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Gruppe „Wperjod"

Die „Wperjod“-Fraktion oder „Wperjod“-Gruppe wurde im Dezember 1909 auf Initiative von Bogdanow organisiert. Sie gab unter dem Titel „Wperjod" 2 Sammelbände heraus. [Lenin, Sämtliche Werke, Band 15, Anm. 15]

Die Gruppe „Wperjod" („Vorwärts"), die sich von den Bolschewiki abgespalten hatte, bestand seit ihrem Entstehen (Ende 1909) aus Elementen, die in den Schattierungen ihrer politischen Ansichten und in ihren philosophischen Anschauungen große Verschiedenheiten aufwiesen: aus Anhängern des „uneingeschränkt linken Bolschewismus", Otsowisten (von russisch „otoswatj", auf deutsch „abberufen", Anhänger der Abberufung der sozialdemokratischen Abgeordneten aus der Duma, Gegner der parlamentarischen Betätigung) sowie Ultimatisten (eine Richtung innerhalb der Otsowisten, die verlangte, dass von den sozialdemokratischen Abgeordneten unter ultimativer Androhung der Abberufung die Unterordnung unter die Parteidisziplin gefordert werde), ferner aus Anhängern der sogenannten „proletarischen Kultur": Machisten (Anhänger des Physikers und Philosophen Ernst Mach), Empiriomonisten (philosophische Richtung, deren Hauptbegründer Bogdanow war), „Gottsucher" und „Gottbildner".

Der Gruppe „Wperjod" gehörten zu verschiedenen Zeiten an: F. I. Kalinin (Arkadi), Walerian Poljanski, Micha Zchakaja, Grigori Alexinski, D. Manuilski (I. Besrabotny), A. Sokolow (Wolski, St.), Maxim Gorki, M. N. Pokrowski (Domow), A. W. Lunatscharski (Woinow), M. N. Ljadow, A. A. Bogdanow (Maximow), Schanzer (Marat), J, Lobanow (Stanislaw), Batyschew (Juli), M. J. Jakowlew (Arseni), W. B. Kossarjew (Boris), N. Ustinow (Wassja), K. A. Alferow (Jakow), Ilja Trainin, W. A, Dessnizki (Strojew), Menschinski (Stjepinski), Leopold Israilewitsch u. a.

Ende 1909 veröffentlichte die Gruppe eine Plattform unter dem Titel „Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der Partei. Plattform einer Gruppe von Bolschewiki".

In dieser Plattform bezeichneten die Anhänger der Gruppe „Wperjod" den Otsowismus als eine „neben den anderen zu Recht bestehende Schattierung des revolutionären Flügels der Partei". In ihrer Zeitschrift „Wperjod"' gewährte die Gruppe den Otsowisten vollen Raum zur Propaganda ihrer Ansichten. Später, im Zusammenhang mit der beginnenden Wahlkampagne für die IV. Reichsduma, hielt ein Teil der Gruppe (Sergej-Dreier u. a.) die Aufstellung der Losung des bewaffneten Aufstandes in der Agitation für notwendig.

Zugleich stellte die Plattform die Idee der „proletarischen Wissenschaft" und der „proletarischen Philosophie" auf, die in der Zeitschrift „Wperjod" später weiterentwickelt wurde. Man verstand darunter „eine geschlossene Erziehung, die die ungezählten Widersprüche in unserem Leben und in unserer Arbeit beseitigt und unsere Kräfte im Kampfe vervielfacht, zugleich aber uns dem Ideale des Sozialismus näher bringt, da sie in der Gegenwart immer mehr Elemente des Sozialismus herausarbeitet". Diese These sowie die „Gottbildnerei" Lunatscharskis und der Empiriomonismus Bogdanows riefen nicht nur die scharfe Kritik Lenins und Plechanows, sondern auch Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Gruppe selbst hervor. Die Idee der „proletarischen Kultur" wurde später von A. Bogdanow in dem Artikel „Sozialismus in der Gegenwart" in der Diskussionsrubrik der Nummer 2 des „Wperjod" näher ausgeführt. In diesem Artikel wurden die Hauptansichten Bogdanows dargelegt, die später in Gestalt der sogenannten „allgemeinen Organisationswissenschaft" in bestimmte Form gebracht wurden. In diesem Artikel ist jene Formulierung der Frage der Schaffung der Elemente des „Sozialismus in der Gegenwart", die in der Plattform der Gruppe gegeben worden war, in entwickelter Form enthalten.

