Nr. 5 [der Rabotscheje Snamja] veröffentlichte einen Brief an die Redaktion mit der Unterschrift „Ein Arbeiter". Augenscheinlich ist dieser Brief von Wolski verfasst, obwohl er dem Arbeiter Marakuschew zugeschrieben wird, der sich später als Lockspitzel herausstellte. In einem Brief an die Hörer der Schule auf der Insel Capri schreibt Lenin über Wolski: „Stanislaus ist der konsequenteste Otsowist und ,Kritiker' des Marxismus in der Philosophie. Es genügt, sich daran zu erinnern, wie … ,Rabotscheje Snamja' den von ihm redigierten Artikel des otsowistischen Arbeiters in Nr. 5 als anarchistisch bezeichnet hat" (siehe „Proletarskaja Revoluzija", 1926, Nr. 2 (49), S. 180). „Proletarij", der in seinen Spalten eine Diskussion über die Frage der Dumafraktion eröffnete, brachte diesen Brief in Nr. 39 zum Abdruck. Der Verfasser des Briefes erblickt „das Hauptunglück der Partei darin, dass sie die Illusionen noch nicht abgeschüttelt und es nicht verstanden hat, sich der neuen Lage der Dinge praktisch anzupassen … Wenn die Revolution nicht liquidiert ist, so müssen wir unsere Taktik und unsere Organisation nicht der gegenwärtigen faulen politischen Lage, sondern eben der Revolution anpassen." Über die Frage der Dumafraktion schreibt der „Arbeiter": „Einer der Hauptgründe, die die Partei bewogen haben, sich an den Wahlen zu beteiligen, war die Hoffnung auf die propagandistisch-agitatorische Rolle der ,Dumatribüne'; die Wirklichkeit hat jedoch gezeigt, dass die Agitation in der III. Duma so gut wie Null ist, erstens infolge der Zusammensetzung der Fraktion, zweitens infolge der vollständigen Gleichgültigkeit der Massen gegenüber allen Vorgängen im Taurischen Palais. Somit hat die Fraktion die ihr gestellten Aufgaben nicht erfüllt, sie konnte sie auch nicht erfüllen. Das Fehlen von bedeutenden Reden und Aktionen, die volle Losgelöstheit der Fraktion vom Leben und von den Interessen selbst des bewusstesten Teils des Proletariats bildete einen günstigen Anlass zur Diskreditierung der Gesamtpartei in den Augen der Arbeiterschaft … Das Bestehen der Fraktion wurde gleichsam zum Beweis dafür, dass die Revolution begraben ist – wenn nicht in Worten, so doch in Wirklichkeit … Eins von beiden: entweder wollen wir um jeden Preis die Fraktion erhalten, dann müssen wir auch alle daraus folgenden Schlüsse ziehen … oder aber wir wollen ihre Energie maximal entwickeln, ohne auf die allgemeinen polizeilichen und die Duma-Hindernisse Rücksicht zu nehmen, – dann müssen wir der Entfernung der sozialdemokratischen Abgeordneten aus der Duma bewusst entgegengehen, dann sind wir Otsowisten. Unserer Auffassung nach kann daraus nur der eine Schluss gezogen werden: der Fehler, den wir durch unsere Wahlbeteiligung begangen haben, muss beseitigt werden, die Fraktion ist aufzufordern, ihre Mandate niederzulegen." Der Briefschreiber erklärt, die Abberufung der Dumaabgeordneten würde nur unter der Voraussetzung von Wirkung sein, dass die Partei „ihre ganze Taktik ändern und ihre ganze Organisation auf das Wiederaufleben der Revolution umstellen wird". Zum Schluss bringt der Briefschreiber eine Reihe von Änderungen in der Parteiarbeit in Vorschlag: 1. Die zentralen Parteizellen sollen nicht gewählt, sondern vom ZK eingesetzt und durch Kooptation ergänzt werden. Zugleich müssen für die Erweiterung der Arbeit unter der Arbeiterschaft Hilfsgruppen gebildet werden, die voneinander getrennt sind, eine bestimmte Funktion erfüllen, auf ihrem unmittelbaren Arbeitsgebiet selbständig und bei allgemeinen Parteiaktionen der Leitung der Ortskomitees untergeordnet sind. 2. Bisher bestand die Agitation darin, dass den Massen eine bestimmte Losung eingeprägt wurde – die neue Agitation muss aber noch vor der Durchführung der Losung die Massen zu ihrer Erörterung hinzuziehen, wenn nicht auf mündlichem, so wenigstens auf schriftlichem Wege. 3. Besondere Aufmerksamkeit ist der Heranbildung von Propagandisten aus den Reihen der Arbeiterschaft zuzuwenden; zu diesem Zweck ist eine Instrukteurgruppe aus den erfahrensten Theoretikern zu bilden. 