Referent über die nationale Frage auf der Aprilkonferenz war J. W. Stalin. Er fasste seine Rede in folgenden Sätzen zusammen: „Anerkennung des Rechtes der Völker auf Lostrennung; für diejenigen Völker, die in den Grenzen des gegebenen Staates verbleiben, Gebietsautonomie; für die nationalen Minderheiten besondere Gesetze, die ihnen freie Entwicklung gewährleisten; für die Proletarier aller Nationalitäten des betreffenden Staates eine einheitliche unteilbare proletarische Gemeinschaft, die einheitliche Partei." Das Koreferat hielt G. L. Pjatakow. Er vertrat die Ansicht, dass die nationale Zwietracht und die Zuspitzung der nationalen Frage Überbleibsel aus der Epoche des Feudalismus und der Periode des Kampfes der entstehenden Bourgeoisie gegen den Feudalismus sei. In dem Maße, wie die Epoche des entwickelten Kapitalismus und Imperialismus die Frage der sozialen Revolution aufrollt, verschwinde die nationale Frage, da es unter dem Sozialismus keine nationale Trennung geben könne und die entwickelten Industrieländer notwendigerweise einen einheitlichen Wirtschaftsorganismus bilden würden. Die Losung der Lostrennung der Nationen müsse ersetzt werden durch die Losung: „Fort mit den Grenzen zwischen den Nationen und den Staaten". Felix Dzierżyński, auf dem traditionellen Standpunkt der polnischen Sozialdemokratie verharrend, wandte sich gegen die von Lenin vorgeschlagene Resolution, indem er nachzuweisen suchte, dass die nationalistischen Bestrebungen reaktionär seien und dass der Kampf um die soziale Revolution die separatistischen Bestrebungen der kleinen Völker beiseite schieben werde. [Lenin, Sämtliche Werke, Band 20.1, Anm. 148] Die vorliegende Rede Lenins auf der April-Konferenz der Partei im Jahr 1917 war eine Rede in der Debatte nach dem Referat Stalins und dem Koreferat Pjatakows über die nationale Frage. Stalin vertrat in seinem Referat dieselbe Auffassung, die später im Programm der Kommunistischen Partei Russlands auf dem 8. Parteitag formuliert wurde. Er fasste seine Rede in den folgenden Sätzen zusammen: „Anerkennung des Rechtes der Völker auf Lostrennung; für diejenigen Völker, die in den Grenzen des gegebenen Staates verbleiben, Gebietsautonomie; für die nationalen Minderheiten besondere Gesetze, die ihnen freie Entwicklung gewährleisten; für die Proletarier aller Nationalitäten des betreffenden Staates eine einheitliche, unteilbare proletarische Gemeinschaft, die einheitliche Partei.“ Die „Anerkennung des Rechtes der Völker auf Lostrennung“ (anders gesagt: das Recht der Völker auf Selbstbestimmung bis zur Absonderung in einem eigenen Staate) erläuterte Stalin in seinem Referat folgendermaßen: „Das Recht der Völker auf freie Lostrennung bedeutet natürlich nicht, dass die Lostrennung eines bestimmten Volkes in dem einen oder anderen Moment auch unbedingt stattfinden muss. Diese Frage muss von der Partei von Fall zu Fall völlig selbständig, je nach der gegebenen Situation entschieden werden. Wenn wir den unterdrückten Völkern das Recht auf Lostrennung zugestehen, das Recht, über ihr politisches Schicksal zu entscheiden, so entscheiden wir damit noch nicht die Frage, ob in einer gegebenen Situation bestimmte Völker sich vom russischen Reiche los trennen sollen. Ich kann einem Volke das Recht einräumen, sich los zu trennen, das besagt aber noch nicht, dass ich es damit verpflichte, dies zu tun. Das Volk hat das Recht, sich los zu trennen, aber es kann je nach den Umständen von diesem Recht auch keinen Gebrauch machen. Wir behalten uns auf diese Weise die Freiheit der Agitation für oder gegen die Lostrennung vor, je nachdem, was im Interesse des Proletariats, im Interesse der proletarischen Revolution liegt.“ Diese Hauptthesen wurden auch in dem Resolutionsentwurf formuliert, die der Konferenz vorgelegt wurden. In der Kommission, die die nationale Frage zu behandeln hatte, erhielt dieser Resolutionsentwurf nur zwei Stimmen gegen sieben. Die Mehrheit der Kommission sprach sich für die von Pjatakow vorgelegte Resolution aus, der auch im Namen der Kommission gegen Stalin als Korreferent auftrat. In seinem Koreferat erklärte Pjatakow, die Kommission habe jene Stellung eingenommen, „die vom revolutionären Teil der deutschen Sozialdemokratie. der polnischen Sozialdemokratie u. a. eingenommen wird“, womit er die Haltung Rosa Luxemburgs und Radeks meinte, mit denen in der nationalen Frage die polnischen Sozialdemokraten, die deutsche Gruppe „Internationale“ und die Gruppe Bucharin-Pjatakow übereinstimmten. Lenin, der die ganze Zeit bis 1917 diesen antimarxistischen Standpunkt bekämpft hatte, wandte sich auch in dieser Rede schärfstens dagegen. Er ging dabei sowohl von den schon früher von ihm entwickelten grundsätzlichen Erwägungen aus als auch von den Verhältnissen des Jahres 1917, unter denen die Ablehnung des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen in Wirklichkeit nichts anderes war als eine Unterstützung der chauvinistischen Großmachthaltung der bürgerlichen Provisorischen Regierung, die die Politik der zaristischen Regierung gegenüber den unterdrückten Völkern Russlands fortsetzte und sie um jeden Preis unter der Herrschaft der russischen Bourgeoisie behalten wollte. Die Aprilkonferenz lehnte den Resolutionsentwurf Pjatakows und der Kommission ab und nahm mit 56 Stimmen gegen 16 bei 18 Enthaltungen den Entwurf Stalins an [...]. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 5, Anm. 111] |
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