In dem Artikel wurde der opportunistische Gedanke ausgesprochen, dass „der Kampf für den Sozialismus durchaus nicht nur in dem Kampfe gegen den Kapitalismus besteht", sondern auch die „Ausarbeitung der sozialistischen proletarischen Kultur" in sich schließt. Der Artikel Bogdanows rief innerhalb des Redaktionskollegiums der Gruppe – zwischen ihrem Bologneser Teil (Bogdanow, Lunatscharski) und ihrem Pariser Teil (Pokrowski, Alexinski u. a.) – Meinungsverschiedenheiten hervor. Gegen den Machismus und die Theorie der „proletarischen Kultur" Bogdanows trat Alexinski publizistisch auf; er veröffentlichte in Nummer 7 der Zeitschrift „Sowremenny Mir" vom Jahre 1911 eine in der Form sehr scharfe Besprechung der Broschüre Bogdanows „Kulturaufgaben unserer Zeit" (Moskau 1911). Pokrowski, Mitglied der Pariser Gruppe des „Wperjod", bezeichnete in einem Briefe an das Redaktionskollegium diese Thesen als revisionistisch (der Brief befindet sich im Marx-Engels-Lenin-Institut, er ist vom 17. Oktober 1910 datiert). Gegen den Artikel Bogdanows erschien in derselben Nummer 2 der Zeitschrift „Wperjod" ein Artikel von St. Wolski „Proletarische Kultur". Doch wurden auch in diesem unrichtige, syndikalistische Anschauungen entwickelt. Die prinzipiellen und organisatorischen Meinungsverschiedenheiten führten nach einer Reihe von Konflikten dazu, dass im Laufe der Jahre 1910/11 Pokrowski, Menschinski, Bogdanow und Wolski aus der Gruppe austraten.

Die Logik des Kampfes gegen den Bolschewismus und den Marxismus führte die Gruppe später zu Kompromissen mit Trotzki und den Menschewiki (vorübergehende Teilnahme an der Augustkonferenz der Liquidatoren).

Seit dem Beginn des revolutionären Aufschwungs in Russland, nach dem Zusammenschluss der Bolschewiki und dem nach der Prager Konferenz vom Januar 1912 einsetzenden Zerfall des „Augustblocks" begann die Mehrheit der Gruppe „Wperjod", vor allem der Pariser Gruppe, Ende 1912 einer gemeinsamen Arbeit mit den Bolschewiki zuzuneigen. Diesen Gedanken sprach auch der Sekretär des Genfer Zirkels, W. Poljanski, in einem Briefe an Bogdanow im Jahre 1912 (der im Archiv des Marx-Engels-Lenin-Instituts aufbewahrt wird) aus. Über die „Beendigung der kürzlichen Fehde in den Reihen der Bolschewiki" und die „gemeinsame Arbeit der Leninisten und der Anhänger des ,Wperjod'" schrieb Alexinski in dem Artikel „Der neue revolutionäre Aufschwung und die Lage in der sozialdemokratischen Partei" in dem Sammelbande „Über Tagesfragen", Nummer 3, Februar 1913.

Anfang 1913 wurde in der „Prawda" die Mitarbeit einer Reihe von Anhängern der Gruppe „Wperjod" – Alexinski, Besrabotny, Ljadow, Kalinin (Arkadi) – und der aus der Gruppe „Wperjod" ausgetretenen Bogdanow und Wolski angekündigt. Diese Tatsachen gaben Lenin Anlass, in seinem Artikel „Strittige Fragen" in der „Prawda", Nummer 95 (299) vom 9. Mai (26. April) 1013 (abgedruckt in Band XVI der „Sämtlichen Werke") zu behaupten, dass die „Wperjod"-Richtung „beinahe vollständig verschwunden" sei. Nach Mitteilungen, die das ZK zu dieser Zeit erhielt, schlug Alexinski der Gruppe vor, sich aufzulösen, doch wurde sein Vorschlag nicht angenommen.

Der Artikel Lenins rief Proteste der Anhänger der „Wperjod"-Leute und A. Bogdanows hervor.