4. Im Zentralorgan und im „Proletarij" muss der Charakter des neuen sozialen Aufschwungs erläutert werden, damit die aktiven Parteifunktionäre die Taktik ihrer täglichen Arbeit den Anforderungen der Zukunft anpassen können. 5. Im allgemeinen Inhalt der Agitation und Propaganda ist nicht so sehr das demokratische als vielmehr das sozialistische Element der sozialdemokratischen Weltanschauung zu betonen. Der von Lenin analysierte Brief von M. Tomski ist in der gleichen Nr. 39 des „Proletarij" veröffentlicht und trägt den Untertitel „Brief eines Arbeiters an die Redaktion des Proletarij". Der Brief befasst sich ebenfalls mit Fragen des Parteilebens, der Taktik, Propaganda und Agitation der Partei sowie mit der innerparteilichen Lage. M. Tomski beginnt mit der Frage „Was tun?" „Die einen wollen die Partei vernichten, andere wollen Losungen ,erfinden', wenn das Leben selbst sie nicht auf den Plan bringt, andere wieder wollen zu den alten Arbeitsbedingungen zurückkehren usw. usw. … Die letzten drei Jahre ging die Partei immer unter irgendeiner Losung der gegebenen Lage – vom Boykott und bewaffneten Aufstand an bis zu den Wahlen zur III. Duma und der Arbeit in Genossenschaften und Gewerkschaften … Vom ersten Tage an, wo der Arbeiter in einen Zirkel kam, hörte er nur endlos von der ,gegenwärtigen Lage'… Wenn er anderthalb Jahre in der Partei ist, beginnt er von Sozialrevolutionären, Menschewiki und Kadetten einiges zu verstehen, aber dass er Sozialdemokrat ist, das kann man nicht sagen. Er wird zum Revolutionär, zum Demokraten, nur nicht zum Sozialisten! … Die Reaktion brach herein … Die Zöglinge der ,gegenwärtigen Lage' verließen die Partei. Doch schon vom Herbst 1906 an verlangten die Arbeiter dringend, man solle ihnen jenes Wissen geben, das ein Parteiarbeiter notwendig braucht. Bereits vor der II. Duma wurde selbst in den obersten Parteiinstanzen von vielen auf die Notwendigkeit hingewiesen, aus den Arbeitern Propagandisten und Agitatoren heranzubilden, aber erfolglos." Weiter schreibt Tomski von der Flucht der Intellektuellen aus der Partei und betont, dass aus der Arbeiterschaft selber Funktionärkader herangebildet werden müssten. „Wir müssen nunmehr die unfreiwilligen Sünden der letzten drei Jahre wiedergutmachen und die Schaffung von Parteileitern aus der Arbeiterschaft selber, d. h. dem sichersten Fundament der Partei, in Angriff nehmen …" Wohl sind auch Arbeiter zum Teil von der Reaktion betroffen worden, doch die revolutionären Elemente, sagt Tomski, „sind nach wie vor bestrebt, die Kenntnisse zu erwerben, die für fruchtbarere bewusste Arbeit im Interesse der Arbeitersache erforderlich sind." Das dringendste Bedürfnis sei die Klarstellung der Wirtschaftslage Russlands. Im „Proletarij" fände man aber Artikel über Tolstoi, über die Studenten, über den Zerfall der Narodniki, aber keine ernsten Arbeiten über die gegenwärtige Wirtschaftslage. „…
Wenn
wir Praktiker zu den Arbeitern kommen, so werden wir mit ihnen nicht
über Tolstoi und die Studenten zu sprechen haben, denn die
Proletarier interessieren sich nur wenig dafür, aber unvermeidlich
werden wir von den Geschicken der russischen Revolution zu sprechen
haben. Als Marxisten können wir aber alle politischen oder sozialen
Bewegungen nur auf Grund einer streng ökonomischen Untersuchung der
Lage des Landes beurteilen und voraussehen." Lenin nahm diese
zwei Briefe zum Anlass, um die innerparteiliche Lage zu beleuchten. –
Ausführlicheres über die innerparteiliche Lage siehe hier. [Band 12] |
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