefehlshaber der Verteidigung Kronstadt ernannt. Der Aufstand wurde durch Truppenteile der Roten Armee, die durch eine große Anzahl von Kommunisten verstärkt waren, niedergeworfen; im Besonderen beteiligten sich an der Liquidierung des Kronstädter Aufstands auch die Delegierten des X. Parteitages. Der Kronstädter Aufstand war die krasseste Äußerung der kleinbürgerlichen anarchischen Konterrevolution. Von den alten Seeleuten waren in Kronstadt fast keine mehr da. Die baltische Flotte war in den Jahren des Bürgerkrieges nahezu untätig gewesen. Die besten Elemente unter den Matrosen waren in die Armee oder auch auf Partei- und Sowjetarbeit gegangen. Gegen Frühjahr 1921 bestand die erdrückende Mehrzahl der Matrosen aus jungen Bauern, die vor verhältnismäßig kurzer Zeit aus dem Dorf gekommen, mit dem Dorf eng verbunden und im Kampf nicht gestählt waren. Die Menschewiki, die Sozialrevolutionäre und die anderen sowjetfeindlichen Parteien widmeten der Arbeit unter den Kronstädter Matrosen besonders viel Aufmerksamkeit, viele Kräfte und Mittel. Die Kronstädter forderten „Rede- und Pressefreiheit für die Arbeiter und Bauern, für die Anarchisten und linken sozialistischen Parteien“ (Resolution der Versammlung vom 1. März), d. h. Betätigungsfreiheit für die konterrevolutionären Parteien, die den Sturz der Sowjetmacht anstrebten. Diesen konterrevolutionären Parteien räumten also die Aufständischen Handlungsfreiheit ein, gegen die Kommunisten dagegen begannen sie vom ersten Tag des Aufstandes an Gewalt anzuwenden. Das konterrevolutionäre „Revolutionskomitee“ schrieb in dem von ihm herausgegebenen „Mitteilungsblatt“ (Nr. 8 vom 10. März 1921), dass „sich unter der Bevölkerung noch immer nicht wenig Spione befinden – Kommunisten, die falsche Gerüchte ausstreuen“, dass „gegen die Verbreiter falscher Gerüchte entschiedene Maßnahmen ergriffen worden sind, wie sie durch die Umstände der Kriegszeit diktiert werden“. Die Kronstädter schützten „Parteilosigkeit“ vor, während sich die Führung des Aufstandes in Wirklichkeit in den Händen der Menschewiki und insbesondere der Sozialrevolutionäre befand, die in engem Bündnis mit den weißgardistischen Generalen und mit dem internationalen Imperialismus handelten. In der Sitzung des „Revolutionskomitees“ vom 13. März sahen sich die Führer des Aufstandes gezwungen festzustellen, dass ein isoliertes Weiterbestehen von Kronstadt undenkbar sei. Es galt, entweder vor der Sowjetmacht zu kapitulieren, oder sich enger mit der kapitalistischen Welt zu verbinden. Das „Revolutionskomitee“ fasste den Beschluss, sich mit einem Aufruf um Beistand an die ganze Welt, d. h. an die kapitalistischen Staaten, an die Weißgardisten und imperialistischen Interventen, zu wenden. In den Losungen der Kronstädter wurde viel von den „Interessen des schaffenden Volkes“ usw. geredet, sie traten nicht mit der Losung der direkten Wiederherstellung des Kapitalismus auf, sie waren „nur“ gegen die Diktatur des Proletariats, für „freie Sowjets“. In Wirklichkeit bedeutete das den Sturz der Sowjetmacht und die vollkommene Wiederherstellung des Kapitalismus. Die Gefährlichkeit Kronstadts – sagte Lenin – „besteht nämlich darin, dass scheinbar nur eine geringfügige Verschiebung gefordert wird: ,Die Bolschewiki sollen verschwinden', ,wir werden die Staatsmacht ein klein wenig korrigieren' – das wollen die Kronstädter. Aber herausgekommen ist, dass Sawinkow nach Reval kam, dass die Pariser Zeitungen zwei Wochen vorher über diese Ereignisse schrieben, dass ein weißer General auftauchte.