In Nummer 52 der „Sewernaja Rabotschaja Gaseta" und in Nummer 4 der Zeitschrift „Borjba" vom 11. Mai (28. April) 1914 wurde ein Brief des Pariser und des Genfer Zirkels der Gruppe „Wperjod" veröffentlicht, in welchem diese beiden Gruppen gegen den Artikel Lenins „Über A. Bogdanow" protestierten. Diesem Briefe folgte ein neuer Brief der Anhänger des „Wperjod", der in Nummer 5 der „Borjba" vom 29. (16.) Mai 1914 erschien und die Grundlage für die Solidarisierung der Redaktion der „Borjba" mit den Anhängern des „Wperjod" in den Fragen des Parteiaufbaus abgab (siehe in derselben Nummer der „Borjba" die redaktionelle Notiz „Anlässlich des Briefes der Genossen von der Gruppe ,Wperjod' "). Als Antwort auf diesen Brief, der in der „Borjba" erschienen war, erschien in Nummer 6 der Zeitschrift „Prosweschtschenije" ein Artikel Lenins „Über die Anhänger des ,Wperjod' und die Gruppe ,Wperjod'“.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen der Redaktion der „Prawda" einerseits und Bogdanow sowie den Anhängern des „Wperjod" anderseits führten zum Ausschluss dieser aus den Reihen der Mitarbeiter, Dieser Bruch wurde Anfang 1914 offen vollzogen.

Der Zerfall innerhalb der Gruppe „Wperjod" nahm im Verlaufe des ganzen Jahres 1913 zu. Zwischen dem Genfer ideologischen Zirkel der „Wperjod"-Anhänger (Sekretär Poljanski), der in seinen Ansichten Bogdanow und Lunatscharski nahestand, und dem Pariser Zirkel sowie dem Redaktionskollegium der Zeitschrift „Wperjod" war die Verbindung sehr schwach. Im Zusammenhang mit dem Zerfall der Gruppe entstand der Gedanke einer Beratung aller ihrer Anhänger, darunter auch der aus ihr Ausgetretenen. In der Beratung des Genfer Zirkels mit den Vertretern des Pariser Redaktionskollegiums Alexinski und Besrabotny (Manuilski) entstand ein Konflikt, der damit endigte, dass die Vertreter des Redaktionskollegiums die Beratung verließen. Im Pariser Zirkel vollzog sich im Sommer 1913 ebenfalls eine Spaltung, verursacht durch die Mitarbeit Lunatscharskis an der parteilosen liberalen Zeitung „Parischski Wjestnik" („Pariser Bote"), die unter der Redaktion eines gewissen Dmitrijew erschien. Der Konflikt innerhalb der Redaktion des „Wperjod" führte zum Austritt Lunatscharskis und Kalinins aus der Gruppe. Die Ausgetretenen bildeten zusammen mit M. Gerassimow und Bessalko den „Zirkel der proletarischen Kultur". Der Aufruf des Zirkels enthielt eine Reihe revisionistischer Thesen, in denen unter der Losung der proletarischen Kultur die Idee der Abstumpfung des Klassenkampfes und des Hineinwachsens in den Sozialismus versteckt war. Im Juni 1913 erklärte das Redaktionskollegium der Gruppe „Wperjod", dass Lunatscharski aus ihm ausgetreten sei. Demnach bestanden in Paris zwei Zirkel: ein Zirkel der „proletarischen Kultur" und ein zweiter, bestehend aus Alexinski, Manuilski, „Leonid"-Wassiljew (jetzt Leiter der Organisationsabteilung der Komintern), Sima (Schreiber, früher Parteifunktionärin in Kiew, die später zur Gruppe „Demokratischer Zentralismus" gehörte), Grigorjewa (S. Kostizyna), „Helena" (Metschnikowa), „Lisa" (Manuilskaja), „Lisa" (Wassiljewa), dein Arbeiter Blaguschin u. a.

Anfang 1914 bestand die Gruppe „Wperjod" aus zwei Pariser Zirkeln, einem Genfer, einem Tifliser Zirkel und einigen einzelnen Anhängern in Petersburg und anderen Orten. Der Genfer und der Tifliser Zirkel sowie der Pariser Zirkel der „proletarischen Kultur" unterhielten Verbindungen miteinander.

Der Tifliser Zirkel des „Wperjod" veröffentlichte in Nummer 7/8 der „Borjba" vom 19. (6.) Juli 1914 einen Protest gegen die Beseitigung Bogdanows und Woinows (Lunatscharski) aus dem Kreise der Mitarbeiter des „Putj Prawdy",

