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Kautskys „Der Weg zur Macht“

Über die Broschüre Kautskys „Der Weg zur Macht“, die im Jahre 1909 erschien, schrieb Lenin im Dezember 1914 in seinem Artikel „Der tote Chauvinismus und der lebendige Sozialismus“, wo er diese Broschüre den chauvinistischen Reden Kautskys nach dem Kriegsausbruch gegenüberstellte, dass sie „die geschlossenste und für die deutschen Sozialdemokraten (im Sinne der Hoffnungen, zu denen sie berechtigten) günstigste Darstellung der Ansichten über die Aufgaben unserer Epoche, eine Darstellung, die aus der Feder des maßgebendsten Schriftstellers der II. Internationale stammt“, sei (Lenin, Sämtl. Werke, Bd. XVIII, S. 94).

Dann erörterte Lenin den Hauptinhalt der Broschüre folgendermaßen: „Die Sozialdemokratie ist eine ,revolutionäre Partei' (erster Satz der Broschüre) nicht nur in dem Sinne, in dem eine Dampfmaschine revolutionär ist, sondern ,noch in anderem Sinne'. Sie erstrebt die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, die Diktatur des Proletariats. Die ,Zweifler an der Revolution' mit Hohn überschüttend schrieb Kautsky: ,Sicher müssen wir bei jeder großen Bewegung und Erhebung auch mit der Möglichkeit ihrer Niederschlagung rechnen. Ein Tor, der sich bei einem bevorstehenden Kampf sicher fühlt, den Sieg bereits in der Tasche zu haben.' ,Ein direkter Verrat an unserer Sache' wäre der Verzicht, mit der Möglichkeit des Sieges zu rechnen. Eine Revolution in Verbindung mit einem Krieg ist möglich sowohl während des Krieges wie nach dem Kriege. Wann die Verschärfung der Klassengegensätze zur Revolution führen wird, lässt sich nicht bestimmen. Aber ,ich kann ganz bestimmt behaupten, dass eine Revolution, die der Krieg mit sich bringt, entweder während des Krieges oder unmittelbar darnach ausbricht'. Es gibt also nichts Banaleres als die Vorstellung von einem ,friedlichen Hineinwachsen in den Sozialismus' … ,Wir haben alle Ursache anzunehmen, wir seien jetzt in eine Periode von Kämpfen um die Staatseinrichtungen und die Staatsmacht eingetreten, Kämpfen die sich unter mannigfachen Wechselfällen durch Jahrzehnte hinziehen können …, die aber höchstwahrscheinlich bereits in absehbarer Zeit erhebliche Machtverschiebungen zugunsten des Proletariats, wenn nicht schon seine Alleinherrschaft in Westeuropa herbeiführen' … ,Das Proletariat kann nicht mehr von einer vorzeitigen (gesperrt von Kautsky) Revolution reden … Zweifellos sind wir in eine revolutionäre Epoche eingetreten' … So schrieb Kautsky in längst entschwundenen Zeiten, vor ganzen fünf Jahren“.

Trotz aller dieser Vorzüge dringt in der Broschüre „Der Weg zur Macht“ wie auch in einer Reihe anderer Arbeiten Kautskys mit aller Deutlichkeit seine opportunistische Auffassung von der proletarischen Revolution durch. In seinen Vorarbeiten zum Werk „Marxismus und Staat“, das später den Titel „Staat und Revolution“ erhielt, stellt Lenin bei der Analyse der Kautskyschen Broschüre „Der Weg zur Macht“ fest, dass darin „kein Wort über die ,Zerschlagung' der militärisch-bürokratischen Staatsmaschine" (der Bourgeoisie. Die Red.) enthalten sei, ebenso kein Wort „über die Bekämpfung, des abergläubischen Glaubens an den Staat, über die Ersetzung der parlamentarischen Einrichtungen und der Beamten durch proletarische Einrichtungen vom Typ der Pariser Kommune“ (Leninskij Sbornik XIV, S. 363 u. 369, russ.). Es fehlt also das Wichtigste, das die proletarische Revolution und die Diktatur des Proletariats charakterisiert und das von Marx und Engels schon seit 1852 immer wieder betont wurde. Das entspricht durchaus jener Stellung Kautskys zur Diktatur des Proletariats und zur proletarischen Revolution, die Lenin in den erwähnten Vorarbeiten auch in Bezug auf andere Werke Kautskys feststellt („Die soziale Revolution“, Artikel gegen Pannekoek, Buch gegen Bernstein). Lenin zitiert eine Reihe opportunistischer Stellen aus diesen Werken und gelangt in seinen Glossen zu dem Schluss, dass Kautsky bereits vor dem Krieg einen Sozialismus „ohne Revolution“ vertrat, dass bei ihm schon vor dem Krieg ein „vollständiger Zusammenbruch des Marxismus“ festzustellen war, dass er „alle Hinweise und die Lehre von Marx und Engels aus den Jahren 1852-1891 vergessen hatte“, dass er durch seine Auslassungen über die Diktatur des Proletariats den Marxismus „verflachte“ (ebenda, S. 379, 381, 383).. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 5, Anm. 55]

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