Der Kampf der zwei Richtungen – der revolutionären und der opportunistischen – in der internationalen Arbeiterbewegung, von dem Lenin hier spricht, war der Vorläufer des Kampfes zwischen der Kommunistischen Internationale und der […] Zweiten Internationale, wie er sich heute abspielt. Lenin sagte schon im Jahre 1908 voraus, dass sich dieser Ideenkampf in einen bewaffneten Kampf verwandeln wird. Im Jahre 1902, zur Zeit der Abfassung der Broschüre „Was tun?“, vermerkte Lenin, dass sich der Kampf zwischen dem Opportunismus und dem revolutionären Marxismus „aus einem nationalen in einen internationalen Kampf verwandelt hat“. (Das Wort „national“ ist hier, wie bei Lenin oft und überhaupt im Russischen sowie in anderen Sprachen, im Sinne von „innerhalb einer Nation, innerhalb eines Staates“ gemeint.) In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielte sich in der sozialistischen Bewegung Deutschlands, Frankreichs, Englands und Russlands schon dieser Kampf der zwei Richtungen, der revolutionären und der reformistischen, der proletarischen und der kleinbürgerlichen, ab. Dieser Kampf war also damals bereits eine internationale Erscheinung, wobei er selbstverständlich in jedem Lande seine besonderen Züge aufwies. Von Deutschland führt Lenin hier als Beispiel die Lassalleaner und die Eisenacher an. In England wurde 1884 die „Gesellschaft der Fabier“ (benannt nach dem römischen Feldherrn Fabius, der wegen seiner Taktik „der Zauderer“ genannt wurde) gegründet, die aus Vertretern der Intelligenz bestand und eine ausgesprochen opportunistische Richtung war. An der Spitze standen Bernard Shaw, Sidney und Beatrice Webb und H. Wells. In demselben Jahre wurde die „Sozialdemokratische Föderation“ gegründet, die sich aus Anhängern von Marx zusammensetzte. An der Spitze stand Hyndman und Tom Mann. Der Einfluss der Föderation auf die Arbeiter war sehr gering. Im Jahre 1900 traten beide Organisationen der „Arbeiterpartei“ bei. Am Ende der neunziger Jahre und um die Jahrhundertwende setzte in den vorgeschrittenen Ländern Europas die Herrschaft des Finanzkapitals ein. Das war der Anfang der imperialistischen Ära. In den imperialistischen Ländern und besonders in England hatte sich eine Oberschicht von besser gestellten Arbeitern, eine „Arbeiteraristokratie“ herausgebildet, die die soziale Grundlage der Entwicklung der opportunistischen Richtung in der Arbeiterbewegung darstellte. Darum verstärkten sich auch in den neunziger Jahren die opportunistischen Strömungen und wurden zu einer allgemeinen internationalen Erscheinung in der Arbeiterbewegung. Der internationale Imperialismus erhielt auf diese Weise seine Agentur in der internationalen Arbeiterbewegung. Der Kampf zwischen den zwei Richtungen der Arbeiterbewegung trat damit in ein neues Stadium. Lenin verwies auf den Zusammenhang zwischen dem Beginn dieses neuen Stadiums und der Entwicklung in der Weltwirtschaft, welche der friedlichen Epoche der Entwicklung des Kapitalismus ein Ende machte. Als das Ende dieser friedlichen Epoche, die 1871 nach der Niederwerfung der Pariser Kommune begonnen hatte, bezeichnete Lenin das Jahr 1904, den Vorabend der Revolution von 1905. Von großem Interesse ist die Bemerkung Lenins am Ende der besprochenen Stelle, dass „in diesem ersten, wirklich internationalen Streit mit dem Opportunismus“ der revolutionäre Flügel der internationale erstarken müsse und mit der „in Europa schon längst herrschenden politischen Reaktion“ ein Ende machen werde. Hier verweist Lenin auf den Zusammenhang zwischen dem Beginn einer neuen Phase des Kampfes zweier Strömungen in der Arbeiterbewegung einerseits und den Wandlungen in der Weltwirtschaft, die der friedlichen Entwicklungsepoche des Kapitalismus ein Ende gemacht haben, anderseits. [Ausgewählte Werke Band 2] |
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