“ Die Führer der Bourgeoisie begriffen ausgezeichnet die Bedeutung einer „kleinen Verschiebung“ der Macht. Die Zeitung eines der klügsten Führer der russischen Bourgeoisie, die „Poslednije Nowosti“ („Letzte Nachrichten“) des Kadetten Miljukow, setzte sich für die Kronstädter Losung „Sowjets ohne Kommunisten“ ein. Das Programm der Kronstädter – schrieb Miljukow – „kann in der kurzen Losung: ,Nieder mit den Bolschewiki, es leben die Sowjets' ausgedrückt werden“. Miljukow war davon überzeugt, dass bei einer Verwirklichung dieser Losung die Bourgeoisie früher oder später an die Macht kommen muss. Lenin schrieb: „Der kluge Führer der Bourgeoisie und der Gutsbesitzer, der Kadett Miljukow, setzt geduldig dem Dummkopf Viktor Tschernow direkt (und den wegen ihrer Verbindung mit Kronstadt im Petrograder Gefängnis sitzenden Menschewiki Dan und Roschkow indirekt) auseinander, dass es keinen Sinn habe, sich mit der Konstituante zu beeilen, dass man sich für die Sowjetmacht aussprechen könne und müsse – nur ohne die Bolschewiki … … Miljukow hat gegenüber den Tschernow und Martow recht, denn er verrät die wirkliche Taktik der wirklichen weißgardistischen Kraft, der Kraft der Kapitalisten und der Gutsbesitzer: wir wollen jeden beliebigen unterstützen, sogar Anarchisten, jede beliebige Sowjetmacht, wenn nur die Bolschewiki gestürzt werden, wenn nur eine Verschiebung der Macht herbeigeführt wird! Ganz gleich, ob nach rechts oder nach links, ob zu den Menschewiki oder zu den Anarchisten, nur eine Verschiebung der Macht weg von den Bolschewiki, das übrige werden ,wir‘, die Miljukows, ,wir‘, die Kapitalisten und Gutsbesitzer, schon ,selber' besorgen; die Anarchistlein, die Tschernow und die Martow werden wir schon mit Fußtritten zum Teufel jagen“. Der Kronstädter Aufstand wurde verhältnismäßig rasch niedergeworfen. Aber er zeugte von der Schärfe und Tiefe jener ökonomischen und politischen Krise, die Sowjetrussland Anfang 192t durchmachte. Den Ausweg aus dieser Krise bot der Übergang zur neuen ökonomischen Politik, die eine feste ökonomische Grundlage für das Bündnis zwischen dem Proletariat und der werktätigen Bauernschaft unter der Führung der Arbeiterklasse schuf. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 8, Anm. 37] Kronstädter Revolte, Kronstädter Matrosenaufstand 1921: Sieben Jahre Weltkrieg und Bürgerkrieg hatten in Russland 1921 zu einer schweren wirtschaftlichen Zerrüttung geführt. Es kam zu einer Reihe von Bauernunruhen. Die Bäuer*innen wollten zwar keine Rückkehr der Großgrundbesitzer, aber auch nicht willkürliche Zwangsablieferungen von Getreide zur Versorgung der Städte oder Roten Armee. Trotzki hatte deshalb schon 1920 die Ersetzung der Zwangsablieferungen durch eine Natursteuer gefordert, das wurde aber erst 1921 im Rahmen der Neuen Ökonomischen Politik umgesetzt. Dazwischen gab es eine Reihe von Bauernaufständen. Der Aufstand der Matrosen überwiegend bäuerlicher Herkunft stand in diesem Kontext. Besonders Anarchist*innen haben die Revolte glorifiziert. Aber unabhängig von den Absichten der Aufständischen hätte ein Sieg der Revolte in der Marinefestung auf einer Insel vor den Toren Petrograds (des heutigen Petersburgs) der Konterrevolution Tür und Tor geöffnet. Deshalb sahen sich die Bolschewiki zur gewaltsamen Stürmung gezwungen. Die Stürmung einer waffenstarrenden Festung durch Fußsoldaten über das gefrorene Eis des finnischen Meerbusens war extrem verlustreich. Schon das sollte zeigen, dass die Bolschewiki die Operation nicht leichtfertig unternahmen. Der Mythos Kronstadt stützt sich darauf, dass die Kronstädter Matrosen 1917 zu den treuesten Anhängern der Bolschewiki gehörten. Das ignoriert, dass sich in den über drei Jahren dazwischen die soziale und personelle Zusammensetzung der Kronstädter Matrosen völlig veränderte. |
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