Während des Weltkrieges zerfiel die „Wperjod"-Richtung vollständig. Alexinski wurde zum offenbaren Renegaten und Chauvinisten. Eine Reihe Anhänger des „Wperjod" (Lunatscharski, Manuilski) arbeiteten an der Pariser internationalistischen Zeitung „Nasche Slowo" („Unser Wort"; erschien 1915/10, Tageszeitung) mit. Im August 1915 ging die Genfer Gruppe des „Wperjod" (Lunatscharski, Poljanski) daran, ein nicht periodisch erscheinendes Blatt mit dem Titel „Wperjod" herauszugeben (es erschienen sechs Nummern, die letzte am 1. Februar 1917). Die Genfer Gruppe nahm eine internationalistische Haltung ein, teilte aber in einer Reihe prinzipieller Fragen die Leninschen Ansichten nicht; es handelt sich hier um die Losung der Niederlage der eigenen Regierung im Kriege, die Selbstbestimmung der Nationen, die nationale Frage überhaupt sowie in Bezug auf die organisatorische Frage um die Bedingungen der Vereinigung der Sozialdemokraten Russlands, die auf der Grundlage des Internationalismus stehen. Die Genfer Gruppe wurde deshalb von Lenin einer scharfen Kritik unterzogen. Davon zeugt ein Brief Lenins an N. D. Kiknadse vom Herbst 1916, der in Nummer 3 des „Leninski Sbornik" veröffentlicht wurde.

Nach der Februarrevolution kehrte ein bedeutender Teil der gewesenen Anhänger der Gruppe „Wperjod" in die Reihen der bolschewistischen Partei zurück.[Band 17]

In der Beratung der erweiterten Redaktion des „Proletarij vom Juni 1909 vollzogen die Bolschewiki den endgültigen Bruch mit dem Otsowismus und dem Ultimatismus, und im Dezember desselben Jahres bildete sich eine neue Fraktion, die Gruppe „Wperjod“ (Vorwärts), wie sie sich selbst nannte. Damals gab die Gruppe ihre Plattform heraus (siehe Sämtliche Werke, Band XIV, Anhang, „Dokumente und Materialien“), deren Kritik Lenin im vorliegenden Artikel unternimmt. Unterschrieben war diese Plattform unter anderen von Maxim Gorki, Pokrowski, Lunatscharski, Bogdanow. Ihr besonderes Merkmal bestand darin, dass sie alle von den Bolschewiki „beleidigten" opportunistischen Elemente in Schutz nahm. Ohne den Otsowismus und Ultimatismus offen zu verteidigen, nahm ihn die Gruppe „Wperjod“ in Schutz, dadurch, dass sie ihn als eine „berechtigte Strömung“ in den Reihen der Partei bezeichnete Im Wesentlichen stand die Gruppe, wie Lenin aufzeigte, auf dem Standpunkt des Otsowismus. Offen stand die Gruppe auch nicht auf der Seile des Machismus – einer idealistischen philosophischen Richtung, deren Verkünder Bogdanow und Lunatscharski waren, – aber in Wirklichkeit nahm sie auch diese Richtung in Schutz. Und schließlich grenzte sich die Gruppe auch nicht mit einem Worte von der Gottsucherei und Gottbildnerei ab, deren Verkünder Lunatscharski und Gorki waren, und damit deckte die Gruppe auch diese antimarxistische Strömung. Den verschärften Kampf zwischen den Fraktionen schrieb die Gruppe „Wperjod“ in einem hohen Grade der „Unduldsamkeit“ und dem „persönlichen Ehrgeiz“ der einzelnen Funktionäre zu (was eine Anspielung auf Lenin sein sollte), wobei sie die prinzipielle Bedeutung des Fraktionskampfes verwischte und den Opportunismus des menschewistischen Liquidatorentums verdeckte, gegen das die Bolschewiki kämpften. Dieses versöhnlerische Verhalten der „Wperjod-Gruppe“ gegenüber jedwedem Opportunismus sowohl in der Theorie als auch in der Praxis führte dazu, dass in den Reihen dieser Fraktion sich die allerverschiedenartigsten Elemente (Otsowisten, Ultimatisten, Machisten, Gottbildner usw.) zusammenfanden, die alle der Hass gegen den Bolschewismus vereinigte, der gegen jeden Opportunismus, woher immer er kam, mit unnachsichtlicher Härte kämpfte. In einem Artikel „Über die Plattform der Anhänger und Verfechter des Otsowismus enthüllt Lenin den wahren Charakter dieser Gruppe und ihrer Plattform, wobei er vor allem das ganze „Karikaturhafte“ ihres Revolutionarismus und ihres angeblichen Bolschewismus aufzeigt. Gedruckt wurde der Artikel ,im März 1910 in der ersten Nummer des vom ZK der Partei herausgegebenen „Diskussionsblattes". [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 4, Anm. 19]



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